Nachdem ich bei meinem Meister Schubert an das Ölmalen gekommen war und als Vorübung zwei kleine, hübsche Bilder nach Dietrich kopiert hatte, welche braun gemalt und mit Weiß gehöht waren, folgten zwei andere größere farbige Bilder nach demselben Meister.
Schuberts Methode des Malens war eine sehr richtige und heilsame und der damals üblichen entgegengesetzt. Er hatte sie von Dietrich erlernt und dieser sie wiederum aus den Niederlanden, wo er sich ausgebildet hatte, mit heimgebracht. Sie bestand hauptsächlich darin, daß zur Untermalung nur wenige, stark deckende Farben gebraucht wurden. So durfte statt des Blau in Luft und Ferne nur Weiß und Beinschwarz, statt des Grün nur Neapelgelb oder lichter Ocker mit Beinschwarz angewendet werden, und alle übrigen Farben und Töne wurden aus verschiedenen Mischungen von Weiß, Neapelgelb, gebranntem und ungebranntem Ocker und Schwarz gemischt. Eine solche Untermalung sah sehr licht und mattfarbig aus; desto leuchtender aber erschienen darauf die Farben der Übermalung.
Indes ich mich so übte, war noch ein neuer Schüler dazu gekommen, namens Pescheck, ein hübscher, lebenslustiger, junger Mann, dessen wohlhabende Eltern in einer Provinzstadt lebten und den Sohn anständig unterstützten. Da er ein paar Jahre älter war als ich und bei seinem geselligen Talente viel in Gesellschaften verkehrte, so kamen wir außer im Schubertschen Arbeitszimmer doch wenig zusammen. Einen bleibenden Eindruck machte es auf mich, als er einstmals erzählte, wie er in ein paar Jahren nach Italien wandern würde, das Zeichenbuch in der Tasche, die Gitarre auf dem Rücken; wie er von den Alpen bis zur Alma Roma die Mappe mit Studien zu füllen und einige glückliche Jahre in dem herrlichen Italien zu verleben gedenke. Sein Vater, welcher die Mittel besaß zur Realisierung dieses reizendsten Künstlertraumes, des Gipfels aller jugendlichen Wünsche, hatte es ihm bereits zugesagt. – Mit Bewunderung sah ich auf diesen liebenswürdigen Günstling des Glückes, und zugleich preßte es mir das Herz zusammen, wenn ich an meine Lage dachte, die solche Wünsche zu hegen auch nicht im entferntesten erlaubte.
Freilich wurden die Hoffnungen Pescheks nicht erfüllt. Allzuviel gesellschaftliche Zerstreuungen, namentlich eifrige Teilnahme an einem Dilettantentheater, zerstreuten ihn allzusehr. Er kam in seinen Studien nicht vorwärts, das Vermögen der Eltern ging ebenfalls rückwärts. Dazu eine nicht glückliche Verheiratung brachte ihn so ganz herunter, daß er sich in einem verzweifelten Momente das Leben nahm.
Es kam in dieser Zeit vieles zusammen, was mich oft recht traurig stimmte. Zunächst war es das Gefühl des Unzulänglichen meines Studiums, welches stets geteilt war zwischen den eigentlichen Studienarbeiten und dem Zeichnen und Radieren von Prospekten, die noch dazu in einer mir widerstrebenden, manirierten Weise ausgeführt werden mußten. Nie konnte ich meine Zeit auch nur zur Hälfte den Arbeiten widmen, von welchen allein eine Förderung zu erwarten war, und selbst bei diesen dämmerte die Erkenntnis auf, daß der Weg, den ich geführt wurde, nicht zu dem Ziele führen könne, welches mir als das richtige erschien.
Denn es war jetzt ein junger Norweger nach Dresden gekommen, welcher unter den Studierenden große Sensation erregte. Es war Christian Dahl. Eine große norwegische Gebirgslandschaft von ihm auf der Kunstausstellung machte das ungeheuerste Aufsehen, und schwerlich kann man sich jetzt eine Vorstellung machen, welche Wirkung ein Werk von solch schlagender Naturwahrheit unter dem Troß der übrigen schattenhaften, leblosen, maniervollen Gemälde hervorbrachte. Nur Dahls Freund Friedrich machte davon eine Ausnahme mit seinen ganz originellen, poetisch gedachten und tief melancholischen Landschaftsbildern. Die älteren Professoren lächelten freilich über diese Ketzereien oder Narrheiten; von den jüngeren wurden sie bewundert und nach Kräften nachgeahmt. Der Frühlingsodem einer neuen Zeit fing an seine Wirkung zu äußern, das alte Zopftum war im Absterben, belächelte aber in olympischer Sicherheit den tollen Rausch der jungen Sprößlinge. Ich aber saß einsam, ratlos und doch voll des glühendsten Verlangens, das Beste zu erreichen.
Ebenso trüb und ratlos sah es für mich nach einer anderen Seite hin aus. Daß es mir an allen Schulkenntnissen mangle, war mir wohl zum Bewußtsein gekommen; jedoch vorherrschend war das Verlangen nach einer höchsten Wahrheit in mir lebendig geworden. Ich suchte ein Feststehendes, auf das ich mich verlassen, dem ich mich anvertrauen könne, das die unwandelbare Grundlage meines Lebens und Strebens sein könne. Unbewußt oder unbenamt war es das religiöse Bedürfnis, was sich fühlbar machte, welches aber nirgends Nahrung fand; mochten sich die Wurzeln und Fasern alles sehnsüchtigen Verlangens auch noch so ängstlich ausstrecken, überall waren es nur Steine, an denen sich das Fäserlein anklammerte, und dies machte mich ruhelos und unsicher. – Wer sollte mich aus dieser Unsicherheit erlösen, wer den Quell des Lebens mir zeigen, welcher dies tiefste Verlangen nährte und befriedigte?
Ich wußte niemand, niemand an den ich mich hätte wenden können mit diesem Begehren meiner einsamen Seele! – ja ich würde mich geschämt haben, solches, wie mich dünkte, wunderliche Verlangen zu offenbaren.
Wie ich schon früher glaube erwähnt zu haben, hatte der trockene Religionsunterricht in der Schule nur wenig verschwommene, allgemeine Begriffe von Gott, Tugend und Unsterblichkeit zurückgelassen, mit welchen der damalige Rationalismus sich begnügte; ein matter Auszug aus der biblischen Geschichte hatte mich wenig angezogen, eine Bibel hatte ich nie in Händen gehabt, auch in unserer Familie existierte eine solche nicht; außerdem kam ich in keine Kirche, und so fehlten trotz des Bedürfnisses – nicht allein der Erkenntnis der höchsten Dinge, sondern nach dem Besitz derselben – jede Anregung und Befriedigung von außen.
Aber auch das wenige, was ich von Gott und göttlichen Dingen wußte und glaubte, war mir zweifelhaft geworden. Dies ging so zu: Unter des Vaters Bekannten war auch einer namens Hupf (ich gebe ihm hier einen anderen Namen) ein kleines, buckliges Männchen, dürr, immer unruhig bewegt, mit einem garstigen Affengesicht. Dieser war einstmals gekommen, einige Platten zu bestellen; denn er hatte einen kleinen Kunstverlag. Ich saß etwas abseits an einem Fenster und radierte an einer Kupferplatte, während jene sich über ihre Geschäfte, dann halblaut über anderes besprachen. Endlich machte mich ein grinsendes Gelächter des Männleins aufmerksam, und ich hörte einen lästerlichen, schmutzigen Witz über eine der evangelischen Erzählungen aussprechen, wobei er sich mit boshaftem Behagen die dürren Arme und Beine rieb und schabte, und seiner Wonne kein Ende fand. Wie ein Blitz schlugen die Lästerworte mir in die Seele. Es war mir, als bräche der ganze Himmel zusammen, und bedeckten nun seine Splitter und Scherben die schöne grüne Erde, und nun könne gar nichts mehr aufblühen und gedeihen. Ein Zweifeln an diesen heiligen Geschichten, ja sogar einen mit solcher Frechheit ausgesprochenen Spott hatte ich gar nicht für möglich gehalten. Ich sah, daß der Vater dem nicht entgegentrat, es schien mir also unter den älteren Leuten all das für Lug und Trug oder Faselei angesehen zu werden, was ich in der Schule als Wahrheit gehört und einfach aufgenommen hatte, und so waren die dürftigen Anfänge eines positiven Glaubens verloren gegangen, und ich mußte annehmen, daß die Wahrheit wo anders liege, wo anders zu finden sein müsse; aber wo und was sie sei, wer sollte mir das sagen? – Bis hierher hatte ich also vergebens nach einem Aufschluß, vergebens nach einer inneren Zurechtstellung gesucht, und meine Zurückgezogenheit, in der ich lebte, meine angeborene Scheu, das was in mir vorging, das mir Liebste, Höchste, gegen andere Menschen auszusprechen, gaben mir wenig Hoffnung, über diese Dinge klar zu werden. –
An einem Buchladen sah ich einst ein Büchlein: »Grundriß praktischer Lebensphilosophie«, und obwohl ich die Groschen nicht im Überfluß besaß, kaufte ich es sogleich und glaubte nun einen sicheren Wegweiser ins Land der Wahrheit und Glückseligkeit gefunden zu haben. Es waren aber eine Reihe kleiner Aphorismen, die ich nicht verstand, und mit denen ich nichts anzufangen wußte. So mußte ich denn in Geduld abwarten, wo mir einmal ein Licht aufgehen würde in meiner Dunkelheit. Glücilicherweise hatte ich keine Zeit, krankhaft einer Stimmung nachzuhängen; ich mußte tüchtig arbeiten, teils um dem guten Vater zu helfen, sein Brot zu verdienen, teils meine Studien, so viel es möglich war, fortzusetzen.
Unter des Vaters Büchern fand ich damals einige Bände von Plutarchs »Lebensbeschreibung berühmter Griechen und Römer«, die ich eifrig las, und den alten, frommen Heiden verdanke ich viel. Ein anderes Buch, was ich sehr liebte, waren die Schriften S. Geßners. Sie regten das Gefühl für die Schönheit der Natur mächtig an, und daß diesem wahren Naturgefühl ein antikisierter Zopf angehängt war, störte mich damals nicht allzusehr. Dieser künstliche Zopf hing ihm ganz apart hinten, vorn war er der...