2 Informatorische Voraussetzungen eines Kundenbeziehungsmanagements
Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
Oscar Wilde
2.1 Relevante Informationsbedarfe
Um eine ziellose Suche nach Informationen durch CRM-Manager zu vermeiden, sind vor dem Eintritt in die Informationsbeschaffung in einem ersten Schritt die relevanten Informationsbedarfe zu definieren. Der Adresse – postalisch oder als E-Mail-Adresse – kommt dabei ein zentraler Stellenwert zu. Bei der Definition der weiteren Informationsbedarfe ist von Bedeutung, welche Art von Kundenwertmodell unternehmensintern zum Einsatz kommen soll, weil diese Entscheidung die zu ermittelnden Informationsfelder determiniert. Weiterhin ist festzulegen, welche Informationen zur weiterführenden Beschreibung von Kunden und Interessenten eine besonders große Aussagekraft haben. Schließlich ist der zu deckende Informationsbedarf auch davon abhängig, welche Maßnahmen kundenorientiert zum Einsatz kommen sollen. Verfügt ein Unternehmen bspw. nur über eine sehr enge Produktpalette oder setzt es ein schmales, hoch standardisiertes Instrumentarium zur Kommunikation mit den Kunden ein, kann eine tiefgehende Analyse der Kundenbedürfnisse und die Ermittlung von kommunikativen Präferenzen entfallen, wenn keine Weiterentwicklungen in diesen Feldern geplant sind.
Die zu deckenden Informationsbedarfe differieren nach der Phase, die jeder einzelne Interessent bzw. jeder einzelne Kunde im Kundenbeziehungslebenszyklus erreicht hat. Zur Umsetzung der akquisitionsorientierten Segmentierung müssen die zu beschaffenden Informationen bzw. Kriterien im BtC- bzw. im BtB-Markt den folgenden Anforderungskriterien Rechnung tragen (vgl. Homburg, 2015: 478; Becker 2013: 290 f.):
• Verhaltensrelevanz der Kriterien
Die Kriterien sollen einen Bezug zum Informations-, zum Kauf- und/oder zum Gebrauchsverhalten der jeweiligen Zielgruppe aufweisen.
• Aussagefähigkeit der Informationen für den Einsatz der Marketing-Instrumente
Idealerweise liefern die Kriterien Ansatzpunkte für die Ausgestaltung des Marketing-Diamanten.
• Messbarkeit der Kriterien
Die Merkmalsausprägungen müssen gemessen werden können.
• Sicherstellung der Zugänglichkeit der definierten Segmente
Die anhand der Kriterien beschriebenen Segmente sollten für das Unternehmen erreichbar sein.
• Zeitliche Stabilität der gebildeten Segmente
Die gebildeten Segmente sollten eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen, damit eine Ausrichtung der Marketing-Instrumente auf die Segmente sinnvoll vorgenommen werden kann.
• Schaffung von wirtschaftlich bearbeitbaren Segmenten
Durch die eingesetzten Kriterien sollten Segmentgrößen entstehen, die eine Bearbeitung zur Erreichung der Unternehmensziele sinnvoll erscheinen lassen. Die heutigen Technologien der Mass-Customization erlauben es in einigen Branchen, immer kleinere Segmente differenziert und profitabel bearbeiten zu können.
Für die akquisitionsorientierte Segmentierung im BtC-Markt haben sich Gruppen von Kriterien bewährt, die in unterschiedlicher Kombination zum Einsatz kommen können ( Abb. 2.1). Die demografischen und psychografischen Merkmale beschreiben sowohl die Lebenssituation als auch verhaltensbeeinflussende Faktoren. Der darauf basierenden Segmentierung liegen Hypothesen zum Kaufverhalten zugrunde.
Abb. 2.1: Ausgewählte Kriterien der akquisitionsorientierten Segmentierung im BtC-Markt (Quelle: Eigene Weiterentwicklung des Ansatzes von Freter 2006: 3845)
Häufig reichen bereits wenige Merkmale aus, um eine Zielgruppe prägnant zu beschreiben. Für Unternehmen der Bekleidungsindustrie stellen Geschlecht, die Konfektionsgröße und die modische Ausrichtung wichtige Merkmale dar. Wenn ein Unternehmen Tiernahrung anbietet, ist das Wissen darüber, ob bspw. Katzen oder Hunde (und ggf. wie viele) im Haushalt gehalten werden, von zentraler Bedeutung.
Im BtB-Markt können Zielunternehmen zunächst anhand von Makro-Kriterien selektiert werden – abgeleitet vom Angebotsfokus des anbietenden Unternehmens. Diese Klassifizierung wird im folgenden Schritt durch die Berücksichtigung von Mikro-Kriterien verfeinert, um die Relevanz des eigenen Angebotes für die Zielunternehmen zu konkretisieren und ggf. bereits erste Informationen über das zu berücksichtigende Buying Center zu bekommen. Die Marketing-Diamant-bezogenen Kriterien kommen analog zum Einsatz ( Abb. 2.2; vgl. Pförtsch, Godefroid, 2013: 121–126; Backhaus, Voeth 2014: 122–127; Kreutzer 2013: 196–199).
Abb. 2.2: Ausgewählte Kriterien der Marktsegmentierung im BtB-Markt
Die definierten Zielsegmente sollten nicht auf Dauer festgeschrieben, sondern in Abhängigkeit von der Veränderungsgeschwindigkeit der bearbeiteten Märkte im Abstand von ca. ein bis drei Jahren auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Die Komplexität des Marktes durch eine Segmentbildung zu reduzieren, gehört zum Handwerkszeug jedes Unternehmens.
Die Informationsbeschaffung muss vom Ende her definiert werden, um der ziellosen Erhebung und Verarbeitung von Daten vorzubeugen. Auch sollte ein Unternehmen nicht bei der einmaligen Informationsbeschaffung stehen bleiben; schließlich ist die Dynamik auf Märkten auch das Ergebnis des Handelns vieler einzelner Kunden. Parallel zur initialen Erhebung von Informationen sollte daran gearbeitet werden, wie die gewonnenen Daten kontinuierlich aktualisiert werden können. Dies gilt nicht nur – wie in Abschnitt 2.3 vertieft wird – für die Adresse selbst, sondern auch für den Familienstand, die Anzahl der Haushaltsmitglieder sowie die Kaufkraft und Bonität im Consumer-Markt. Im BtB-Markt ist dagegen zu prüfen, ob das Unternehmen seinen Geschäftszweck verändert hat, den eigenen Fuhrpark ggf. abgeschafft und/oder neue Produktionsmaschinen angeschafft hat und deshalb für den Anbieter wieder oder nicht mehr interessant ist.
In einer eigenen (unveröffentlichten) Studie zu Kundenbindungssystemen hat der Verfasser festgestellt, dass Kundendaten häufig nur zum Start eines Programms erhoben werden und eine Aktualisierung anschließend oft ausbleibt. Dies kann negative Auswirkungen auf die Stimmigkeit der eingeleiteten Angebots- und Betreuungsmaßnahmen haben. Deshalb sind parallel zur initialen Informationsgewinnung auch Systeme zu entwickeln, die ein kontinuierliches Daten-Update ermöglichen.
Die wesentliche Voraussetzung, um eine Beziehung zum Kunden aufzubauen, sind folglich aussagefähige und aktuelle Informationen. Dies beginnt mit der Adresse, die beim Interessenten-Management, spätestens beim Kunden-Management gewonnen werden sollte. Dies kann die postalische Anschrift oder die E-Mail-Adresse sein. Nur bei Vorliegen einer Adresse können weitere Botschaften gezielt an Personen bzw. Unternehmen gerichtet werden. Und erst eine gezielte Ansprache und Betreuung führen vielfach zu einer längerfristig stabilen Kundenbeziehung. Während Online-Shops, Energieversorger, Versicherungen, Verlage (mit Abonnenten) oder Telekommunikationsunternehmen (bei Post-Paid-Verträgen) aufgrund ihres Geschäftsmodells automatisch die Adresse ihres Kunden generieren, fehlte diese Möglichkeit den meisten stationären Einzelhandelsunternehmen. Die Gründung von Kundenclubs und die Ausgabe von Kundenkarten seit Anfang der 1990er Jahre ist vor diesem Hintergrund zu sehen: Durch das Ausfüllen eines Antrags werden Interessenten und Kunden für weitere Ansprachen und Angebote adressierbar.
Allerdings reicht die Adresse alleine nicht aus, um eine differenzierte Kundenbetreuung im Rahmen einer akquisitions- bzw. der transaktionsorientierten Segmentierung zu ermöglichen. In Abb. 2.3 sind weitere Informationen aufgezeigt, die idealerweise für eine differenzierte Kundenansprache im BtC-Markt im Zuge der Kundenentwicklung zu erheben und in einem Datensatz pro Kunde abzuspeichern sind. Eine Relevanz haben die Daten allerdings nur, wenn sie eine hohe Aktualität aufweisen und über eine hinreichend große Anzahl an Personen verfügbar sind. Die Effizienz von Außendienst-, Mailing-, E-Mail- oder Telefon-Marketing-Maßnahmen hängt davon ab, ob sich die Konzeptionskosten auf eine größere Zahl von Ansprechpersonen...