Sie sind hier
E-Book

Kinderstärkende Pädagogik und Didaktik in der KiTa

AutorDagmar Kasüschke
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783170242883
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Das Buch erörtert zunächst das pädagogische Selbstverständnis der Kindertageseinrichtungen als Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtung vor dem Hintergrund sich wandelnder gesellschaftlicher Herausforderungen. Im Mittelpunkt steht dann die Frage nach elementarpädagogischen und elementardidaktischen Konzepten und zwar in zweifacher Hinsicht: einmal im Hinblick auf die von der Wissenschaft gelieferten Konzepte, zum anderen im Hinblick auf die in der Ausbildung vermittelte und im KiTa-Alltag praktizierte Methodik und Didaktik. Das Buch skizziert darauf aufbauend die Grundlinien einer (bislang fehlenden) erziehungswissenschaftlich fundierten Didaktik der Pädagogik der frühen Kindheit in Kindertageseinrichtungen für Kinder vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr.

Prof. Dr. Dagmar Kasüschke lehrt am Institut Frühe Bildung der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd mit den Schwerpunkten Elementarpädagogik und ihre Didaktik.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

 

 

 

 

 

2


Das Kind im Blick elementarpädagogischer Ansätze – der erziehungswissenschaftliche Diskurs


 

Die Landschaft des Kinderbetreuungssystems in Deutschland ist aufgrund ihrer historischen Entstehungsgeschichte von einer unüberschaubaren Heterogenität geprägt (vgl. Kasüschke, 2010b), die sich nicht nur in einer Vielfalt an pädagogischen Ansätzen, sondern auch auf der Gesetzesebene im Rahmen der Bundesländer- und Trägerhoheit wiederspiegelt.

Neben traditionellen Ansätzen der Frühpädagogik wie Fröbel, Montessori oder Situationsansatz, die Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Diskurse sind, existiert eine Vielzahl pädagogischer Konzepte wie Waldkindergärten, Bewegungskindergarten oder Spielzeugfreier Kindergarten, die sich in der KiTa-Praxis etabliert haben. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen fehlt es bisher an einer systematischen Bestandsaufnahme der pädagogischen Profile von Kindertageseinrichtungen und würde auch den Rahmen dieses Bandes sprengen.

Überlegungen zur Vereinheitlichung von Qualitätsstandards für Kindertageseinrichtungen wie sie in jüngster Zeit im Rahmen der Diskussion zu nationalen Bildungsstandards im Elementarbereich geäußert wurden, müssen zwei unterschiedliche Herausforderungen berücksichtigen. Auf der einen Seite müssen sich Einrichtungen mit Profil mit Fragen der Vergleichbarkeit und Anschlussfähigkeit auseinandersetzen wie beispielsweise, ob eine Schwerpunktsetzung eine ganzheitliche Bildung und Förderung der Kinder oder einen gelungenen Übergang in die Bildungseinrichtung Grundschule gewährleisten kann. Auf der anderen Seite muss eine Gesellschaft sich mit der Frage auseinandersetzen, ob nicht sogar Profilbildungen in einer heterogenen, transnationalen und -kulturellen Gesellschaft nicht nur notwendig, sondern wünschenswert sind. Gleichwohl ist es an der Zeit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, denn mit den Schwerpunktsetzungen in der pädagogischen Arbeit wird jeweils ein bestimmtes Menschen- und Kindbild vermittelt und die Vermutung, dass dies Auswirkungen auf den pädagogischen und didaktischen Umgang mit Kindern haben könnte, liegt nahe.

Im folgenden Kapitel werden ausgewählte pädagogische Ansätze für Kindertageseinrichtungen hinsichtlich ihrer Relevanz für eine erziehungswissenschaftlich fundierte Praxis vorgestellt. Von besonderem Interesse sind dabei Aussagen zur Anthropologie des Kindes, zu Bildung und Lernen im frühen Kindesalter, zu Erziehungsfragen und zu didaktisch-methodischen Transformationen in die KiTa-Praxis. Dabei geht es nicht um einen historischen Rückblick, sondern um eine Fokussierung auf zentrale pädagogische Problemstellungen, die heute ebenso relevant sind wie vor hundert Jahren.

2.1        »Lasst uns unseren Kindern leben!« Zur Aktualität der Spielpädagogik Friedrich Fröbels


Friedrich Fröbel (1782–1852) gilt als der Begründer des deutschen Kindergartens. Seine Pädagogik gehört nach Prange »zu den bedeutenden Zeugnissen des Nachdenkens über Erziehung« (ebd., 2009, S. 16) und sein unvollendet gebliebenes Buch Die Menschenerziehung (1826) zu den Schlüsselwerken der Pädagogik. Seine Überlegungen zu Kindererziehung, zum Kindergarten und das Erbe seines didaktischen Materials kann nur mit Kenntnis seiner Erziehungsphilosophie verstanden werden, zu der es zahlreiche Sekundärliteratur gibt.

Zunächst war es gar nicht Fröbels Absicht, einen Kindergarten als außerfamiliale Betreuungseinrichtung zu gründen, sondern er sah, von Johann Heinrich Pestalozzis pädagogischem Wirken beeindruckt, die Mutter als Schlüsselfigur pädagogischer Vermittlung. Zwischen 1836 und 1838 brachte er die Mutter- und Koselieder, eine Sammlung von Sing- und Fingerspielen der damaligen Zeit, und die ersten von ihm entwickelten Spiel- und Beschäftigungsgaben heraus, um die häuslichen Beschäftigung der Mütter mit ihren Kindern anzuregen. Der Kindergarten sollte der Schulung der Mütter im Umgang mit diesen Materialien und als Ort für Spielkreise dienen, in denen er junge Frauen ausbildete. Während viele junge Frauen des Bürgertums den Kindergarten als ehrenamtliches Betätigungsfeld sahen, blieben die Mütter den Kursen eher fern, schickten aber ihre Kinder. So gründete er 1840 den ersten »Allgemeinen deutschen Kindergarten« in Blankenburg, dem zwei Jahre später die Errichtung einer Musteranstalt als Beratungs- und Belehrungsstätte für junge Mädchen und Mütter folgte, wo die ersten Kindergärtnerinnenkurse abgehalten wurden. So entstand neben den bereits existierenden konfessionellen Kleinkinderschulen und privat-wohltätigen Bewahranstalten der Fröbel’sche Kindergarten als Anstalt der Kleinkindererziehung. Es wurden immer mehr Einrichtungen gegründet, und insbesondere seine Schülerinnen Henriette Schrader-Breymann und Bertha von Marenholtz-Bülow führten seine Methode fort. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Fröbel’sche Methode in die Fachschulausbildung integriert und transformiert, so dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass die Kindergärten ihre Wurzeln größtenteils im Fröbel-Kindergarten haben (vgl. Kasüschke & Fröhlich-Gildhoff, 2008).

Friedrich Fröbels Erziehungsphilosophie basiert auf der Vorstellung, dass allem Leben ein einheitlicher göttlicher Plan zugrunde liegt, den er das Sphärische Gesetz nennt. Dieser göttliche Plan offenbart sich sowohl in der Einzigartigkeit jedes einzelnen Wesens (Individualität) als auch in der Mannigfaltigkeit aller Lebewesen (Vielfalt). Einzigartigkeit und Mannigfaltigkeit stellen für die menschliche Wahrnehmung zunächst Gegensätze dar, die jedoch nach Fröbel gerade im Grundgesetz allen Lebens eine Einheit (einen göttlichen Grund) haben. Mit diesem Denken steht Fröbel in der Tradition des wissenschaftlichen metaphysischen Denkens des 18. Jahrhunderts, in dem gefragt wird, »was ist das Wesen Gottes, was das Wesen der Welt, das heißt alles dessen, was wir uns gegenüber haben, und was sind wir selbst, unsere Seele« (Prange, 2009, S. 21).

Ziel und Aufgabe von Erziehung ist die Lebenseinigung der Natur, des Menschen und Gott, denn das sphärische Gesetz wirkt nicht durch seine bloße Existenz, sondern erst durch den Menschen. Der Mensch handelt frei und selbstbestimmt und kann das Ziel der Lebenseinigung verfehlen. In diesem Kontext ist sein Satz »Laßt uns unseren Kindern leben!« zu verstehen. Aufgabe von Erziehung ist es, das Göttliche in der Natur, im Gegenüber und sich selbst zu erkennen und durch Erziehung zur Freiheit und Selbstbestimmung zu einen. Erziehung hat hier eine Doppeldeutigkeit. »Wer erzieht, wird erzogen, erzieht zugleich auch sich selbst« (ebd., S. 23). Nach Fröbel offenbart sich das göttliche Gesetz im Kind. Erziehung begründet sich aus diesem einenden Gesetz und Erziehung des Kindes und Selbsterziehung des Erwachsenen gehen Hand in Hand.

Fröbel verknüpfte diese erziehungsphilosophischen Grundgedanken mit seinen Beobachtungen und Erfahrungen mit Kindern zu einem entwicklungspsychologischen Modell, von dem einzelne Aussagen auch heute noch Gültigkeit haben.

Zunächst sieht er das Baby im ersten Lebensjahr, das die Welt als unbewusste Ganzheit wahrnimmt und nicht zwischen sich und Welt im Erleben trennt. Fröbel bezeichnet diese noch ungerichtete Wahrnehmung des Säuglings als dunkle Ahnung. Bereits im ersten Lebensjahr differenziert sich seine Wahrnehmung, es bilden sich erste Anschauungen und es nimmt die Mutter und die gegenständlichen Dinge seiner Welt als etwas Anderes wahr (Das ist ein Ball. Das ist Mutter. Das ist die Hand). Bis zum sechsten Lebensjahr entwickelt das Kind klare Vorstellungen von sich und der Welt, und seine Welterfahrungen differenzieren sich durch die Entwicklung der Sprache (Zahlen, Töne, Farben, Rhythmus, Melodie) aus. Nach Fröbel veräußerlicht das Kind seine inneren unbewussten geistigen Vorgänge in dieser Phase und verinnerlicht alles von ihm äußerlich Wahrgenommene im Spiel.

In der mittleren Kindheit (6 bis 10 Jahre) setzt sich das Kind mithilfe von Unterricht mit diesen inneren Vorgängen bewusst auseinander und erkennt erste Regelmäßigkeiten in der äußeren Welt. Im Knabenalter (10 bis 14 Jahre) beginnt das Kind die dingliche Welt und sein Wesen zu erforschen. Der junge Erwachsene ist zunehmend in der Lage, die Gesetzmäßigkeit, die hinter den Dingen steht, zu erkennen. Er beginnt zu abstrahieren und sich selbst und die Welt im...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Vorwort der Herausgeberin6
Inhaltsverzeichnis8
Einleitung12
1 Die Kindertageseinrichtung als Institution mit vielfältigen Aufgaben16
1.1 Von der Familienkindheit zur Institutionenkindheit19
1.2 Die Kindertageseinrichtung als Ort kindlichen Aufwachsens22
1.3 Die Kindertageseinrichtung als Ort für Kinderkulturen26
1.4 Die Kindertageseinrichtung als Ort der Vielfalt und Inklusion28
1.4.1 Geschlechterbewusste Erziehung von Mädchen und Jungen in der KiTa28
1.4.2 Armut von Mädchen und Jungen in der KiTa29
1.4.3 Kultursensitive Erziehung von Mädchen und Jungen in der KiTa30
1.4.4 Mädchen und Jungen mit und ohne Behinderung in der KiTa33
1.5 Die Kindertageseinrichtung als Teil eines sozialen Netzwerkes34
1.6 Bildung und Erziehung im Kontext von Betreuung und Pflege36
2 Das Kind im Blick elementarpädagogischer Ansätze – der erziehungswissenschaftliche Diskurs39
2.1 »Lasst uns unseren Kindern leben!«Zur Aktualität der Spielpädagogik Friedrich Fröbels41
2.2 »Erziehung durch Nachahmung« –Pädagogik im Waldorfkindergarten47
2.2.1 Das Kind ist ganz Sinnesorgan (1. Jahrsiebt)51
2.2.2 Vorbild und Nachahmung52
2.2.3 Rhythmus und Wiederholung53
2.2.4 Religiöse Erziehung53
2.2.5 Spielpflege, Raumgestaltung und Spielmaterial55
2.2.6 Künstlerisch-musische Erziehung (Eurythmie)57
2.3 »Kinder sind anders!« Montessoripädagogik in Kindertageseinrichtungen58
2.4 Die Lebenssituationen der Kinder als Ausgangspunkt von Erziehung63
2.5 »Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt« – Reggiopädagogik als ästhetische Bildung?67
2.6 »Vom entdeckenden Lernen und eigenverantwortlichen Tun« – Elemente der Freinetpädagogik in KiTas72
3 Didaktische Modelle und Methoden elementarpädagogischer Praxis im Umbruch77
3.1 KiTa-Tagesabläufe und Rituale als Rahmen kindlicher Bildungsprozesse79
3.2 Raumgestaltung im Kontext didaktischer Lernarrangements84
3.2.1 Die Raumfigur des traditionellen Kindergartens84
3.2.2 Das Raumkonzept des offenen Kindergartens89
3.3 Freispiel und freies Spiel – Das Spiel der Kinder als Gegenstand elementarpädagogischer Praxis94
3.4 Angebot, Projekt und Lernwerkstatt: DieKindergruppe als didaktisches Lernarrangement103
3.4.1 Die gezielte Beschäftigung als Bildungsplanarbeit103
3.4.2 Offene Projektarbeit als ko-konstruktives Lernarrangement107
3.4.3 Lernwerkstätten als autodidaktisches Lernarrangement111
3.4.4 Lernwerkstatt als Raum vorstrukturierten Lernens114
3.4.5 Lernwerkstatt als Begegnungsraum lebendigen Lernens von Kindern und Erwachsenen118
4Herausforderungen und Spannungsfelder einer Didaktik der Kindertageseinrichtung121
4.1 Alltägliche Lebenswelt undInstitutionenerziehung123
4.2 Entwicklungstatsache und Gesellschaftsinteresse125
4.3 Bildungsplanarbeit und Themen der Kinder128
4.4 Kind und Gruppe131
4.5 Selbstbildung und Instruktion133
4.6 Materialität und Kulturalität136
4.7 Eigenständiger Bildungsauftrag oder Vor-Schule141
Literatur146

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Correo

Correo

 La Revista de Bayer CropScience para la Agricultura ModernaPflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und am Thema Interessierten mit umfassender ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...