2 GRUNDLAGEN KONSTRUKTIVER GESPRÄCHSFÜHRUNG
Was Sie in diesem Kapitel lernen können
Konstruktive Gesprächsführung gehört zu den Schlüsselkompetenzen der Praxis sozialer Arbeit und will erlernt werden. Konflikte sind unvermeidbar und treten in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung in Gesprächen immer wieder auf. Die Fähigkeit, kooperativ und wertschätzend zu kommunizieren und gleichzeitig für die eigenen Interessen einzustehen, wird nicht nur von Führungskräften, sondern ebenso von Mitarbeitern im Team sowie in der Einzelfallhilfe gefragt. Gleichzeitig bilden die Grundlagen konstruktiver Gesprächsführung das Fundament eines erfolgreichen Konfliktmanagements sowie der Mediationsmethode. Gesprächsführungskompetenz beinhaltet daher zwangsläufig Konfliktbearbeitungskompetenz.
Das Herstellen eines förderlichen Gesprächsklimas setzt ein großes Maß an Selbstbeobachtung voraus. Verhaltensweisen, wie der Ausdruck von Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen, genaues Zuhören und Empathie, Wahrnehmung eigener Gedanken und Gefühle sind hilfreiche Komponenten. Um ergebnisorientiert kommunizieren zu können, wird zusätzlich Kompetenz im Strukturieren und Leiten von Gesprächen gefordert.
Elementare Kommunikationsmethoden wurden von bekannten Wissenschaftlern wie Schulz von Thun, Rogers oder Thomas Gordon entwickelt. Damit werden wir Sie in diesem Kapitel vertraut machen:
• Die Komponenten klientenzentrierter Gesprächsführung nach Rogers
• Die vier Seiten einer Nachricht nach Schulz von Thun
• Aktives Zuhören nach Thomas Gordon
• Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg
• Lösungs- und Ressourcenfokussierung nach de Shazer
• Kommunikations- und Fragetechniken
2.1 Die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers
Die nichtdirektive oder klientenzentrierte Gesprächsführung ist ein Beratungskonzept des amerikanischen Psychotherapeuten Carl R. Rogers. Rogers zählt mit dem von ihm entwickelten Persönlichkeitsmodell zu den Begründern der Humanistischen Psychologie. Diese betont die Einzigartigkeit jedes Menschen sowie das innere Bedürfnis nach konstruktiver Veränderung und Selbstverwirklichung (Weinberger 2004, 23). Aus einer Fülle von Wahlmöglichkeiten kann und muss jeder selbstverantwortlich das jeweils Passende wählen. Menschlichkeit und Lebenssinn werden im täglichen Handeln verwirklicht. Angestrebt werden innere Freiheit und Selbstbewusstsein (Gührs/Nowak 1991, 22 f.). Vertreter der Humanistischen Psychologie haben ein grundsätzliches Vertrauen in die positiven selbstregulierenden Kräfte des Menschen. Persönliche Erfahrungen werden als Erkenntnisquelle angesehen (Köllner 1996, 29 f.).
Eine Besonderheit des nichtdirektiven Ansatzes ist es, von Ratschlägen, Ermahnungen, Erklärungen und Interpretationen abzusehen (Weinberger 2004, 22). Der Berater nutzt Methoden wie das Erkennen und Interpretieren der verbal und nonverbal ausgedrückten Gefühle. Dies soll den Klienten unterstützen, sich seiner Einstellungen und Gefühle bewusster zu werden und auf diese Weise an Einsicht und Selbstverständnis zu gewinnen. Der Klient wird auf diese Weise ermutigt, über seine Probleme zu sprechen (Rogers 1995, 115 ff.). Das Gespräch soll dem Klienten gehören und ihm Gelegenheit zum freien Sprechen bieten (ebd., 118 f.). Hier steht der Klient als unabhängiges Individuum mit seinen Fähigkeiten im Mittelpunkt, welche er im geschützten Rahmen besser verstehen lernt. Durch die Gespräche ändern sich letztendlich Einstellung und Verhalten (Weinberger 2004, 22). Der Beratende unterstützt als Klärungs- und Entscheidungshelfer, zeigt Einfühlung und Verstehen (Miller 2000, 124). Hierzu wiederholt oder klärt er Äußerungen des Klienten oder nutzt Neudefinitionen wie Reframing. Bei dieser Art von Gesprächsführung – im Gegensatz zur direktiven Beratung – spricht der Klient mehr als doppelt so viel wie der Berater (Rogers 1995, 115 ff.).
Ziel ist es, das Selbstwertgefühl des Klienten zu fördern und seine Eigeninitiative zu aktivieren. Der Gesprächsverlauf geht vom Gesprächspartner aus und wird durch den Berater lediglich hörend, sehend, fühlend und verstehend, also nicht lenkend begleitet (Köllner 1996, 46). Auf diese Weise wird dem Streben nach Selbstverwirklichung und Autonomie der zu Beratenden nachgekommen (Miller 2000, 124). Zudem lernen die Menschen auch mit künftigen Problemen besser umzugehen, weil sie an Einsicht gewinnen und die Erfahrung gemacht haben, ihre Probleme bereits einmal selbst gelöst zu haben (Rogers 1995, 118 f.).
Im Laufe seiner Arbeiten beschäftigte sich Rogers mit den Bedingungen, die Einstellungs- und Verhaltensänderungen seitens des Klienten begünstigen. Da der Begriff „nichtdirektiv“ teilweise als „nicht aktiv“ missverstanden wurde, verwendete er später den Begriff „klientenzentriert“, welcher den Klienten und dessen Potenzial hervorhebt (Weinberger 2004, 23).
Als Bestandteil der Humanistischen Psychologie sieht die klientenzentrierte Gesprächsführung von einer rein biologisch-mechanischen Betrachtungsweise des Menschen ab und bewertet Erfahrungen höher. Entwicklung geschieht nur in Interaktion mit Menschen und ihrer sozialen Umwelt, die jeweils individuell verarbeitet werden. Der Einzelne trifft Entscheidungen und trägt die volle Verantwortung hierfür (Gührs/Nowak 1991, 22 f.).
Kennzeichnend für den klientenzentrierten Ansatz ist der Verzicht auf Interpretationen, Ratschläge oder fertige Lösungen (Weinberger 2004, 33). Direkte, subjektiv geprägte Antworten des Beraters auf Klientenfragen werden weitgehend vermieden. Um das eigene Nachdenken des Klienten zu fördern und Abhängigkeit zu vermeiden, werden stattdessen Techniken wie das Zurückspiegeln der Frage des Klienten angewandt (Köllner 1996, 23 f.). Das Vorgehen orientiert sich primär an der Person, ihren Ressourcen und ihrem Veränderungspotenzial (Weinberger 2004, 33). Der Klient wird dabei unterstützt, sich konstruktiv mit seinen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und auf diese Weise selbst eine Lösung seiner Probleme zu entwickeln (ebd., 35).
Aus beruflichen Erfahrungen sowie umfangreichen empirischen Untersuchen entwickelte Rogers drei Kernelemente, die für die menschliche Kommunikation und damit auch für jegliche Konfliktbearbeitung förderlich sind, wenngleich diese in der Praxis nicht immer vollständig verwirklicht werden können: Echtheit, Einfühlung und Akzeptanz (Miller 2000, 71). Dem Klienten soll mit „unbedingter positiver Beachtung“ bzw. „bedingungsloser Annahme“, d. h. vorurteilsfrei und wertfrei begegnet werden (Köllner 1996, 20). Dadurch, dass der Gesprächspartner ernst genommen und mit Einfühlungsvermögen verstanden wird, soll ein freies, offenes, angstfreies Reden ermöglicht werden (ebd., 39).
Abb. 2.1: Beratervariablen nach Rogers
Die Haltung der Wertschätzung/Akzeptanz
Jeder Mensch, ob jung oder alt, sehnt sich nach Wertschätzung und Anerkennung, ob in der Familie, in der Freundesgruppe, im Beruf, im Verein, im Sport oder in der Nachbarschaft. Zugehörigkeit, sozial akzeptiert zu sein, eine Aufgabe zu übernehmen, sind essenzielle menschliche Bedürfnisse. Kinder brauchen die Wertschätzung ihrer Eltern genauso wie sie die Annahme ihrer Persönlichkeit durch ihre Pädagogen brauchen; daneben sind sie auf Freundschaften angewiesen, um sich anerkannt zu fühlen.
Wertschätzung/Akzeptanz
Wertschätzung, auch als Akzeptanz, Achtung und Respekt bezeichnet, meint, dass andere nicht bewertet oder beurteilt und sie ebenso mit ihren Fehlern akzeptiert werden (Rogers 1995, 52). Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis des Menschen und Grundlage einer Intervention im Konfliktgeschehen.
Mittlerweile wissen wir, dass gerade die Akzeptanz eines Menschen starkes Entwicklungspotenzial entfalten und ihm helfen kann, aus seiner Misere heraus zu wachsen. Dies findet u. a. Ausdruck in dem wegweisenden Buch „Familienkonferenz“ von Thomas Gordon:
„Wenn ein Mensch imstande ist, einem anderen gegenüber echte Annahme zu empfinden und sie ihn spüren zu lassen, besitzt er die Fähigkeit, dem anderen ein mächtiger Helfer zu sein. Seine Annahme des anderen, so wie er ist, stellt einen wichtigen Faktor in der Pflege einer Beziehung dar, in der der...