2. Coaching mit Kindern
2.1 Warum Kinder coachen?
Kinder können aus vielfältigen Gründen zu einem Coach kommen. Möglicherweise machen sich die Eltern oder andere Erwachsene Sorgen darüber, wie das Kind zurechtkommt, und suchen Hilfe. Oder vielleicht hat das Kind Sorgen oder macht eine schwierige Phase durch. Viele Schwierigkeiten lassen sich im normalen Alltagsleben lösen, mithilfe von Freunden, Familienmitgliedern, Lehrern und anderen Erwachsenen, die das Kind kennt. Doch manchen kindlichen Sorgen ist nicht so ohne Weiteres beizukommen oder die Kinder stehen sich häufig auch selbst im Weg. Sie sehen sich beispielsweise negativ, haben Mühe, ihr Verhalten in den Griff zu bekommen, oder können bestimmte Anforderungen nicht bewältigen. Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching (LOKC) kann Kinder wirkungsvoll darin unterstützen, sich auszudrücken und eigene Lösungen zu finden.
Lösungsorientiert (LO) arbeitende Coachs können entweder mit einem Kind allein arbeiten oder auch mit dem Kind und Teilen seiner Familie. Entscheidend ist immer, was im jeweiligen Fall nützlich ist oder was der Klient oder die verweisende Stelle verlangt. Vertraulichkeit ist immer ein Thema, doch LOKC ist hier insofern im Vorteil, als es sich recht leicht nachvollziehen lässt. Meist erzählen die Kinder ihren Eltern gerne, was in einer Sitzung geschieht, oder sie lassen es jemand anderen erzählen. Erwachsenen geht es ähnlich, vielleicht weil sich die Gespräche auf die Stärken beziehen und auf die Zukunft abzielen.
In manchen Situationen muss der lösungsorientiert arbeitende Coach in der Arbeit mit Kindern vielleicht in eine andere Rolle schlüpfen. Falls etwa ein Kind möglicherweise nicht sicher ist, muss er die Rolle des Coachs verlassen, um das Risiko einzuschätzen, oder er muss das Kind an eine dafür geeignete Fachkraft verweisen. Falls Probleme mit anderen Personen angegangen werden müssen – etwa dass das Kind von einem anderen Kind gemobbt wird oder ein Problem mit einem Erwachsenen hat –, kann der Coach aus seiner Coaching-Rolle heraustreten und darauf eingehen, gewöhnlich mit der Zustimmung und Beteiligung des Kindes. Überhaupt sehen sich professionelle Helfer in der Arbeit mit Kindern mit vielen komplexen strukturellen Problemen konfrontiert, die Kinder ebenso bedrücken und schwächen können wie Erwachsene – zum Beispiel schwierige soziale oder finanzielle Notlagen. Einem Coach muss bewusst sein, dass auch Kinder mit den Auswirkungen zu tun haben, und deshalb mag sich ein lösungsorientiert arbeitender Coach auch mal dafür entscheiden, aus der Coaching-Rolle herauszutreten und diese Themen anzusprechen. Vielleicht wird er auch dem Kind den Ernst der Lage erklären und es im Umgang mit der Situation unterstützen. Wie man sich hier entscheidet, könnte als politische Entscheidung gesehen werden, aber auch als eine, die die praktische Arbeit betrifft. Wenn man sich als professioneller Helfer um solche Belange kümmert, coacht man nicht mehr allein das Kind, sondern bezieht das weitere Umfeld mit ein.
2.2 Warum sollte man lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching bei Kindern einsetzen?
Kinder sind allgemein nicht besonders empfänglich für Gespräche, in denen es hauptsächlich um Probleme geht. Was gestern war und was morgen sein wird – so weit erstreckt sich ihr Zeithorizont. Das gilt nicht unbedingt für ein Problem, das zwar ständig da sein mag, aber nicht hier und heute. Außerdem ist es für Kinder häufig eine sehr unangenehme und einschränkende Erfahrung, über Probleme zu sprechen. Über Stärken und Ressourcen zu sprechen, über die Zukunft und kleine Erfolge ist etwas ganz anderes. Diese Art des Gesprächs knüpft, wie Therese Steiner sagt, näher an das Denken und die Weltsicht von Kindern an: „Nicht zuletzt passt der lösungsorientierte Ansatz sehr gut zu der Art und Weise, wie Kinder über die Welt denken und sie betrachten. Ich bin noch keinem Kind begegnet, das gern über Probleme spricht. Wenn man beobachtet, wie kleine Kinder kleinere Alltagsprobleme lösen, dann gehen sie dabei nach dem vorhersagbaren Muster von Versuch und Irrtum vor. Sie schauen immer nach vorn und sie setzen sich fast nie hin und analysieren die Schwierigkeiten, um eine Lösung zu finden. Je länger ich über diese Charaktereigenschaften nachdachte, desto bewusster wurde mir, dass die lösungsfokussierte Kurzzeit-Therapie der Art entspricht, wie Kinder in der Welt sind“ (Berg & Steiner 2003, S. XV).
Im lösungsorientierten Kurzzeit-Coaching sehen wir den Menschen als den Menschen und das Problem als das Problem. Die Kommunikation soll tunlichst mit dem Menschen erfolgen, abseits des Problems. Das hat eine sofortige Horizonterweiterung des Menschen zur Folge, sodass er besser sieht, wo seine problemfreien Zonen sind, und es vermittelt ihm von Beginn der Arbeit an ein Gefühl von Hoffnung und Energie. Diese Wahrnehmung ist besonders bei Kindern hilfreich, weil sie ihr Identitätsgefühl noch entwickeln. Dieser Entwicklungsprozess ermöglicht einerseits Mobilität und Flexibilität, kann andererseits Kinder sehr anfällig dafür machen, sich selbst abzustempeln. Ist ein Gespräch nicht mit dem Problem verknüpft, kann das Kind besser erkennen, dass es viel mehr ist als sein Problem oder seine Sorge.
Mit lösungsorientiertem Kurzzeit-Coaching können Kinder nach und nach ein Gefühl für ihre Selbstwirksamkeit entwickeln. Sie können über das reden, was sie anders machen wollen, feststellen, dass sie manches davon schon machen, anfangen, in kleinen Schritten mehr davon zu machen, und wegkommen aus Phasen, in denen sich nichts änderte oder die Situation sich verschlimmerte. All das hilft ihnen, ein Gefühl von Autonomie und Wirksamkeit zu erleben. Das ruft häufig positive Gefühle und Optimismus in Bezug auf andere Dinge hervor, die sie vielleicht anders machen wollen, und es sorgt für ein Gefühl von Resilienz und Widerstandsfähigkeit im Umgang mit unweigerlich erfolgenden Rückschlägen. Es ist wirklich wichtig, das früh im Leben zu lernen und zu erleben, und es kann zu Erfolgen in allen Lebensbereichen eines Kindes führen.
Besonders Kinder können durch Coaching in ihre Kraft finden, denn ihr Umfeld wird zwangläufig meist von anderen kontrolliert. LOKC hilft Kindern zu verstehen, dass Veränderungen nicht nur in anderen Personen oder im Außen stattfinden, sondern dass auch sie selbst etwas anders machen können. Zum Beispiel kann ein Kind, das sagt, niemand wolle mit ihm befreundet sein, seine Fähigkeiten entdecken, Freundschaften zu schließen, und es so anderen Kindern leichter machen, nett zu ihm zu sein.
In allen Coaching-Modellen werden Verlauf und Fortschritt der Arbeit durch Annahmen gesteuert. Die Annahmen im lösungsorientierten Kurzzeit-Coaching sind besonders kinderfreundlich und versetzen den Coach in eine andere Position. Nicht er führt das Kind zum Wasser, sondern er folgt dem Kind zu dessen eigener Oase.
2.3 Wie sieht eine Coaching-Sitzung mit Kindern aus?
Nur reden, nicht malen
Als ich kürzlich wegen eines Coaching-Programms in einer Schule war, ergab sich im Lehrerzimmer folgendes Gespräch:
„Ich finde es wirklich toll, was Sie mit den Kindern machen.“
„Ach, schön, freut mich“, antwortete ich. „Was gefällt Ihnen daran?“
„Die Kinder krempeln gern ihre Ärmel hoch, machen sich die Hände schmutzig und sind gern kreativ … Davon bekommen sie heutzutage gar nicht genug, deshalb kommen sie gern in die Stunden mit Ihnen.“
„Ähm, was glauben Sie denn, was ich mit den Kindern mache?“, erkundigte ich mich vorsichtig. Sollten vielleicht Karten und Sticker mit Stärken ein metaphorisches Ärmel-Hochkrempeln sein?
„Ach, malen Sie nicht mit ihnen? Ich dachte, Sie geben Malstunden?“, fragte meine Gesprächspartnerin recht laut vernehmbar, denn die anderen Gespräche im Lehrerzimmer waren verebbt. In ihrem Blick zeigte sich bereits eine kleine Enttäuschung.
„Nicht ganz, die Kinder sind durchaus kreativ, aber eher mit Worten und damit, wie sie die Dinge betrachten. Wir richten unseren Blick auf ihre Stärken und auf das, was sie gut können, und dann auf das, worin sie besser werden wollen. Wir entwickeln Bilder dafür, wie das aussehen würde, achten auf Anzeichen für das, was sie erreicht haben … Im Grunde genommen ist es ein Malen mit Worten … so etwas in der Art …“
„Oh“, meinte sie, „also nur reden.“
Der Kern einer LOKC-Sitzung ist ein Gespräch, und Kinder sind (im Gegensatz zu Teenagern) meist froh, sich zu unterhalten. Auch ist das, was ein Coach tut, nicht etwas ganz Unbekanntes für sie – wenngleich ein lösungsorientiert arbeitender Coach nicht ganz das sein könnte, was sie erwarten. Kinder sehen einen Coach häufig als jemanden, der ihnen bestimmte Fertigkeiten beibringen und sie gleichzeitig unterstützen kann, ihre Talente zu entwickeln. Wenn sie erleben, dass ein lösungsorientiert arbeitender Coach ihnen nicht sagt, was sie tun sollen oder wie sie etwas tun sollen, kann das durchaus eine angenehme Überraschung sein. Auch reden Kinder lieber, wenn man sie nicht drängt, über etwas zu sprechen, worüber sie nicht reden wollen, oder wenn sie nicht zu einer bestimmten Antwort gedrängt werden. Über ressourcenbasierte Unterhaltungen kann man mit Kindern leicht ins Gespräch kommen. Ebenso werden Nachfragen, was sie gern tun, was sie gut können, welche Talente sie haben und was ihnen in letzter Zeit gut gefallen hat, von Kindern häufig positiv erlebt. Sie haben weniger Hemmungen, diese Fragen zu beantworten als Teenager. Aus ihren Antworten kann man später in vielerlei Hinsicht wertvolles Material schöpfen.
Um das Gespräch zu fördern und zu erweitern, kann...