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E-Book

Lebenserinnerungen

AutorWerner von Siemens
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783862489428
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Werner von Siemens - erfolgreicher Unternehmer, begnadeter Ingenieur und kreativer Erfinder. Ohne seine Erfindungen wäre die Welt heute eine ganz andere. Mit seinen Entdeckungen legte er den Grundstein der modernen Starkstromtechnik und ermöglichte den Bau elektrischer Lokomotiven, Straßenbahnen und Aufzüge. Mit der Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske vernetzte er Deutschland, Europa und die Welt. Seine Telegrafenverbindungen von London nach Kalkutta und durch den Atlantik nach Nordamerika sind nicht nur Meilensteine der Technik, sondern waren zugleich auch Voraussetzung für die beginnende Globalisierung. Mit dieser Ausgabe liegen Werner von Siemens' »Lebenserinnerungen« endlich wieder als hochwertiges Taschenbuch vor. Spannend geschrieben, erhält der Leser einen informativen Einblick in die einzigartige Persönlichkeit eines genialen Erfinders, Ausnahme-Unternehmers und sozial engagierten Bürgers des Deutschen Kaiserreiches.

Werner von Siemens, geboren 1816 im heutigen Gehrden, sollte einer der größten Erfinder und bedeutendster Industrieller des Deutschen Kaiserreiches werden. Zunächst musste er seine Schulausbildung aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Eltern abbrechen und sein Studium stattdessen während seiner militärischen Ausbildung im Ingenieurskorps der preußischen Armee absolvieren. Sein erstes Versuchslabor richtete er in seiner Gefängniszelle ein, nachdem er wegen der Teilnahme als Sekundant bei einem Duell zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt worden war. Mit der »Telegraphen Bau-Anstalt«, die Siemens 1847 zusammen mit Johann Halske gründete, vernetzte er Europa und die Welt von London über Teheran nach Kalkutta und von Großbritannien nach Nordamerika. Mit der Erfindung des dynamoelektrischen Prinzips und des Elektromotors leitete er die zweite industrielle Revolution ein. Neben zahlreichen weiteren Erfindungen machte sich Werner von Siemens auch als sozial engagierte Persönlichkeit einen Namen. Seine Mitarbeiter wurden am finanziellen Erfolg seiner Unternehmen beteiligt, ihre Wochenarbeitszeit lag 18 Stunden unter dem deutschen Durchschnitt und sie kamen in den Genuss einer hauseigenen Pensions-, Witwen- und Waisenkasse. Als Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses war er an der Ausarbeitung eines Patentgesetzes beteiligt, das 1877 schließlich verabschiedet wurde und in Teilen noch bis heute gültig ist. Werner von Siemens starb 1892 an einer Lungenentzündung.

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Leseprobe

KINDHEIT UND JUGEND

Meine früheste Jugenderinnerung ist eine kleine Heldentat, die sich vielleicht deswegen meinem Gedächtnisse so fest einprägte, weil sie einen bleibenden Einfluß auf die Entwicklung meines Charakters ausgeübt hat. Meine Eltern lebten bis zu meinem achten Lebensjahre in meinem Geburtsorte Lenthe bei Hannover, wo mein Vater das einem Herrn von Lenthe gehörige »Obergut« gepachtet hatte. Ich muß etwa fünf Jahre alt gewesen sein und spielte eines Tages im Zimmer meines Vaters, als meine drei Jahre ältere Schwester Mathilde laut weinend von der Mutter ins Zimmer geführt wurde. Sie sollte ins Pfarrhaus zu ihrer Strickstunde gehen, klagte aber, daß ein gefährlicher Gänserich ihr immer den Eintritt in den Pfarrhof wehre und sie schon wiederholt gebissen habe. Sie weigerte sich daher entschieden, trotz alles Zuredens der Mutter, ohne Begleitung in ihre Unterrichtsstunde zu gehen. Auch meinem Vater gelang es nicht, ihren Sinn zu ändern; da gab er mir seinen Stock, der ansehnlich größer war als ich selbst, und sagte: »Dann soll Dich Werner hinbringen, der hoffentlich mehr Courage hat wie Du.« Mir hat das wohl zuerst etwas bedenklich geschienen, denn mein Vater gab mir die Lehre mit auf den Weg: »Wenn der Ganter kommt, so geh ihm nur mutig entgegen und haue ihn tüchtig mit dem Stock, dann wird er schon fortlaufen!« Und so geschah es. Als wir das Hoftor öffneten, kam uns richtig der Gänserich mit hoch aufgerichtetem Halse und schrecklichem Zischen entgegen. Meine Schwester kehrte schreiend um, und ich hatte die größte Lust, ihr zu folgen, doch ich traute dem väterlichen Rate und ging dem Ungeheuer, zwar mit geschlossenen Augen, aber tapfer mit dem Stocke um mich schlagend, entgegen. Und siehe, jetzt bekam der Gänserich Furcht und zog sich laut schnatternd in den Haufen der auch davonlaufenden Gänse zurück.

Es ist merkwürdig, welch tiefen, dauernden Eindruck dieser erste Sieg auf mein kindliches Gemüt gemacht hat. Noch jetzt, nach fast 70 Jahren, stehen alle Personen und Umgebungen, die mit diesem wichtigen Ereignisse verknüpft waren, mir klar vor Augen. An dasselbe knüpft sich die einzige mir gebliebene Erinnerung an das Aussehen meiner Eltern in ihren jüngeren Jahren, und unzählige Male hat mich in späteren schwierigen Lebenslagen der Sieg über den Gänserich unbewußt dazu angespornt, drohenden Gefahren nicht auszuweichen, sondern sie durch mutiges Entgegentreten zu bekämpfen.

Mein Vater entstammte einer seit dem Dreißigjährigen Kriege am nördlichen Abhange des Harzes angesessenen, meist Land- und Forstwirtschaft treibenden Familie. Eine alte Familienlegende, die von neueren Familienhistorikern allerdings als nicht erwiesen verworfen wird, erzählt, daß unser Urahn mit den Tillyschen Scharen im Dreißigjährigen Kriege nach Norddeutschland gekommen sei und Magdeburg mit erstürmt, dann aber eine den Flammen entrissene Magdeburger Bürgerstochter geheiratet habe und mit ihr nach dem Harz gezogen sei. – Wie schon die Existenz eines getreulich geführten Stammbaums, die in bürgerlichen Familien ja etwas Seltenes ist, beweist, hat in der Familie Siemens immer ein gewisser Zusammenhang obgewaltet. In neuerer Zeit trägt die alle fünf Jahre in einem Harzort stattfindende Familienversammlung sowie eine im Jahre 1876 begründete Familienstiftung dazu bei, diesen Zusammenhang der heute sehr ausgebreiteten Familie zu befestigen.

Wie die meisten Siemens war auch mein Vater sehr stolz auf seine Familie und erzählte uns Kindern häufig von Angehörigen derselben, die sich im Leben irgendwie hervorgetan hatten. Ich erinnere mich aber aus diesen Erzählungen außer meines Großvaters mit seinen 15 Kindern, von denen mein Vater das jüngste war, nur noch eines Kriegsrats Siemens, der eine gebietende Stellung im Rate der freien Stadt Goslar innehatte, gerade in der Zeit, als die Stadt ihre Reichsunmittelbarkeit verlor. Mein Großvater hatte den Gutsbesitz des Reichsfreiherrn von Grote, bestehend aus den Gütern Schauen und Wasserleben am nördlichen Fuße des Harzes, gepachtet. Wasserleben war der Geburtsort meines Vaters. Unter den Jugendgeschichten, die der Vater uns Kindern gern erzählte, sind mir zwei in lebhafter Erinnerung geblieben.

Es werden jetzt etwa 120 Jahre her sein, als der Duodezhof des reichsunmittelbaren Freiherrn von Grote durch die Ansage überrascht wurde, daß der König Friedrich II. von Preußen auf der Reise von Halberstadt nach Goslar das reichsfreiherrliche Gebiet überschreiten wolle. Der alte Reichsfreiherr erwartete den mächtigen Nachbar gebührenderweise mit seinem einzigen Sohne an der Spitze seines aus zwei Mann bestehenden Kontingentes zur Reichsarmee und begleitet von seinen Vasallen – meinem Großvater mit seinen Söhnen, sämtlich hoch zu Roß. Als der alte Fritz mit seiner berittenen Eskorte sich der Grenze näherte, ritt der Reichsfreiherr ihm einige Schritte entgegen und hieß ihn in aller Form »in seinem Territorio« willkommen. Der König, dem die Existenz dieses Nachbarreiches vielleicht ganz entfallen war, schien überrascht von der Begrüßung, erwiderte den Gruß dann aber ganz formell und sagte zu seinem Gefolge gewandt: »Messieurs, voilà deux souverains qui se rencontrent!« Dieses Zerrbild alter deutscher Reichsherrlichkeit ist mir stets in Erinnerung geblieben und hat schon frühzeitig die Sehnsucht nach künftiger nationaler Einheit und Größe in uns Kindern angefacht.

An das geschilderte Ereignis schloß sich bald ein anderes von tiefer gehender Bedeutung für den Groteschen Miniaturstaat. Mein Vater hatte fünf Schwestern, von denen die eine, namens Sabine, sehr schön und liebenswürdig war. Das erkannte bald der junge Reichsfreiherr und bot ihr Herz und Hand. Es ist mir nicht bekannt geworden, welche Stellung der alte Freiherr dazu eingenommen hatte; bei meinem Großvater fand der junge Herr aber entschiedene Ablehnung. Dieser wollte seine Tochter nicht in eine Familie eintreten lassen, die sie nicht als ihresgleichen anerkennen würde, und hielt fest an der Ansicht seiner Zeit, daß Heil und Segen nur einer Verbindung von Gleich und Gleich entsprieße. Er verbot seiner Tochter jeden weiteren Verkehr mit dem jungen Freiherrn und beschloß ihr dies durch Entfernung vom elterlichen Hause zu erleichtern. Doch die jungen Leute waren offenbar schon vom Geiste der Neuzeit ergriffen, denn am Morgen der geplanten Abreise erhielt mein Großvater die Schreckenskunde, daß der junge Freiherr seine Tochter während der Nacht entführt habe. Darob große Aufregung und Verfolgung des entflohenen Paares durch den Großvater und seine fünf erwachsenen Söhne. Die Spur der Flüchtigen wurde bis Blankenburg verfolgt und führte dort in die Kirche. Als der Eingang in diese erzwungen war, fand man das junge Paar am Altar stehend, wo der Pastor soeben die rechtsgültige Trauung vollzogen hatte.

Wie sich das Familiendrama zunächst weiterentwickelte, ist mir nicht mehr erinnerlich. Leider starb der junge Ehemann schon nach wenigen, glücklich verlebten Jahren seiner Ehe, ohne Kinder zu hinterlassen. Die Herrschaft Schauen fiel daher Seitenverwandten zu, freilich damit auch die Last, meiner Tante Sabine noch beinahe ein halbes Jahrhundert lang die gesetzliche reichsfreiherrliche Witwenpension zahlen zu müssen. Ich habe die liebenswürdige und geistreiche alte Dame zu Kölleda in Thüringen, wohin sie sich zurückgezogen hatte, als junger Artillerieoffizier wiederholt besucht. »Tante Grote« war auch im Alter noch schön und bildete damals den anerkannten Mittelpunkt unserer Familie. Auf uns junge Leute übte sie einen fast unwiderstehlichen Einfluß aus, und es war für uns ein wahrer Genuß, sie von Personen und Anschauungen ihrer für uns beinahe verschollenen Jugendzeit sprechen zu hören.

Mein Vater war ein kluger, hochgebildeter Mann. Er hatte die gelehrte Schule in Ilfeld am Harz und darauf die Universität Göttingen besucht, um sich gründlich für den auch von ihm gewählten landwirtschaftlichen Beruf vorzubilden. Er gehörte mit Herz und Sinn dem Teile der deutschen Jugend an, der, unter den Stürmen der großen Französischen Revolution aufgewachsen, für Freiheit und Deutschlands Einigung schwärmte. Einst wäre er in Kassel beinahe den Schergen Napoleons in die Hände gefallen, als er sich den schwachen Versuchen schwärmender Jünglinge anschloß, die nach der Niederwerfung Preußens noch Widerstand leisten wollten. Nach dem Tode seines Vaters ging er zum Amtsrat Deichmann nach Poggenhagen bei Hannover, um die Landwirtschaft praktisch zu erlernen. Dort verliebte er sich bald in die älteste Tochter des Amtsrats, meine geliebte Mutter Eleonore Deichmann, und heiratete sie trotz seiner Jugend – er war kaum 25 Jahre alt –, nachdem er die Pachtung des Gutes Lenthe übernommen hatte. Zehn Jahre lang führten meine Eltern in Lenthe ein glückliches Leben. Leider waren aber die politischen Verhältnisse Deutschlands und namentlich des wieder unter englische Herrschaft gekommenen Landes Hannover für einen Mann wie meinen Vater sehr niederdrückend. Die englischen Prinzen, die damals in Hannover Hof hielten, kümmerten sich nicht viel um das Wohlergehen des Landes, das sie wesentlich nur als ihr Jagdgebiet betrachteten. Daher waren auch die Jagdgesetze sehr streng, so daß allgemein behauptet wurde, es wäre in Hannover weit strafbarer, einen Hirsch zu töten als einen Menschen! Eine Wildschädigung durch unerlaubte Abwehrmittel, deren mein Vater angeklagt wurde, war auch der Grund, warum er Hannover verließ und sich in Mecklenburg eine neue Heimat suchte.

Das Obergut Lenthe liegt an einem bewaldeten Bergrücken, dem Benther Berge, der mit dem ausgedehnten Deistergebirge in Zusammenhang steht. Die Hirsche und Wildschweine, die für die prinzlichen Jagden geschont wurden...

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