Es kann hier nicht die Absicht sein, eine systematische Einteilung der Philosophie vorzutragen, denn eine solche würde doch in keinem Falle historische Allgemeingültigkeit besitzen können. Die Verschiedenheiten, welche in der Bestimmung des Begriffs, der Aufgabe und der Gegenstände der Philosophie im Laufe der geschichtlichen Entwicklung obwalten, ziehen einen Wechsel auch der Einteilungen so notwendig und selbstverständlich nach sich, daß dies keiner besonderen Erläuterungen bedarf. Die älteste Philosophie kannte überhaupt noch keine Gliederung. Dem späteren Altertum war eine Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik geläufig. Im Mittelalter und noch mehr in der neueren Zeit werden vielfach die beiden ersten als theoretische Philosophie zusammengefaßt und der praktischen gegenübergestellt. Seit KANT beginnt sich eine neue Dreiteilung in logische, ethische und ästhetische Philosophie durchzusetzen. Doch hangen diese verschiedenen Einteilungen viel zu sehr von dem sachlichen Gange der Philosophie selbst ab, als daß es sich verlohnte, sie hier im einzelnen aufzuzählen.
Dagegen empfiehlt es sich, der historischen Darstellung wenigstens eine Uebersicht über den gesamten Umfang derjenigen Probleme voranzuschicken, welche überhaupt, wenn auch in noch so verschiedenem Maße und verschiedener Wertung, Gegenstand der Philosophie gewesen sind, – eine Uebersicht also, für die keine systematische Geltung in Anspruch genommen wird, sondern nur der Zweck vorläufiger Orientierung maßgebend ist.
1. Theoretische Probleme nennen wir alle diejenigen, welche sich teils auf die Erkenntnis der Wirklichkeit, teils auf die Untersuchung des Erkennens selbst beziehen. In der Erkenntnis der Wirklichkeit aber werden die allgemeinen Fragen, welche die Gesamtheit des Wirklichen betreffen, von denjenigen unterschieden, die nur einzelne Gebiete der Wirklichkeit angehen. Mit den ersteren, den höchsten Prinzipien der Welterklärung und der auf ihnen beruhenden allgemeinen Weltansicht beschäftigt sich die Metaphysik, von Aristoteles erste, d.h. grundlegende Wissenschaft genannt und mit dem jetzt üblichen Namen nur wegen der Stellung bezeichnet, welche sie in der antiken Sammlung der aristotelischen Werke »nach der Physik« einnahm. Vermöge seiner monotheistischen Weltanschauung nannte Aristoteles diesen Wissenszweig auch Theologie. Spätere haben die rationale oder natürliche Theologie auch als Zweig der Metaphysik behandelt.
ED. V. HARTMANN, Geschichte der Metaphysik. 2 Bde. Leipzig 1899 f. CH. RENOUVIER, Histoire et solution des problèmes métaphysiques. Paris 1901.
Die besonderen Gebiete der Wirklichkeit sind die Natur und die Geschichte. In der ersteren sind äußere und innere Natur zu unterscheiden: die Probleme, welche die äußere Natur der Erkenntnis darbietet, bezeichnet man als kosmologische oder speziell als naturphilosophische, auch wohl als physische. Die Erforschung der inneren Natur, d.h. des Bewußtseins und seiner Zustände und Tätigkeiten ist Sache der Psychologie. Die philosophische Betrachtung der Geschichte gehört in den Rahmen der theoretischen Philosophie formell, sofern das Wesen historischer Forschung methodologisch und erkenntnistheoretisch untersucht wird, materiell dagegen nur insoweit als sie auf Erforschung der im historischen Leben der Völker obwaltenden Gesetze gerichtet sein soll: da aber die Geschichte das Reich zweckmäßiger Handlungen der Menschen ist, so fallen die Fragen der Geschichtsphilosophie, sofern sie den Gesamtzweck der historischen Bewegung und seine Erfüllung zu ihrem Gegenstande machen will, unter die praktischen Probleme59.
H. SIEBECK, Geschichte der Psychologie, 1. Bd. in zwei Abteilungen (Gotha 1880-84), unvollendet, bis in die Scholastik hineinreichend. ROB. FLINT, History of the philosophy of history. I. (Edinburgh u. London 1893).
Die auf die Erkenntnis selbst gerichtete Untersuchung wird (im allgemeinen Sinne des Wortes) Logik, auch wohl Noëtik genannt. Beschäftigt sie sich mit der Art, wie das Wissen tatsächlich zustande kommt, so fällt diese psychogenetische Betrachtung in den Bereich der Psychologie. Stellt man dagegen die Normen auf, nach denen der Wahrheitswert der Vorstellungen beurteilt werden soll, so nennt man diese die logischen Gesetze und bezeichnet die darauf gerichtete Untersuchung als Logik im engeren Sinne. Als angewandte Logik erscheint die Methodologie, welche die Vorschriften für die planmäßige Einrichtung der wissenschaftlichen Tätigkeit mit Rücksicht auf die verschiedenen Erkenntniszwecke der einzelnen Disziplinen entwickelt. Die Probleme endlich, welche sich aus den Fragen über die Tragweite und die Grenze der menschlichen Erkenntnis und ihr Verhältnis zu der ihren Gegenstand bildenden Wirklichkeit erheben, machen die Aufgaben der Erkenntnistheorie aus.
K. PRANTL, Geschichte der Logik im Abendlande, 4 Bde. (Leipz.) 1855-1870, nur bis zur Renaissance fortgeführt. FR. HARMS, Die Philosophie in ihrer Geschichte, I. Psychologie, II. Logik (Berlin 1877 u. 81).
2. Praktische Probleme heißen im allgemeinen diejenigen, welche aus der Untersuchung der zweckbestimmten Tätigkeit des Menschen erwachsen. Auch hier ist eine psychogenetische Behandlung möglich, welche Sache der Psychologie bezw. der Ethnographie ist. Dagegen ist diejenige Disziplin, welche das Handeln des Menschen unter dem Gesichtspunkte der sittlichen Normbestimmung betrachtet, die Ethik oder Moralphilosophie. Dabei pflegt man unter Moral im engeren Sinne die Aufstellung und Begründung der sittlichen Vorschriften zu verstehen. Da sich aber alles sittliche Handeln auf die Gemeinschaft bezieht, so schließt sich an die Moral die Philosophie der Gesellschaft (für welche sich der unglückliche Name Soziologie auf die Dauer doch durchzusetzen scheint) und die Rechtsphilosophie. Insofern weiterhin das Ideal menschlicher Gemeinschaft den letzten Sinn der Geschichte ausmacht, erscheint, wie oben erwähnt, auch die Geschichtsphilosophie in diesem Zusammenhange.
Zu den praktischen Problemen im weitesten Sinne des Wortes gehören endlich auch diejenigen, welche sich auf die Kunst und die Religion beziehen. Für die philosophische Untersuchung über das Wesen des Schönen und der Kunst ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Name Aesthetik eingeführt. Wenn die Philosophie sich das religiöse Leben nicht in dem Sinne zum Vorwurf nimmt, daß sie selbst eine Lehre vom Wesen der Gottheit geben will, sondern in dem Sinne einer kritischen Untersuchung über das religiöse Verhalten des Menschen, so bezeichnet man diese Disziplin als Religionsphilosophie.
FR. SCHLEIERMACHER, Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (Ges. W. III Bd. I, Berlin 1834). L. V. HENNING, Die Principien der Ethik in historischer Entwicklung (Berlin 1825). FR. V. RAUMER, Die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Staat, Recht und Politik (Leipz., 3. Aufl. 1861). E. FEUERLEIN, Die philos. Sittenlehre in ihren geschichtlichen Hauptformen. 2 Bde. (Tübingen 1857-59). P. JANET, Histoire de la philosophie morale et politique (Paris 1858). W. WHEWELL, History of moral science (Edinburgh 1863). H. SIDGWICK, The methods of ethics (London 1879). TH. ZIEGLER, Geschichte der Ethik (2 Bde., Straßburg 1881-86). K. KÖSTLIN, Geschichte der Ethik (1. Bd. 1. Abt.; unvollendet. Tübingen 1887). G. JELLINEK, Allgemeine Staatslehre Bd. I (2. Aufl. Berlin 1905). R. ZIMMERMANN, Geschichte der Aesthetik (Wien 1858). – M. SCHASLER, Kritische Geschichte der Aesthetik (Berlin 1871). J. BERGER, Geschichte der Religionsphilosophie (Berlin 1800). – B. PÜNJER, Geschichte der christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation. 2 Bde. (Braunschweig 1880-83). – O. PFLEIDERER, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage. Bd. I. (3. Aufl. 1894). Wertvolle Gesichtspunkte für die Geschichte der Philosophie bietet auch G. MISCH Geschichte der Autobiographie (bisher Bd. I, Altertum, Leipzig 1907).
Die Einteilung der Geschichte der Philosophie pflegt sich an die für die politische Geschichte übliche derart anzuschließen, daß drei große Perioden, antike, mittelalterliche und neuere Philosophie, unterschieden werden. Doch liegen die Einschnitte, welche auf diese Weise gemacht werden, für die Geschichte der Philosophie nicht so günstig, wie vielleicht für die politische. Einerseits müssen noch andere, dem Wesen der Entwicklung nach ebenso wichtige Gliederungen gemacht werden, anderseits beansprucht die Uebergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit eine Verschiebung der Einteilung nach beiden Seiten.
Infolgedessen wird hier die gesamte Geschichte der Philosophie in einer durch die Darstellung selbst im einzelnen näher zu erläuternden und zu begründenden Weise nach folgender Einteilung behandelt werden:
1. Die Philosophie der Griechen: von den Anfängen des wissenschaftlichen Denkens bis zum Tode des ARISTOTELES, etwa 600 bis 322 v. Chr.
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