Anhand von Beispielen soll deutlich gemacht werden, wie Texte mit schwerem Zugang in „Leichte Sprache“ transformiert werden können. In diesem Kapitel werden zwei Beispiele genannt, in denen die Vereinfachung von Texten und Sprache für die in 4.2.1, 4.2.2 und 4.2.3 genannten Gruppen sinnvoll sind. Das sind die Darstellung einer Bedienungsanleitung sowie von Rechtstexten in „Leichter Sprache“. Diese Beispiele stehen exemplarisch für wichtige Anforderungsbereiche aus der Lebenswirklichkeit der Betroffenen. Die genannten Texte werden in Standarddeutsch realisiert. Doch Standardsprache ist das in der Gegenwart gelesene, geschriebene Deutsch im allgemeinen Gebrauch, deren Sprachteilnehmer aus „Mittel- und Oberschicht [zusammengefasst werden].“[144] Diesem Urteil widerspricht Glinz zwar, indem er folgende Einschätzung zum Standard im Deutschen tätigt: „Unter deutscher Standardsprache der Gegenwart verstehe ich die heute gehörte, gelesene, geschriebene deutsche Sprache, soweit sie als allgemein gebraucht, als nicht mundartlich und als nicht-schichtspezifisch betrachtet wird.“[145] Ist ein Text also im Standard, also für die allgemeine Bevölkerung oder besondere Gruppen[146] verfasst worden? Zeitungserzeugnisse, Kommentare im Fernsehen, allgemeine Bekanntmachungen, Gebrauchsanweisungen, Flugblätter und beispielsweise Antragsformulare gehören in die Gruppe der Texte, die von der Allgemeinheit verstanden werden sollen und müssen. Dies gilt nicht für Fachpublikationen. Das sind Texte, die beim Leser Vorkenntnisse und bestimmte geistige Fertigkeiten voraussetzen.[147] Zweifelsfrei sind Bedienungsanleitungen für den Endverbraucher und Gesetzesschriften Texte, die für die Allgemeinheit entworfen werden. Verständlichkeit ist hier eines der obersten Gebote bei der Erstellung. Grundsätzlich und soweit wie möglich, muss auch Menschen mit Migrationshintergrund, Lernschwierigkeiten und Analphabeten die Chance auf die Information, die der Text transportiert, gegeben werden. In den folgenden Kapiteln werden durch die Darstellung der Bedienungsanleitung sowie der juristischen Texte Beispiele dargestellt, die bereits vereinfacht wurden. In der Auseinandersetzung mit dem ersten Blatt des Sozialhilfeantrages des Landes Berlin wende ich die Erkenntnisse aus der Theorie in der Praxis an.
Wagner eine Bedienungsanleitung für Elektromotoren als Muster genommen, um die Transformation von Schwerer zu „Leichter Sprache“ darzustellen. Denn besonders bei Bedienungsanleitungen sind die negativen Folgen – sogar ein „volkswirtschaftlicher Schaden“[148] wird attestiert – einer Fehlinterpretation oder einer abweichenden Deutung der gelieferten Information durch Text messbar.[149] Die Produzenten sind sogar dazu angehalten, auf einen verständlicheren Stil zu achten. Denn „seit 2002 gelten Produkte als mangelhaft, wenn ihre Beschreibung im Beipackzettel nicht mit den tatsächlichen Eigenschaften übereinstimmen oder wenn sie aufgrund einer unverständlichen oder fehlerhaften Montageanleitung nicht zusammensetzen lassen.“[150] In der nachfolgenden Darstellung wird eine Bedienungsanleitung auf ihre Verständlichkeit geprüft und ein Lösungsansatz angeboten.
VORSICHTSMAßNHAMEN
Der Motor ist vor Schmutz und Wasser zu schützen. Es ist sorgfältig darauf zu achten, daß keinerlei Fremdkörper in den Motorinnenraum gelangen. Fremdkörper führten zur Zerstörung von Anker und Magneten.
Der Motor muß vor jeglichem Gebrauch eingelaufen sein (siehe Punkt Einlaufen). Bei Betreiben eines nicht eingelaufenen Motors können Kohle und Kollektor im Betrieb verbrennen. Achtung! Brandgefahr im Modell.
Vor Inbetriebnahme müssen alle Befestigungsschrauben für Motor und Luftschraube auf festen Sitz überprüft werden. Die Lösung einer lockeren Luftschraube kann zu schwersten Verletzung der in der Nähe befindlichen Personen führen.
Achtung, die NC-Batterie darf erst unmittelbar vor dem Einsatz an den ausgeschalteten Motorschalter bzw. Drehzahlregler angeschlossen werden. Testläufe sind grundsätzlich nur im Freien durchzuführen.
Zulässige Höchstdrehzahl der Luftschrauben sind unbedingt zu beachten. Bei Überschreiten der Höchstdrehzahl besteht Bruchgefahr der Luftschraube, was zu schwersten Verletzungen führen kann. Es ist darauf zu achten, daß alle stromführenden Leitungen bzw. Stecker und Buchsen isoliert sind, so daß ein ungewolltes Einschalten des Motors durch durch Kabelberührungen ausgeschlossen ist. Unkontrolliertes Einschalten des Motors und damit der Luftschraube kann zu schwersten Verletzungen führen.
Während des Motorbetriebes ist unbedingt darauf zu achten, daß sich keine Personen seitlich, oder vor der Luftschraubendrehebene aufhalten, da Kontakt mit der sich drehenden Luftschraube zu schwersten Verletzungen führen kann.
Ferner dürfen die Motoren nicht in die Nähe von magnetisch empfindlichen Teilen wie Uhren, Herzschrittmachern oder auch Datenträgern gebracht werden. Die starken Magneten können zu Beschädigung bzw. Nichtfunktion oder Löschung derselben führen!
Abb 4.
Klar ist, dass im Texte alle erforderlichen Informationen geliefert werden, die es braucht, um den Elektromotor sachgerecht zu benutzen. Denn „Bedienungsanleitungen bestehen im Kern aus Anweisungen, die dem Nutzer mitteilen, was er mit oder am Gerät tun soll. Sie werden ergänzt um Beschreibungen, die einzelne Geräteteile, Abläufe oder Funktionen in ihren wahrnehmbaren Aspekten darstellen – oftmals auch mit Hilfe von Abbildern.“[151] Zentraler Punkt der Anleitung muss es sein, dass die Benutzung dieses Gerätes Gefahren birgt.[152] Um einen Text nun leichter verständlich zu machen, lassen sich auf Grundlage der vorgegebenen Parameter des Lebenshilfe e.V. handfeste Fragen ableiten, denen der Text standhalten muss. Dabei ist die Entwicklung der Textstruktur eine der zentralen Schreibaufgaben. Durch sie wird die kommunikative Absicht deutlich. Der Leser muss bei der Produktion zwingend im Zentrum stehen.[153]
Auf der Wortebene ist zu hinterfragen, ob die verwendeten Wörter geläufig sind. Sind die Wortzusammensetzungen so gewählt, dass sie die Verständlichkeit erleichtern oder erschweren? Wagner schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass Wörter wie Luftschraubendrehebene durch Drehbereich der Luftschraube ersetzen werden können. Aber die Substantivierung Bruchgefahr der Luftschraube wird zu Luftschraube kann brechen. Auch die Verwendung von Modalverben dient der Verständlichkeit kaum. Auch hier lässt sich für das angegebene Beispiel aus ist zu beachten das prägnantere Imperativform Beachten Sie! bilden. Die Information, die transportiert werden soll, ist von diesem Eingriff in das Sprachbild nicht betroffen.[154] Vereinfachungen lassen sich jedoch nicht nur auf Wortebene finden. Auch Sätze können durch Umstellungen vereinfacht werden. Wagners Beispielsatz lautet Es ist darauf zu achten, dass alle stromführenden Leitungen bzw. Stecker und Buchsen isoliert sind, so dass ein ungewolltes Einschalten des Motors durch Kabelberührung ausgeschlossen ist. Wie schon erwähnt, kann das Modalverb am Satzanfang durch den Imperativ ersetzt. Im Anschluss werden die zusammengesetzten Nebensätze aufgelöst und durch eine direkte Aufforderung mit Hauptsatz-Nebensatz-Konstrukt ersetzt.[155] In Leichter Sprache kann der Satz laut Wagner dann wie folgt lauten: Beachten Sie: Alle stromführenden Leitungen und alle Stecker und Buchsen müssen isoliert sein, damit die Kabel sich nicht berühren. Vorsicht! Wenn die Kabel sich berühren, dann können sich Motor und Luftschraube ungewollt einschalten.[156] Doch auch der Text kann als Gesamtkonstrukt im Sinne der besseren Verständlichkeit modifiziert werden. Hierzu zählen unter anderem eine übersichtliche Gestaltung sowie der dazugehörige logische Aufbau. Diese Aufgabe können „Überschriften, Nummerierungen, Aufzählungszeichen oder Grafiken“[157] übernehmen. Daraus ergeben sich nach Wagner Regeln, die „Leichte Sprache“ einfacher anwendbar machen. Die Unterscheidung erfolgt – wie besprochen – in Wortebene, Satzebene und Textebene.
Abbildung 1: Beispiel-Text, Auszug aus einer Bedienungsanleitung für Elektromotoren
Wagner, Susanne: Einfache Texte – Grundlage für barrierefreie Kommuniktion. In: Schlenker-Schulte (Hrsg.; 2003): Barrierefreie Information und Kommunikation – Hören – Sehen – Verstehen in Arbeit und Alltag, Neckar-Verlag, Villingen-Schwenningen S. 211
Dieses Herunterbrechen hilft dem Leser, die Sinnzusammenhänge besser zu verstehen und die Information einfacher aufzunehmen. Bemerkenswert ist, dass Lesestrategien für Leser ohne grundsätzliches Barriereproblem oft anders angegangen werden, um etwaige Probleme zu lösen. Grzesik konstatiert, dass es ebenfalls zur Strategie des Lesens gehört, dass...