Digitale Transformation:
Chancen und Herausforderungen
Torsten Schwarz
Das Firmenkarussell dreht sich schneller: Dem Niedergang von Kodak, Nokia und Sony steht der Aufstieg von Google, Apple und Amazon entgegen. Wer die digitale Transformation verschläft, hat schlechte Karten. Daher steht das Thema momentan bei allen großen Unternehmen ganz oben auf der Tagesordnung. Branchenfremde Wettbewerber bedrohen etablierte Unternehmen mit nur einem Vorteil: Sie sind näher am Kunden. Es geht nicht mehr nur darum, ein gutes Auto zu bauen. Sondern um das Wissen, was ein Autofahrer will. Audi plant, 2020 die Hälfte seines Umsatzes mit digitalen Produkten zu machen. Dazu gehören Dinge wie downloadbare Designelemente oder die Wartung, während der Wagen am Flughafen parkt.
Media-Saturn will wissen, was Kunden sich wünschen
Auch andere hecken in Ingolstadt neue Ideen aus: Media-Saturn betreibt dort einen Saturn-Markt, in dem neue Technologien getestet werden. In der Küchenabteilung können mit einer Virtual-Reality-Brille alle Varianten der Traumküche live erlebt werden. Dell hat schon Ende der neunziger Jahre einen Online-Konfigurator angeboten. Der Nutzen: Kundenwünsche zu erkennen und daraus Serienprodukte zu entwickeln.
Media-Saturn-Chef Pieter Haas bringt ein Problem auf den Punkt, das derzeit viele etablierte Unternehmen haben: „Wir haben viele Kunden aber wir wissen nicht so viel über sie, wie wir sollten.“ Hier kommen Google, Facebook, Twitter & Co. ins Spiel: Sie haben zwar keine Produkte, dafür aber das Wissen über Kundenwünsche. Und daraus werden Produkte gemacht. Momentan ist das einzige Produkt Werbung, aber das muss nicht so bleiben.
Google, Facebook und Amazon sind Kundenversteher
Von Google wissen wir schon lange, wie geschickt es dem Unternehmen gelingt, immer die richtige Anzeige an den richtigen Interessenten auszuspielen. Facebook hat verschiedene Produkte zusammengeführt, um das gleiche Ziel zu erreichen. Custom Audiences analysiert Zielgruppen, Atlas steuert die Anzeigen und LiveRail bietet zudem auch noch Videoanzeigen.
Mit Amazon kommt eine neue Dimension in die Werbeplatzvermarktung. Jeden Monat besuchen etwa 70 Prozent der US-Verbraucher die Website von Amazon. In Deutschland sind es 55 Prozent. Niemand weiß mehr über das Käuferverhalten. Seit einiger Zeit ist Amazon auch im Werbemarkt aktiv. Bisher liegt der Umsatz mit Onlinewerbung bei etwa einem Prozent des Gesamtumsatzes von 107 Milliarden. Aber es zeigt, wie auch in der digitalen Welt ein Unternehmen nur aus der Kenntnis der Kundenwünsche neue Produkte entwickelt.
Amazon verfügt über detaillierte Kundenprofile und kann damit in die Echtzeit-Mediaplanung einsteigen. Niemand sonst weiß so viel darüber, was echte Käufer wünschen. Und genau darin unterscheidet sich Amazon von Google und Facebook: Facebook weiß, womit man Menschen ablenkt, die Neuigkeiten von ihren Freunden suchen. Google weiß, was Menschen suchen, die auf der Suche nach Produkten sind. Und Amazon weiß, was Menschen suchen, die eine ganz konkrete Kaufabsicht haben.
CRM und Werbung wachsen zusammen
Wer seine Zielgruppen ohne Streuverlust ansprechen wollte, war bisher auf Direktmarketing angewiesen. Dazu gibt es CRM-Datenbanken mit Kundenprofilen, über die dann per Brief, E-Mail oder Telefon die passenden Personen kontaktiert werden. Klassische Anzeigenwerbung dagegen wurde nur nach Umfeldern gebucht: Finanzinteressierte bei FAZ und Handelsblatt, Frauen bei Brigitte und Technikaffine bei c’t.
Das ändert sich momentan rasant: Programmatic Advertising macht es möglich in Zehntelsekunden zu errechnen, welche Anzeige zu welchem Leser am besten passt. Jeder bekommt seine individuelle Werbung. Dazu wird mit statistischen Zwillingen gearbeitet. Ein Unternehmen liefert anonymisierte Kundenprofile und sagt: „Davon hätte ich gerne mehr“. Bei Facebook heißt das „Custom Audience“, bei Google „Customer Match“. 75 Prozent der Besucher von US-News-Websites kommen inzwischen von Google und Facebook.
Facebook und Google kennen die Reise des Kunden über verschiedene Kanäle. Wer morgens eine Anzeige für eine Bali-Reise auf dem Tablet liest und mittags eine Touristik-E-Mail auf dem Smartphone anklickt, bekommt von beiden Anbietern abends konkrete Werbung zum nächsten Bali-Urlaub auf den PC.
Von Predictive Targeting zu Industrie 4.0
Die technische Entwicklung erlaubt es, immer mehr Daten immer schneller zu verarbeiten. Früher wurden beim Data Mining mühsam Daten aus der Vergangenheit manuell analysiert, um das Konsumverhalten zu erforschen. Heute wird zum Beispiel vollautomatisch in Echtzeit berechnet, welches Produkt dem Besucher eines Webshops innerhalb der nächsten Millisekunde präsentiert werden soll.
Und wo früher vielleicht gerade einmal bekannt war, welche Kunden wann welches Produkt gekauft haben, gibt es heute ein Vielfaches an Daten. Der Grund: Immer mehr Touchpoints sind digital. Und digitale Kontaktpunkte werden automatisch als Daten protokolliert. Täglich zeigen Kunden über Smartphone und PC, was sie interessiert. Mit dem Internet der Dinge kommen Smartwatch, Navigationsgerät und iBeacons als Messfühler für Kundenwünsche hinzu. Unternehmen können aus diesen Informationen maßgeschneiderte Angebote machen.
Das Internet der Dinge und das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 tun ein weiteres: Nicht nur Kunden, auch Fabriken und Produktions- und Logistikprozesse sind vernetzt. Wem es gelingt, all diese Daten richtig zu interpretieren, kann neue Marktpotenziale erkennen und Vertriebskampagnen besser aussteuern.
Der Werbemittelhersteller Schokologo ist auf dem Weg vom individualisierten Kundenwunsch zur automatisierten Produktion relativ weit. Das Unternehmen verwendet Daten aus dem Produktkonfigurator und vernetzt diese Information direkt mit der Produktion.
Permission Marketing: Daten nur mit Einwilligung nutzen
Die gute Nachricht: Je mehr Daten über Sie bekannt sind, desto höher die Chance, dass Sie Werbung sehen, die Sie als informativ empfinden. Die schlechte Nachricht: Um dieses Ziel zu erreichen, sammeln US-Unternehmen auch mal Daten, über deren Zweckgebundenheit Zweifel angebracht sind.
Google schlug schon einmal über die Stränge, als im Zuge der StreetView-Befahrungen gleich noch alle WLAN-Netze erfasst wurden. Und jüngst ist Google wieder einen Schritt weiter gegangen, als andere: Telefoniert man mit einem Android-Smartphone, so werden Verbindungsdaten nicht nur von deutschen Telekommunikationsanbietern gespeichert, sondern auch noch von Google in den USA.
Die Telkos sind laut Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung seit 2015 verpflichtet, Standortdaten der Teilnehmer aller Mobiltelefonate und der mobilen Internetnutzung vier Wochen lang zu speichern. Rufnummern, Zeit und Dauer aller Telefonate und zugewiesene IP-Adressen aller Internetnutzer werden zehn Wochen lang gespeichert. Nun jedoch speichert auch Google und niemand weiß, wie lange dort gespeichert wird. Sobald ein Nutzer die Telefon-App auf dem Smartphone aufruft, baut Google eine Verbindung zum eigenen Server auf und speichert die Verbindungsdaten. Wozu genau diese Daten verwendet werden, wird den Nutzern nicht mitgeteilt.
Um die Streuverluste noch weiter zu minimieren, erfasst Google nun auch alle Besuche auf Websites, die im Google-Werbenetzwerk verbunden sind. Facebook macht das schon länger. Der Unterschied zwischen Google und Facebook: Google bittet um Zustimmung des Nutzers für das Tracking auf Drittanbieter-Websites, bei Facebook muss aktiv widersprochen werden.
Mit Inkrafttreten der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung wird sich ab Mai 2018 vieles ändern. Unter anderem gilt dann die Zweckgebundenheit beim Sammeln von Daten EU-weit. Auch muss sehr viel mehr als bisher dokumentiert werden, mit welchen Daten wie umgegangen wird. Die Sensibilität für die eigenen Daten steigt und Unternehmen sollten das ernst nehmen und ihren Kunden plausibel erläutern, welche Daten wozu gebraucht werden.
Das betrifft ganz besonders die Apps auf Smartphones, die wahre Weltmeister im Daten sammeln sind. Facebook analysiert systematisch
Nutzerverhalten, um nur die am besten passenden Werbeanzeigen auszuspielen. Die App holt sich dazu die Einwilligung, 42 unterschiedliche Dinge zu tun. Das reicht vom Anzapfen von Datenquellen wie dem Adressbuch, Standort und Kalender bis zum Ändern von Einträgen. Andere Apps holen sich noch weitaus mehr Einwilligungen. Das Pew Research Center hat 165 Einwilligungen mit Zugriff auf die Hardware dokumentiert und 70 Einwilligungen, Nutzerdaten auszulesen. Immer mehr Menschen nutzen daher statt der eigentlichen Facebook-App sogenannte „Wrapper“: Das sind Programme wie Metal oder Swipe, die die gleichen Funktionen bieten, wie die Facebook-App, aber keine Daten herausgeben. Das spart enorm Akkuleistung.
Nachholbedarf bei deutschen Unternehmen
Viele deutsche Unternehmen verstehen bei Daten und Digitalisierung nur böhmische Dörfer. Die jährliche Konjunkturumfrage des Mittelstandsverbundes ergibt ein klares Bild: Die größte Herausforderung sehen die Unternehmen in der Digitalisierung. „Durch das Internet haben wir neue Konkurrenten aus aller Welt bekommen“, sagt Hauptgeschäftsführer Ludwig Veltmann. Die im...