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Die Metamorphose eines Schweinezüchters
Diese Geschichte, die ich erstmals in Food Revolution1 veröffentlichte, hat so viele begeistert, dass dieses Buch eine aktualisierte Version enthält.
Vor vielen Jahren traf ich in Iowa einen Mann, der mir, ehrlich gesagt, auf Anhieb nicht besonders sympathisch war. Er besaß und führte einen, wie er es nannte, „Betrieb für Schweinefleischproduktion“. Ich hätte es eher als „Hölle für Schweine“ bezeichnet.
Die Bedingungen waren brutal. Die Schweine wurden in Käfigen gehalten, die kaum größer als ihr Körper waren, und diese Käfige waren in drei Reihen übereinandergestapelt. Ihre Seiten und Böden bestanden aus Stahlstreben, sodass die Exkremente der oberen und mittleren Tiere durch die Öffnungen auf die Tiere darunter fielen.
Der Besitzer dieses Albtraums wog, da bin ich mir sicher, mindestens 120 Kilogramm. Noch beeindruckender fand ich jedoch, dass er aus Beton zu sein schien. Seine Bewegungen waren von einer Eleganz, die sich nur unwesentlich von der einer Mauer unterschied.
Was ihn noch unattraktiver machte, war seine Sprache. Sie bestand vornehmlich aus Grunzlauten, die in meinen Ohren alle sehr ähnlich und gewiss nicht angenehm klangen. Als ich sah, wie er sich bewegte, und sein Erscheinungsbild eine Weile auf mich wirken ließ, dachte ich mir, dass seine Probleme wohl kaum daher rührten, dass er es an diesem Morgen nicht geschafft hatte, seine Yoga-Übungen zu machen.
Ich hielt mich mit meiner Meinung über ihn und seinen Betrieb jedoch zurück, da ich verdeckt ermittelte. Ich wollte möglichst viel über die moderne Fleischproduktion in Erfahrung bringen, indem ich Schlachthäuser und Massentierhaltungsbetriebe aufsuchte. Natürlich hatte ich keinen verräterischen Aufkleber auf meinem Auto, und meine Frisur und meine Kleidung gaben keinen Hinweis darauf, dass ich vielleicht eine andere philosophische Neigung hatte, als es in der Gegend üblich war. Dem Farmer sagte ich wahrheitsgemäß, ich sei ein Forscher, der über Tierzucht schreibe, und bat ihn um ein paar Minuten seiner Zeit. Als Antwort grunzte er einige Wörter, die ich akustisch nicht verstand, die aber wohl besagten, dass ich ihm ein paar Fragen stellen durfte und er mich herumführen würde.
In dieser Situation fühlte ich mich nicht gerade wohl. Und das wurde auch nicht besser, als wir einen der Schweineställe betraten. Mein Unwohlsein vergrößerte sich sogar noch, denn der Gestank, der mir entgegenschlug, war kaum auszuhalten. Der Raum stank penetrant nach Ammoniak, Schwefelwasserstoff und anderen giftigen Gasen aus den Tierexkrementen, die viel zu lange im Gebäude angehäuft worden waren.
So ekelerregend der Geruch für mich auch war – ich fragte mich, wie das wohl für die Tiere sein musste. Schweine und Hunde besitzen in ihrer Nase 200-mal mehr Riechzellen als wir Menschen. In einer natürlichen Umgebung vermögen sie beim Wühlen fressbare Wurzeln auch dann noch zu riechen, wenn diese tief in der Erde stecken. Sofern sie nur die Möglichkeit dazu haben, würden Schweine ihren Platz niemals beschmutzen, denn in Wirklichkeit sind es sehr saubere Tiere. Ihren schlechten Ruf haben sie zu unrecht. Hier jedoch waren ihre Nasen von dem permanenten Gestank nach Urin und Fäkalien geplagt. Ich befand mich nur einige Minuten in diesem Gebäude, doch ich sehnte mich verzweifelt nach frischer Luft. Für die Schweine gab es aber kein Entkommen. Sie waren kaum in der Lage, einen einzigen Schritt zu machen. Sie waren gezwungen, diesen Gestank in fast völliger Bewegungslosigkeit zu ertragen. So mussten sie 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche leben. Nicht einmal zwischendurch durften sie frische Luft schnuppern oder sich angemessen bewegen.
Der Besitzer dieser Anlage – so viel gestehe ich ihm zu – war so freundlich, all meine Fragen zu beantworten. Diese drehten sich in der Hauptsache darum, welche Medikamente er einsetze, um das afrikanische Schweinefieber, Cholera, Trichinose und andere bei Schweinen häufig vorkommende Krankheiten zu behandeln. Allerdings konnte ich mich weder für ihn noch für seine „Farm“ erwärmen. Vor allem in dem Moment nicht, als er gegen einen Käfig trat, weil das Schwein darin zuvor auf geheult hatte; so brachte er noch mehr Schweine zum Schreien.
Es fiel mir immer schwerer, mein Unwohlsein zu verbergen. Kurz kam mir der Gedanke, ihm zu sagen, was ich von den Bedingungen hielt, unter denen seine Schweine leben mussten. Doch ich besann mich eines Besseren. Vor mir stand ganz offensichtlich ein Mann, mit dem man nicht diskutieren konnte.
Nach ungefähr 15 Minuten hatte ich genug und war bereit zu gehen. Ich hatte das Gefühl, dass auch er froh war, mich gleich los zu sein. Dann passierte etwas, das mein Leben für immer verändern sollte – und auch seines. Es begann damit, dass seine Ehefrau hereinkam und mich freundlich einlud, zum Abendessen zu bleiben.
Der Farmer zog eine Grimasse, während seine Frau mit mir sprach. Dann drehte er sich pflichtbewusst zu mir um und sagte: „Die Frau möchte, dass Sie zum Abendessen bleiben.“ Übrigens nannte er sie immer „die Frau“.
Ich weiß nicht, ob Sie jemals etwas getan haben, ohne genau zu wissen, warum. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum ich sagte: „Ja, ich würde mich sehr freuen.“ Ich blieb zum Abendessen, obwohl ich kein Schweinefleisch aß. Ich erklärte einfach, mein Arzt sei sehr besorgt über meinen hohen Cholesterinspiegel. Ich erwähnte weder, dass ich Vegetarier bin, noch dass mein Cholesterinspiegel bei 125 liegt.
Ich bemühte mich, ein höflicher und angenehmer Gast zu sein.
Ich vermied alle Themen, die zu einer Auseinandersetzung hätten führen können.
Meine Gastgeber (und ihre zwei Söhne, die mit am Tisch saßen) waren sehr freundlich. Sie gaben mir zu essen, und ich merkte plötzlich, dass sie trotz allem auf ihre Art doch sehr anständige Menschen waren. Ich fragte mich, ob ich sie wohl zum Abendessen eingeladen hätte, wenn sie als Reisende in meine Stadt gekommen wären. Wahrscheinlich nicht … ganz sicher nicht. Doch jetzt saßen sie vor mir und waren überaus gastfreundlich. Ich wusste natürlich, dass wir uns schnell in einem unlösbaren Konflikt wiederfinden könnten. Sosehr ich auch die Art und Weise verachtete, wie dieser Mann seine Schweine behandelte, so war er dennoch keine Reinkarnation von Adolf Hitler. Zumindest nicht am Esstisch.
Wir sprachen über das Wetter und über Baseball, den Lieblingssport ihrer beiden Söhne. Und natürlich sprachen wir darüber, wie das Wetter die anstehenden Baseballspiele beeinflussen könnte. Es gelang uns recht gut, das Gespräch möglichst oberflächlich zu halten und einen weiten Bogen um alle Themen zu machen, die einen Konflikt hätten heraufbeschwören können. Das dachte ich zumindest. Plötzlich und für mich völlig überraschend zeigte der Mann mit dem Finger auf mich und sagte mit äußerst bedrohlicher Stimme: „Manchmal wünsche ich mir, dass ihr Tierschützer einfach tot umfallen würdet.“
Ich werde wohl niemals erfahren, woher er wusste, dass ich mit dem Tierschutz verbunden bin. Ich hatte mein Bestes gegeben, nichts zu erwähnen, was diesen Eindruck hätte erwecken können. Allerdings erinnere ich mich noch immer sehr gut daran, wie sich mir bei seinen Worten sofort der Hals zuschnürte. Es kam noch schlimmer. Seine beiden Söhne sprangen in diesem Moment vom Tisch auf, verließen den Raum, knallten die Tür hinter sich zu und stellten den Fernseher laut. Wahrscheinlich wollten sie nicht hören, was nun folgen sollte. Seine Frau räumte das Geschirr ab und schlich in die Küche. Als ich sah, wie sie die Tür hinter sich schloss, und hörte, wie sie sich nun an das Geschirrspülen machte, wurde mir fast schlecht. Sie hatten mich mit ihm allein gelassen.
Um ganz ehrlich zu sein, ich hatte Todesangst. Ein falscher Schritt hätte leicht katastrophale Folgen haben können. Ich versuchte, wieder Kontrolle über meinen Körper zu bekommen, indem ich mich auf meinen Atem konzentrierte. Das funktionierte jedoch aus einem sehr einfachen Grund nicht: Mir stockte in diesem Moment der Atem.
„Was sagen die denn, was Sie so sehr verärgert?“, fragte ich schließlich. Dabei sprach ich sehr vorsichtig und besonnen, jedoch sehr darauf bedacht, meine Angst zu verbergen. Ich versuchte, mich ein wenig von der Tierschutzbewegung zu distanzieren, da ich offensichtlich keinen großen Sympathisanten vor mir hatte.
Er stammelte: „Sie werfen mir vor, dass ich meine Tiere misshandle.“
„Wie können die so etwas behaupten?“, fragte ich, wohlwissend, warum solche Vorwürfe an ihn herangetragen wurden. In diesem Augenblick ging es mir jedoch nur darum, aus dieser Situation wieder heil herauszukommen.
Sehr zu meiner Überraschung war seine Antwort zwar ärgerlich, aber gut formuliert. Er teilte mir ganz genau mit, was Tierschutzgruppen zu Betrieben wie dem seinen sagen. Er erklärte mir eingehend, was sie gegen seine Art des Umgangs mit den Tieren einzuwenden haben. Dann ließ er mich wissen, wie sehr er es hasse, als grausam bezeichnet zu werden. Die Tierschützer sollten sich doch gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.
Während ich ihm zuhörte, begann ich mich wieder etwas zu entspannen. Mir wurde klar, und darüber war ich sehr glücklich, dass er mir nichts Böses...