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Lexikon des Dialogs

Grundbegriffe aus Christentum und Islam

VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl854 Seiten
ISBN9783451801471
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
In Zeiten von Migration und Globalisierung wächst die Prägekraft der Religionen. Doch es wächst auch die Irritation, die sich aus dem Zusammentreffen der Religionen ergibt. Das Lexikon des Dialogs unternimmt erstmals das Wagnis, eine christliche und eine muslimische Sicht auf die eigene Religion nebeneinander zu stellen. Theologen aus Deutschland und der Türkei erklären die Grundbegriffe ihrer Religion, stellen sie nebeneinander und laden so ein, das Eigene und das Fremde besser zu verstehen. Eine unerlässliche Orientierung für das Zusammenleben von Christen und Muslimen in einer demokratischen Gesellschaft.

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Leseprobe

Einführung


Um das Spezifische dieses Buches vollständig zu erfassen, muss man seine Entstehungsgeschichte kennen. Am Anfang stand nämlich nicht der Gedanke, ein christlich-islamisches Lexikon für eine wissenschaftliche Fachwelt zu verfassen, sondern der Versuch, einen Beitrag zur konkreten gesellschaftlichen Situation in Deutschland mit ca. vier Millionen hier lebender Muslime zu leisten. Mehr als die Hälfte von ihnen ist türkischer Herkunft. Ohne ein Mindestmaß an gegenseitigem Verstehen und an Dialogbereitschaft hinsichtlich der je anderen Religion ist – wie die offenen und latenten Spannungen zeigen – ein friedliches Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft wie der unsrigen nicht möglich.

Die Eugen-Biser-Stiftung wollte und will daher – ihrem Selbstverständnis und ihrem Auftrag entsprechend – durch Symposien mit türkischen und deutschen Wissenschaftlern zur Verständigung zwischen Christen und Muslimen beitragen. Deshalb wurden Kollegen aus der Türkei, näherhin von der Universität Ankara, als Gesprächspartner zur Mitarbeit eingeladen, und sie nahmen die Einladung an.

Schon bei der ersten Veranstaltung zum Thema Menschenwürde, die – wie alle folgenden Veranstaltungen – ihren Niederschlag in einer Publikation fand (Interkulturelle und interreligiöse Symposien der Eugen-Biser-Stiftung, Bd. 1: Menschenwürde. Grundlagen in Christentum und Islam, hrsg. von R. Heinzmann/M. Selçuk u. a., Stuttgart: Kohlhammer 2007), zeigte sich eine kaum überwindbare Hürde: Es fehlte für zentrale Sachverhalte die Terminologie, die eine adäquate Übersetzung ermöglicht hätte. Dies beruhte nicht nur auf der Tatsache, dass der betreffende Gegenstand in der jeweils anderen Religion möglicherweise überhaupt kein sachliches Äquivalent besaß, sodass ein Neologismus gefunden werden musste. Von noch größerem Gewicht war die Tatsache, dass sich das jeweilige, allem Begreifen vorausliegende Vorverständnis nicht beim ersten Zugriff erschloss. Sprachliche Äquivalente brachten Unterschiedliches zum Ausdruck oder hatten zumindest jeweils andere Konnotationen. Deshalb griff die Eugen-Biser-Stiftung den Gedanken auf, durch ein Sachlexikon die Begriffe zu klären und dadurch überhaupt erst die Voraussetzung für ein angemessenes gegenseitiges Verstehen und einen fruchtbaren Dialog zu schaffen. Dabei war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass muslimische Stichworte von muslimischen Autoren und christliche Stichworte von christlichen Autoren erarbeitet werden müssen, damit das Genuine der jeweiligen Religion unverfälscht zur Sprache kommen kann – ein singulärer Fall unter den vergleichbaren christlich-islamischen Lexika.

Dieses Buch war somit die unausweichliche Konsequenz aus einer konkreten Aporie. Es handelt sich deshalb auch nicht um ein Fachbuch für einen kleinen Kreis von Wissenschaftlern, sondern um ein wissenschaftlich fundiertes Werk, das einer breiten Öffentlichkeit zu sachlich begründeter Information verhelfen will.

Man kann fragen, ob sich der Aufwand für ein solches Unternehmen heute noch lohnt, ob Religion im gesellschaftlichen Zusammenleben auch künftig noch eine bestimmende Rolle spielt. Angesichts einer fortschreitenden Säkularisierung scheinen doch die Probleme und Spannungen innerhalb pluraler Gesellschaften mehr in den kulturellen und ethnischen als in den religiösen Unterschieden zu liegen. Das trifft aber nur zum Teil zu. Die Identität des Menschen erwächst nämlich nach wie vor in hohem Maße – ob bewusst oder unbewusst – aus der je eigenen Religion, die in der jeweiligen Kultur ihren Niederschlag und ihre Ausprägung findet. Über die Kultur wirkt die Religion wieder zurück auf den Menschen. Das hat zur Folge, dass auch eine sich weitgehend säkular verstehende und gerierende Gesellschaft von einer traditionellen religiösen Gedankenwelt durchformt ist. Dabei trifft man heute auf das Phänomen, dass es nicht unbedingt die zentralen Inhalte einer Religion sind, die das allgemeine Bewusstsein bestimmen. Häufig sind es geschichtlich bedingte Überfremdungen und Verfälschungen einer Religion, die sich schließlich für die Sache selbst ausgeben. Da es bei einem religiösen Dialog in keinem Fall darum gehen darf, die eigene Identität aufzugeben, ist es von besonderem Gewicht, das Wesentliche von einer zufälligen Ausdrucksgestalt der Religion zu unterscheiden. Durch die Konzentration auf das Substanzielle werden wie von selbst Hindernisse abgebaut, die, solange man sich bei den Randphänomenen aufhält, nahezu unüberwindbar erscheinen. Um die Perspektive auf das Ganze der jeweils anderen Religion zu eröffnen, wurden in dieses Werk auch Stichworte aufgenommen, die in der je anderen Religion keine Entsprechung haben, aber für das je eigene Selbstverständnis unverzichtbar sind.

Aus dieser Interdependenz von Religion und Kultur erwachsen die unterschiedlichen Weltanschauungen, die uns helfen können, Brücken des Verstehens zu bauen, die aber auch zu Hindernissen in der Begegnung werden können. Ob sie Brücken oder Hindernisse im Zusammenleben und bei der Zusammenarbeit mit Menschen anderer Weltanschauungen sind, hängt meist nicht vom einzelnen Menschen ab. Vorurteile und pauschale Verdächtigungen können hierbei ebenso eine Rolle spielen wie spontane Sympathiebekundungen und Emotionen.

Gegenseitiges Verstehen und gemeinsames Handeln setzen eine gemeinsame Sprache voraus. Diese ist mehr als das Beherrschen von Wörtern und Grammatik, sie zielt auch auf das Ausloten der Verstehenshorizonte, die mit den Schlüsselbegriffen verbunden sind. Das hier vorgelegte Buch ist ein erster Meilenstein zu einem solchen Ausloten des Verstehens wichtiger Schlüsselbegriffe aus Christentum und Islam. Bei den zahlreichen Sitzungen zwischen den türkischen muslimischen Herausgebern aus der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität in Ankara und den deutschen christlichen Herausgebern von der Eugen-Biser-Stiftung in München ist deutlich geworden, dass trotz jahrhundertelanger Existenz christlicher Kirchen und Gemeinden in der Türkei das Türkische so stark islamisch geprägt ist, dass eine signifikante Sprachlosigkeit vorherrscht, wenn es darum geht, bestimmte Grundgedanken des Christentums türkisch wiederzugeben, wie umgekehrt das Deutsche so stark christlich geprägt ist, dass islamische Gedanken oft nur schwer adäquat ausgedrückt werden können. Somit steht beispielsweise der deutschsprachige islamische Religionsunterricht in Deutschland vor einer doppelten Sprachlosigkeit: vor sprachlichen Defiziten einer Schülerschaft mit Migrationshintergrund und vor dem Fehlen einer islamisch-theologischen Fachterminologie. Das hiermit der Öffentlichkeit übergebene Lexikon will diese Sprachlosigkeit überwinden und teilweise durch Neologismen darauf hinweisen, dass viele Konzepte und Begriffe im Verständnis von Muslimen und Christen nicht deckungsgleich sind, denn nur wer um die Unterschiede und Besonderheiten weiß, kann angemessen reagieren und ein gemeinsames Handeln zum Wohle aller initiieren.

Ziel des vorliegenden Lexikons ist es, Brücken zwischen den Religionen Christentum und Islam zu bauen. Es handelt sich folglich nicht um eine religionswissenschaftliche Darstellungsweise von Christentum und Islam oder um eine orientalistische Abhandlung der islamischen Schlüsselbegriffe. Christentum und Islam werden theologisch von innen heraus dargestellt, so wie es gläubige Vertreter der jeweiligen Religionen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz jeweils sehen.

Die unterschiedlichen Sprachtraditionen betreffen dabei nicht nur das theologische Fachvokabular. Sie berühren auch die wissenschaftlichen Darstellungsstile und die Ergebnisse. Lynn Payer hat am Beispiel der Medizin im Ländervergleich zwischen den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich gezeigt, wie unterschiedlich Diagnosen und Therapien bei gleichen Krankheitssymptomen ausfallen können (L. Payer, Medicine and Culture: Varieties of Treatment in the United States, England, West-Germany and France, New York: Holt 1988). Noch deutlicher treten solche Unterschiede in den Geisteswissenschaften und mithin in der Theologie zutage. Ein Beitrag, der auf Türkisch oder Deutsch geschrieben wurde, kann in seinem jeweiligen heimatsprachlichen Umfeld die Erwartungen seiner Leserschaft und der wissenschaftlichen Standards voll erfüllen, im anderssprachigen Umfeld dagegen viele Fragen aufwerfen, die sich im erstgenannten Kontext gar nicht stellen, geschweige denn nach einer Antwort verlangen. Hinzu kommen unterschiedliche Darstellungsformen wie die eher distanzierten Beschreibungen mit Betonung einer stark historisierenden Kontextgebundenheit der Aussagen im Rahmen der deutschen Theologie und die eher bekenntnisgebundene Beschäftigung mit der jeweiligen Thematik in den islamischen Studien. Ein höchst spannendes, bislang kaum beachtetes Feld komparativer Theologieforschung. Das hier vorgelegte Werk bietet dazu immer wieder wichtiges Anschauungsmaterial. Die Artikel dieses Lexikons, das jeweils in deutscher und türkischer Sprache erscheint, wurden nicht immer wortwörtlich, sondern sinngemäß unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und kulturellen Unterschiede der Leser übersetzt.

Angesichts unser aller Verantwortung für ein friedliches Miteinander und unseres Bemühens um Frieden und Völkerverständigung in der Welt ist das Wissen um das, was und wie wir jeweils denken und was unser jeweiliges Handeln bestimmt, kein Spezialwissen für einige wenige Gelehrte. Es geht alle an, die sich um konstruktive Zusammenarbeit bemühen, nämlich neben Repräsentanten von Religionsgemeinschaften wie Imame, Geistliche und Religionslehrerinnen und Religionslehrer auch Lehrplangestalter und...

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