1 Ich darf lieben
Die Welt ist so leer, wenn man nur Berge,
Flüsse und Städte darin denkt;
aber hie und da jemanden zu wissen,
der mit uns übereinstimmt,
mit dem wir auch stillschweigend fortleben,
macht uns dieses Erdenrund erst zu einem bewohnbaren
Garten.
Johann Wolfgang von Goethe
Ein Buch über die Liebe? Wild? Und unersättlich? Jede Frau, der ich diesen Titel bisher genannt habe, bekam entweder einen verträumten, sehnsüchtigen Augenaufschlag »O ja! Das wär schön!« oder sie fing gleich an, wild zu kichern (das war die Mehrheit). So wie nur Frauen kichern können. Kleine glucksende Lacher, direkt aus dem Bauch. »Liebe. Wild. Und unersättlich. Suuuuper. Wann kommt es raus?« Hier ist es.
Dieses Buch handelt von der Liebe. Liebe, die Herzen verzaubert und den Alltag durchsonnt. Liebe, die jede Sekunde wertvoll erscheinen lässt und uns zu besseren Menschen macht. Es ist ein Erlaubnisbuch für die Liebe. Lass dich ein auf Liebe, möchte ich Ihnen in diesem Buch sagen, ohne Seil und doppelten Boden, ohne Rentenanspruch, Ausfallgarantie und Zusatzzahl. Lass dich ein auf das Risiko Vertrauen, tiefes Vertrauen. Spüre Liebe, suche Liebe, mache Liebe, zelebriere Liebe, achte Liebe, rette deine Liebe, mach Liebe. Dies ist kein Buch über Ehebruch und Gewalt in der Ehe, über Verrat und Scheitern. Darüber gibt es ausreichend Bücher, die Betroffenen helfen können.
WOHER SIND WIR GEBOREN
Woher sind wir geboren?
Aus Lieb.
Wie wären wir verloren?
Ohn Lieb.
Was hilft uns überwinden?
Die Lieb.
Kann man auch Liebe finden?
Durch Lieb.
Was läßt nicht lange weinen?
Die Lieb.
Was soll uns stets vereinen?
Die Lieb.
Johann Wolfgang von Goethe an
Charlotte von Stein
In diesem Buch möchte ich Frauen, die in Partnerschaften leben, die im Großen und Ganzen »ganz okay« sind, zeigen, wie sie diese Partnerschaften noch besser machen können. Und ich möchte Frauen, die auf der Suche nach der großen Liebe sind, Mut machen. Die meisten Forschungen fragen nach dem Scheitern von Ehen. Ich habe versucht herauszufinden, was Liebe erhalten und stärken kann. Mein Anliegen: Wenn du liebst, stemm dich mit aller Kraft gegen den Verfall der Liebe, ihr Verschwinden, ihr Versickern, ihr Versagen. Es lohnt sich, dich ganz und gar für die Liebe einzusetzen, für den geliebten Menschen, für dich selbst – wild und unersättlich.
Liebe: Wenn sich eine Frau auf Liebe einlässt, lässt sie sich auf Menschen ein. Wo ihre Liebe hinfällt, wächst Gras, sprießt das Leben. Du darfst lieben. Wild und unersättlich. Ich bin sicher, wenn Frauen und Männer mehr über die Liebe wüssten, könnte ein Großteil der Scheidungen vermieden werden. Wenn man ihnen helfen würde, die wichtigsten Grundregeln der Liebe zu erkennen und ihnen zu folgen, könnten die meisten Beziehungen gerettet werden – Experten wie Franz Thurmaier1 halten mehr als 80 Prozent der Scheidungen für überflüssig. Das Ende der Liebe und die Scheidung sind kein Schicksal, sondern Nichtwissen und Nichtkönnen. Wir bunkern dank Internet Informationen ohne Ende, tauschen uns mit Menschen in aller Welt über Rezepte für alles Mögliche aus, nur die Geheimnisse der Liebe sind ein Tabu. Und damit nehmen wir uns die Chance, unsere Liebe zu retten. Doch mehr als das.
Liebe ist die Chance, sich selbst endlich richtig kennenzulernen. In Unmäßigkeit und Arroganz, in Ungerechtigkeit und Fehlern, in Lügen und Beschönigen. Aber auch in Fürsorge und Großzügigkeit, in unermesslichem Reichtum an Gefühlen und dem Wunsch, den anderen glücklich zu machen. Denn Liebe ist in Menschen angelegt. Liebe erlaubt ihnen zu sein, wie sie sind, sie müssen sich nicht verstellen und anders geben als sie sind. Liebe richtet nicht. Liebe akzeptiert. Entdecke dieses gewaltige Gefühl, geliebt zu werden. So wie Du bist!
Wild: Klingt nach »Neuneinhalb Wochen« und Orgien, nach Liebhaber und Bäumchen-wechsel-Dich. Hier heißt es etwas ganz anderes. Es heißt Lebensfreude und Lust, Gefühl und Gefühl und Gefühl. Wild steht für ein Plädoyer gegen die Vernunftehe. Gegen Abmachungen und Arrangieren. Heißt Neues ausprobieren und Altes verfeinern, heißt dem Menschen, den man liebt, alles zuzutrauen, auf ihn zu bauen, ihn zu fordern, aber keine Entschuldigungen für ihn zu finden, keine falsche Rücksicht zu üben. Sonst schlägt Liebe in Mitleid oder gar Verachtung um.
Höre nie auf, das Besondere zu wollen und zu suchen. Aber suche es in dir und deinem Geliebten, flüchte nicht auf die Nebenschauplätze des kurzen Rauschs, der infamen Heimlichkeit. Im Kapitel 6 »Ich darf Liebe machen« verrate ich, wie wir aus der »Immer-samstags-nach-der-Tagesschau-Nummer« wieder herauskommen und dem Liebesleben neuen Schwung geben. Manchmal ist ein klarer Schnitt richtig: wenn eure Erwartungen zu weit voneinander entfernt sind; wenn ihr euch nicht mehr erkennt; wenn der eine die Wünsche des anderen nicht erfüllen kann. Ein Leben ohne Liebe ist auch zu zweit traurig.
Lieben heißt einen anderen Menschen
so sehen zu können,
wie Gott ihn gemeint hat.
Dostojewskij
Unersättlich: Heißt sich nicht kontrollieren und beschränken, nicht bescheiden und resignieren. Sich nicht abfinden mit Dingen, die dich unglücklich oder traurig machen. Fordere und sei unmäßig. Stelle Ansprüche und sag, was du möchtest. Begnüge dich nicht mit der Grundausstattung, erwarte die Luxusvariante der Liebe. Und wisse, dass du sie nicht immer bekommen wirst. Lerne das auszuhalten. Und arbeite an den 80 Prozent, in denen es klappen kann.
Zu erkennen, dass der Geliebte, Mann, Freund, Partner dich nicht immer glücklich machen kann, tut weh. Aber höre nie auf, es zu erwarten. Hilf andererseits dem Geliebten, von dir zu lernen, selbst Ansprüche zu stellen. Und glaub an das Wunder der Liebe. Hör niemals auf, daran zu glauben. Frag den Geliebten aus, lass ihn seine Geschichte erzählen. Auch er hat seine Schatten, Muster, Ängste, Sehnsüchte. Und er hat genauso viel Recht darauf wie du, sein Leben zu leben.
Ein Wort zum Thema »Er«. Dieses Buch beschreibt die Liebe von Frauen zu Männern. Deswegen heißt »er« meistens »der Mann«. Sie könnten aber auch »er« als Mensch denken. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umschaue, erlebe ich die gleichen Glücksgeschichten, Happy Ends oder Dramen zwischen Frauen und Männern wie unter Frauen oder unter Männern.
Amerikanische Studien bestätigen, dass es zwischen hetero- und homosexuellen Beziehungen viel weniger Unterschiede gibt als wir denken. Eine der führenden Forscherinnen über Partnerbeziehungen, die Professorin Letitia Anne Peplau2 aus Los Angeles, hat gezeigt, dass unabhängig von der sexuellen Präferenz
• fast alle Menschen eine enge Beziehung mit einem anderen Menschen wünschen,
• viele Menschen in dieser Beziehung Sexualität und Liebe finden und
• niemand von Partnerschaftskrisen, die immer auch den Bruch der Partnerschaft bedeuten können, prinzipiell verschont bleibt.
Peplau hat auch herausgefunden: Handelt es sich nicht nur um eine kurzlebige romantische Affäre, wird jede Beziehung zu einem Wettlauf mit der Zeit: Wie übersteht man den Übergang von den wenigen Monaten der »rasenden« Verliebtheit in den Alltag. Der ist das eigentlich Neue in der Beziehung. Die Herausforderung ist, wie dieser Übergang in ein normaleres Leben geschafft wird, gleich ob heterosexuell oder gleichgeschlechtlich: das Verlangen nach Nähe mit dem Verlangen nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung des einzelnen Partners zu vereinen. Bei verliebten Schauspielern scheint dies die Crux zu sein: Sie versuchen ihre Liebe wie einen perfekten Film zu erleben. Nur leider wird im Kino nach dem Happy End ausgeblendet. Da, wo erst die wahre Herausforderung beginnt.
Wie komme ich darauf, ein Buch über die Liebe zu schreiben? Vielleicht kennen Sie das eine oder andere frühere Buch von mir, über Selbst-PR oder Gelassenheit, über Work-Life-Balance oder Durchsetzungsstrategien. Also eher berufsbezogene, zielgerichtete, erfolgsorientierte Themen. In meiner Arbeit als Coach und Trainerin wurde mir immer mehr klar: Es geht nie allein nur um den Beruf, die Karriere, die Zukunftspläne. Es geht immer um das ganze Leben. Zufriedenheit, Glück. Und eben Liebe.
HÄTTE DIE LIEBE NICHT...
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen
redete, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich
ein tönend Erz oder eine klingende...