Psalm 18,1-47
1 Für den Chorleiter: Ein Psalm Davids, dem Diener Gottes. Er sang dem Herrn dieses Lied an dem Tag, an dem der Herr ihn vor seinen Feinden und vor Saul rettete. 2 Ich liebe dich, Herr, durch dich bin ich stark! 3 Der Herr ist mein Fels, meine Burg und mein Retter; mein Gott ist meine Zuflucht, bei dem ich Schutz suche. Er ist mein Schild, die Stärke meines Heils und meine Festung! 4 Herr, wenn ich dich lobe und anrufe, dann werde ich vor meinen Feinden gerettet. 5 Die Ketten des Todes umschlangen mich, die Fluten der Zerstörung gingen über mich hinweg. 6 Das Totenreich öffnete sich schon vor mir, der Tod selbst starrte mir ins Gesicht. 7 Doch in meiner Not betete ich zum Herrn und schrie zu meinem Gott um Hilfe. Da erhörte er mich in seinem Heiligtum, mein Schreien drang durch bis an sein Ohr. 8 Da erbebte die Erde und wankte vor seinem Zorn, die Fundamente der Berge bewegten sich und wurden erschüttert. 9 Rauch drang aus seiner Nase und Flammen aus seinem Mund, und glühende Kohlen wurden herausgeworfen. 10 Er tat den Himmel auf und kam herab, dabei war es dunkel unter seinen Füßen. 11 Auf einem mächtigen Engel flog er herbei, er schwebte herab auf den Flügeln des Windes. 12 Er hüllte sich in Dunkelheit und verbarg sein Kommen in schwarzen Wolken. 13 Der Glanz seiner Gegenwart durchbrach die Wolken und es regnete Hagel und glühende Kohlen. 14 Der Herr donnerte im Himmel, der Höchste ließ seine gewaltige Stimme erschallen. 15 Er schoss Pfeile ab und zerstreute seine Feinde, er sandte viele Blitze, sodass sie den Mut verloren. 16 Auf deinen Befehl, Herr, auf einen Hauch deines Mundes hin wurde der Meeresgrund sichtbar und die Fundamente der Erde freigelegt. 17 Er streckte seine Hand aus vom Himmel und rettete mich; er zog mich aus tiefem Wasser herauf. 18 Er befreite mich von meinen mächtigen Feinden, von denen, die mich hassten und zu stark für mich waren. 19 Sie fielen über mich her, als ich am schwächsten war, doch der Herr gab mir Halt. 20 Er brachte mich an einen sicheren Ort und rettete mich, weil er Freude an mir hatte. 21 Der Herr wird mich belohnen, weil ich aufrichtig bin, und mir den Lohn dafür geben, dass ich unschuldig bin. 22 Denn ich bin die Wege des Herrn gegangen und habe mich nicht von meinem Gott abgewandt, um dem Bösen nachzulaufen. 23 Alle seine Rechte habe ich ständig vor Augen, nie bin ich von seinen Geboten abgewichen. 24 Ich bin ohne Schuld vor Gott, denn ich habe mich von der Sünde ferngehalten. 25 Der Herr hat mich belohnt, weil ich recht tue und weil ich mich vorbildlich verhielt. 26 Den Treuen erweist du dich als treu, den Aufrichtigen begegnest du mit Aufrichtigkeit. 27 Den Reinen erweist du dich als rein, doch den Falschen überführst du. 28 Denn du rettest den Elenden, aber die Stolzen erniedrigst du. 29 Herr, du hast Licht in mein Leben gebracht, du, mein Gott, hast meine Finsternis erhellt. 30 Mit dir kann ich ganze Armeen zerschlagen, mit dir überwinde ich jede Mauer. 31 Gottes Wege sind vollkommen. Alle Worte des Herrn sind wahr. Allen, die sich zu ihm flüchten, bietet er Schutz. 32 Wer ist Gott außer dem Herrn? Wer ist ein Fels außer Gott? 33 Gott gibt mir Kraft und macht den Weg sicher. 34 Er macht meine Schritte leichtfüßig wie die eines Hirschs und stellt mich hin auf meine Höhen. 35 Er bereitet mich auf den Kampf vor und macht mich stark, sodass ich einen bronzenen Bogen spannen kann. 36 Du gibst mir rettenden Schutz. Deine Hand hält mich und durch deine Gnade hast du mich stark gemacht. 37 Du ebnest den Weg für meine Füße, damit ich nicht stürze. 38 Ich habe meine Feinde verfolgt und eingeholt, ich gab nicht auf, bis sie besiegt waren. 39 Ich schlug sie, sodass sie nicht mehr aufstehen konnten und mir zu Füßen lagen. 40 Du hast mir Kraft für den Kampf gegeben und mir meine Feinde unterworfen. 41 Du schlugst sie in die Flucht, sodass ich alle, die mich hassten, vernichten konnte. 42 Sie schrien um Hilfe, doch niemand kam, um sie zu retten. Sie schrien zum Herrn, doch er antwortete ihnen nicht. 43 Ich zermalmte sie fein wie Staub, den der Wind verweht, und kehrte sie weg, wie Schmutz von der Straße. 44 Du hast mir den Sieg über meine Herausforderer geschenkt und mich zum Herrscher über Völker gesetzt, ein Volk, das ich nicht einmal kenne, dient mir. 45 Sobald es nur von mir hört, gehorcht es mir. Fremde Menschen unterwerfen sich mir. 46 Sie verlieren allen Mut und kommen zitternd aus ihren Festungen. 47 Der Herr lebt! Ich preise ihn. Er ist mein Fels! Ich will den Herrn meines Heils erheben!
Wie ein Liebeslied beginnt dieser Psalm, eine Liebeserklärung an Gott. König David will damit rückblickend seinem Gott danken für Errettung, Bewahrung und Sieg über alle Feinde.
Wer diesen Psalm heute als Christ mitbeten will, dem wird es so gehen wie mit vielen anderen Psalmen auch: Nicht alles kann man wirklich selbst so nachsprechen. Zum Teil liegt es an der völlig anderen Situation. Wir müssen wahrscheinlich nicht ums Überleben kämpfen und werden nicht so direkt wie David von Feinden bedroht. Darüber hinaus sehen wir vom Neuen Testament her manches anders. Gott hat uns durch Jesus noch mehr offenbart, sodass wir nun weder so ungebrochen wie David unsere eigene Gerechtigkeit beteuern können (Verse 21-25), noch um die Vernichtung unserer Feinde beten oder über ihren Fall triumphieren können.
Sehen wir allerdings die »Feinde« als ein Symbol für das, was unseren Glauben und unsere Liebe zu Gott bedroht, so können wir uns schon größere Teile des Psalmes zu eigen machen. Wir können etwas von dem kühnen Geist gebrauchen für unseren Kampf gegen Unrecht und Sünde, gegen Anfechtung und Angst. Die »Armeen«, die wir mit Gottes Hilfe zerschlagen, wären dann die Mächte der Finsternis, und die »Mauern«, die wir mit ihm überwinden, wären die Mauern von Feindschaft und Hass.
Doch in jedem Falle können wir uns anstecken lassen von der leidenschaftlichen Liebe und Dankbarkeit, die der Beter Gott entgegenbringt. Mit immer neuen Bildern und Vergleichen rühmt er seinen Gott und jedes dieser Bilder ist es wert, ausgiebig bedacht und meditativ ausgemalt zu werden. Die Burg, der Fels, der geebnete Weg (oder der weite Raum in der Übersetzung Martin Luthers) – der Psalm ergäbe genug Stoff für viele Andachten. Wir könnten uns auch einmal davon inspirieren lassen, selbst neue Bilder und Vergleiche für Gott zu suchen und ihn damit zu loben.
Mir selbst ist in diesem Psalm am wichtigsten geworden, wie der Beter in den Versen 5-20 seine Errettung aus Todesangst beschreibt. Das Gefühl des Gefangenseins, des Verstricktseins in »den Ketten des Todes« oder des Ertrinkens in Angst und Ausweglosigkeit kann auch heute Menschen mit großer Wucht überfallen und lähmen. Depressionen oder Panikattacken, unter denen heute nur allzu viele Menschen leiden, fühlen sich genauso an wie das, was David hier beschreibt. Und leider sind auch Leute, die Gott vertrauen, davor nicht völlig gefeit. Wenn wir das Gefühl haben, dass etwas Schreckliches, Bedrohliches auf uns zurollt und uns überwältigt wie die »Fluten der Zerstörung«, und wenn wir nur noch mit letzter Kraft einen Hilfeschrei zu Gott senden können, dann werden die Worte dieses Psalms ganz real. Dass der rettende Gott nun selber erst einmal bedrohlich erscheint, wenn er in Unwetter, Donner und Blitz daherfährt, enthält einen großen Trost: So mächtig ist Gott, so umwerfend groß, dass keine böse Macht gegen ihn ankommt. Dieses Bewusstsein von der erschreckenden Größe und Erhabenheit Gottes ist uns heute fast abhanden gekommen. Doch nur ein starker Gott, vor dem Hölle und Totenreich zitternd zurückweichen, kann uns retten.
Das Bild von Gott, der seine Hand aus der Höhe hinabstreckt und den Versinkenden aus tiefen Wassern herausreißt (Vers 17), erinnert mich an die Geschichte vom sinkenden Petrus, der zu Jesus schreit und sofort herausgezogen wird. Es handelt sich da um genau die gleiche Symbolik. Wenn wir zu versinken drohen und unsere Kräfte nur noch für einen Hilfeschrei ausreichen, dann ist die rettende Hand Gottes zur Stelle, und ehe wir’s uns versehen, stehen wir wieder auf festem Grund im weiten Raum.
Freilich mag es manchmal wesentlich länger dauern, als es in der rückblickenden Zusammenfassung des Geschehens wirkt. Die Zeiten der Angst und Bedrohung dauerten bei David viele Jahre an! Jahre, wo kein Sinn in all diesen Verfolgungen und Ungerechtigkeiten erkennbar war. Wo der Schutz Gottes immer wieder neu gegen allen Augenschein im Glauben ergriffen werden musste. Wo fortwährend weitere Enttäuschungen die eben erst mühsam gewonnene Hoffnung zerstörten. Wo Gott manchmal so fern und unerreichbar schien! Die Erinnerung daran klingt auch in diesem Psalm noch deutlich nach. Umso...