2. Wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen – gibt es die überhaupt?
»Kein Airbag – wir sterben wie Männer«
AUTOAUFKLEBER, GESEHEN AM 5. MÄRZ 2008
AUF DER AUTOBAHN HEILBRONN-NÜRNBERG
Schaut man sich die einschlägige und inzwischen fast uferlose Literatur zu diesem Thema an, so stellt man fest, dass es im Grunde zwei Positionen gibt. Die einen betonen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sehr stark3, die anderen schwächen die vermeintlichen Unterschiede eher ab. Nimmt man die jeweiligen Argumente jedoch genauer unter die Lupe, so stellt man fest: Es kommt ganz offensichtlich auf die Sichtweise an!
Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Forscher und eine Forscherin vergleichen einen nackten Mann und eine nackte Frau, die vor ihnen stehen. Der Forscher sagt: »Mann und Frau sind im Wesentlichen gleich. Beide haben einen Kopf, zwei Arme, zwei Hände, zwei Beine, zwei Füße, einen Rumpf und einen Bauchnabel. Beide haben Haare, Gelenke, Augen, Ohren, Nase, Mund. Okay, unterhalb des Bauchnabels sind sie etwas unterschiedlich, und auch der Oberkörper hat leicht unterschiedliche Ausmaße. Aber das sind alles Kleinigkeiten, verglichen mit der enorm hohen Menge an Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten!«
Die Forscherin entgegnet: »Aber ich bitte Sie: Alles ist anders, nicht nur der Oberkörper und die Partie unterhalb des Bauchnabels! Sehen Sie denn nicht: Kopf, Arme, Hände, Beine, Füße und der Rumpf – dies alles ist bei der Frau etwas anders geformt als beim Mann. Und natürlich haben beide Augen, Ohren, Nase und Mund – aber Sie werden doch zugeben, dass ein Männergesicht eindeutig anders aussieht als das Gesicht einer Frau, selbst ohne Bart! Außerdem: Sehen Sie denn nicht die höchst unterschiedliche Hüft-Becken-Partie?! Deutlich gerundet bei der Frau, hingegen eher in gerader Linie verlaufend beim Mann …! Wenn man sich die beiden Silhouetten anschaut, so ist doch völlig unverkennbar, dass eine Frau nicht mit einem Mann zu verwechseln ist! Im Übrigen wird dieser Unterschied auch schon in der Bibel betont: Da heißt es, dass Gott den Mann aus Ackerboden ›formte‹, aber die Frau ›baute‹ – aus seiner Rippe!«4
So weit die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Forscher.
Wer von beiden hat recht? Natürlich beide – es kommt lediglich darauf an, worauf man sein Hauptaugenmerk richtet und vor allem: welches Gewicht man den wahrgenommenen Unterschieden gibt.
Zahlreiche Wissenschaftler, die sich mit Geschlechtsunterschieden beschäftigen, neigen heute dazu, die durchaus beobachtbaren Unterschiede als »wenig ins Gewicht fallend« zu betrachten, weil sie die Menge der Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern als weitaus größer und gewichtiger ansehen. Frauen sind, so sagen sie, zwar körperlich etwas schwächer als Männer und dadurch nicht ganz so ausdauernd, sie verfügen jedoch über die gleiche Intelligenz und sind zu den gleichen geistigen Leistungen wie Männer in der Lage. Zwar gibt es leichte Unterschiede in einzelnen Teilleistungen des Gehirns – Männer haben beispielsweise ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen als Frauen –, aber diese Unterschiede fallen angesichts der Menge an Ähnlichkeiten kaum oder gar nicht ins Gewicht. Dagegen stellt eine Wissenschaftlerin, die sich mit der »Psychologie der Geschlechtsunterschiede« über Jahre hinweg beschäftigt hat, klipp und klar fest: »(Es) zeigt sich …, dass es irrig und gefährlich ist, die Geschlechtsunterschiede nur deshalb für bedeutungslos zu halten oder gar zu ignorieren, weil sie im Mittel geringfügig sind. Tatsächlich kommen bei der Konfrontation der Geschlechter …) Prozesse in Gang, die auch kleine Unterschiede verstärken und dadurch zu einem polarisierenden Effekt führen können.«5
Deutlich wird: Entscheidend ist nicht das Ausmaß der beobachteten Unterschiede, sondern entscheidend ist die Frage, wie sich diese Unterschiede im praktischen Leben und vor allem im Zusammenleben der Geschlechter auswirken. Und hier kann man ohne Übertreibung sagen: Im Zusammenleben von Männern und Frauen haben einige »an sich« möglicherweise eher geringfügige Verschiedenheiten je nach den Umständen gravierende Auswirkungen.
Nichts anderes will wohl auch »Caveman« den Zuschauern deutlich machen. Die Unterschiede im Verhalten und Empfinden von Mann und Frau charakterisieren das Stück geradezu. Nur drei Beobachtungen bezüglich der Eingangsszene seien erwähnt:
Ein Mann wird von seiner Freundin buchstäblich »vor die Tür gesetzt«. Als einziger Kommentar ihrerseits schallt es ihm (sinngemäß) hinterher, sie hätte genug von seinem unreifen prähistorischen Verhalten, er solle gefälligst mal in sich gehen und über sich nachdenken.
Was würde eine Frau, die soeben verlassen wurde, an dieser Stelle tun? Sie würde, wenn ihr etwas an dem Mann liegt, möglicherweise spontane Wut zeigen – aber in absehbarer Zeit würde diese Wut einer tiefen Traurigkeit oder Enttäuschung Platz machen. Während Wut die aggressive Reaktion auf eine seelische oder körperliche Verletzung ist, die den eigenen Schmerz durch den Versuch eines Gegenangriffs zu lindern versucht, stellt eine die Wut irgendwann ablösende Trauer die eigentlich angemessene Reaktion auf unabänderlichen seelischen Schmerz dar. Denn der Schmerz wird in der Trauer nicht abgewehrt, sondern zugelassen.
Von Trauer ist jedoch in dem zweistündigen Monolog des Hauptdarstellers keine Andeutung zu hören, zu sehen oder zu spüren. Stattdessen geht er von der Wut nahtlos über ins Analysieren, Räsonieren, Argumentieren, Spekulieren … – sprich: Er versucht, das ganze Drama von seiner Person wegzuschieben, indem er sein Schicksal auf eine »allgemein menschliche« Ebene hievt und zu einer unpersönlichen Grundsatzfrage macht, frei nach dem Motto: »Es geht hier nicht um meine Partnerin und mich – es geht um Männer und Frauen ganz allgemein!«
Mit dieser »Versachlichung« macht »er« das, was er am besten kann: über Sachthemen reden, ohne sich als Person, ohne die eigenen Gefühle dabei ins Spiel bringen zu müssen. Allenfalls gelegentliche Anflüge von offen geäußertem Selbstmitleid (gefördert durch Alkoholkonsum) deuten an, dass er seelisch leidet. Doch dieses Leid verbirgt sich hinter einem Wortschwall, hinter Flucht in die Aktivität (dargestellt unter anderem durch ruheloses Herumrennen auf der Bühne) und hinter Sarkasmus.
Doch auch eine Frau hätte, gerade »in die Wüste geschickt«, aus ihrer Wut und dem darauf folgenden Schmerz, aus ihrer Trauer, irgendwann auftauchen und nachdenken müssen. Das hätte sie auch getan – doch sie hätte, und das halte ich für den zweiten gravierenden Unterschied, mit großer Wahrscheinlichkeit angefangen, ganz konkret über sich, ihren Partner und die bisherige Beziehung nachzudenken. Möglicherweise hätte sie dabei die falschen, kaum weiterführenden Fragen gestellt (»Wer ist schuld? Warum erwische ich immer solche schwierigen Typen? Was ist an mir so verkehrt, dass ich immer wieder verlassen werde? Warum sind Männer so grausam?«) – aber sie hätte sicher nicht versucht, ihre persönliche Betroffenheit und Verunsicherung unverzüglich zu »rationalisieren« und daraus ein allgemeines Sachthema zu machen. Der Mann jedoch schafft es, das Thema so zu »behandeln«, dass er sich selbst dabei nicht oder nur ansatzweise infrage stellen muss.
Auch einen dritten Unterschied hätte man meines Erachtens beobachten können, wenn eine Frau betroffen gewesen wäre: Obwohl das Stück damit beginnt, dass der Darsteller mit einem Freund oder Bekannten telefoniert und nach Ende des Telefonats feststellt, dass seine Partnerin ihm soeben den Laufpass gegeben hat, kommt er in den folgenden zwei Stunden nicht ein einziges Mal auf die Idee, in seiner Betroffenheit und Hilflosigkeit eben diesen Freund noch einmal anzurufen. Was läge näher, als ihm seine Lage zu schildern, bei ihm seelischen Beistand – oder vorläufigen Unterschlupf – zu suchen? Offenbar liegt es für die meisten Männer weitaus näher, psychisches Leid sowie persönliche Probleme und Beziehungsschwierigkeiten für sich zu behalten und sie in inneren Monologen ganz allein mit sich selbst abzumachen. Es würde sie vermutlich enorme Überwindung kosten, einem Dritten gegenüber ihre Trauer, aber auch ihre Hilf- oder Ratlosigkeit zu formulieren und einzugestehen. Und eine Frau? Eine Frau hätte mit ziemlicher Sicherheit bald, nachdem sie den Rausschmiss bemerkt hätte, zum Handy gegriffen und jemanden angerufen, der ihr nahesteht – vielleicht die Freundin, mit der...