Da nun die bindungstheoretischen Grundlagen, (destruktive) Familiendynamiken und unsichtbare Bindungen thematisiert wurden, sollen im Folgenden rechtliche Grundlagen erklärt werden. Zum einen werden die Rechte der Eltern und Kinder betrachtet und zum anderen die Legitimationsgrundlage der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), die eine stationäre Unterbringung rechtfertigt.
Das Grundgesetz regelt in der Bundesrepublik Deutschland die Staatsorganisation und sichert Freiheiten jedes Einzelnen. In Artikel 6 wird insbesondere geregelt, dass Eltern das natürliche Recht auf die Erziehung und Pflege ihres Kindes haben. Sie sind außerdem in der Pflicht, für das Kind die Personen- und Vermögenssorge nach §1626 BGB auszuüben. Dabei sollen dessen wachsende Fähigkeiten und Bedürfnisse beachtet werden, während es nach Selbstständigkeit und verantwortungsbewusstem Handeln strebt (vgl. Tammen 2007:537). Anzumerken ist bei diesen Regelungen, dass sie nur Aussagen über das Kind und nicht in dessen Interesse treffen. Die Pflege und Erziehung soll sich, laut Bundesverfassungsgericht aber an dessen Wohl orientieren.
Die UN Kinderrechts-Konvention trug maßgeblich dazu bei, dass das Kind heute als eigenständiges Rechtssubjekt wahrgenommen wird. Seit dem Jahr 2000 ist dadurch gesetzlich verankert, dass es ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat und „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen […] unzulässig“ sind (§1631 BGB).
Das achte Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfegesetz) regelt alle Leistungen die bundesweit für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zutreffen. Das gesetzliche Wächteramt wird von Jugendämtern wahrgenommen, Angebote sowie Einrichtungen gehören meist freien Trägern der Jugendhilfe an (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk o.J.:o.S.).
Die Kinder- und Jugendhilfe hat ein Doppelmandat inne: Sie soll fördernd, helfend und unterstützend für Kinder und Jugendliche sowie auch deren Familien wirken, um individuelle und soziale Krisen zu überwinden. Gleichzeitig ist sie aber auch die kontrollierende Instanz des Staates. Kriseninterventionen stellen einen schweren Eingriff in die Rechte der Familie dar und sind daher oft mit Unfreiwilligkeit, Unaufkündbarkeit und Asymmetrie verbunden (vgl. Kotthaus 2010:121). Es ist schwierig, die richtige Hilfe für die einzelnen Fälle und Bedarfe der Familien, im speziellen der Kinder, zu finden und abzuschätzen, ab wann in die aktuelle Familiensituation eingegriffen werden muss.
Werden den MitarbeiterInnen des Jugendamtes gewichtige Informationen zuteil, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist, muss das Risiko mit weiteren Fachkräften eingeschätzt werden (§8a SBG VIII). Kann der Schutz trotz allem gewährleistet werden, sollen nach Möglichkeit die Erziehungsberechtigten und das Kind mit einbezogen werden. Ist es möglich, die Gefährdung durch Hilfen des Jugendamtes oder freier Träger abzuwenden, müssen diese den Eltern angeboten werden (§27 SBG VIII). Alle Hilfen sollten grundsätzlich auf der Basis der Freiwilligkeit fungieren.
Das Familiengericht kann nach §1666a BGB angerufen werden, wenn das geistige, körperliche und seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und/oder wenn die Erziehungsberechtigten „nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken“ (§8a SGB VIII).
„Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll.“ (§1666a BGB)
Die Herausnahme der Kinder aus dem elterlichen Haushalt ist nur legitimiert (Art.6 Abs.3 GG), wenn der Erziehung und Versorgung nicht Sorge getragen wird oder eine Verwahrlosung aus anderen Gründen droht. In Gefährdungssituationen macht der Staat dementsprechend von seinem Wächteramt Gebrauch. Dabei sollten Mitarbeiter des Jugendamtes idealerweise nach dem Grundsatz „So viel Akzeptierung des Kindeswillens wie möglich, so viel staatlicher Eingriff wie nötig zur Sicherung des Kindeswohls“ (Bülow et al. 2014:17) handeln.
Die Aufgaben basieren auf dem Grundgedanken, dem Kind für und in seiner Entwicklung einen Schonraum zu bieten und dieses zu fördern (§1 SGB VIII). Die individuelle und soziale Entwicklung soll unterstützt, Benachteiligungen vermieden und Sorge für positive Lebensbedingungen getragen werden, wobei der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt stehen soll. Diese Aufgaben haben das Ziel, dass dem Kind Bedingungen des Aufwachsens zugrunde gelegt werden, die eine lebensweltorientierte Entwicklung und Gestaltung sowie ein Zusammenleben mit der Familie ermöglicht. Die Kinder- und Jugendhilfe hat außerdem folgenden Anspruch:
Beteiligung aller am Hilfeplanprozess (Partizipation)
Hilfe zur Bewältigung kritischer Lebensphasen gewährleisten (Prävention)
Entwicklung tragfähiger Unterstützungsstrukturen (Regionalisierung)
Respektierung der Lebenserfahrung (Alltagsorientierung)
Auch wenn diese Ansprüche immer berücksichtigt werden sollten, stehen die oft im Widerspruch zur Realität (vgl. Jordan et al. 2012:20ff.).
Eine gesetzliche Inobhutnahme nach §42 SGB VIII soll Abhilfe in aktuellen und akuten Familienkrisen schaffen. Das Jugendamt ist verpflichtet das Kind in Obhut zu nehmen, wenn dieses selbst darum bittet oder eine Gefahr für das Kindeswohl eine Herausnahme aus der Familie verlangt. Es ist nicht notwendig, dass Minderjährige ihre Selbstmeldung begründen, ausreichend ist die subjektive Wahrnehmung. Solange das Jugendamt keine tatsächliche Gefahr feststellt, kann das Kind oder der Jugendliche die Hilfe auch selbst beenden (vgl. Kirchhart 2008:16). Legitimiert wird dieser Eingriff (die Herausnahme) nur, wenn die Sorgeberechtigten zustimmen bzw. die familien-gerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden kann.
Mit einer Unterbringung ist die „Erziehung und Versorgung von Minderjährigen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie durch nicht-verwandte Personen […]“ (Schleiffer 2015:68) gemeint, welche kurzzeitig oder längerfristig sein kann. Der stattfindende Hilfeplan (§36 SGB VIII) soll über die Form und Dauer der Unterbringung Aufschluss geben.
Ziel der Intervention ist die Krisen- und Perspektivklärung sowie der zeitlich begrenzte Schutz (vgl. Jordan et al. 2012:231ff.). Neben der entlastenden Wirkung bietet die Wohngruppe dem Kind emotionale Zuwendung, Ruhe und alternative Handlungsspielräume. Den Eltern muss der Ort, je nach Gefährdungslage, mitgeteilt werden (vgl. Kirchhart 2008:17f.).
Der Eingriff in die Eltern- und Kinderrechte stellt einen massiven Einschnitt dar und setzt dadurch auch eine gewisse Dynamik in der Hilfe frei. In der Sozialen Arbeit existiert der Begriff der doppelten Ohnmacht in diesem Zusammenhang, wobei Eltern wie PädagogInnen auf enttäuschte Erwartungen und Zuweisung der Verantwortung sowie Zeitmangel und Ressourcenknappheit reagieren. Meist kommt es infolgedessen zu einem Rückzugsverhalten, was die weiteren Handlungsmöglichkeiten und
-spielräume stark einschränkt. Sobald dann die Kommunikation darunter leidet, nimmt auch die Steuerbarkeit der gesamten Hilfe stetig ab (vgl. Pomey 2014:143).
Das Konzept der Vollzeitpflege ist die Kurzzeit- oder Bereitschaftspflege, wenn die Herkunftsfamilie für einen befristeten Zeitraum durch Krisen- oder Notsituation ausfällt, bis die Perspektive geklärt ist. Dafür infrage kommen vor allem stationäre Einrichtungen wie beispielsweise Krisengruppen. Das oberste Ziel eines solch besonderen Beziehungs- und Wohnarrangement sollte immer das Bestreben zur Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie sein. Ist dies, durch welche Gründe auch immer, nicht möglich, werden Vorbereitungen für eine Pflegefamilie oder alternative Wohngruppen getroffen (vgl. Jordan et al. 2012:230).
Durch eine Unterbringung ist das Problem jedoch nicht gelöst, denn jede Inobhutnahme bringt eine Belastung für das Kind mit sich. Die Erwartung der PädagogIn ist oft, dass das Kind in dieser Zeit neue Leistungen bringt und Lebenswirklichkeiten sowie einen Lebenssinn konstruiert. In der Wohngruppe erlebt es plötzlich Erwachsene, die Nähe aufbauen wollen. Das Kind ist das aus seiner Herkunftsfamilien nicht gewohnt und kann sich dadurch auch überfordert fühlen (vgl. Kotthaus 2010:115).
In der Arbeit im Zwangskontext geht es darum, die Eltern in...