II. C. i. c. bei Nicht-Zustandekommen von M&A-Transaktionen
1. Hintergrund
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Der große Umfang, in dem seit Jahrzehnten zu dem Thema „culpa in contrahendo bei Scheitern eines Vertrages“ publiziert wird,
3) steht außer Verhältnis zu seiner
relativ geringen praktischen Bedeutung. Nur in seltenen Ausnahmefällen werden (selbst) die von Teilen der Rechtsprechung zugrunde gelegten großzügigen
4) Tatbestandsvoraussetzungen einer c. i. c. vorliegen und in noch selteneren Fällen werden die kausal verursachten „fortfließenden“ oder „forttröpfelnden“ Aufwendungen, wie sie bei einem Verhandlungsprozess üblich sind (für Berater, Reisen, Gutachten etc.), einen Betrag ergeben, der im Zusammenhang mit einer M&A-Transaktion wirtschaftlich relevant ist.
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Klagen wegen Aufwendungen, die durch Nicht-Zustandekommen eines Vertrages nutzlos geworden sind, sollten daher nur bei einerseits sehr frühen und andererseits
ungewöhnlich eindeutigen Äußerungen der anderen Partei und einer
sprunghaften Erhöhung eigener Aufwendungen danach, etwa wegen der Durchführung einer Due Diligence, in Betracht gezogen werden.
5)5
Der zweite Fall, in dem ernsthaft an eine Klage zu denken ist, liegt vor, wenn der Geschädigte im Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages auf den
Abschluss eines anderen Geschäfts verzichtet hat. Eine Klage aus c. i. c. auf Ersatz von Verhandlungsaufwendungen ist aber
kein probates Mittel,
um bei einer Niederlage im Markt oder Verärgerung über den Verhandlungspartner „
nachzutreten“. Da nach nicht zustande gekommenen Transaktionen, in den Verhandlungsteams relativ häufig darüber diskutiert wird, ob Ansprüche erhoben werden sollen, ist gleichwohl eine Darstellung zweckmäßig.
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Die Voraussetzung für eine Haftung bei einem Verhandlungsabbruch hängen von den
Vorstellungen ab, die man
über Motive und Abläufe bei Verhandlungsprozessen besitzt. Solche Vorstellungen beziehen sich insbesondere darauf, mit welcher mentalen Disposition Parteien in Verhandlungen eintreten, wie und wann sich eingeholte Informationen, erreichte Klärungen oder ein Entgegenkommen der Gegenpartei zu Entscheidungen einer Partei verdichten, wann ungeklärte Punkte nicht mehr so gewichtig sind, dass sie einem Abschluss redlicherweise noch entgegenstehen können und wann andererseits trotz Klärung aller in Betracht gezogenen Punkte redlicherweise wiederum doch noch nicht unbedingt mit einem Abschluss gerechnet werden kann. Hierfür ist eine
Gemengelage von
kognitivem Wissen über Verhandlungen und
normativen Einstellungen entscheidend.
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Viele gerichtliche
6) Entscheidungen stellen – zu Recht – die Aussage voran, dass die Beteiligten an Verhandlungen bis zum Abschluss des Vertrages wegen des Prinzips der Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, § 305 BGB) grundsätzlich
in ihrem Entscheidungsspielraum in keiner Weise eingeschränkt seien,
7) und zwar auch dann nicht, wenn der Verhandlungspartner in Erwartung des Vertragsabschlusses bereits Aufwendungen gemacht habe
8) und wenn der Abbrechende dies wisse.
9) In diesem Sinne besteht auch keine Verpflichtung, die Kosten eines Angebots (Projektionskosten) zu vergüten, wenn ein Anbieter den Auftrag nicht erhält.
10) Wie eine
invitatio ad offerendum noch nicht „angenommen“ werden kann, begründet sie auch i. d. R. keine Vergütungspflichten.
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Diese Aussage ist insoweit klar und eindeutig und wird von Niemandem bestritten. Damit ist indessen das Thema, wo die Grenzen des Gebrauchmachens von der Vertragsabschlussfreiheit bzw. des legitimen marktmäßigen Agierens liegen, ob es einen
Missbrauch geben kann und wo dieser beginnt, noch nicht erschöpft.
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Ein beachtenswerter, möglicherweise folgenreicher Akzent liegt z. B. schon darin, dass Gerichte formulieren, dass die Beteiligten bis zum
Abschluss des „angestrebten“ Vertrages11) frei blieben. Dies könnte als Unterstellung gemeint, verstanden oder missverstanden werden, dass – jedenfalls seriöse Verhandlungsparteien – überhaupt nur in Verhandlungen einträten, wenn sie auch einen Abschluss „anstreben“ und also „grundsätzlich“, „eigentlich“ oder „generell“ schon zum Abschluss entschlossen seien, wenn sie nur ein Angebot zu entsprechenden Konditionen erhielten. Wer noch keinen innerlichen Entschluss gefasst hat, einen Vertrag bestimmter Art mit einem Vertragspartner überhaupt zu wollen, sich hierfür einzusetzen, Hindernisse zu überwinden, zumutbare Kompromisse zu machen etc., wäre also u. U. fehl am Platze. Es liegt auf der Hand, dass eine als bestehend unterstellte „Pro-Deal-Tendenz“ zu einer schnelleren Annahme der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes
12) und zu einer Einschränkung der Möglichkeiten einer Berufung auf einen triftigen Grund für einen Rückzug führen wird.
13)10
Die Gegenansicht würde unterstreichen, dass Verhandlungen
eröffnet werden dürfen, ohne dass die Parteien schon wissen,
ob sie definitiv den Abschluss eines Rechtsgeschäfts der fraglichen Art
anstreben. Sie kann anführen, dass die besondere Pflichtenstellung nach § 311 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits mit der „Aufnahme von Vertragsverhandlungen“
14) entsteht, also unabhängig davon, ob die Partei tatsächlich den Abschluss eines Vertrages „anstrebt“.
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Junge Juristen bewerben sich oft als Richter, bei Rechtsabteilungen von Großunternehmen und bei Anwaltskanzleien, ohne zuvor zu wissen, ob sie wirklich eine Richterstelle, Anstellung in einem Großunternehmen oder eine Partnerschaft in einem Anwaltsbüro wollen. Erst recht wissen Sie nicht, ob die betreffende Kanzlei oder Stadt für sie die richtige sein wird. Bei manchen Bewerbungen wissen Sie indessen sehr genau, dass der Adressat nur zweite Wahl ist. Auch das wird sie nicht hindern, die Klärung der Beschäftigungskonditionen voranzutreiben, schon um ihren Marktwert herauszufinden, wie die Anwaltssozietäten diesen Punkt mit den Bewerbern klären werden, die sie ihrerseits nur als zweite Wahl ansehen. Die Bewerber wissen vielleicht auch nicht, ob sie nicht vor der Arbeitsaufnahme noch promovieren, eine Weltreise machen oder ein Baby bekommen möchten. Während die letzten Optionen im Allgemeinen für Verhandlungspartner von M&A-Transaktionen nicht relevant sind, sind sie in anderer Hinsicht von ihren – wesentlich komplexeren – Umwelten noch viel abhängiger. Die Märkte sind Entdeckungsverfahren
15) in dem Sinne, dass Unternehmen von ihnen laufend neue Erkenntnisse über Ökonomie, Technologie, Geldwesen, Politik etc. erlangen und also auch darüber, wie sie ihre
eigenen Ziele unter diesen Gegebenheiten erreichen können oder ob sie diese ändern sollten. Selbst unendlich zur Voraussicht fähige und entscheidungskräftige Marktakteure können sich daher
ihrer eigenen Präferenzen nur sehr kurzfristig gewiss sein. Was heute ein „Kauf“ ist, ist morgen ein „Verkauf“. Also muss die Vertragsabschlussfreiheit auch bedeuten, so könnte man argumentieren, dass man
mit dieser
allgemeinen Volatilität und Suche nach Opportunitäten „mitgehen“ darf. Diese Sichtweise würde zur Einschränkung einer Haftung führen.
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Eine zweite Frage ist, welche Umstände, gleich ob ein anfängliches „Anstreben“ eines Abschlusses unterstellt wird oder nicht, „unterwegs“ geeignet sein können, einen zwischenzeitlich gebildeten „Abschlusswillen“ – was immer das genau sei – wieder aufzugeben.
Gibt es eine Art von „Selbstbindung“? Kann erwartet werden, dass Entscheidungen nur in der geordneten Sequenz eines Entscheidungsbaums abgearbeitet werden?
16)13
Darf eine Verhandlungspartei wieder zu einer „abgehakten“,
früheren Weichenstellung, etwa einem Kriterium, Verhandlungsziel oder Kompromiss, zurückkehren und diese korrigieren – oder muss sie ihr treu bleiben? Sollte man wollen, dass Richter die Qualität und Eignung von Umschwungmotiven beurteilen?
14
In der Rechtsprechung und Literatur werden zur rechtlichen Bewältigung von Fällen der Enttäuschung über das Nichtzustandekommen von M&A-Transaktionen zwei Fallgruppen unterschieden:
– Die Existenz der ersten Fallgruppe –
„c. i. c. durch Täuschung über Abschlussbereitschaft“, z. T. auch „c. i. c. durch schuldhaftes Herbeiführen von Vertrauen“ genannt
17) – ist in der Sache unbestritten.
18) – Die Existenz der zweiten Fallgruppe –
„c. i. c. durch Verhandlungsabbruch“,
19) – wird zwar von der ständigen Rechtsprechung angenommen, aber ist zu Recht stark bestritten und zweifelhaft.
20) 15
Zum Teil wird zwischen beiden Fallgruppen danach unterschieden, ob ein „Verschulden bei Entstehen von Vertrauen“ oder eine Enttäuschung von „schuldlos verursachtem Vertrauen durch vorwerfbares Verhalten“ vorliegt.
21)16
In diesem Buch wird bei der Darstellung von der Sichtweise der Rechtsprechung und h. L. ausgegangen, wonach beide Fallgruppen nebeneinander bestehen; entsprechend werden die internen Auslegungsfragen der zweiten Fallgruppe ausführlich dargestellt. Nichtsdestoweniger ist nach Ansicht des Verfassers die
zweite Fallgruppe dreifach problematisch. Unterhalb der Schwelle einer schuldhaften Täuschung über eine...