»Man muss der Versuchung widerstehen, die Erfolgsgeschichte der Lohnarbeit als Kontinuität zu lesen.«1
II
| Einfache Dienstleistungsarbeit
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Im folgenden Kapitel steht die Frage im Vordergrund, welche Erkenntnisse über das Segment einfacher Dienstleistungsarbeit die Soziologie in der Bundesrepublik bisher zusammengetragen hat. Dazu muss zuallererst verdeutlicht werden, was mit dem Begriff der Dienstleistung innerhalb der soziologischen Debattenlandschaft eigentlich benannt wird. Im Zeichen einer veränderten Arbeitswelt wird der Begriff unterschiedlich gedeutet. Die inhaltliche Markierung des Dienstleistungsbegriffs ist daher ein notwendiges Element der Sachklärung.
Visionen und Konzepte
Spätestens Mitte der 1970er Jahre zeigt sich ein steigendes wissenschaftliches und öffentliches Interesse für die Frage nach der Rolle von Dienstleistungsarbeit in modernen Arbeitsgesellschaften2. Zu dieser Zeit beginnt sich ein Wandel abzuzeichnen, weg von einer Strukturdominanz industrieller Produktion, hin zu maßgeblich durch Dienstleistungstätigkeiten bestimmten Arbeitswelten. Heute arbeiten fast drei Viertel, nämlich 73,5 Prozent, der Erwerbstätigen im tertiären Sektor.3
Optimistische Prognosen
Schon weit früher, nämlich 1949, hatte der französische Ökonom Jean Fourastié diese Strukturveränderungen in modernen Gesellschaften vorausgesagt.4 Fourastié prognostiziert in Anschluss an die Drei-Sektoren-Theorie Colin Clarks’5 den Aufstieg des Dienstleistungssektors zum dominierenden Arbeitsmarktsegment moderner Gesellschaften. Eine durch technischen Fortschritt immer stärker rationalisierte Produktion setze demnach zunehmend Arbeitskräfte frei. Gleichzeitig erwartet Fourastié eine quantitative Expansion von Dienstleistungsarbeit, die mit deren materialem Charakter zusammenhängt. Den Kerngedanken bildet dabei das Uno-Actu-Prinzip, also die Definition des Dienstleistungsprozesses als Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsumtion. Ein häufig bemühtes Beispiel hierfür betrifft etwa den Friseurbesuch, bei dem die Konsumtion der Leistung (des Haarschnitts) zeitgleich mit dessen Produktion durch den oder die Dienstleistende (das Schneiden der Haare) stattfindet. Die Dienstleistungsbeziehung stellt damit besondere Forderungen an die Beteiligten des Handlungszusammenhangs, verlangt sie doch eine gewisse Kooperation und Koproduktivität zwischen Leistungserbringer und Konsumenten. Aus diesem Umstand ergibt sich eine geringe Chance zur Produktivitätssteigerung6 in Dienstleistungsarbeit, weil eben der Arbeitsprozess weder in größeren Maße arbeitsteilig zerlegt noch maschinisiert werden kann. Zusätzlich zu diesem interaktiven Aspekt ergibt sich aus der Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsumtion außerdem, dass eine Dienstleistung weder gelagert noch transportiert werden kann. Sie muss vor Ort erbracht werden, was Rationalisierungschancen durch Zergliederung der Produktion nochmals einschränkt. So kann Dienstleistungsarbeit als rationalisierungsresistent7 gekennzeichnet werden.
Fourastié stellt seiner Beschreibung dieser Rationalisierungsresistenz außerdem eine kulturelle Dimension zur Seite, indem er nach der Rolle des Konsumenten fragt. Denn aus der in weiten Bereichen komplexen, geistigen Arbeit der Dienstleistungsgesellschaft ergibt sich nach Fourastié ein unstillbarer »Hunger nach Tertiärem«8 aufseiten der Konsumenten, der das Wachstum des Dienstleitungssektors trägt. Die Gesellschaft entwickelt sich sukzessive auf eine Dominanz des tertiären Sektors zu, die von veränderten Konsummustern getragen ist. Schon der Titel von Fourastiés Buch verdeutlicht dabei, dass der Autor diese Entwicklung für durchaus begrüßenswert hielt. Gerade der nicht-progressive Charakter von Dienstleistungsarbeit, also deren Rationalisierungsresistenz, verbürgt für Fourastié die Hoffnung auf eine heilsame wirtschaftliche Stagnation, die den nervösen Wachstums- und Überproduktionskrisen des Kapitalismus ein Ende macht. Andere Prognostiker haben sich der Emphase dieser Vision angeschlossen. Daniel Bell etwa sah in der Vergeistigung dienstleistender Tätigkeiten bereits das Ende einer klassenförmigen Gesellschaftsformation heraufziehen, da Wissen als strukturierendes Prinzip an die Stelle von Eigentum trete.9 Gartner/Riessman dagegen schlossen an die aufgewertete Rolle des Kunden in der Dienstleistungsbeziehung an und sahen eine Art Konsumentendemokratie am Horizont der gesellschaftlichen Entwicklung aufblitzen.10
Gemeinsam ist all diesen Arbeiten eine grundsätzlich positive Vision der sozialen Potenziale der Tertiarisierung, die sich nicht zuletzt aus der kategorialen Gegenüberstellung von Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ergibt. Abstumpfung und Entfremdung werden auf der Seite der Arbeitenden von Vergeistigung und interaktiver Kooperation abgelöst. Betriebliche Rationalisierung und die systemischen Krisen des Kapitalismus verschwinden zugunsten von interaktiver Zusammenarbeit und langfristiger Stabilität. Die positive Konnotation dieser Entwicklung wird zu einem großen Teil aus der Bestimmung des materialen Charakters von Dienstleistungsarbeit gewonnen, die sich, mit Daniel Bell gesprochen, im Kern als »Spiel zwischen Personen«11 zeigt. Im seinerzeit prognostizierten Wandel der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft wurde der rein in der Interaktion ausgeführten Dienstleistungsarbeit ein utopisches Potenzial zugewiesen, das die Befreiung von ökonomischen Krisen und herrschaftsförmiger Abhängigkeit von den Produktionsmittelbesitzern versprach.
Gewährleistung als Aufgabe
In der alten Bundesrepublik haben Anfang der 1980er Jahre unter anderem Johannes Berger und Claus Offe die Debatte um das Entstehen der Dienstleistungsgesellschaft aufgenommen.12 Sie unterscheiden zwei Ansätze der Herangehensweise an eine Definition von Dienstleistungsarbeit. Zum einen fungiere diese im Kern als eine »Residualkategorie«13 für all jene Tätigkeiten, die im primären (Landwirtschaft) und sekundären (Industrie) Sektor nicht unterzubringen seien. Dienstleistungsarbeit werde als eine lediglich negativ definierte Restkategorie verstanden. Dagegen setze der zweite Strang am »technisch-stofflichen Charakter«14 von Dienstleistungen an, versuche diese also aus ihrer abstrakten Gemeinsamkeit, etwa der Unmöglichkeit der Übertragung von Leistungen in Raum und Zeit, oder ihrer geringen Potenziale für Produktivitätssteigerungen15 zu erklären.16
Dagegen wollen Berger/Offe den Dienstleistungssektor weder als reine Residualkategorie noch weitgehend eigenständig, sondern in seiner relationalen Beziehung zu Fragen gesellschaftlicher Reproduktion bestimmen. Ihnen folgend dient die kategoriale Unterscheidung zwischen Produktions- und Dienstleistungsarbeit dann vor allem einem Verständnis von letzterer als Phänomen der Optimierung gesellschaftlicher Reproduktion. Dienstleistungstätigkeiten haben unter dieser Perspektive vor allem die Funktion, in vielerlei Hinsicht zur Verbesserung der Produktivität innerhalb eines wirtschaftlichen Zusammenhangs beizutragen. Der Dienstleistungssektor bezeichnet dann »die Gesamtheit jener Funktionen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess […], die auf die Reproduktion der Formalstrukturen, Verkehrsformen und kulturellen Rahmenbedingungen gerichtet sind, unter denen die materielle Reproduktion der Gesellschaft stattfindet.«17 In anderen Worten: Kinder müssen betreut, Menschen transportiert und Haare akkurat geschnitten werden, damit der gesellschaftliche Reproduktionsprozess gewährleistet bleibt. Dienstleistungen mögen selbst wenig progressiv sein, doch werden sie unter dieser Perspektive zum Rationalisierungsinstrument für progressive Bereiche gesellschaftlicher Produktion. Planende, prozessstrukturierende Dienstleistungen, etwa von Ingenieuren, dienen der Rationalisierung industrieller Tätigkeiten. Außerfamiliale Kinderbetreuung ermöglicht die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen und Männern, die sonst von familiären Pflichten absorbiert wären. Kurz gesagt: Dienstleistungsarbeit ist Gewährleistungsarbeit, insofern sie den reibungslosen Ablauf gesellschaftlicher Reproduktion garantiert und optimiert. Diese Globaldefinition hat einiges für sich, lässt sich doch unter dem Paradigma der Gewährleistung auch der konkrete Arbeitsprozess denken. Eine Pflegekraft etwa gewährleistet den reibungslosen Ablauf des Alltags des Patienten. Ebenso gewährleistet die Arbeit einer Reinigungskraft den reibungslosen Ablauf von Büroarbeit, die ihrerseits möglicherweise Arbeiten im Produktionsbereich koordiniert.
Interaktivität als Profil?
Dennoch ist die Definition von Dienstleistungen als Gewährleistungsarbeit weniger präzise bezüglich ihres materialen Profils als ihrer Bestimmungen in den Arbeiten von...