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E-Book

Märcheninterpretation zu "Grimm's Bärenhäuter"

AutorAlice Dassel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783743156999
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Das Märchen 'Der Bärenhäuter' (Grimm) ist deshalb so aktuell, weil es eine Reihe von Problemen enthält, die uns heutzutage beschäftigen. Der Soldat im Märchen war gut genug, im Krieg gegen die Feinde die Heimat zu verteidigen, aber danach ist er arbeitslos und überflüssig. Seine Brüder schieben ihn ab. Ohne jedes soziale Netz muss er zusehen, wie er überhaupt überleben kann. Da errettet ihn nur der Pakt mit dem Teufel aus höchster Not. Aber im Märchen - wie in der Realität - birgt dieser Vertrag neue Gefahren. Geld hat er daraufhin zwar in unbegrenzter Menge, aber sozial ist er ausgegrenzt. Als 'Bärenmensch' lebt er ständig in Gefahr, seine Seele zu verlieren. Er hilft den Armen, wo er nur kann. Dank seiner Selbstdisziplin und seines Durchhaltevermögens macht er eine entscheidende Entwicklung durch und gelangt zu seinem eigenen Wesen. Schließlich findet er auch noch die Frau fürs Leben.Die verständliche Sprache und der klare Aufbau machen das Buch einer breiten Leserschaft zugänglich und es regt zum Nachdenken an. Alice Dassel, geb. 1942 in Berlin, Abitur in Flensburg, Studium der Germanistik und Geographie in Kiel und Freiburg. Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Gymnasien in Hamburg, Krefeld und Hannover.

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Leseprobe

Der Bärenhäuter


Es war einmal ein junger Kerl, der ließ sich als Soldat anwerben,

hielt sich tapfer und war immer der vorderste, wenn es blaue

Bohnen regnete. Solange der Krieg dauerte, ging alles gut, aber

als Friede geschlossen war, erhielt er seinen Abschied und der

Hauptmann sagte, er könnte gehen, wohin er wollte. Seine Eltern

waren tot, und er hatte keine Heimat mehr, da ging er zu seinen

Brüdern und bat, sie möchten ihm so lange Unterhalt geben, bis

der Krieg wieder anfinge. Die Brüder aber waren hartherzig und

sagten: »Was sollen wir mit dir? Wir können dich

nicht brauchen; sieh zu, wie du dich durchschlägst.« Der Soldat

hatte nichts übrig als sein Gewehr, das nahm er auf die Schulter

und wollte in die Welt gehen. Er kam auf eine große Heide, auf

der nichts zu sehen war als ein Ring von Bäumen: darunter setz-

te er sich ganz traurig nieder und sann über sein Schicksal

nach. »Ich habe kein Geld«, dachte er, »ich habe nichts gelernt

als das Kriegshandwerk, und jetzt, weil Friede geschlossen ist,

brauchen sie mich nicht mehr; ich sehe voraus, ich muß verhun-

gern.« Auf einmal hörte er ein Brausen, und wie er sich umblick-

te, stand ein unbekannter Mann vor ihm, der einen grünen

Rock trug, recht stattlich aussah, aber einen garstigen Pferdefuß

hatte. »Ich weiß schon, was dir fehlt«, sagte der Mann, »Geld

und Gut sollst du haben, soviel du mit aller Gewalt durchbringen

kannst, aber ich muß zuvor wissen, ob du dich nicht fürchtest,

damit ich mein Geld nicht umsonst ausgebe.«

»Ein Soldat und Furcht, wie paßt das zusammen?« »Wohlan«,

antwortete der Mann, »schau hinter dich.« Der Soldat kehrte sich

um und sah einen großen Bär, der brummend auf ihn zutrabte.

»Oho«, rief der Soldat, »dich will ich an der Nase kitzeln, daß dir

die Lust zum Brummen vergehen soll«, legte an und schoß den

Bär auf die Schnauze, daß er zusammenfiel und sich nicht mehr

regte. »Ich sehe wohl«, sagte der Fremde, »daß dir’s an Mut nicht

fehlt, aber es ist noch eine Bedingung dabei, die mußt du erfül-

len.« »Wenn mir’s an meiner Seligkeit nicht schadet«,

antwortete der Soldat, der wohl merkte, wen er vor sich

hatte, »sonst lass‘ ich mich auf nichts ein.« »Das wirst du selber

sehen«, antwortete der Grünrock, »du darfst in den nächsten

sieben Jahren dich nicht waschen, dir Bart und Haare nicht

kämmen, die Nägel nicht schneiden und kein Vaterunser beten.

Dann will ich dir einen Rock und Mantel geben, den mußt du in

dieser Zeit tragen. Stirbst du in diesen sieben Jahren, so bist du

mein, bleibst du aber leben, so bist du frei und bist reich dazu für

dein Lebtag.« Der Soldat dachte an die große Not, in der er sich

befand, und da er so oft in den Tod gegangen war, wollte er es

auch jetzt wagen und willigte ein. Der Teufel zog den grünen

Rock aus, reichte ihn dem Soldaten hin und sagte: »Wenn du

den Rock an deinem Leibe hast und in die Tasche greifst, so

wirst du die Hand immer voll Geld haben.« Dann zog er dem Bä-

ren die Haut ab und sagte: »Das soll dein Mantel sein und auch

dein Bett; denn darauf mußt du schlafen und darfst in kein

anderes Bett kommen. Und dieser Tracht wegen sollst du Bären-

häuter heißen.« Hierauf verschwand der Teufel.

Der Soldat zog den Rock an, griff gleich in die Tasche und fand,

daß die Sache ihre Richtigkeit hatte. Dann hing er die Bärenhaut

um und ging in die Welt, war guter Dinge und unterließ

nichts, was ihm wohl und dem Gelde wehe tat. Im ersten Jahr

ging es noch leidlich, aber in dem zweiten sah er schon aus wie

ein Ungeheuer. Das Haar bedeckte ihm fast das ganze Gesicht,

sein Bart glich einem Stück grobem Filztuch, seine Finger hatten

Krallen, und sein Gesicht war so mit Schmutz bedeckt, daß,

wenn man Kresse hinein gesät hätte, sie aufgegangen wäre. Wer

ihn sah, lief fort, weil er aber allerorten den Armen Geld gab, da-

mit sie für ihn beteten, daß er in den sieben Jahren nicht stürbe,

und weil er alles gut bezahlte, so erhielt er doch immer noch Her-

berge. Im vierten Jahr kam er in ein Wirtshaus, da

wollte ihn der Wirt nicht aufnehmen und wollte ihm nicht einmal

einen Platz im Stall anweisen, weil er fürchtete, seine Pferde

würden scheu werden. Doch als der Bärenhäuter in die Tasche

griff und eine Handvoll Dukaten herausholte, so ließ der Wirt sich

erweichen und gab ihm eine Stube im Hinterge-

bäude; doch mußte er versprechen, sich nicht sehen zu lassen,

damit sein Haus nicht in bösen Ruf käme.

Als der Bärenhäuter abends allein saß und von Herzen wünsch-

te, daß die sieben Jahre herum wären, so hörte er in einem Ne-

benzimmer ein lautes Jammern. Er hatte ein mitleidiges

Herz, öffnete die Türe und erblickte einen alten Mann, der heftig

weinte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Der

Bärenhäuter trat näher, aber der Mann sprang auf und wollte

entfliehen. Endlich, als er eine menschliche Stimme vernahm,

ließ er sich bewegen, und durch freundliches Zureden

brachte es der Bärenhäuter dahin, daß er ihm die Ursache sei-

nes Kummers offenbarte. Sein Vermögen war nach und nach

geschwunden, er und seine Töchter mußten darben, und er war

so arm, daß er den Wirt nicht einmal bezahlen konnte und ins

Gefängnis sollte gesetzt werden. »Wenn Ihr weiter keine Sorge

habt«, sagte der Bärenhäuter, »Geld habe ich genug.« Er ließ den

Wirt herbeikommen, bezahlte ihn und steckte dem Unglücklichen

noch einen Beutel voll Gold in die Tasche. Als der alte Mann sich

aus seinen Sorgen erlöst sah, wußte er nicht, womit er sich dank-

bar erweisen sollte. »Komm mit mir«, sprach er zu

ihm, »meine Töchter sind Wunder von Schönheit, wähle dir eine

davon zur Frau. Wenn sie hört, was du für mich getan hast, so

wird sie sich nicht weigern. Du siehst freilich ein wenig seltsam

aus, aber sie wird dich schon wieder in Ordnung bringen.« Dem

Bärenhäuter gefiel das wohl, und er ging mit. Als ihn die

älteste erblickte, entsetzte sie sich so gewaltig vor seinem Antlitz,

daß sie aufschrie und fortlief. Die zweite blieb zwar stehen und

betrachtete ihn von Kopf bis zu den Füßen, dann aber sprach sie:

»Wie kann ich einen Mann nehmen, der keine menschliche Gestalt

mehr hat? Da gefiel mir der rasierte Bär noch besser, der einmal

hier zu sehen war und sich für einen Menschen ausgab, der

hatte noch einen Husarenpelz an und weiße Handschuhe. Wenn

er nur häßlich wäre, so könnte ich mich an ihn gewöhnen.« Die

jüngste aber sprach: »Lieber Vater, das muß ein guter Mann

sein, der Euch aus der Not geholfen hat; habt Ihr ihm dafür

eine Braut versprochen, so muß Euer Wort gehalten werden.«

Es war schade, daß das Gesicht des Bärenhäuters von Schmutz

und Haaren bedeckt war, sonst hätte man sehen können, wie

ihm das Herz im Leibe lachte, als er diese Worte hörte. Er nahm

einen Ring von seinem Finger, brach ihn entzwei und

gab ihr die eine Hälfte, die andere behielt er für sich. In ihre Hälf-

te aber schrieb er seinen Namen, und in seine Hälfte schrieb

er ihren Namen und bat sie, ihr Stück gut aufzuheben. Hierauf

nahm er Abschied und sprach: »Ich muß noch drei Jahre wan-

dern, komm‘ ich aber nicht wieder, so bist du frei, weil

ich dann tot bin. Bitte aber Gott, daß er mir das Leben erhält.«

Die arme Braut kleidete sich ganz schwarz, und wenn sie an ih-

ren Bräutigam dachte, so kamen ihr die Tränen in die Augen.Von

ihren Schwestern ward ihr nichts als Hohn und Spott zuteil.

»Nimm dich in acht«, sprach die älteste, »wenn du ihm die Hand

reichst, so schlägt er dir mit der Tatze darauf.« »Hüte dich«, sag-

te die zweite, »die Bären lieben die Süßigkeit, und wenn du ihm

gefällst, so frißt er dich auf.« »Du mußt nur immer seinen Willen

tun«, hub die älteste wieder an, »sonst fängt er an zu brummen.«

Und die zweite fuhr fort: »Aber die Hochzeit wird

lustig sein, Bären, die tanzen gut.« Die Braut schwieg still und

ließ sich nicht irre...

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