Vorwort zur deutschen Ausgabe
Ich habe es als große Ehre und Auszeichnung empfunden, als ich hörte, dass mein Buch ins Deutsche übersetzt wird. Ich hoffe sehr, dass das Buch meinen deutschen Lesern eine neue Sicht von außen auf die gegenwärtige Finanzkrise bietet. Diese brach bekanntlich im Sommer 2007 in den Vereinigten Staaten aus und nahm nach einigen Zwischenfällen an den Märkten und nach politischen Fehlentscheidungen im Jahr 2008 wahrhaft globale Ausmaße an. Die negativen Auswirkungen machen sich überall bemerkbar und sind noch gar nicht vollständig zu überblicken. Inzwischen hat sich die Finanzkrise auf geradezu unheimliche Weise ausgebreitet. Die schädlichen Folgen für die Wirtschafts- und Finanzwelt haben Deutschland so gut wie jedes andere Land erreicht.
Da die Krise immer weiter voranschreitet, muss sich jeder Teilnehmer am internationalen Finanzsystem – angefangen beim einzelnen Investor über jedes Unternehmen bis hin zu den Regierungen und den internationalen Organisationen – völlig darüber im Klaren sein, dass sich die Welt im Würgegriff einer regelrechten Ausnahmesituation befindet: Es handelt sich um eine umfassende, globale Krise des Systems an sich und nicht nur um eine begrenzte Krise innerhalb des Systems. Deren tieferliegende Ursachen sind eine ganze Reihe von Kollisionen zwischen der Welt von gestern und der Welt von morgen, zwischen den Märkten von gestern und denjenigen der Zukunft.
Es braucht niemanden zu wundern, dass praktisch alle Indikatoren, die Produktion, Konsum, Investitionen, Handel und Finanzen betreffen, in geradezu dramatischer Weise negativ ausschlagen. Es ist kein Wunder, dass die Arbeitslosigkeit weltweit ansteigt. Und es sollte niemanden überraschen, dass die Aktien- und Wertpapiermärkte noch tückischer, volatiler und unvorhersagbarer werden. Es ist auch kein Wunder, dass sich die politisch Verantwortlichen rund um den Globus bei der Suche nach durchgreifenden und wirksamen Gegenmaßnahmen mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert sehen.
Mit Blick auf die unmittelbare Zukunft wird 2009 ein entscheidendes Jahr für die Weltwirtschaft sein. Das Wirtschaftswachstum wird arg in Mitleidenschaft gezogen, und die Gesundung des Finanzsektors und aller daran Beteiligten wird sich allenfalls allmählich und eher uneinheitlich vollziehen. Protektionistische Bestrebungen nehmen zu. Insbesondere in den USA sind die für das Finanzwesen verantwortlichen Institutionen vor die große Herausforderung gestellt, massive Maßnahmen und Einschnitte von Seiten der Regierung zu planen und zu finanzieren und, falls sie die gewünschten Resultate bringen, wieder zurückzunehmen; diese werden in jedem Fall das empfindliche Gleichgewicht zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand verändern und unausweichlich das Wachstum und die Produktivität verlangsamen.
Ohne jeden Zweifel werden sich die Investoren und die politisch Verantwortlichen überall auf der Welt in einer stark veränderten Marktlandschaft wiederfinden. Sie werden nur noch in einem stark reduzierten und verschlankten westlichen Bankensystem und entsprechenden Finanzmärkten agieren können. Es steht außer Frage, dass das soziale Gefüge der Industrieländer die private Vereinnahmung enormer Gewinne bei gleichzeitiger Sozialisierung massiver Verluste nicht zulässt.
Man sollte hier realistischerweise mit einem spürbaren, einmaligen Rückgang des nationalen wie des internationalen Kreditgeschäfts rechnen. Ferner kann man sich bereits jetzt auf ein deutliches Nachlassen der generell kreditfinanzierten Produktion einstellen, so wie sie die Welt bisher kannte. Man wird sehen, dass für bestimmte Geschäftsaktivitäten kaum mehr Darlehen zu bekommen sein werden und dass Finanzierungen auf lange Sicht teurer werden.
Aus all diesen Gründen werden zukünftig auch bei traditionellen Asset-Klassen und beim Anlageverhalten Änderungen vorgenommen. Im Anlage- und Vermögensmanagement sollte noch mehr Wert auf ein Risikomanagement gelegt werden, das den traditionellen Schwerpunkt Diversifikation als beinahe einzigen Risikovermeidungsfaktor sinnvoll ergänzt.
Von diesen Faktoren ist im Buch ausführlich die Rede. Sie werden auch die internationale Umgestaltung beschleunigen, die ein wichtiges Thema in diesem Buch ist – vor allem hinsichtlich der globalen Wachstumsanteile, der globalen Vermögensbestände und der Vermögensverteilung. Die überragende Bedeutung der USA als Wachstumsmotor für die ganze Welt wird mehr und mehr von einem multipolaren Muster verdrängt, in dem die Schwellenländer eine auch systemisch zunehmend wichtige Rolle spielen.
Wie steht es nun mit den Auswirkungen auf Deutschland? Das Land ist aufgrund seiner inneren Struktur besser aufgestellt als einige andere, um mit diesen von außen kommenden Schockwellen umzugehen und ihren in Umfang und Wirkung unausweichlichen Folgen. Aber selbst Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen, sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich, wenn es darum geht, Antworten auf die globale Krise zu finden, die tiefgreifende Auswirkungen auf den Wohlstand jetziger und künftiger Generationen haben werden. Einfach ausgedrückt liegt vor Deutschland und im Weiteren auch vor Europa ein ausgesprochen schwieriger Weg hin zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung.
Meiner Ansicht nach können deutsche Investoren, Firmen und die Regierung nur dann mit dieser Herausforderung zurechtkommen, wenn sie ein Verständnis dreier grundsätzlicher Elemente entwickeln: Erstens der Antriebskräfte dieser globalen Krise und der Veränderungen, die von ihnen ausgehen; zweitens, der Art und Weise wie die Verwerfungen auf die einzelnen Märkte und Länder übertragen werden; und drittens, dass es notwendig ist, Antworten zu finden, die sensibel auf diese Schwierigkeiten als auch auf die Anforderungen einer neuen Weltwirtschaftsordnung reagieren.
Ich hoffe sehr, dass die Untersuchungen hier meinen Lesern das Verständnis jedes dieser drei Elemente näherbringen. Dabei hoffe ich, Investoren nützliche Hinweise auf die neuen Zusammenhänge von Risiken und Chancen geben zu können; ich möchte auch allen Entscheidungsträgern und ihrem Umfeld entsprechende Hinweise geben.
Obwohl die Niederschrift dieses Buches im Dezember 2007 im Wesentlichen abgeschlossen war, bleiben die darin enthaltenen Analysen und Voraussagen auch unter den inzwischen herrschenden Umständen relevant. In den Erörterungen ist viel von dem vorweggenommen, was sich im Lauf des Jahres 2008 und Anfang 2009 ereignet hat. In den folgenden Kapiteln finden Sie
– eine Darstellung des globalen Finanzsystems, das sich einfach zu viele Aktivitäten aufgeladen hat, die von den bestehenden Infrastrukturen der privaten wie der öffentlichen Institutionen nicht mehr ausreichend unterstützt und verarbeitet werden konnten. Das Ergebnis war jenes ausgesprochen instabile System, welches für Marktverwerfungen und politische Fehlentscheidungen so überaus anfällig wurde;
– eine eingehende Analyse der traditionellen Ressourcen, Institutionen und Methoden, die einfach versagt haben; eingebaute Sicherungsmechanismen wurden weitgehend unterlaufen und dieses Versagen zog massive Einbrüche im Risikomanagement auf jeder Ebene des weltweiten Finanzsystems nach sich
– und schließlich ein Grundriss für das, was notwendig ist, um das weiterhin unstabile globale Finanzsystem wieder zu festigen.
Um Ihnen, dem Leser, nützlich zu sein, verfolgt das Buch aber noch weitergehende Ambitionen. Es wird eine belastbare Checkliste vorgelegt, anhand derer nicht nur die richtigen Antworten für die Bewältigung der aktuellen Krise gefunden werden können, sondern auch eine adäquate Aufstellung im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Dabei wird die Bedeutung einer flexiblen Neuausrichtung von Maßnahmen und Eingriffsmöglichkeiten sowohl im Bereich der Privatwirtschaft wie auf Seiten der staatlichen Institutionen besonders hervorgehoben. Im Prinzip handelt es sich um eine klare und einfache Botschaft: Auch wenn es in erster Linie darum geht, die globale Finanzkrise zu managen – eine wichtige und dringende Aufgabe – muss man dabei rechtzeitig auch auf die sich abzeichnende neue Grundkonstellation der Weltwirtschaftsordnung achten – eine vordergründig weniger dringende, aber genauso wichtige Aufgabe.
Zugegebenermaßen ist dies keine leichte Aufgabe. Sie erledigt sich bestimmt nicht von selbst; und sie ist mit Risiken verbunden. Einige von Ihnen werden sich von liebgewordenen Gewohnheiten verabschieden müssen. Es werden schwierige Entscheidungen in einem offenbar zunehmend unsicherer werdenden Umfeld zu treffen sein. Aus diesem Grund werden viele dazu neigen, die Neuausrichtung auf eine neue Weltwirtschaftsordnung hintanzustellen. Dem muss aus einem einfachen, aber sehr gewichtigen Grund entgegengetreten werden: In der sich verändernden Welt, in der wir leben, werden das Risiko und der Preis bei Untätigkeit sehr, sehr hoch sein.
Ich danke nochmals für die Zeit, die Sie sich nehmen, dieses Buch zu lesen. Und zögern Sie bitte nicht, mir Ihre Gedanken dazu mitzuteilen: mail-erian@pimco.com
Newport Beach,...