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E-Book

Magische Momente der Veränderung

Was Focusing bewirken kann. Eine Einführung

AutorKlaus Renn
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641188573
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Focusing bezeichnet den Prozess, durch Beobachtung und Erspüren von körperlichen Empfindungen persönlichen Problemen auf den Grund zu gehen und zu verarbeiten. Basierend auf jahrelanger Praxiserfahrung erklärt Klaus Renn, der bekannteste Focusing-Therapeut im deutschsprachigen Raum, die Grundlagen dieses psychotherapeutischen Verfahrens. Er führt in die Umsetzung in der therapeutischen und beratenden Anwendung ein, veranschaulicht dies durch zahlreiche Fallbeispiele und macht sie durch Übungen und konkrete Interventionsvorschläge nachvollzieh- und anwendbar. Ein hilfreiches Buch für alle, die Focusing in ihrer Arbeit anwenden wollen.

Klaus Renn, approbierter Psychotherapeut, Seminarleiter, Lehrtherapeut (DAF), Coach und Supervisor (PTK), verfügt über langjährige Erfahrungen in Achtsamkeitsarbeit. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eugene Gendlin und Dr. Johannes Wiltschko entwickelte er das Focusing weiter zur psychotherapeutischen Schule, der Focusing-Therapie. Er leitet das DAF (Deutsches Ausbildungsinstitut für Focusing und Focusing-Therapie) in Würzburg und die Internationale Focusing Sommerschule.

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Leseprobe

2    Der Focusing-Kernprozess: FreiRaum, Innere Achtsamkeit, Felt Sense

In diesem Kapitel werde ich Focusing sozusagen »pur« darstellen. An Beispielen aus der Psychotherapie und auch aus der partnerschaftlich-kollegialen Praxis können Sie die wesentlichen Aspekte des Focusingprozesses kennenlernen. Mithilfe Ihrer eigenen Experimente und Erfahrungen werden Sie spüren, welche Haltungen und konkreten Interventionen des Focusings Sie in Ihre professionelle Arbeit integrieren wollen. Sie sind eingeladen, einiges auszuprobieren. »Partnerschaftliches Focusing« (vgl. Kapitel 4) gibt Ihnen die Möglichkeit, die verschiedenen Aspekte von Focusing mit jemanden, der Focusing ebenfalls kennt, zu üben, zu vertiefen und vermutlich erst in dieser praktischen Ausübung zu »begreifen«.

Grundschritt: FreiRaum schaffen

Natürlich ist klar, dass unser Klient eine Menge über sein Problem oder Thema weiß, und es wäre naheliegend, ausführlich darüber zu sprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Eine andere Vorgehensweise kann darin bestehen, sich mit dem Problem als Ganzem im Focusingprozess in Beziehung zu setzen. Um im Bewusstsein der Inneren Achtsamkeit an einem Problem oder Thema arbeiten zu können, braucht es den Zugang zum sogenannten »Inneren Erlebensraum«. Das ist der Raum, in dem wir Gefühle fühlen, Bilder sehen, Körpergefühle und Empfindungen spüren und innere Stimmen hören. Ein innerer Raum, in dem das Problem als Ganzes wahrnehmbar wird. »FreiRaum schaffen« meint, innere und äußere Aktionen zu vollziehen, die eine spezielle Beziehung zu sich selbst und dem Thema ermöglichen. Gene Gendlin beschreibt diesen Prozessschritt als Erfahrung, den Körper unbeschwert von Problemen zu erleben. Dem Problem stellen wir den Körper mit all seiner Kreativität, seiner Kraft und seinem Wissen gegenüber (das Gehirn gehört mit zum Körper). Hier das Problem und dort der Körper mit seiner ganz eigenen Intelligenz und Lösungsorientierung. In der Focusing-Therapie arbeiten wir immer im FreiRaum, mit beweglicher Achtsamkeit und einem wachen, ansprechbar fragenden Bewusstsein.

FRAGEN, UM THEMEN/PROBLEME KOMMEN ZU LASSEN

Fragen von großer Allgemeinheit lassen es zu, dass alles zum Ausgangspunkt eines Focusingprozesses werden kann, also nicht nur ein Problem oder ein Thema, sondern auch ein unbestimmtes, unklares Gefühl, ein Felt Sense, eine Stimmung:

 Was ist jetzt da?

 Was möchte jetzt einen Platz bei dir haben?

 Was verlangt jetzt nach deiner Aufmerksamkeit?

 Was beschäftigt dich im Moment?

 Wie steht es mit deinem Leben?

 Was ist im Moment das Wichtigste?

 Was hindert dich im Moment daran, vollkommen glücklich zu sein?

 Wie fühlst du dich jetzt?

 Frag dich einfach: Kann ich mich ganz wohlfühlen? Und wenn nicht: Was steht zwischen mir und dem Wohlfühlen?

 Kannst du sagen: Ja, abgesehen von alldem, fühle ich mich gut (wohl)?

 Kannst du sagen: Von … abgesehen, fühle ich mich völlig glücklich und zufrieden mit meinem Leben?

 Du kannst dir die paradoxe Behauptung nach innen geben: ›Ich bin mit mir und meinem Leben vollkommen zufrieden und glücklich!‹ – Warte, was als Nein, was als Thema auftaucht, und gib jedem Nein einen guten Platz.

Bei unserer Focusing-Sommerschule hat Gene Gendlin es wie folgt ausgedrückt: »Man kann ein Problem fühlen, ohne gleich hineinzugehen, aber auch ohne zu flüchten. Von dieser Position aus eröffnen sich Optionen, die es ansonsten so nicht gegeben hätte. Es ist sehr hilfreich, dem Klienten den Nutzen dieser Position rechtzeitig plausibel zu machen. In dem Moment, wo der Klient zuerst die Schwere des anstehenden Problems abschätzt, gewinnt er Souveränität und vermeidet es, sich zu überfordern.«

Versuchen Sie einmal selbst, diese FreiRaum-Position einzunehmen: getrennt vom Problem, aber nicht dissoziiert – beziehungsweise assoziiert, aber nicht identifiziert. Ihre Ausgangsposition können Sie dabei wie folgt formulieren:

»Ich bin hier an diesem Ort. Dort, an dem anderen Ort in meiner Nähe, ist das Problem. Ich weiß davon, aber ich möchte jetzt nicht in das Problemfeld hineingehen, weil mich das im Augenblick gefährden würde. Ich werde vielleicht mal darüber nachdenken, ob ich versuchen sollte, das Problem direkt anzutasten. Jetzt werde ich es auf keinen Fall tun … vielleicht schon in einer Minute oder in einer halben Stunde … oder in zwei Wochen … oder gar nicht. Das Problem ist dort, in der Distanz zu mir, gut aufgehoben, ich werde es nicht vergessen«.5

»Die Problemlösung wird in diesem Beispiel auf einen späteren Termin verschoben, zu dem sie leichter fällt. Auf diese Weise entsteht ein Raum der Freiheit = FreiRaum = Raum der Sicherheit. Auf den ersten Blick scheint das Einnehmen dieser Position nur ein technischer Kniff, nur ein Notbehelf zu sein. In Wahrheit ist dies eine für den Klienten sehr wichtige Arbeit, ein bedeutender Schritt im therapeutischen Prozess. Der Klient macht die Erfahrung, dass sein Körper eine Position der Sicherheit einnehmen kann, auf der er ungefährdet verweilen darf, wo er frei atmet. Das ermöglicht ihm, Kraft zu sammeln für die nächsten Prozessschritte.«6

Gelingt dies, so wird der nachfolgende Veränderungsprozess als relativ leicht erlebt, auch wenn sich tiefe und traumatische Erfahrungen öffnen. FreiRaum, der wohlwollende Zugang zum Inneren Erlebensraum, ist für den Therapeuten wie auch den Klienten von gleicher Bedeutung. Verliert der Therapeut seinen FreiRaum, so verliert er seine Präsenz, die Verbindung zu sich und zum Klienten. Techniken des FreiRaum-Schaffens unterstützen den Therapeuten immer wieder in seinem Da-Sein, dabei, in die Situation mit dem Klienten zu finden.

Das Gegenteil von FreiRaum

Das Gegenteil von FreiRaum ist die Erfahrung, ganz identifiziert zu sein. Voll von einem Gefühl, einem Ärger oder mit einem Thema, kreisen die Gedanken und werden zum Gedankenkarussell. Eine sich dauernd wiederholende Platte: nichts Neues, immer wieder die gleichen Gedanken, die gleichen untauglichen Lösungen. Immer wieder das gleiche Gefühl, in einer komischen Laune oder unangenehmen Stimmung gefangen zu sein. Vielleicht auch die permanente Angst, von einem sehr bekannten Gefühl überflutet zu werden. Kein Ausweg. Keine Abhilfe. Das Gegenteil von FreiRaum ist die ohnmächtige Erfahrung, ein »objektives« Problem ohne Ausweg zu haben. Es ist schlimm, und es bleibt schlimm, und es wird immer schlimm bleiben. Diese Erfahrung, in einem Problem oder Thema zu sitzen und nicht wirklich herausschauen zu können, kennen wir wohl alle.

TRANSKRIPT EINER SITZUNG MIT GENE GENDLIN ZUM FREIRAUM

Klient (K.): Mir ist jetzt schwindlig.

Therapeut (T.).: Ja:, geh einen kleinen Schritt zurück – jetzt – oder zwei. Und mach jetzt eine Pause, dass du Ruhe hast. Es wird nicht verloren gehen. Es ist da, aber du brauchst es dir jetzt nicht direkt anzuschauen, sondern gib dir ein bisschen Ruhe. Und die Tränen sind willkommen. Aber mach dir einen schönen Ruheplatz, ein bisschen weiter, ja, so, genau, dann kannst du noch ein bisschen weiter, oder ist es gerade richtig? Und warte dort, bis du gut atmen kannst, und arbeite jetzt nicht, geh noch ein bisschen weiter zurück, bis du sagen kannst: Ja. Es kann warten, es kann alles warten. Es kann alles warten, bis es dir wieder gut geht.

K.: Aah.

T.: Von dort aus kannst du sein.

K.: Jaaa.

T.: Nicht wieder davonlaufen, sondern nur ein bisschen Abstand.

K.: Ja, so.

T.: Nicht weglaufen.

K.: Ja, so fühlt sich’s gut an.

T.: Du bist nicht weggelaufen, aber du hast auch nicht hineinforciert und bist nicht schwindlig geworden, sondern du hast dir einen Ruheplatz gefunden, ein bisschen dazwischen.

K.: Ja.

T.: Ja, und das kann man immer, wenn man’s einmal weiß.

K.: Ja, jetzt ist mir auch nicht mehr schwindlig.

T.: Ja, und doch ist es alles noch da, und es kann warten, es kann drei Monate dauern, bis du da wieder hineinschauen willst, oder drei Minuten oder wie du willst, aber du bist dann okay.

K.: Mhm.

T.: Ja, so ist es.

K.: Ja, jetzt bin ich einmal da, jetzt will ich auch reinschauen.

T.: Natürlich! Sonst wärst du nicht zu so einem Workshop gekommen.7

Was FreiRaum bedeutet

Freiraum bedeutet, zu sich selbst eine innere Beziehung durch Dis-Identifikation zu finden. Das erlebende »Ich« von beispielsweise »Ich bin traurig« wird dann zum »Ich bin und ich erlebe etwas Trauriges« (vgl. auch Partialisieren, Kapitel 4). Das erlebende Ich hat dabei Abstand zum Erlebensinhalt. Die FreiRaum-Erfahrung wird häufig formuliert als: »Nicht ich bin das Problem (identifiziert), sondern ich bin und ich habe das Problem (disidentifiziert)«, oder »Ich bin mehr als das Problem«, oder »Ich habe Ferien vom Problem genommen«. Ein beobachtendes Ich, auch »Innerer Beobachter« oder »Innerer Zeuge« genannt, konstituiert sich. Da ist nicht nur das Problem, sondern da bin auch »Ich«, der dieses Problem wahrnimmt. Das »Ich« beobachtet, nimmt wahr, ist Zeuge der inneren Wahrnehmungsereignisse....

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