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Make them go!

Was wir vom Coaching der Spitzensportler lernen können

AutorHans-Dieter Hermann, Jan Mayer
VerlagMurmann Publishers
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl198 Seiten
ISBN9783867743921
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Zwei der renommiertesten Sportpsychologen zeigen Wege von der individuellen zur Team-Höchstleistung. Durch ihre langjährige Erfahrung in über 30 Nationalmannschaften, unter anderem in der Fußballnationalmannschaft, beschreiben die beiden Sportpsychologen, wie man andere stark macht. Ihr Buch bietet außergewöhnliche Einblicke in die Welt des Spitzensports und überträgt dieses Wissen in die Welt der Wirtschaft und des Managements. So können alle vom Coaching der Spitzensportler lernen. Beide sind viel gefragte Referenten und Coaches bei international tätigen Unternehmen, unterrichten als Professoren an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken und sind Gastprofessoren am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes.

Hans-Dieter Hermann ist Sportpsychologe, u. a. der deutschen Fußballnationalmannschaft, sowie mehrfacher ZDF-Experte bei Olympischen Spielen. Jan Mayer ist Sportpsychologe, koordiniert für den Deutschen Olympischen Sportbund die sportpsychologische Betreuung in den Spitzenverbänden und betreut selbst mehrere Profiteams.

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Leseprobe
  1. 3ROLLE DER TRAINER IM SPITZENSPORT

Im Hochleistungssport gibt es drei Besonderheiten der Trainerrolle:31

  1. 1.Die Erfolgsorientierung,
  2. 2.die Öffentlichkeit des Rollenhandelns,
  3. 3.die Fristigkeit des Rollenhandelns.

Hinzu kommt die Abhängigkeit von anderen – die Herausforderung, Kontrolle abzugeben.

ERFOLGSORIENTIERUNG

Im Gegensatz zum Bereich der Wirtschaft, in dem oft nicht klar definiert ist, an welchen Kriterien erfolgreiches Führen festzumachen ist,32 gibt es im Spitzensport ein einziges Kriterium, das zählt, nämlich den Erfolg, der sich in Siegen, Punkten, Platzierungen und Tabellenständen widerspiegelt. Das hat zur Folge, dass die im Spitzensport exponierten Erfolgstrainer das Image der Berufsgruppe bestimmen. Besondere berufliche Qualifikation, außergewöhnliches Wissen oder pädagogisch-psychologische Fähigkeiten zählen kaum und sind für die Beurteilung des Trainers häufig vollkommen ohne Belang. Im Gegenteil: Es ist sogar schon vorgekommen, dass bei ausbleibendem Erfolg die Qualifikation des Trainers zum Vorwurf gemacht wird. Die Aussage »Dieser Trainer ist zu pädagogisch!« verdeutlicht auf extreme Art und Weise das Prinzip der Erfolgsorientierung.

Nur wenige Trainer schaffen es, sich von dieser einseitigen Ausrichtung ihrer Arbeit frei zu machen. Uwe Krupp, ehemaliger Bundestrainer der deutschen Eishockeynationalmannschaft, nimmt in einem Interview die notwendige Differenzierung vor: »Es ist intern wichtig für uns, so sachlich wie möglich zu bleiben. Wenn wir verlieren, ist nicht alles schlecht. Wenn wir gewinnen, ist nicht alles gut. … Wir bewerten unsere Arbeit nicht allein daran, wie viele Spiele wir gewonnen oder verloren haben. Wir schauen insgesamt, ob uns die Arbeit gelungen ist und wir einen guten Job gemacht haben.«33

In einer Studie, die die Verweildauer von Bundesligatrainern mit der von CEOs aus Wirtschaftsunternehmen vergleicht,34 ergibt die komparative Analyse unter anderem, dass der Verbleib eines Trainers in der Bundesliga enorm abhängig ist von der messbaren Leistung seiner Mannschaft: 63 Prozent aller Trainerentlassungen erfolgen aufgrund offenkundiger Erfolglosigkeit. Zum Vergleich: Nur zehn Prozent der an der Studie beteiligten CEOs wurden entlassen, weil die Leistung des Unternehmens nicht den Erwartungen entsprach. Betrachtet man die Unterschiede in der offiziellen Begründung des Führungswechsels, wird deutlich, dass die Einschätzung der individuellen Leistung eines CEOs stärker und sein unmittelbarer Einfluss auf die Unternehmensperformance schwächer gewichtet werden als bei Trainern in der Bundesliga. Ein Fazit dieser Studie: Selbst wenn ein Trainer individuell seine Leistung erbringt, sich diese aber nicht in Punkten und Toren widerspiegelt, wird es eng um seinen Job.

Diese Festlegung auf Ergebnisse kann Trainer dazu verleiten, Dinge, die de facto außerhalb ihrer Kontrolle liegen, als durch sie kontrollierbar einzuschätzen und sich dadurch zu stark auf sich selbst und ihre Leistung zu fixieren. Man nennt diesen systematischen Fehler in der Fachterminologie Rückschaufehler.35 Der Rückschaufehler beruht auf der mangelnden Fähigkeit des menschlichen Verstandes, vergangene Wissenszustände oder Überzeugungen, die sich gewandelt haben, zu rekonstruieren. Sobald man von einer neuen Sicht der Dinge überzeugt ist, verzerrt sich die Erinnerung an das, was man glaubte, ehe man seine Einstellung änderte.36 In der Rückschau werden dann beispielsweise mit Erfolg belohnte Entscheidungen, die nahezu unausweichlich immer auch Unsicherheit und Risiko enthalten, kaum als »glücklich«, sondern meist als wissend und umsichtig bewertet.

Selten nur erlebt man es, dass Trainer nach riskanten Entscheidungen, die gut ausgegangen sind und zum Erfolg geführt haben, die Backen aufblasen und mit einem »Glück gehabt«-Seufzer sich den Schweiß von der Stirn wischen. Allerdings wird diese Neigung zum Rückschaufehler auch von manchen Trainern erkannt, und nach offensichtlich glücklichen Siegen kommt ihnen ein »Wieder alles richtig gemacht!«-Statement mit einem deutlichen ironischen Grinsen über die Lippen.37

Dem Rückschaufehler unterliegen natürlich auch diejenigen, die Trainer und ihr Handeln beurteilen. Auch sie bewerten die Qualität einer Entscheidung kaum danach, ob die Entscheidungsfindung nachvollziehbar und zum gegebenen Zeitpunkt vernünftig war, sondern fast ausschließlich nach dem erzielten Ergebnis, das – ob positiv oder negativ – als solches isoliert betrachtet wird.

Diese Art der kognitiven Täuschung ist eng verwandt mit der sogenannten Erkenntnis-Illusion (Story Bias).38 Sie besagt, dass das Erzählen von Geschichten die Wirklichkeit insofern verdreht und vereinfacht, als der erzählten Realität nachträglich Sinn verliehen und dafür alles, was nicht passt, verdrängt wird. Rückschaufehler und Erkenntnis-Illusion sind die hartnäckigsten und gefährlichsten Denkfehler. Sie führen zu der Illusion, man habe die Vergangenheit verstanden, was wiederum die Folgeillusion nährt, man könne die Zukunft vorhersagen und kontrollieren. Im Alltag empfindet der Mensch diese Illusionen als beruhigend, er hat das sichere Gefühl, die Dinge erklären zu können.

Auch bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien war eine Erkenntnis-Illusion zu beobachten: Vehement wurde in der Öffentlichkeit nach der Vorrunde eine Aufstellungsänderung gefordert (Kapitän Philipp Lahm sollte in der Abwehr außen und nicht im Mittelfeld spielen). Mit der letztlich in der K.-o.-Runde geänderten Aufstellung – die jedoch taktische Gründe hatte (Bundestrainer Joachim Löw hatte sich keinesfalls dem medialen Druck gebeugt) – wurde das Bedürfnis der Öffentlichkeit gestillt, die Vergangenheit verstanden und richtig analysiert zu haben.

Diese Denkfehler können zu einer gewissen Selbstüberschätzung führen und dazu verleiten, falsche Entscheidungen zu treffen.

Häufig passiert es auch, dass sich Beurteiler von einer Eigenschaft, einem Aspekt einer Person blenden lassen und – ohne dafür eine Grundlage zu haben – deren gesamte Persönlichkeit danach beurteilen. Dieses Phänomen wird als Halo-Effekt bezeichnet. Wenn zum Beispiel der Trainer einer Mannschaft in der Zeit der sportlichen Erfolge als flexibel, methodisch einwandfrei und entscheidungsfreudig gelobt wird, entbehrt diese pauschale Beurteilung genauso jeglicher stichhaltigen Grundlage wie die Abqualifizierung desselben Trainers als orientierungslos, starr und autoritär – oder auch als zu pädagogisch – vom Zeitpunkt des anhaltenden Misserfolgs seines Teams an.

  • Experiment: Halo-Effekt39

Der Halo-Effekt wurde besonders von dem auf Verhaltensstudien und die Untersuchung von Lernvorgängen spezialisierten amerikanischen Psychologen Edward Lee Thorndike wissenschaftlich untersucht. So ging er beispielsweise zur Zeit des Ersten Weltkriegs der Frage nach, wie Vorgesetzte ihre Untergebenen beurteilen. Dafür bat er Offiziere, ihre Soldaten nach bestimmten Kriterien zu bewerten: Intelligenz, Kondition, Führungsqualitäten, Charakter etc. Während einige wenige »Star-Soldaten« in fast allen Kriterien hervorragende Noten erhielten, blieben andere in so gut wie allen Kriterien unter dem Durchschnitt.

Die völlig gegensätzlichen Beschreibungen zu ein und derselben Person erhalten nur durch das Kriterium des Erfolgs als einzigem Beurteilungsmaßstab etwas wie Plausibilität. Dieses Sich-blenden-Lassen tritt besonders dann auf, wenn sich die zu beurteilende Person durch besondere, markante Eigenschaften oder Verhaltensweisen auszeichnet beziehungsweise der Beurteiler speziell auf ein bestimmtes Merkmal (zum Beispiel erfolgreich sein) Wert legt und entsprechend überbewertet.

Der Halo-Effekt bewirkt also, dass kausale Beziehungen einfach verdreht werden, in diesem Fall das Scheitern von Teams angeblich unflexiblen Trainern angelastet wird, während es in Wahrheit so ist, dass der Trainer lediglich unflexibel erscheint, weil die Mannschaft schlecht spielt.

Rückschaufehler, Erkenntnis-Illusion und Halo-Effekt können unverantwortliche Hardliner, die sogenannten Trainer der »alten Schule«, sogar unverdiente Belohnungen bringen. Wenn ein Trainer mit brachialen und tendenziell menschenverachtenden Methoden eine Mannschaft trainiert und diese vor dem Abstieg rettet, wird die Methode nicht hinterfragt, von einer Kritik an fragwürdigen Mitteln ganz zu schweigen.

Erfolg im Spitzensport, zumal der kurzfristige Erfolg, ist also in keiner Weise kausal mit adäquatem Führungsverhalten in Verbindung zu bringen. Denn ein wirklich erfolgreicher Trainer zeichnet sich dadurch aus, dass er ein Team zu kontinuierlichem Erfolg führen kann. Das heißt, die eigentliche Herausforderung im Spitzensport ist es, nicht nur einmal maximal erfolgreich zu sein, sondern kontinuierlich, jede Saison erneut, den maximalen Erfolg anzustreben.

Gerade der Spitzensport bietet jedoch immer wieder Beispiele von erfolgreichen Teams und ihren Trainern, die mit Erfolgserlebnissen scheinbar nicht umgehen können.

Anscheinend passiert im Erfolgsfall manchmal etwas mit Teams und Trainern, durch das dauerhaft erfolgreiches Agieren torpediert wird. »Erfolg verändert den Menschen nicht, er entlarvt ihn« – so lautet ein bekanntes Zitat von Max Frisch. Durch Rückschaufehler, Erkenntnis-Illusion und Halo-Effekt wird...

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