Ursula Lehr, Annegret Kramp-Karrenbauer und Kristina Schröder
Ein Gespräch zur Einführung
Es war ein Austausch unter Fachfrauen. Mit der Wissenschaftlerin und ehemaligen Bundesministerin Prof. Dr. Ursula Lehr (82) tauschten sich in Berlin die beiden Herausgeberinnen, Annegret Kramp-Karrenbauer (50), Ministerpräsidentin des Saarlandes, und Dr. Kristina Schröder (35), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, darüber aus, was es für sie politisch bedeutet, dass im Laufe eines Lebens Frauen zu Hauptverdienern in der Familie werden können. Entstanden ist ein Gesprächsprotokoll, das aus dem Blickwinkel dreier verschiedener Frauengenerationen dem nur scheinbar neuen Phänomen der »Familienernährerin« nachspürt.
Ursula Lehr: Ein Buch, dass sich dem Thema Familienernährerin widmet, ist ein tolles Zeichen dafür, dass wir in Deutschland bei der Gleichberechtigung recht gut vorangeschritten sind – auch wenn natürlich noch einiges zu tun ist. Aber wir sind schon weit gekommen, wenn man in die jüngere Geschichte zurückschaut.
Um 1900 gab es eine Publikation mit dem Titel »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« von Paul Julius Möbius. Er versuchte damals die anatomisch-physiologischen Grundlagen für die Minderbegabung der Frauen darzulegen, weil sie »kleinere Gehirne oder unterentwickelte Denkorgane« hätten sowie einen »Mangel an Urteilsfähigkeit oder Unselbstständigkeit gegen alles Neue« besäßen. Möbius schrieb weiter über die Frauen: »Was jenseits der Familie ist, interessiert sie nicht. Wäre das Weib nicht körperlich und geistig schwach, so wäre es höchst gefährlich. Man solle vom Weib nichts verlangen, als dass es gesund und dumm sei.«
Bis zum 1. Juli 1958 hatte in der Bundesrepublik der Mann das letzte Entscheidungsrecht in der Ehe. Frauen mussten ihren Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie einen Beruf ergreifen wollten und der Ehemann konnte das Dienstverhältnis seiner Frau auch fristlos kündigen. Der Mann verwaltete bis dahin auch das von seiner Frau in die Ehe eingebrachte Vermögen und verfügte allein über das Geld seiner Ehefrau – auch wenn diese erwerbstätig war. Wenn man sich diese Entwicklungen klarmacht, dann hat sich bei der Gleichberechtigung wirklich viel getan.
Annegret Kramp-Karrenbauer: Dieser historische Rückblick ist aber auch ein Beleg dafür, dass das Thema Frauen als Familienernährerinnen ein neues Licht auf Lebenswirklichkeiten in Deutschland wirft. Bisher galt bewusst oder unbewusst der Mann als Hauptverdiener und die Fraunur als Zuverdienerin. Hier wollen wir mit dem Buch zwei unterschiedliche Aspekte ansprechen: die Partnerschaften, in denen die Frau sich ganz bewusst für dieses Modell entschieden hat, aber auch jene Partnerschaften, wo die Frau durch äußere Faktoren und wirtschaftliche Bedingungen dazu gezwungen ist, Familienernährerin zu werden.
Kristina Schröder: Ein weiterer Grund für dieses Buchprojekt ist die wachsende Zahl von Frauen als Familienernährerinnen in Deutschland. In jedem fünften Familienhaushalt in Deutschland ist die Frau Familienernährerin – das heißt: sie verdient mehr als 60 Prozent des Familieneinkommens; davon ist die Hälfte alleinerziehend. Für alle Formen der Familienernährerinnen gilt es, in der breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und damit ein Bewusstsein zu schaffen. Seit gut ein bis zwei Jahren ist die Lebenssituation von Familienernährerinnen bereits ein Thema in interessierten Kreisen.1
In unserem Ministerium identifizieren wir gerade die Maßnahmen, die Familienernährerinnen besonders unterstützen können. Dazu gilt es, ihr Umfeld genau zu kennen: von prekären Arbeitsverhältnissen über Minijobs, dem Thema Zeitsouveränität im Job, haushaltsnahen Dienstleistungen oder das Grundbewusstsein, dass jede Frau mit Kindern zu jeder Zeit zur Familienernährerin werden kann. Auch die damit verbundene Verantwortung ist nicht zu unterschätzen. Was ist, wenn sie mit ihrer Arbeitskraft ausfällt? Hier müssen wir dann Lösungsmöglichkeiten als nächsten Schritt parat haben.
Ursula Lehr: Wie die Reportagen und Porträts in diesem Buch zeigen, sind Frauen als Familienernährerinnen in ganz unterschiedlichen Formen tätig. Zum Beispiel die freiwilligen Familienernährerinnen, die ihren Beruf gern ausüben und bei denen der Mann seine Karriere hinten anstehen lässt und seine Frau unterstützt. Es gibt ja so ein Sprichwort: hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau …
Kristina Schröder: Ich glaube, umgekehrt ist es fast auch immer so. Allein schon deshalb, weil man nur dann in einem anspruchsvollen Beruf stark sein kann, wenn der private Rückhalt stimmt.
Ursula Lehr: Doch was ist dann mit den Alleinerziehenden, den verwitweten, den geschiedenen Frauen oder jenen, die gar nicht heiraten wollen?
Kristina Schröder: Genau das ist ein sehr wichtiger Punkt, da zu den Familienernährerinnen auch die Alleinerziehenden gehören. Sie machen zahlenmäßig fast die Hälfte aus. Wer Alleinerziehende nur über die Sorge für Kinder definiert, negiert den ökonomischen Aspekt …
Annegret Kramp-Karrenbauer: Klar, da gibt es große Unterschiede. Frauen, die allein die Familie gut ernähren können, und eben auch jene Frauen, die mit einem kleinen Einkommen versuchen müssen, sich und die Kinder über die Runden zu bringen. Ich sehe derzeit einen engen und recht eindimensionalen Blick auf die Alleinerziehenden – nach dem Motto »die Armen und Hilfsbedürftigen«.
Kristina Schröder: Deshalb ist es klar, Alleinerziehende sind immer Familienernährerinnen, weil sie in täglicher ökonomischer Herausforderung ihre Familie souverän und selbstbewusst ernähren. Sie sind entgegen mancher Klischees nicht die ständigen Opfer!
Schon die Umdeutung von Alleinerziehenden zu Familienernährerinnen kann in der familien- und gleichstellungspolitischen Debatte viel bewegen.
Es gibt aber auch ganz unterschiedliche Paarkonstellationen, in denen die Frau die Familienernährerin ist. Das zeigen die Reportagen dieses Buches: wo der Mann zum Beispiel arbeitslos geworden ist oder in Kurzarbeit arbeitet. Andere Männer verdienen generell mit ihrer Arbeit wenig. Bei anderen – gutsituierten – Paaren ist es schlicht so, dass sie halt schon immer mehr verdiente als er.
Ursula Lehr: Das Buch zeigt Beispiele auf, die jede junge Frau darin bestärken sollten, ihre Lebensplanung so auszurichten, dass sie auch jederzeit – alleinerziehend oder mit Partner – Familienernährerin sein könnte. Das ist der große Unterschied zu den 50er Jahren, als es noch hieß: Das Mädchen braucht nicht unbedingt einen Beruf, sondern vor allem eine gute Aussteuer. Heute pfeifen die jungen Frauen auf die Aussteuer, aber einen Beruf wollen alle haben! Ein anderer Aspekt ist auch: Ein großer Teil der Frauen, die heute Familienernährerinnen sind, arbeitet im Niedriglohnsektor und hat Minijobs. Das ist schon ein Problem.
Annegret Kramp-Karrenbauer: Da gibt es Unterschiede auch in den Biografien bei Ost- und Westdeutschen. Gerade in den westlichen Bundesländern sind es Familien, wo der Mann erst der Hauptverdiener war und die Frau zum Beispiel auf 400 EuroBasis etwas dazu verdiente. Dann fiel plötzlich der Alleinernährer oder der Haupternährer aus. Es entstand so ein Druck auf Frauen in ihrem Job, der eigentlich gar nicht dazu geeignet ist, die ganze Familie zu ernähren. Sie hatten plötzlich die ökonomische Gesamtverantwortung für die Familie. Das ist sehr problematisch, weil hier zum Beispiel Minijobs vollkommen falsche Anreize setzen. Das widerspricht natürlich unserer Grundbotschaft, dass sich jede Frau heute so aufstellen muss, dass sie – wenn es darauf ankommt oder wenn sie es möchte – auch allein für die Familie sorgen kann.
Kristina Schröder: Unter diesem Aspekt sehe auch ich die Minijobs sehr kritisch. Die meisten Frauen wollen nach der Babypause in Teilzeit arbeiten. Und sie landen dann in einem Minijob. Und dieser ist in den seltensten Fällen das, was er eigentlich auch sein könnte: eine Brücke in den Arbeitsmarkt. Stattdessen sehen wir Klebeeffekte: Einmal Minijob – immer Minijob.
Ursula Lehr: Jedes junge Mädchen sollte deshalb bei seiner Lebensplanung unbedingt auf eine Berufsausbildung setzen. Ein Beruf, der Spaß macht und sie ernähren kann, ist für die jungen Frauen heute sehr wichtig.
Sich darauf zu verlassen, ich werde heiraten und bin dann versorgt – diese Zeiten sind für immer vorbei.
Mein nächster persönlicher Rat an Frauen, die wegen der Geburt eines Kindes ihren Job unterbrochen haben, wäre ganz klar: nicht zu lange aus dem Berufsleben auszusteigen. Wer beispielsweise im Hochschulbereich zwei oder mehr Semester unterbricht, der ist quasi draußen. Ich halte es für einen Fehler, wenn Menschen motiviert werden, drei Jahre oder länger ihren Job zu unterbrechen. Das tut auch vielen persönlich nicht gut.
Annegret Kramp-Karrenbauer: Hier ist es wichtig, darauf zu schauen, wie die Anreize und Rahmenbedingungen gesetzt werden. Wer schnell nach der Geburt eines Kindes wieder in den Beruf zurück möchte, darf nicht vor die Wahl gestellt werden: schnell zurück oder gar nicht. Hier sind auch die Arbeitgeber gefordert. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind eben auch soziale Wesen mit Familienanhang. Es gilt sich also Gedanken zu machen, wie kann ich in...