Die Geschichte der FDJ ist eine Geschichte des fortwährenden Hin und Her zwischen Versuchen der Liberalisierung und dem Zurück zur Repression. Immer wieder gab es Bestrebungen, die Jugend durch eine offenere und weniger repressive Leitung des Verbandes besser zu erreichen und einzubinden, auf die immer wieder die Rückkehr zu stärkerer Kontrolle folgte, sobald die neue relative Offenheit Stimmungen und Strömungen ermöglichte, die der Verbandsführung zu entgleiten drohten.
Bei der Darstellung der Geschichte der FDJ wird, wie auch im späteren Kapitel zum Mediensystem, besonderes Gewicht auf die ersten Jahre, den Übergang von der „Sowjetischen Besatzungs-Zone“ (SBZ) zur DDR gelegt, weil diese Zeit im wesentlichen schon „konstitutiv für die Ausformung der späteren Verfassungswirklichkeit der DDR“ (MÄHLERT, 1995, S. 9) war.
Schon ein Jahrzehnt vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs betonten die „Kommunistische Internationale“ und die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD), sie wollten künftig „die Vereinigung der Kräfte aller nichtfaschistischen Massenorganisationen der Jugend anstreben“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 37). Dabei sei dennoch die „möglichst enge Verbindung und Beeinflussung durch die Partei“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 17/18) das Ziel. Drei Monate nach Kriegsende veröffentlichten die KPD und die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) für die SBZ eine „Mitteilung über die Schaffung antifaschistischer Jugendkomitees“. Darin hieß es: „Alle anderen Jugendorganisationen: gewerkschaftliche und Sportvereine, sozialistische und ähnliche gemeinschaftliche Organisationen sind außer den oben erwähnten antifaschistischen Jugendkomitees verboten.“ (zit. n. ebenda, S. 18) Eine unüberschaubare Zahl kleiner Zusammenschlüsse verletzte „das Kontrollbedürfnis des sozialistischen Systems“ (LANGENBUCHER/RYTLEWSKI/WEYERGRAF (Hg.), 1983, S. 716), der Monopolanspruch wurde deutlich. In den Komitees sollten die Jugendlichen zum Wiederaufbau motiviert und erste Funktionäre herangebildet werden. Zugleich wurden zentrale Strukturen geschaffen. Am 1. September 1945 trafen sich Vertreter der KPD und der „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD), um den „Ausschuss zur Schaffung des Jugendausschusses für die gesamte sowjetische Besatzungszone“ zu konstituieren. Immer wieder wurde die demokratische Überparteilichkeit betont – und so die Mitarbeit der Sozialdemokraten, die noch keine ausgearbeitete Konzeption für eine eigene Jugendarbeit hatten (vgl. MÄHLERT, 1995, S. 47) und anderer Gruppen in der Anfangszeit gesichert (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 20/21).
Die Aufgabe, die Pläne zu konkretisieren, bekam Erich Honecker. Honecker hatte vor 1933 im Saarland als hauptamtlicher Funktionär des „Kommunistischen Jugendverbands Deutschland“ (KJVD) gearbeitet, war in der Nazi-Zeit als Widerständler verhaftet worden – und wurde nun vom KPD-Spitzenfunktionär Walter Ulbricht zum Aufbau des neuen Jugendverbandes ausgewählt (vgl. ebenda, S. 20). „Wir müssen an die ganze Jugend heran und denken gar nicht daran, einen Teil der Jugend den bürgerlichen Kreisen zu überlassen“, erklärte Honecker intern (zit. n. LIPPMANN, 1971, S. 58).
Die SPD hoffte, durch ihre Beteiligung am Aufbau der Jugendausschüsse Einfluss auf die Entwicklung zu behalten. Zudem war die Überzeugung verbreitet, als Linke gemeinsam für die Umerziehung der nationalsozialistisch sozialisierten Jugend verantwortlich zu sein. Gleichzeitig versuchte die SPD aber, eigene Jugendgruppen ins Leben zu rufen (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 22).
Größere Probleme machte die Zusammenarbeit mit den Kirchen. Anfangs agierte die SMAD diesen gegenüber entgegenkommend, verwahrte sich aber gegen die Wiedereinrichtung des umfangreichen kirchlichen Verbandslebens. Vor allem die katholische Kirche arrangierte sich mit dieser Bedingung. Das Verhältnis zur evangelischen Kirche blieb über all die Jahre konfliktreicher, immer wieder versuchten die Protestanten, ihre „Junge Gemeinde“ gegen staatliche Angriffe zu verteidigen. Auch die „Christlich-Demokratische Union“ (CDU) und die „Liberal-Demokratische Partei“ (LDP) begannen in den Anfangsjahren, eigene Jugendgruppen zu gründen (vgl. ebenda, S. 24).
In der SBZ, in der bis zuletzt erbittert gekämpft worden war, herrschten „katastrophale Verhältnisse“ (MÄHLERT, 1995, S. 20). Etwa ein Drittel aller Kinder lebte in unvollständigen Familien, weil Mütter in Bombennächten gestorben, Väter gefallen oder in Gefangenschaft waren (vgl. ebenda, S. 21/22). „Eine Familie im traditionellen Sinn existierte zu diesem Zeitpunkt kaum. (…) Die Mütter waren (…) ausgepowert, gezeichnet von den Alltagssorgen, müde und kaum noch fähig, durch ihre mütterliche Obhut das individuelle Fortkommen und die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder zu beeinflussen.“ (RABEHL in EISENBERG/LINKE (Hg.), 1980, S. 116/117) In dieses Vakuum stießen die Kommunisten mit ihren Jugendgruppen. Um die ganze Breite der Jugend damit zu erreichen, ging die KPD auch auf die ehemaligen unteren Mitglieder von Nazi-Verbänden zu. Das kommunistische Zentralorgan „Deutsche Volkszeitung“ schrieb am 7. Juli 1945, der Tatendrang der Jugend sei „zu Schandtaten missbraucht worden“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 34). Wer sich in den sozialistisch dominierten Gruppen am Wiederaufbau beteiligte, konnte nun nachträglich auf die richtige Seite wechseln. Diese Versöhnungsidee entsprach der Sehnsucht vieler Jugendlicher (vgl. GOTSCHLICH et al. (Hg.), 1996, S. 7).
Während so politische Grundlagen für einen Einheitsjugendverband gelegt wurden, hing der Erfolg der lokalen Jugendausschüsse wesentlich vom Engagement der Jugendfunktionäre vor Ort ab. Wo interessante kulturelle und sportliche Angebote gemacht wurden, gab es Zulauf. Dieses Phänomen blieb bis zum Ende der DDR auch in der FDJ bestehen: Trotz aller Instrumentalisierungsversuche gab es immer Jugendliche, die das Verbandsleben genossen, weil sie in einer Jugendgruppe mit vielfältigen Angeboten waren (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 28-30).
Nach der Niederlage der Kommunisten in Österreich und dem relativen Erstarken der SPD übten KPD und SMAD starken Druck auf die Ost-SPD aus und wollten eine Vereinigung der beiden Parteien noch vor den ersten (und letzten relativ freien) Wahlen in der SBZ. Auch in der Jugendarbeit schien Eile geboten, weil nun selbst die sozialistische Parteibasis daran gegangen war, eigene Jugendverbände zu gründen (vgl. ebenda, S. 30/31). Ende Januar 1946 holte sich die KPD-Führung in Moskau die Genehmigung zur Gründung der „Freie Deutsche Jugend“. Die Kirchen kritisierten deutlich, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und die Auflösung mancher kirchlicher Jugendgruppen „in der Methode der Gestapo durchgeführt wurde“ (zit. n. ebenda, S. 34). Das Gründungsprogramm der FDJ hatte die KPD jedoch bewusst offen und demokratisch angelegt, den Kirchen wurden Verbindungsstellen in den Leitungsgremien zugestanden. Der evangelische Jugendarbeiter Heinz Baer unterstrich später: „Damit, daß wir völlig eingeordnet werden sollen, haben wir nicht gerechnet.“ (zit. n. GRÖSCHEL/SCHMIDT, 1990, S. 38)
Am 7. März 1946 gab die SMAD die Lizenzierung der FDJ bekannt. Die veröffentlichten Ziele klangen modern: Gewinnung der Jugend für Humanismus und Völkerfreundschaft, aktive Teilnahme am Wiederaufbau, Teilhabe am öffentlichen Leben, Bildung für alle und Aufbau von Arbeitsgemeinschaften für Kultur und Sport (vgl. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 35).
Auch im Westen bildeten sich nun einzelne FDJ-Gruppen, die Organisation war im Frühjahr 1946 als einziger Jugendverband in ganz Deutschland aktiv. Von Ost-Berlin aus wurde auch die West-FDJ gesteuert, die bis zu 70.000 Mitglieder hatte und 1951 auf Drängen der Bundesregierung von den Innenministern der Länder als „Tarnorganisation des Weltkommunismus“ verboten wurde (vgl. WALTER, 1997, S. 226).
Auf der ersten zentralen Konferenz der FDJ in der SBZ am 26. und 27. April 1946 referierte Honecker die „Grundrechte der jungen Generation“, die wenig später zum Programm der FDJ wurden. Darin hieß es: „Die junge Generation erhebt Anspruch auf vier Rechte, die zu gewähren Pflicht aller demokratischen Organe ist: die politischen Rechte; das Recht auf Arbeit und Erholung; das Recht auf Bildung; das Recht auf Freude und Frohsinn.“ (zit. n. MÄHLERT/STEPHAN, 1996, S. 37) Wohnbezirks-, Betriebs- und Schulgruppen bildeten fortan die untersten FDJ-Einheiten mit jeweils nicht mehr als 25 bis 30, höchstens örtlich bedingt 50 Mitgliedern. Die einzelnen Gruppen schlossen sich zu Ortsgruppen zusammen, darüber wurden Kreis-, Bezirks- und Landes- beziehungsweise Provinzialleitungen angesiedelt. Laut der wenig später vom ersten FDJ-Parlament verabschiedeten Satzung sollte die Jugendorganisation „gemäß dem demokratischen Mitbestimmungsrecht der Mitglieder von unten nach oben“ (zit. n. MÄHLERT, 1995, S. 162) mittels geheimer Wahlen aufgebaut werden. Schon damals betonte Honecker aber intern, dass der Jugendverband „selbstverständlich“ ohne viel darüber „zu reden“ nach dem Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“ von oben nach unten gelenkt würde (vgl. ebenda). Das Parlament sollte jährlich tagen und den mindestens 60 Mitglieder umfassenden Zentralrat...