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E-Book

Medien, Netz und Öffentlichkeit

Impulse für die digitale Gesellschaft

VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl474 Seiten
ISBN9783837510201
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Medien, Netz und Öffentlichkeit stehen in enger Beziehung zueinander. Die Verfasstheit unserer Gesellschaft hängt immer mehr von der Gestaltung dieser miteinander verwobenen Bereiche ab. Wie sieht die demokratische Zukunft aus? Was sind die richtigen politischen Handlungsebenen? Wie lässt sich Herrschaftswissen hinterfragen und wie kann man den neuen Monopolen mit großer Steuerungsmacht begegnen? Das Buch liefert Impulse für die medien- und netzpolitische Debatte und bietet mögliche Ansätze für weiteres politisches Handeln an. Über 60 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven und vielen Berufsfeldern geben mitunter diskursive und kontroverse Antworten. Die Beiträge bieten Momentaufnahmen wie Ausblicke; zugleich ist der Band eine Art Handbuch, das einzelne Branchen ebenso in den Blick nimmt wie grundsätzliche Fragen zu erörtern. Medien und das Netz werden durch uns gestaltet. Dieses Buch trägt dazu bei, Gestaltungsoptionen aufzuzeigen.

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Leseprobe

Jürgen Bremer


Das Ur-Internet


Streng genommen gibt es eine Art Internet schon lange, geschätzt etwa 14 Milliarden Jahre, seit Beginn des Universums. Zu diesem Zeitpunkt war das Weltall punktförmig zusammengepresst. Alle Information, alles Wissen über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft war in diesem Punkt komprimiert wie auf einer winzigen Festplatte. Seitdem breitet sich das Universum explosionsartig aus und mit ihm alle Information über diese Welt – bis in den letzten Zipfel des Raums, über das Licht abrufbar wie in einer Cloud, wie in einem ideal vernetzten Internet. Wir alle sind mit diesem Ur-Internet verbunden, ständig online und könnten unendlich schlau sein, wenn wir nur all diese von der Natur im Ordner Universum hinterlegten News richtig zu lesen verstünden.

Das geht leider nicht so einfach. Auch im Ur-Kommunikationsraum Universum haben wir es mit Irrungen und Wirrungen, Täuschungen und Falschmeldungen, Information und Desinformation zu tun. So erlaubt sich die Natur den Scherz, wichtige Files unter riesigen Informationsclustern zu verstecken. Sie täuscht uns mit Simulationen, auf die wir gerne hereinfallen. Unsere Sinne werden jeden Tag über das belogen, was wir im Universum zu erkennen glauben: Die Erde ist keine Scheibe, die Sonne kreist nicht um die Erde, Raum und Zeit sind keine festen Größen, sondern abhängig von der Geschwindigkeit. Relativ sind nicht nur Raum und Zeit, sondern auch Sachverhalte, von denen wir angenommen haben, sie seien definitiv. Die Quantenphysik lehrt uns, dass wir so viele Informationen sammeln können, wie wir wollen: Es bleibt dennoch immer eine Ungenauigkeit, eine Unschärfe, sodass wir entweder den Ort oder Geschwindigkeit und Richtung eines Teilchens genau bestimmen können, niemals beides zugleich. Die Natur betrügt uns. Sie programmiert unser Gehirn so, dass es Täuschungen akzeptiert. Alle Informationen, die uns unsere Sinne übermitteln, müssen wir also mit einer gesunden Portion Skepsis betrachten. Es ist wie im Internet.

These 1: Das Internet ist keine neue Kommunikationsform – aber ein Raum, der mehr bietet als die Summe einzelner Möglichkeiten.

Was bringt uns der Ausflug in das Reich der Physik? Er zeigt, dass nicht nur Raum und Zeit, sondern auch Wahrheit und Lüge, Information und Desinformation eine engere Verbindung haben, als wir es uns wünschen würden. Vieles von dem, was im Internet herumschwirrt, hält nicht, was es auf den ersten Blick verspricht. Sender und Empfänger verbinden mit einer Information nicht unbedingt dieselben Erkenntnisse. Aber Information ist der Beginn von allem. Selbst die winzigsten Teile in der Quantenwelt müssen wissen, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten müssen, welchem Naturgesetz sie Vorrang vor dem anderen einräumen müssen. Dazu ist es unerlässlich, dass sie ihr Umfeld erkennen, wissen, was ihr Nachbar-Quant gerade unternimmt, damit sie die Signale, die sie empfangen, richtig deuten können. Der Zen-Buddhist sagt: Teile dein Wissen, so erlangst du Unsterblichkeit.

Die richtige Interpretation von Informationen setzt den Empfang von Nachrichten voraus. Zum Empfang und zum Teilen von Information und Wissen sind alle Lebewesen mit Sinnesorganen ausgestattet. Der Mensch hat es verstanden, diese natürlichen Empfangseinrichtungen über neue, selbst geschaffene Informationsmethoden zu versorgen. So wurden im Verlauf der Menschheitsgeschichte viele neue Formen der Informationsvermittlung erfunden. Wir haben gelernt, miteinander zu sprechen, uns mit Gebärden zu verständigen, schon in der Steinzeit die Höhlen zu bemalen, Rauchzeichen zu senden; es wurde die Schrift erfunden, um auf Stein, Papyrus und Papier zu schreiben, Bücher und Zeitungen zu drucken, fotografieren, morsen, telefonieren, filmen, Radio- und Fernsehprogramme auszustrahlen. Die Kommunikation wurde auf viele Schienen verlegt, die sich gar nicht oder nur gelegentlich kreuzten.

Allen diesen Kommunikationstechniken fügt das Internet nichts Neues hinzu. Auch im Netz wird nur mit Bildern, Texten und Tönen gearbeitet. Aber es hat den alten Kulturtechniken neuen Schwung verliehen, manches modernisiert und sie vor allem auf einer einzigen Plattform zusammengeführt. Zum ersten Mal ist es damit den Usern möglich, alle Facetten der Kommunikation aktiv zu nutzen, ohne einen gewaltigen Apparat zur Verfügung zu haben. Computer, Bildschirm und Datenleitung reichen aus. Gab es vor dem Internet viele Einbahnstraßen – Radio oder Fernsehen, Zeitungen und Bücher –, so schicken wir unsere Daten jetzt über vielspurige Kommunikationsautobahnen, die Daten schwirren hin und her, vom Sender zum Empfänger und von dort aus wieder zurück. Es sind Highways, die auch in die entferntesten Winkel der Welt führen, in Täler der Ahnungslosigkeit, in denen die Menschen vor dem Zeitalter des Internets kaum eine Chance auf Teilhabe an Wissen und Information hatten, vor allem aber auch keine Chance auf eine aktive Teilhabe am weltweiten Kommunikationsprozess. Das ist jetzt der entscheidende Faktor Internet.

In der Kommunikations-Einbahnstraßen-Welt wird eine Nachricht über Zeitung, Radio und Fernseher verbreitet. Leser, Hörer und Zuschauer konnten die News empfangen und damit war Ende der Durchsage. Gewiss konnte jeder Rezipient einen Brief an die Redaktion schreiben. Ob er veröffentlicht wurde, lag nicht in seiner Macht. Die weitere Diskussion beschränkte sich in der Regel auf das private Umfeld. Diese Publikationsschranke ist abgebaut und verschrottet, sie zählt zum Zeitalter des Vor-Internets, der analogen Zeit – wie jede Redaktion bestätigen kann. Jeder Bericht, jede Sendung wird heute lebhaft kommentiert, mit Lob und Tadel auf der Homepage der Redaktion versehen oder auf Fanseiten kritisiert, bei Facebook oder YouTube begleitet. Wer das ignoriert, riskiert einen öffentlichen Shitstorm, der schon manchen zum Rückzug gezwungen hat. So startete die Umweltschutzorganisation Greenpeace 2010 eine Kampagne gegen den Schokoriegel KitKat. Der Vorwurf: Durch die Nutzung von Palmöl werde der Regenwald und damit der Lebensraum der Orang-Utans zerstört. Das Schockvideo der Umweltschützer verbreitete sich explosionsartig. Hersteller Nestlé ließ den Clip und die vielen Kommentare aus dem Netz löschen. Die Reaktionen darauf waren noch heftiger. Das Publikum ist plötzlich nicht nur Couch-Potato, passiver Rezipient, sondern – wenn er es will – auch Darsteller, Produzent und Sender.

Gab es früher Gatekeeper, nicht nur bei der Information, sondern auch in der Kunst, Verlage, die Musikalben produzierten und promoteten, ohne die ein Künstler kaum eine Chance auf Erfolg hatte, so bringt das Internet deren Monopolstellungen ins Wanken. Im Internetzeitalter gehen Künstler mit ihren Werken zu YouTube und lassen die unüberschaubare Zahl von Nutzern entscheiden. Und immer wieder werden so Stars aus der Masse emporgespült – wie etwa Justin Bieber, dessen Songs dort schon mehr als drei Milliarden Mal angeklickt worden sind. Nicht jeder wird auf dem Internetweg ein Star, aber jeder hat die Chance dazu – ohne auf einen Musikproduzenten angewiesen zu sein. Jeder kann zeigen, was er kann. Und er kann dazu alle Kommunikationsformen via Film, Foto, Text und Ton auf den Bildschirm bringen. Theoretisch sind Milliarden von Nutzern mit ein paar Mausklicks in Sekundenschnelle erreichbar. Die hohe Kunst ist es nur, damit im Internet Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Plattform Internet hat die Kommunikation revolutioniert. Sie bringt alte Monopole ins Wanken, schafft neue Akteure, die wiederum Kommunikationsformen bündeln wie die Suchmaschine und News-Aggregator Google, wie Facebook, YouTube oder Twitter. Das Vernetzen verschiedener Kommunikationsarten und -zwecke ist der Mehrwert über die Summe der einzelnen Kommunikationsformen hinaus. In der Addition formen die Nutzer mit der Masse ihrer Beiträge im Internet eine Art Schwarmintelligenz. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der einzelne Beitrag richtig und wahr, falsch und dümmlich, intelligent, nützlich oder banal ist. Die Summer ergibt neue Qualität, neues Wissen, neue Information. Es ist wie in der ganzen digitalen Welt, die mit zwei banalen Ziffern auskommt, mit der Null und der Eins. Es sind die Summe und die Zusammenstellung, die das komplexe Ganze darstellen, mit denen anscheinend die Welt in ihrer großen Vielfalt dargestellt und wiedergegeben werden kann – die Null und die Eins sind gemeinsam bedeutend mehr als ihre Summe, wie das Internet.

These 2: Information und Desinformation – im Internet noch inniger verbunden

Wissen und Information sind das Gold des Internets. Sie sind online in einem Umfang verfügbar, wie es früher kaum vorstellbar war. Taucht eine Frage auf, haben wir – zack – in wenigen Sekunden Antworten, Tausende von Google-Treffern. Das ist eine Errungenschaft, auf die kaum jemand verzichten mag. Das Internet zählt zur Grundversorgung wie der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, einer sauberen, gesunden Umwelt, Strom und Wasser.

Lug und Trug sind das Gift des Internets. Das Netz ist eine nahezu unerschöpfliche Wissensquelle, die zwar so gut wie jede Frage beantwortet. Aber wissen wir, welche der Tausenden von Antworten richtig oder falsch sind? Nur weil Informationen über das Netz verbreitet werden, sind sie im Detail nicht schlechter oder besser als in der analogen Welt. Es gilt, richtig von falsch, Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden. An diesem Punkt schlägt die Masse um in Qualität, und das im Guten wie im Schlechten.

Im Netz wimmelt es von Fälschern, Demagogen, Rosstäuschern, Betrügern, Falschspielern. Es gibt jede Art von Täuschung mit jeder Art von Absicht. Es gibt die politischen Betrüger, die Wähler auf...

Blick ins Buch

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