Die Einwürfe, durch welche man die richtige Auffassung des Verhältnisses zwischen Leib und Seele namentlich in unserer Zeit so oft verdunkelt hat, gehen von so verschiedenen irrtümlichen Vorurteilen aus, dass es schwer sein würde, ihnen allen durch die bloße positive Darstellung unserer Überzeugungen hinlänglich zu begegnen. Wir versuchen deshalb, soweit so verworrenen Elementen gegenüber ein methodischer Gang möglich ist, diese Meinungen zu prüfen, so wie sie als die gewöhnlichen Bestandteile des modernen Räsonnements über diese Gegenstände sich darbieten. Wo die Gelegenheit es mit sich bringt, werden wir allerdings aus den Werken an sich beachtenswerter Schriftsteller die Darstellung jener Meinungen entlehnen, um jeder Auffassungsweise auch die ihr eigentümliche Färbung ihrer Äußerung zu lassen; doch schien es nicht notwendig, diesen Sätzen die Namen ihrer Urheber hinzuzufügen, da nur wenige die Erzeugnisse eigentümlicher persönlicher Bildungsrichtungen, die meisten vielmehr nur Ausdrücke traditionell gewordener Reflexionen sind.
12. Unter Allem, was gegen die Scheidung der Seele als eines eigentümlichen Prinzips von dem Körper eingewandt zu werden pflegt, tritt eine ängstliche Scheu vor dem formellen Fehler der durch sie begründeten Zwiespältigkeit des Geistigen und Körperlichen in der Welt überhaupt, als die Quelle höchst mannigfach variierter Bedenken hervor. Eine so große Gewalt übt die Sehnsucht nach Einheit der Welt aus, dass jeder Versuch, jene beiden Reiche des Seienden in ihr zu unterscheiden, als die unzulässigste Verderbung der gesamten Weltansicht gefürchtet wird. Wir kommen später vielleicht selbst auf die Notwendigkeit zurück, diese Trennung aufzuheben; hier dagegen müssen wir behaupten, dass jene formelle Bedenklichkeit gegen sie vollkommen ungegründet ist. Gewiß bestreiten wir nicht, dass die Sehnsacht nach Einheit der Welt Recht hat, aber sie verfehlt ganz den Punkt, in welchem sie Befriedigung finden kann. Der Bau der Welt läßt uns drei in einander verschlungene Elemente beobachten: zuerst das Reich allgemeiner und abstrakter Gesetze, nach deren Bestimmungen in jedem einzelnen Falle die Wirkung der Kräfte von Punkt zu Punkt, von Augenblick zu Augenblick erfolgt: neben ihnen zweitens die Fülle der vorhandenen Realitäten, die mit ihren Eigenschaften die wirklichen Träger eben der Kräfte sind, deren Erfolg nach jenen allgemeinen Gesetzen gemessen wird; über beiden drittens den spezifischen Plan, nach welchem sich, realisiert durch die Tätigkeit aller gesetzlich wirksamen Kräfte, das Leben der Welt in eine gleichzeitige Breite sowohl, als in den zeitlichen Fortschritt einer Geschichte ausdehnt. Die Forderung der Einheit hat unmittelbar nur Beziehung auf dieses letzte Element des Weltbaus. Das allerdings würde eine unheilbare Verwirrung unserer Weltansicht sein, wenn wir uns die Gesamtheit des Daseins nicht zur Vermittlung einer einzigen und gemeinsamen Geschichte, nicht zur Erreichung eines und desselben Zieles in die Einheit eines umfassenden Planes aufgenommen dächten. Und von dieser Einheit hängt folgerichtig auch die andere der allgemeinen Gesetze ab; eine in sich zusammenstimmende, zu einem Plane verbundene Welt verlangt formell schon, gleichviel welches der bestimmtere Inhalt dieses Planes sein mag, eine Gemeinsamkeit der Regeln, nach denen alle jene Kräfte wirken, auf deren Tätigkeit das Zustandekommen und die Selbsterhaltung des Ganzen beruht. Aber nicht ebenso ist es eine Forderung unserer Vernunft, dass nun auch das Reich der Realitäten, jenes zweite Element des Wellbaues, irgend eine qualitative Gleichartigkeit zeige. Sie wird nur so weit vorauszusetzen sein, als sie nötig ist, um alles Seiende den einfachsten und höchsten jener allgemeinen Gesetze gleichmäßig untertan zu machen, aber nur ein völliges Mißverständnis der Welt kann hier, wo im Gegenteil alles Leben aus der Mannigfaltigkeit verschiedener und entgegengesetzter Wirksamkeiten fließen muß, unter dem Vorwand nötiger Einheit eine traurige Monotonie des Daseienden verlangen. Es mag wohl sein, dass andere Gründe, deren wir später gedenken werden, das Vorhandensein gerade dieser Trennung, durch welche das Reich des Realen in körperliche und geistige Wesen zerfiele, unglaublich machen, aber gewiß in jenem bloß formellen Fehler eines Mangels an Einheit liegt ein Motiv zu solcher Behauptung nicht, und wir würden uns nicht im Mindesten bedenken, falls die Tatsachen der Erfahrung eine ähnliche Annahme nötig machten, die Anzahl solcher getrennter Gattungen des Realen noch weit über diese Duplizität von Körper und Geist zu vermehren.
13. Aber anstatt hierauf zu achten, sehen wir vielmehr jene Ansichten gar häufig gerade die Einheit des Planes willig aufopfern, um die Monotonie der Substrate zu retten. Dieselben Schriftsteller, welche die Trennung von Körper und Geist als eine unstatthafte Zersplitterung der Welt betrachten, haben selten etwas dawider einzuwenden, dass der Weltlauf überhaupt planlos sei, und dass jedes einzelne Ereignis, jedes Erzeugnis desselben nur a tergo durch die nachwirkende Gewalt seiner vorangehenden Bedingungen in das Leere hinausgeschoben werde, ohne durch eine Macht, die es a fronte bewegt, mit allen andern nach einem gemeinsamen Ziele hingezogen zu werden. Und doch ist alles Verlangen nach Einheit überhaupt ohne Zweifel nur als Teil des allgemeineren Bestrebens zu begreifen, der Welt den Charakter inwohnender Vernünftigkeit zu sichern, und sie nicht nur als vorhandene, sondern als bedeutsame und wertvolle Welt gelten zu lassen. Wie kann nun dieses Bestreben Befriedigung hoffen, wenn es jene Einheit des Planes vorher aufopfert, um deren willen allein eigentlich die Voraussetzung entstehn kann, auch in dem übrigen Gefüge der Welt gegenseitige Beziehung der Teile auf einander und zweckmäßige Zusammenstimmung zu finden? Ist der Weltlauf nur eine Summe von Erfolgen, die aus Bedingungen hervorgehn, in welcher Weise könnte dann eine Monotonie und Ähnlichkeit dieser Bedingungen sowohl als jener Erfolge irgend einen größeren Wert haben, als die bunteste und prinziploseste Verschiedenheit beider? Allgemeingütigkeit der Gesetze, Konsequenz, Analogie oder Verschiedenheit in der Bildung des mannigfachen Realen, das Alles ist Nichts, was man um seines eignen Wertes willen als notwendig vorhanden denken müßte; es wird nur in dem Maß vorauszusetzen sein, als es die formelle notwendige Vorbedingung für die Realisierung jenes Planes der Welt ist, auf den die Voraussetzung der Einheit ganz allein eine unmittelbare Anwendung findet. Wer diesen Plan leugnet und dennoch in der Bildung des Realen Einheit und Gleichheit für notwendig ansieht, jagt einem Schatten nach und leugnet das Dasein dessen, das ihn wirft. In jenem Plane der Welt, wenn wir seinen Inhalt kannten, würden nun vielleicht ebensowohl Motive für diese Gleichheit des Seienden, als für die vielfarbigste Verschiedenheit liegen können, und eben weil beides möglich ist, bleibt es eine grundlose Behauptung, dass die Duplizität des Seienden, die wir durch die Trennung von Körper und Seele, nach den Anforderungen der Tatsachen, annehmen, eine formell unzulässige sei.
14. Eine größere Kraft allerdings scheint der eben zurückgewiesene Einwurf zu gewin-nen, wenn wir zurückgehend auf die Entstehung des Realen, nach der Quelle fragen, aus welcher so entgegengesetzte Kreise des Seienden, die Materie und die Seele hervorgegangen seien. Wir wissen, wie große Mühe die neuere Philosophie darauf verwandt hat, aus dem einen Urgrund eines absoluten Wesens beide Zweige des Daseins zu entwickeln. Aber die wesentlichste Aufgabe der Psychologie ist es nicht, die erste Entstehung ihres Objektes zu begreifen. So wie wir die Einheit des Planes in der Welt voraussetzen, haben wir natürlich auch die Einheit ihres Urhebers oder allgemeiner des substantiellen Grundes ausgesprochen, aus dem sie hervorging, und wir zweifeln nicht im Geringsten daran, dass, so wie alle Unterschiede des Seienden, so auch der zwischen Körper und Seele nur eine beschränkte Geltung hat, und in der Einheit des höchsten Weltgrundes verschwindet. Eben so wenig möchten wir die Versuche tadeln, die Art dieses Zusammenfließens der Erscheinungen in jene Einheit näher zu untersuchen; aber wir können nicht hoffen, dieser Unternehmung sobald sichere Ergebnisse abzugewinnen, dass wir sie unserer Wissenschaft, die zunächst eine andere Aufgabe hat, zu Grunde legen könnten. Was in seiner Wurzel identisch ist, kann in seinen Zweigen weit auseinandergehn. Wohl mag nun in der Bildung einer Wurzel auch das Gesetz des Winkels schon vorgebildet liegen, nach dem die Äste einer Pflanze von einander weichen. Stände uns eine Botanik zu Gebote, welche die Bildungsverhältnisse der Wurzel mit so scharfem Auge durchschaute, um jene Prädestination zu sehen, so würde allerdings unsere Kenntnis auch der Verzweigungen einen ganz andern Grad der Sicherheit erlangen, als sie besitzt. Dürften wir eine Metaphysik voraussetzen, scharf und ergiebig genug, um die Begriffe der ersten Elemente nicht nur wahr, sondern auch fruchtbar zu fassen, so würde gewiß die Erkenntnis der Natur eines noch ungeschiedenen Absoluten uns mächtig in der Beurteilung der Gesetze unterstützen, nach denen nach erfolgter Scheidung seine beiden Zweige, geistige und körperliche Welt, sich zu einander verhalten. Aber was hilft es, von Dingen zu träumen, die nicht sind? Wir sind nun einmal nicht an den Anfang der Dinge, nicht an die Wurzel der Wirklichkeil gestellt, sondern mit allen unsern Reflexionen sitzen wir in ihren letzten Verzweigungen, die uns verworren umschlingen. Uns kann nichts übrig bleiben, als zunächst die Zweige zu scheiden, die uns geschieden...