SCHLAFEN SIE GUT!
Dr. med. Michael Feld ist Allgemeinarzt, Somnologe (Schlafforscher) und Schlafmediziner. Hier erzählt er uns, wovon unser individuelles Schlafverhalten bestimmt ist und wie es sich auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit auswirkt.
WAS HINDERT MENSCHEN DARAN, GUT ZU SCHLAFEN?
Da unterscheidet man zwei Gruppen von Ursachen, die beide ungefähr gleich häufig schuld sind am beeinträchtigten Schlaf:
Quantitative Ursachen: Die Menschen schlafen zu wenige Stunden, weil sie nicht einschlafen oder / und nicht durchschlafen können, Der Fachbegriff für diese Zustände lautet Insomnien. Zugrunde liegen oft Stress oder eine andere psychische Grundthematik wie Termindruck, Ängste, Grübeln, Kontrollzwang und anderes. Insomnien finden wir häufiger bei Frauen.
Qualitative Ursachen: Dazu zählen Schnarchen, Schlafapnoe (Atemaussetzer während des Schlafens) und weitere körperliche Ursachen. Schnarchen und Schlafapnoe finden wir häufiger bei Männern.
HAT SICH UNSER SCHLAFVERHALTEN VERÄNDERT?
Grundsätzlich ist es heute so, dass immer mehr in den Tag hineingepackt wird und es keinen »Zwang« mehr gibt, ins Bett zu gehen. Früher ging die Sonne unter und man wurde mit dem Dunkelwerden müde, dafür sorgte natürlicherweise die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin (und auch, dass die Menschen noch viel mehr körperlich arbeiten mussten). Lichtquellen wie zum Beispiel Kerzen hatten ein sanftes Licht und mussten oft auch aus Sparsamkeitsgründen geschont werden. Mit Erfindung der Elektrizität ist der moderne Mensch heute zwar Herr über seine scheinbar endlose Zeit, er zahlt aber den Preis, dass er sich selbst darum kümmern muss, wie und wann er ins Bett kommt. Genau das fällt vielen schwer.
WER SCHLÄFT WIE HIERZULANDE?
Mein Kollege Peter Young aus Münster und ich, unterstützt von der Firma Beurer, haben 2016 einen Schlafatlas für Deutschland erstellt. Eines der Ergebnisse: Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto schlechter wird dort geschlafen. Die Kinder kommen nachts ins Bett; einer der Partner will bei offenem Fenster schlafen, der andere macht es nachts wieder zu; der Hund kommt ins Schlafzimmer und trollt sich später wieder; der Partner schnarcht …
Fazit: Singles schlafen besser als die noch so glücklichen Paare. Am schlechtesten schlafen übrigens berufstätige Mütter.
SCHLAFEN FRAUEN UND MÄNNER UNTERSCHIEDLICH?
Frauen sind besonders oft auch zur Schlafenszeit noch gefordert, sie schlafen oberflächlicher und werden leichter wach. Sie schlafen sozusagen immer mit einem gespitzten Ohr, denn es könnte ja etwas mit den Kindern sein. Frauen sorgen auch dafür, dass alle anderen gut schlafen, nur sie selbst kommen dabei oft zu kurz – heutzutage. Früher in den 1950er-Jahren war das kein Problem. Die in den meisten Familien klare Rollenverteilung ermöglichte es den Frauen, das nächtliche Schlafdefizit bei einem schnarchenden Ehemann tagsüber nachzuholen, wenn der Mann aus dem Haus war und die Kinder Mittagsschlaf machten. Heute, wo die meisten Frauen berufstätig sind, können sie sich das nicht mehr leisten, nachts nicht vernünftig zu schlafen. Darum werden 70 Prozent der Männer, die in meine Schlafpraxis kommen, von ihren Frauen geschickt. Ist der Mann derjenige, der zu Hause die Kinder versorgt, ist es umgekehrt: Diese Männer entwickeln dann auch einen leichteren Schlaf. Das Schlafverhalten ist also weniger genetisch bedingt als durch die individuelle Sozialisation.
WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT SCHLECHTER SCHLAF?
Schlechter Schlaf über Jahre bedeutet für den Körper Stress, es kommt zu einer Sollwertverschiebung in der Schlafqualität – wir passen uns an, ohne dass unsere Schlafqualität optimal für Gesundheit und Leistungsfähigkeit ist. Der Spiegel des Aktivitäts- und Stresshormons Cortisol bleibt anhaltend hoch, häufig vorkommende gesundheitliche Folgen sind unter anderem Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen.
Eine der häufigsten Ursachen ist die eingeschränkte Atmung im Schlaf durch eine schlafbedingte Erschlaffung der Strukturen im Rachen. Der Rachen ist eine evolutionäre Kompromisslösung. Tagsüber, wenn wir sitzen und stehen, ist die anatomische Konstruktion ideal. Wenn wir aber liegen, dann kommt es selbst schon bei jungen gesunden Menschen zu einer etwa 300-prozentigen Zunahme des Widerstands in den oberen Atemwegen. Die Kollapsilität (Verlegung der Atemwege) der Rachenstruktur nimmt dann noch einmal zu bei Übergewicht, durch Stress oder Alkohol. Und das vor allem in Rückenlage. Bei der Einatmung kommt es zu einem Kollaps des Rachens auf Höhe des Zungengrunds, die zusammengepresste und verwirbelte Luft bei der Einatmung erzeugt das Schnarchgeräusch.
WIE BEHANDELN SIE SCHNARCHER?
Schnarcher merken selber oft gar nicht, dass sie schlecht schlafen. Der subjektive Leidensdruck ist nicht so groß, der Schnarcher hat sich daran gewöhnt, dass er tagsüber nicht mehr so fit ist. Hier kommt der Partner ins Spiel und in der Tat ist es meistens die Frau, die den Mann zu uns schickt, oder die Leute kommen als Paare.
Wir können das Schnarchproblem heute sehr elegant lösen. Wenn es sich um starkes Schnarchen bis hin zu einer mittelgradigen Schlafapnoe handelt, dann kann eine sogenannte Unterkiefervorschubschiene, die abends wie eine Zahnspange in den Mund eingelegt wird, verhindern, dass der Kiefer im Schlaf nach hinten rutscht und den Schlund verengt. Ein Segen. Meistens dauert es eine Woche, bis sich der Träger an die Schiene gewöhnt hat. Bei einer schwergradigen Schlafapnoe, bei der die oberen Atemwege nachts so oft und lange verengt sind, dass im Schlaf ständig Atemstillstände stattfinden, verordnen wir eine Atemmaske.
SCHNARCHEN EIGENTLICH AUCH FRAUEN?
Eine Erkrankung, von der vor allem Frauen nach den Wechseljahren betroffen sind und die teilweise auch mit Schnarchen einhergeht, ist das sogenannte Upper Airway Resistance Syndrom (UARS). Der durch die Menopause eingetretene Mangel an weiblichen Geschlechtshormonen bewirkt eine Erschlaffung der Atemwegsmuskulatur. Tritt dieses Phänomen in jüngeren Jahren auf (dann aber ohne Hormonmangel), spricht man von einer Beschwerde mit dem interessanten Namen »Young Thin Beautiful Women‘s Sleep Disorder«. Sie betrifft vor allem kleiner und zierlicher gebaute Frauen. Das ist eines der am häufigsten übersehenen Probleme bei Frauen. Sie werden nachts wach und schieben ihre Schlafprobleme auf die Psyche oder den Partner, aber die Ursache ist oft die gleiche wie bei den Männern. Bei den Frauen erschlafft ebenfalls die Schlundmuskulatur, die Schnarchgeräusche sind aber kaum vernehmbar. Darum bekommt das keiner mit, dabei ist dies aber bei 50 Prozent aller schlafgestörten Frauen die Ursache! Oft sind diese Frauen seit Jahren beim Psychologen, dabei könnte eine Unterkiefervorschubschiene auch hier das Problem häufig aus der Welt schaffen.
WIE DIAGNOSTIZIEREN SIE EINE SCHLAFSTÖRUNG?
Wenn Patienten mit Schlafstörungen zu uns kommen, dann polysomnografieren wir sie. Das bedeutet, wir wenden ein diagnostisches Verfahren zur Messung der Schlaffunktion an. Das geschieht mittels einer sogenannten Polysomnografie (PSG), die können Sie sich so ähnlich vorstellen wie ein »EKG für den Schlaf«. Wir untersuchen meist zwei Nächte, um einen Zufallsbefund auszuschließen. Gerade Ein- und Durchschlafstörungen bessern sich oft in der ersten Nacht allein dadurch, dass die Leute verkabelt sind. Vor allem, wenn schlechter Schlaf nervlich bedingt ist, erlaubt sich derjenige, schlecht zu schlafen (der Arzt will ja genau das sehen) und schläft paradoxerweise besser. Schlaf ist ja etwas, das man mit dem Willen nicht erzwingen kann. Unter Druck verschlechtern sich Schlafstörungen und umgekehrt, in einem entspannten Setting gelingt es besser. Bei der Polysomnografie werden 15 verschiedene Biosignalmessungen gleichzeitig durchgeführt. Man kann bei der Auswertung genau sagen, in welchem Schlafstadium der Patient wach wurde, und dann meist eine recht genaue Diagnose stellen und die Gründe der Schlafstörungen benennen.
Das Ergebnis einer schlafmedizinischen Behandlung ist für alle Betroffenen von umfassender Wirkung, denn wenn eine körperlich bedingte Schlafstörung behandelt wird, dann geht es meist automatisch auch der Psyche besser. Und umgekehrt.
WARUM IST SCHLAFEN SO WICHTIG FÜR DEN KÖRPER?
Die Bedeutung der Nachtruhe ist immens: Das Gehirn muss offline gehen, um die Fülle an Reizen, die tagsüber bewusst und unbewusst über die Sinnesorgane aufgenommen werden, zu verarbeiten. Auch muss das Gehirn nachts sortieren, welche Informationen benötigt wurden und welche aussortiert, also vergessen werden können. Auch das Träumen scheint hier eine wichtige Funktion zu haben, wobei die Wissenschaft diese immer noch nicht eindeutig definieren konnte.
Das Wissen um den Schlaf ist so wichtig, dass es in allen medizinischen Fachgebieten gelehrt werden sollte. So kann heute zum Beispiel ganz genau zugeordnet werden, wann die Immunzellen nachts aktiv sind. In einer Studie der Universität Lübeck etwa hat man die immunologische Antwort nach einer Hepatitis-A-Impfung untersucht. Dafür wurden die Probanden in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe der Hepatitis-A-Geimpften ließ man in der Nacht nach der Impfung durchschlafen, die zweite Gruppe wurde in der ersten Nachthälfte immer wieder geweckt, Diejenigen, deren Schlaf man in der ersten Nachthälfte störte, zeigten eine viel schlechtere Impfantwort im Vergleich zu der anderen Gruppe. Man konnte also zeigen, dass ein ungestörter Schlaf für immunologische Vorgänge im Körper entscheidend ist.
BEEINFLUSST...