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Mein Wort zählt

Mikrokredite: Kleines Kapital - große Wirkung

AutorSabine Sütterlin
VerlagBrandes & Apsel Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783860999677
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Kleiner Kredit, große Wirkung: Aus erster Hand erfahren Leser, warum Mikrokredite eine Chance für Frauen und ihre Familien sind, der Armutsfalle zu entkommen. Es wird allerdings auch deutlich, dass es noch einiges mehr braucht, damit Menschen die Kreativität entfalten können, die in ihnen schlummert. Ein Beitrag zur weltweiten Debatte über Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung. Ein beeindruckendes Buch darüber, dass Veränderung möglich ist! Das Buch entstand im Rahmen des Projektes NGO-IDEAs, das Ansätze für partizipative Wirkungsbeobachtung prüft, mitfinanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das Buch berichtet über den Alltag in Indien. Es erklärt anhand von Fallbeispielen, wie Mikrokredite funktionieren. Aber auch, dass es zur Armutsminderung mehr braucht als nur die Möglichkeit, Geld zu sparen und zu investieren. Schulung und Stärkung des Selbstbewusstseins zum Beispiel. Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert besonders gut, wenn die Betroffenen selbst auf die Programme Einfluss nehmen und deren Wirkungen steuern können. Für seine Idee, Kleinkredite für produktive Zwecke an arme Frauen zu vergeben, hat Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis bekommen. Die von ihm gegründete Grameen Bank wurde zum häufig kopierten Erfolgsmodell. Viele NGOs setzten auf Mikrokredite als Motor für Entwicklungsprogramme, die Selbsthilfe fördern.

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Leseprobe
Vorwort
Armut gehört ins Museum
Armut stellt eine Gefahr für den Frieden dar. Dies wird vor allem an der globalen Einkommensverteilung sichtbar: 40 Prozent der Weltbevölkerung profitieren von 94 Prozent des globalen Einkommens, während 60 Prozent der Weltbevölkerung mit den restlichen sechs Prozent zurechtkommen müssen. Die Hälfte der Menschheit lebt von zwei Dollar am Tag. Über eine Milliarde Menschen haben weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. Dies kann keine Formel für Frieden sein.
Frieden sollte auf humane Weise verstanden werden - in einem umfassenden sozialen, politischen und ökonomischen Sinn. Er ist durch ungerechte wirtschaftliche, soziale und politische Rahmenbedingungen, das Fehlen von Demokratie, Umweltzerstörungen und Missachtung der Menschenrechte gefährdet.
Armut beruht vor allem darauf, dass die Menschenrechte nicht eingehalten werden. Eine Gesellschaft bleibt langfristig nur dann friedlich, wenn sie nicht von Frustration, Feindseligkeit und Wut zermürbt ist. Sie muss also Wege finden, den Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Ich selbst wurde mit dem Thema Armut nicht als politischer Entscheidungsträger oder Forscher konfrontiert. Die Armut umgab mich einfach von allen Seiten, so dass ich nicht wegschauen konnte. Ich sah arme Menschen in ihrem Kampf um ein kleines bisschen Geld zum Überleben. Ich war erschüttert, als ich eine Frau im Dorf sah, die von einem Händler Geld für den Kauf von Rohmaterial erhielt und ihm dafür zusichern musste, dass er alles, was sie produzierte, zu dem von ihm festgelegten Preis zurückkaufen konnte. Dies ist für mich nichts anderes als Zwangsarbeit.
Als Erstes versuchte ich die örtliche Bank davon zu überzeugen, Kredite auch an Arme zu vergeben. Dies scheiterte jedoch. Die Bank antwortete mir schlicht, Arme seien nicht kreditwürdig. Nachdem meine Bemühungen in diese Richtung selbst nach mehreren Monaten ohne Erfolg blieben, bot ich mich als Bürge für die Kredite der Armen an. Das Ergebnis war überwältigend. Die Armen zahlten ihre Kredite immer pünktlich zurück! Aber noch immer hatte ich Schwierigkeiten, das Programm mithilfe des bestehenden Bankensystems zu erweitern. An diesem Punkt entschloss ich mich, eine eigene Bank für die Armen zu gründen. Im Jahre 1983 war es dann endlich so weit. Ich nannte sie Grameen Bank oder auch Dorfbank.
Es ist jetzt 30 Jahre her, dass wir mit dieser Bewegung begonnen haben. Heute schauen wir auf die Kinder unserer ersten Darlehensnehmer und sehen die Folgen und Wirkungen unserer Arbeit. Die Frauen, die sich von uns Geld liehen, gaben der Entwicklung ihrer Kinder höchste Priorität. Eine der "Sechzehn Entscheidungen", die von den Frauen selbst entwickelt und befolgt wurden, war die, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Grameen Bank ermutigte sie dabei, und binnen kürzester Zeit gingen alle Kinder zur Schule.
Wir schaffen eine neue Generation, die ausreichend darauf vorbereitet ist, ihre Familien dauerhaft vor Armut zu schützen. Wir wollen einen Schlussstrich unter die historische Kontinuität von Armut ziehen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Welt ohne Armut schaffen können, weil Armut nicht von armen Menschen gemacht wird. Sie wurde herbeigeführt und wird erhalten von ökonomischen und sozialen Systemen, die wir selbst begründet haben; von den Institutionen und Denkmustern, die unser System bilden sowie der Politik, die wir verfolgen.
Armut entsteht, weil unsere Theorien auf Annahmen beruhen, die die menschlichen Fähigkeiten unterschätzen. Die auf diesen Annahmen aufbauenden Ansätze greifen zu kurz. Was wir unter Geschäftsideen, Kreditwürdigkeit oder Unternehmertum verstehen, passt nicht auf Arme. Gleiches gilt für Institutionen, wie beispielsweise Finanzdienstleister, die Armen keinen Zugang gewähren. Armut basiert auf den Fehlern, die auf konzeptioneller Ebene gemacht werden, und weniger auf dem Fehlen menschlicher Fähigkeiten.
Ich glaube fest daran, dass wir eine Welt ohne Armut schaffen können, wenn wir alle gemeinsam daran glauben. Der einzige Platz, an dem man Armut in dieser Welt zu Gesicht bekäme, wäre im "Museum der Armut". Würden Schulkinder einen Rundgang durch dieses Museum machen, sie wären entsetzt über das Elend und die Demütigung, die manche Menschen durchleben mussten. Sie würden ihren Vorfahren vorwerfen, die unmenschlichen Bedingungen geduldet zu haben, unter denen Millionen Menschen so lange leben
mussten.
Der Mensch kommt ausreichend dafür ausgestattet auf die Welt, um nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Wohlergehen der ganzen Weltbevölkerung Sorge zu tragen. Manche Menschen erhalten die Möglichkeit, ihr Potenzial in gewissem Grade zu entfalten, viele jedoch können es niemals entfalten, weil es ihnen an Gelegenheit dafür fehlt. Sie sterben, ohne sich ihres Potenzials jemals bewusst geworden zu sein, und die Welt bleibt somit ihrer Kreativität und ihres Beitrages beraubt.
Unsere Aufgabe ist es daher, für die ärmere Bevölkerung ein Umfeld zu schaffen, das zu der Entfaltung ihrer Potenziale beiträgt, so dass sie die Armut aus eigenem Antrieb überwinden kann. Sobald der Energie und der Kreativität eines jeden Menschen ein Freiraum gegeben wird, verschwindet Armut.
Dieses Buch und die hinter diesem Buch stehenden Initiativen und Menschen dokumentieren die beeindruckenden Auswirkungen, die lokale Organisationen in ihrem Kampf gegen Unterdrückung und für eine ganzheitliche Verbesserung der Lebensverhältnisse der Armen erreicht haben. An sehr konkreten Beispielen wird dargestellt, wie die Armen - insbesondere Frauen - dem Teufelskreis der Armut entkommen können. Das Buch veranschaulicht, wie die Frauen nicht nur sich selbst geholfen haben, sondern gleichzeitig zur nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation ihrer Kinder, ihrer Familie und der ganzen Gemeinschaft beigetragen haben. Der Schlüssel hierfür liegt im Zugang zu finanziellen Quellen.
Das Buch zeigt jedoch auch, dass es darüber hinaus sehr viel mehr braucht, um eine ganzheitliche Entwicklung und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu erreichen. Ein grundlegendes Element für eine gemeinschaftliche und partizipative Entwicklung ist die aktive Einbindung der Armen in die Gestaltung und Kontrolle jedweder Entwicklungsmaßnahme.
"Mein Wort zählt" symbolisiert nicht nur die ökonomische Stimme der Frauen. Das Buch verdeutlicht auch, dass Frauen zunehmend Einfluss auf Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen nehmen. "Mein Wort zählt" steht für die Selbstachtung und Selbstbestimmung der Frauen, es steht für mehr Mitsprache innerhalb der Familie und für die aktive Teilnahme in politischen Gremien. Und es steht auch für die Kompetenz der Frauen, Entwicklungskonzepte zu gestalten, sie eigenständig zu kontrollieren und zu verbessern. Sie sind nicht einfach nur Empfänger, sie können kompetente, dynamische und kreative Akteure in der Entwicklung ihrer Gemeinschaften sein. Wir müssen nur ein Umfeld schaffen, das zur Entfaltung ihrer Potenziale beiträgt, wir müssen diese Möglichkeiten schaffen!
Prof. Muhammad Yunus
Warum dieses Buch?
Selbstbewusst und eigenständig
"Mein Wort zählt" - das sagen Frauen in Indien, die zuvor in Armut gelebt haben, kaum Schulbildung genossen hatten und wenig Rechte besaßen. Dann gründeten sie zusammen mit Nachbarinnen eine so genannte Selbsthilfegruppe. Diese Gruppe hatte sich das Ziel gesetzt, gemeinsam Ersparnisse zusammenzutragen und den Mitgliedern mithilfe kleinster Darlehen ein Einkommen zu verschaffen. Zum Beispiel mit dem Flechten von Matten, mit dem Betrieb eines kleinen Dorfladens oder mit dem Verkauf von Blumen.
Doch ehe die Frauen diesen Schritt wagten, konnten sie sich erst einmal im Umgang mit Geld üben, sich grundlegende Kenntnisse in Buchhaltung und Rechnungswesen aneignen. Gleichzeitig trugen sie dazu bei, ein funktionierendes Gemeinwesen mit aufzubauen. Das heißt: Gleiche Rechte für Frauen wie Männer, regelmäßiger Schulbesuch für die Kinder, geordnete hygienische Verhältnisse, eine funktionierende Gesundheitsversorgung, ein schonender Umgang mit Ressourcen wie Wasser, eine effektive und angepasste Bodenbewirtschaftung und eine elementare Verkehrsanbindung. Denn ohne diese Voraussetzungen ist ein vernünftiges Leben und Wirtschaften kaum möglich.
"Mein Wort zählt" - diese Aussage widerspiegelt das Selbstbewusstsein und die Erfahrungen, die die Frauen im Verlaufe dieses Prozesses gewonnen haben.
Dieses Buch schildert die Geschichten, die sich dahinter verbergen. Entstanden ist es aus einem gemeinschaftlichen Vorhaben von 32 indischen und 14 deutschen nichtstaatlichen Organisationen (englisch Non-Governmental Organisation oder NGO), die als Partner zusammenarbeiten. Sie alle betreiben in Südindien Entwicklungsprogramme für arme und ausgegrenzte Teile der Bevölkerung mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten, je nach deren Bedürfnissen: Landlose Landarbeiter und Kleinstbauern, Slumbewohner, Angehörige niedriger Kasten und ethnischer Minderheiten, aus Schuldknechtschaft oder Kinderarbeit befreite sowie durch Lepra oder andere Erkrankungen beeinträchtigte Menschen.
Gemeinsam ist all diesen Programmen, dass ihr besonderes Augenmerk den Frauen und Kindern innerhalb dieser Bevölkerungsgruppen gilt. Und dass sie den Menschen trotz knappster eigener Mittel Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen: Oft genügt es schon, die Gruppen zum regelmäßigen Sparen anzuregen. Manchmal bieten die Programme so genannte rotierende Fonds an, oder sie stellen den Kontakt zu einer Bank her, die Mikrokredite vergibt und Sparkonten führt.
Dass solche Kredite und Bankdienstleistungen in kleinsten Stückelungen tiefgreifende Veränderungen bewirken können, ist längst allgemein anerkannt. NGO erzielen damit gute Erfolge, weil sie gleichzeitig, im Rahmen integrierter Projekte, auch die genannten Voraussetzungen schaffen helfen.
Das konnten die 32 indischen und 14 deutschen NGO mit ihrem Projekt "NGO-IDEAs" (NGO Impact on Development, Empowerment and Actions) deutlich machen.
Das Projekt hat darüber hinaus neue Wege beschritten: In einem breit angelegten Erfahrungsaustausch haben die beteiligten NGO ermittelt, wie sich die Wirkungen ihrer Programme so erfassen lassen, dass die betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen - und dadurch den weiteren Verlauf der Programme mit beeinflussen.
NGO-IDEAs wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mitfinanziert. Das Projekt begann im Sommer 2004 und wurde Mitte 2007 abgeschlossen. Die Autorin dieses Buches hat auf Einladung der Projektleitung im Januar 2007 einige der beteiligten südindischen NGO besucht. Alle Aussagen ohne ausdrückliche Angabe der Quelle stammen aus Gesprächen und Interviews, die sie während dieser Besuchsreise führte.
So erzählt in Kapitel 1 eine Frau in ihren eigenen Worten, wie sich durch ein Spar- und Kreditprogramm, das von geeigneten flankierenden Maßnahmen begleitet ist, das Leben der Betroffenen, ihrer Familien und Dorfgemeinschaften verändern kann.
Kapitel 2 zeigt in einem kurzen historischen Rückblick, dass Sparen und Mikrokredite auf der Grundlage gegenseitiger Hilfe bereits eine Jahrhunderte alte Tradition hatten, bevor sie als wichtiges Instrument zur Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern entdeckt wurden.
Kapitel 3 beleuchtet die Situation in Indien. Es erklärt, warum in dem Land trotz seines Sprunges nach vorn immer noch viele Menschen in Armut leben. Und es schildert, wie die Spar- und Kreditprogramme der an dem Projekt NGO-IDEAs beteiligten südindischen Organisationen funktionieren.
Kapitel 4 beschreibt, mit welchen Maßnahmen die südindischen NGO die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Kapital, das die Selbsthilfegruppen bilden oder als Darlehen aufnehmen, auf fruchtbaren Boden fällt. Das be­ginnt mit dem Bau einfacher Latrinen und hört mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch lange nicht auf.
In Kapitel 5 ist nachzulesen, was geschieht, wenn das funktioniert: Die Veränderungen, die das Projekt NGO-IDEAs von den Betroffenen erfragte, reichen von besserem Ernährungszustand über den Rückgang häuslicher Gewalt bis hin zu der Feststellung, dass Frauen jetzt öffentlich ihre Stimme erheben. Zudem stellt dieses Kapitel dar, wie die einzelnen Mitglieder von Selbsthilfegruppen solche Veränderungen wahrnehmen und welche Instrumente zur Wirkungsbeobachtung sich als die besten erwiesen haben.
Wenn die betroffenen Menschen selbst die Veränderungen kontinuierlich beurteilen und reflektieren, hilft ihnen das, ihre weitere Entwicklung so mitzugestalten, dass diese ihren Träumen möglichst nahe kommt. Das bedingt, dass nicht nur Erfolge, sondern auch unerwartete Wirkungen oder Fehlschläge die weitere Programmplanung beeinflussen. Dass es aus jeder Erfahrung Wertvolles zu lernen gibt, wird in Kapitel 6 angesprochen.
Kapitel 7 kehrt schließlich zum Anfang zurück - und gibt einen Ausblick in die Zukunft von Frauen, die in Selbsthilfegruppen aktiv und eigenständig geworden sind.
Blick ins Buch

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