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E-Book

Menschenachtung und Denkfreiheit

Das Evangelium und Europa

AutorHans-Jürgen Schäfer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl640 Seiten
ISBN9783744859646
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
"Wie kann ich motiviert werden, um die beiden Kräfte der Menschenachtung und Denkfreiheit zu bejahen und zu entwickeln?" So hat Hans-Jürgen Schäfer (1928-2016) als Pfarrer i. R. die Hauptaufgabe seines Buches beschrieben, dessen Manuskript er hinterlassen hat. Die Darstellung widmet sich in umfassender Weise der jüdisch-christlichen Religion, der griechischen Philosophie und dem römischen Recht als den drei geistigen Standbeinen Europas. Das Buch stellt ein Plädoyer dar für eine Aktualisierung des Evangeliums, in welchem die Fähigkeit zur Menschenachtung und die kritische Denkfreiheit gleichermaßen ihren Platz einnehmen.

Hans-Jürgen Schäfer (1928-2016) war evangelischer Pfarrer in Essen (NRW) und lebte nach seiner Pensionierung in Oldenburg.

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Leseprobe

Europäer auf dem Weg zueinander


Das gemeinsame Haus Europa,
Einheit in Vielfalt


Die Europäische Union, ein Experiment

Die Europäische Union ist wie jede politisch-wirtschaftliche Gemeinschaft ein Experiment. Fühlen wir uns als Europäer? Arbeiten wir für das Gelingen des Experiments? Was sagen uns die geschichtlich-persönlichen Erfahrungen der Gründerväter, ihr daraus erwachsener Elan und ihre damalige Verantwortung? Wir leben in einem anderen Zeitfenster als sie. Aber wie die Staffelläufer haben wir unsere eigene Verantwortung für das Experiment zu übernehmen. Neue Herausforderungen stellen neue Aufgaben. Die geschichtlichen Motive, aus der die EU entstand, ermutigen uns, am Experiment weiterzuarbeiten.

Die westeuropäischen Gründerväter der Europäischen Union hatten die weitgehende Selbstzerstörung Europas schon im ersten Weltkrieg 1914-1918 miterlebt, und danach im zweiten Weltkrieg 1939-1945. Aus ihrer gemeinsamen Erfahrung entstand ihr gemeinsames Ziel. Gewagt in einem Klima ideologischer Verblendung, politischer Überwachung und der Bedrohung durch KZ-Lager oder den Tod. Krieg in Europa sollte endgültig nicht mehr sein. Das Ziel war eine europäische Gemeinschaft. Nach Kriegsende trafen sie sich und merkten, dass sie alle dasselbe Ziel hatten. Ihre Denkfreiheit und ihr Respekt voreinander verwandelte sie in Pfadfinder auf dem Weg zu einem friedlichen Europa.

Im Nachkriegseuropa begann jedoch bald die schicksalhafte Teilung durch den „Eisernen Vorhang“. Die beiden kriegsentscheidenden Supermächte USA und Sowjetunion hatten mit Großbritannien und Frankreich das eroberte Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Dann entstand der ideologisch bestimmte „Kalte Krieg“ zwischen der sowjetischen Diktatur und den westlichen Demokratien. Die gegenseitige Furcht vor einem Atomkrieg hielt die beiden Machtblöcke vom „Erstschlag“ ab. Die Teilung Europas und Deutschlands dauerte rund 44 Jahre, von 1945 bis 1989. Die osteuropäischen Staaten wurden von der Sowjetunion als Satelliten behandelt und waren vorgesehen als Schlachtfeld eines Dritten Weltkrieges. Ebenso die westeuropäischen Staaten. Während die Staaten Osteuropas durch Zwangssozialisierung in das staatskapitalistische System eingeordnet wurden, wollte der amerikanische Staat mit seinem „Marshallplan“ (Beginn 1948) den westeuropäischen Staaten wirtschaftlich wieder auf die Beine helfen. Bis Ende 1951 erhielt Westeuropa etwa 13 Mrd. $. Die BRD und Berlin (West) erhielten bis 1957 1,7 Mrd. $. Daraus entstand das „Deutsche Wirtschaftswunder“. Daneben haben 22 Wohlfahrtsorganisationen mit den Mennoniten als Vorgängern sich unter dem Logo CARE zusammengetan und zusammen mit vielen Bürgern durch „Carepakete“ die Hungernden in Westeuropa ab 1946 auf Jahre versorgt. Nicht zu vergessen sind ihre Schulspeisungen.

Ebenso schicksalhaft für Europa war, dass seine bisherigen Kolonien ihre staatliche Freiheit errangen. Das riesige British Empire verschwand von der Landkarte. Im Grund waren sie alle, das UK, Italien, die Niederlande, Frankreich, Portugal und Belgien, ähnliche Verlierer wie Deutschland, das nun seine Ostgebiete, Ostpreußen, Pommern und Schlesien, endgültig verlor.

Unter diesen alten und neuen Aspekten versuchten die westeuropäischen Gründerväter, in Abhängigkeit von und bewusster Anlehnung an die US, ihre schwer geschädigten Nationalstaaten mit ihrer traumatisierten, hungernden und großenteils arbeitslosen Bevölkerung auf einen neuen Weg zu führen. Schon 1946 hatte Winston Churchill in seiner berühmten Rede vor Studenten in Zürich die „Vereinigten Staaten von Europa“ gefordert. Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) strebte die Einbindung Westdeutschlands in die europäischen Demokratien an. Das „Grundgesetz“ (GG) vom 23. Mai 1949 wurde zur Basis einer parlamentarischen Demokratie. Es war gedacht als Provisorium. Man hoffte auf eine Wiedervereinigung Deutschlands. 1949 wurde in London der Europarat gegründet. Sein Sitz ist Straßburg. Er beschloss 1950 die „Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. Das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas plante der Franzose Jean Monnet. Seinen Plan verwirklichte der Belgier Paul-Henri Spaak mit der „Spaak-Kommission“ in den Römischen Verträgen vom 25. März 1957. Damit begann die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Dem 1949 gegründeten Militärbündnis der Nato trat die BRD 1955 bei. 1958 trat in Straßburg das Europäische Parlament zusammen. Es ist das einzige von uns Europäern direkt gewählte und uns repräsentierende Organ. 1963 unterzeichneten in Paris Staatspräsident de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. 1992/93 entstand die Europäische Union (EU) als „Dach“ Europas. Neben dem Binnenmarkt nahm man als weitere „Säulen“ die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik hinzu. Der Europäische Gerichtshof wurde gebildet. Weitere Staaten wurden in die EU aufgenommen. Die Verträge von Maastricht 1992/93, Amsterdam 1997/99, Nizza 2001/03, und Lissabon 2007/09 beabsichtigen eine immer umfassendere Einheit der EU. Ziel ist eine Wertegemeinschaft mit einer Verfassung Europas, die 2005 durch zwei Gegenstimmen scheiterte. Immerhin trat die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ am 1.12.2009 in Kraft.

Widersprüchlich war die Situation an den Rändern Westeuropas. Im Norden bestanden als parlamentarische Monarchien die drei skandinavischlutherischen Staaten Schweden, Norwegen und Dänemark. Dänemark und Norwegen hatten unter dem deutschen Überfall des letzten Krieges schwer gelitten. Bis heute gehört Norwegen nicht zur EU. Das ebenfalls lutherische Finnland, eine parlamentarische Republik, hatte als Kriegsgegner der Sowjetunion weite Teile seines Ostens verloren, aber dennoch das Glück, seine Freiheit bewahren zu können, unter enger vertraglicher Bindung an die Sowjetunion. Alle vier Staaten wollten zunächst ihre Selbständigkeit bewahren.

Im südlichen Europa bestanden am Anfang noch die spanische Diktatur unter Generalissimo Francisco Franco (1892-1975) und die portugiesische unter Antonio de Oliveira Salazar (1889-1970). Griechenland hatte direkt nach seiner Befreiung 1944 einen Aufstand seiner kommunistischen Partei erlebt, der aber 1949 beendet wurde. Danach beherrschte die Furcht vor den Kommunisten das politische Klima. 1967 begann nach einem Armeeputsch eine Offiziersdiktatur. In Italien löste eine Regierung die nächste mit wechselnden Koalitionen ab. Italienischen Mafiosi aus den USA gelang es, den Drogenhandel aufzubauen und die italienische Geschäftswelt zu erpressen. Über Italien hinaus kontrollieren sie manchen gewinnbringenden Berufszweig. In Italien und ebenso in Frankreich gab es starke kommunistische Parteien. Österreich war nach seiner Abtrennung vom Großdeutschen Reich ebenso wie Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Insgesamt rangen in Westeuropa sozialistische Parteien mit den bürgerlichen Parteien ständig um die politische Macht.

In diesem Staatenbild fehlt noch die Schweiz als sog. Willensdemokratie. Neutral während des Krieges, hätte sie zu den Demokratievorbildern eines vereinigten Europas werden können. Das hat ihre Regierung bei einer Abstimmung nicht durchsetzen können. Immerhin erfolgte nach einer Volksabstimmung 2002 der Beitritt zu den UN. Zwei Faktoren sind für das Verhalten der Schweizer typisch. Der erste ist ihr durchgebildetes demokratisches System. Volksabstimmungen sind in diesem Alpenstaat mit seiner geringen Bevölkerungszahl leicht durchzuführen. Der zweite Faktor besteht in dem alten Prinzip der Neutralität. Schon während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) hat die Eidgenossenschaft ihre Neutralität gegenüber den kriegerischen Nachbarn entwickelt und durchgehalten. Die Mehrheit der Schweizer will sich bisher nicht in eine Europäische Staatenkoalition einbinden lassen. Man will sein funktionierendes System behalten. Dieses Motiv hätte die Gründerväter der EU und ihre Nachfolger mahnen müssen, viel stärker bei allen Plänen zur Europäischen Union auch die zugehörigen Kontrollinstanzen zu schaffen. Die Krisen der EU führen uns vor Augen, dass ohne Kontrollinstanzen und Mitsprachegremien das Experiment Europa gefährdet ist.

Führen wir uns diese Tatsachen vor Augen, dann ist das Zeitfenster der Gründerväter und ihrer ersten Nachfolger bestimmt durch die Erfahrungen der beiden Kriege. Sie sahen die bombardierten Zentren, die wiederaufgebaut werden mussten, die Industrie, die in Westeuropa kooperieren sollte. Aber der Kalte Krieg fast direkt nach dem Kriegsende und die atomare Bedrohung haben ihre Vision von einem Europa des Friedens desillusioniert. Vor allem in der BRD mit ihrem Bewusstsein eines geteilten Deutschland bestimmte ein neues Motiv die Entscheidungen bei Politikern und Firmenleitungen. Gegen die sowjetische...

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