Caspar David Friedrichs Kunst hob sich stark von den akademischen Traditionen ab. Dadurch hatte es der Künstler schwer, sich zu seinen Lebzeiten zu etablieren.[138] Friedrich wurde von seinen Zeitgenossen nicht als Ausnahmekünstler wahrgenommen und musste deshalb um Anerkennung kämpfen. Zu seiner Zeit wurde das Genie des Malers verkannt, denn Kritiker und Kunstkenner sahen in Friedrich nur eine Art Mystiker.[139] Erst nach der denkwürdigen Berliner Jahrhundertausstellung, die 1906 stattfand und bei der 32 Werke Friedrichs gezeigt wurden, begann die Wiederentdeckung des Künstlers.[140]
Folgender Tagebucheintrag von Friedrichs Künstlerkollegen Adrian Ludwig Richter belegt, wie negativ seine Werke von vielen Zeitgenossen aufgenommen wurden:
„Mir scheint die Auffassungsweise Friedrichs auf einen Abweg zu führen, der in unseren Zeiten sehr epidemisch werden kann: seine meisten Bilder atmen jene kranke Schwermut, jenen Fieberreiz, welcher jeden gefühlvollen Beschauer mächtig ergreift, aber immer ein untröstliches Gefühl hervorbringt. Das ist nicht der Ernst, nicht der Charakter, noch der Geist und die Bedeutung der Natur, das ist hineingezwungen. – Friedrich fesselt uns an einen abstrakten Gedanken, gebraucht die Naturformen nur allegorisch, als Zeichen und Hieroglyphen, sie sollen das und das bedeuten; in der Natur spricht sich aber jedes Ding für sich selbst aus, ihr Geist, ihre Sprache liegt in jeder Form und Farbe.“[141]
Friedrich ging es allerdings auch nicht darum, Kunst für das breite Publikum zu schaffen. Vielmehr wollte er von einem kleinen, ausgewählten Kreis verstanden werden.[142] Heute ist allerdings gemeinhin bekannt, dass Friedrich äußerst eindrucksvoll und mit großem malerischen Können die romantischen Ideale in seinen Gemälden verarbeitet und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen seiner Zeit kommentiert hat. In seinen Landschaften wird aufgrund der speziellen Personendarstellung die religiöse Auffassung des Künstlers und sein Welt- und Menschenbild, das auf den theoretischen Grundlagen der Romantik fußt, zum Ausdruck gebracht. Friedrichs Selbstbildnisse sind ein Beispiel für den gesteigerten Subjektivismus während der Romantik, da der Maler mit diesen frühen Zeichnungen seine Persönlichkeit preisgibt und einen Einblick in sein Verständnis von sich als Künstler gewährt.
„Selbstbildnis“, 1800, 42 x 27,6 cm, Schwarze Kreide, Kopenhagen,
Königliches Kupferstichkabinett.[143]
Caspar David Friedrich beschäftigte sich bis zum Jahr 1810 zeichnerisch mit seinem eigenen Bildnis.[144] Lediglich in seinem Frühwerk stellt sich der Maler in der Vorderansicht dar und ermöglicht es dadurch dem Betrachter, in sein Gesicht zu schauen.[145]
Auf einem Selbstbildnis bildet Caspar David Friedrich sein Gesicht zur Grimasse verzerrt ab, ein anderes zeigt ihn melancholisch sinnierend. Teilweise, wenn er sich im völligen Profil als Graphikvorlage darstellt, scheint der Maler auch nur objektiv dokumentieren zu wollen. Einmal zeigt er sich scharf über die Schulter gewandt und doch in sich versunken, ein andermal den Betrachter aus tiefen, im Schatten liegenden Augenhöhlen anblickend. Auf einem weiteren Selbstbildnis charakterisiert sich der Maler mit Mütze und Augenklappe als Künstler.[146] Alle gezeichneten Selbstbildnisse Friedrichs werden als Charakterstudien verstanden, die keinen tieferen Sinngehalt haben.[147] Anhand der Selbstportraits kann jedoch festgestellt werden, dass der Maler offenbar stets den Drang gehabt hat, künstlerisch über sich selbst und seine Tätigkeit zu reflektieren.[148]
„Selbstbildnis mit Mütze und Visierklappe“, 1802, 17,5 x 10,5 cm, Tinte auf Graphit,
Kunsthalle Hamburg.[149]
Das Selbstbildnis mit Mütze und Visierklappe von 1802 führte Friedrich anstatt mit schwarzer Kreide, wie die meisten anderen Zeichnungen, mit Sepiatinte aus.[150] Der Maler bediente sich hier einer Technik, die er im Jahr der Entstehung des Selbstbildnisses entwickelte und im Laufe seiner Karriere immer wieder aufgriff. Über eine Bleistiftzeichnung hat Friedrich braune Tinte in Schichten aufgetragen. Er integrierte in seine Zeichnung durch die spezielle Technik demnach auch malerische Komponenten, durch die Licht- und Schattenfelder entstanden.[151] Hier kam demzufolge die neue Kenntnis über die Bedeutung des Lichts, die sich während der Romantik entwickelte, zum Tragen.
Das Selbstportrait von 1802 zeigt Friedrich als arbeitenden Künstler. Das Fläschchen im Knopfloch des Malers dient zur Aufbewahrung der Tusche. Das Tuch, das er um den Kopf gewickelt hat, ermöglicht es ihm, mit dem einen Zipfel sein Auge zu verdecken, um ihm das flächige Sehen zu erleichtern.[152] Der Maler stellt sich hier als selbstbewusster Künstler dar, der mit seiner Tätigkeit und der stetigen Weiterentwicklung seiner Arbeit zufrieden ist. Caspar David Friedrich steht auf dieser Selbstdarstellung zu sich selbst und zu seiner Tätigkeit. Hierfür spricht auch der selbstgewisse und entschiedene, fast kühne Ausdruck seines Gesichts.[153]
„Selbstbildnis“, um 1810, 23 x 18,2 cm, Schwarze Kreide,
Staatliche Museen zu Berlin.[154]
Das obige Selbstportrait, das 1810 entstand, ist das wohl Bekannteste des Malers und deshalb in fast jedem Buch über Caspar David Friedrich zu finden.[155] Der Künstler war 35 oder 36 Jahre alt, als er die Zeichnung anfertigte. Es ist das letzte Selbstbildnis in Frontalansicht, das Friedrich zeichnete, und es entstand zu einem Zeitpunkt, als seine Kunst erstmals Zustimmung fand.[156] Bei Betrachtung der Zeichnung können folgende Beschreibungen des Aussehens Caspar David Friedrichs, die Zeitgenossen formulierten, nachvollzogen werden:
„Gebürtig vom Strande der Ostsee, eine recht scharf gezeichnete norddeutsche Natur, mit blondem Haar und Backenbart, einem bedeutenden Kopfbau und von hagerem, stark knochigem Körper, trug er einen eigenen melancholischen Ausdruck in seinem meist bleichen Gesicht, dessen blaues Augenpaar so tief unter dem stark vorspringenden Orbitalrande und buschigen, ebenfalls blonden Augenbrauen verborgen lag, daß darin der Blick des die Lichtwirkung im höchsten Grade konzentrierenden Malers sehr charakteristisch sich erklärt fand.“[157]
„In der Erscheinung glich Friedrich mit seinem aschblonden Haar und Bart, blauen Augen und kräftigen ausdrucksvollen Gesicht ganz einem alten Germanen; sein schönes, reines, frommes, kindliches Gemüt, die fast weibliche Zartheit seiner unaffektiert-sentimentalen Seele stand freilich in wunderlichem Wiederspruch mit seinem derben Stocke und seinem Backenbarte, aber wer ihm nur einmal in sein reines Auge blickte, mußte auch durch die oft bittere Schale in seinem Tun und Bilden den süßen Kern schmecken […].“[158]
Der Betrachter muss feststellen, dass das Bildnis, welches während der Erfolgsperiode Friedrichs entstand, nicht von dem großen Selbstbewusstsein eines aufstrebenden Malers zeugt.[159] Vielmehr scheint die Zeichnung aufgrund der Komposition ungewöhnlich und befremdend.[160]
Die Kleidung Friedrichs gleicht einer Mönchskutte und sein Blick zieht den Betrachter in seinen Bann.[161] Dies wird auch dadurch erreicht, dass die Formen alle um das rechte Auge des Künstlers angeordnet zu sein scheinen.[162] Das rechte Auge Friedrichs ist in der Bildmitte platziert und schaut den Betrachter direkt an. Bei ein- gängiger Betrachtung dieses Auges fällt auf, dass die rechte Hälfte des Gesichts hell beleuchtet ist, die linke Seite hingegen im Schatten liegt. Diese Tatsache gibt dem Selbstbildnis laut Jensen einen zwiespältigen, schizoiden Ausdruck.[163]
Der Maler setzt sich hier nicht in Szene, er posiert nicht und bildet sich ohne jegliche Eitelkeit oder Merkmale seiner gesellschaftlichen Stellung ab. Dies unterscheidet Friedrichs Selbstportrait von Künstlerdarstellungen, die im 17. und 18. Jahrhundert entstanden sind, auf denen Maler gerne ihre gesellschaftliche Bedeutung dargestellt...