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Messies - Sucht und Zwang (Leben Lernen, Bd. 206)

Psychodynamik und Behandlung bei Messie-Syndrom und Zwangsstörung

AutorRainer Rehberger
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783608103861
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Wohnungen, die über und über mit nutzlosen Dingen angefüllt sind, Räume, die keinen begehbaren Lebensraum mehr für ihren Bewohner bieten: Mit diesen Bildern ist das Messie-Syndrom durch Fernsehberichte einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Und es handelt sich nicht um Einzelfälle; immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, sich von Unbrauchbarem zu trennen und eine rudimentäre Ordnung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld aufrechtzuerhalten. Aus psychotherapeutischer Sicht gibt es bisher nur wenige plausible Erklärungen für das Phänomen der freiwillig-unfreiwilligen Vermüllung. Einen innovativen Ansatz bietet dieses Buch. Es zeigt, wie eng das Messie-Syndrom mit der Zwangsstörung verbunden ist: Die Kehrseite des zwanghaften »Müssens« ist das »Mach-ich- nicht«. Rehberger führt beides auf schwere Bindungsstörungen in der frühen Kindheit zurück. Zwanghaftes Unterlassen führt ins Chaos des Messie-Daseins. An zahlreichen Fallbeispielen zeigt der Autor die klinische Relevanz dieses Grundgedankens auf und weist therapeutische Wege aus der Desorganisation auf.

Rainer Rehberger, Dr. med. (1940-2019), war Facharzt für Psychotherapeutische und Innere Medizin, Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker in freier Praxis in Seefelden/Bodensee und in Berlin; Fachpublikationen zu den Themen: Trennungsangst, Trauerabwehr, Messie-Problematik.

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Leseprobe
4. Kapitel Unendlich unaufgeräumt, oft grenzenlos gesammelt und unpünktlich - das klinische Bild des Messie-Syndroms ? Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen; ? Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen; ? Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen; ? Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben. Die Bild-Medien zeigen gern die verwahrlosten, überfüllten, chaotischen Wohnungen und Höfe, vielleicht noch die Autos, die Teile des Hausstands beherbergen. Betroffene erleben sich bewusst oft als normal mit der Ausnahme, eben zu sammeln und nicht aufzuräumen. Sie igeln sich mithilfe ihrer ungeordneten Sammlungen ein und begründen so ihr grundlegend verändertes Sozialverhalten. Wegen ihrer notorischen Unpünktlichkeit sind sie oft beschämt und suchen Ausreden. Verschiedene Spielarten der Sucht, bei vielen Sammelsucht und unwillentliche Desorganisation in Raum und/oder in der Zeit, sind die gemeinsamen Merkmale der Störung. Merkmale des Zwangscharakters und Zwangssymptome neben allen möglichen Begleiterkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen, Essstörungen, schizophrenen Psychosen und Borderline-Störungen ergänzen das klinische Bild. 4.1 Grundlagen meiner Erfahrungen mit Messies Meine Erfahrungen beziehen sich in erster Linie auf meine Sprechstunden. Nur ein Teil der insgesamt Betroffenen sucht die psychotherapeutische Hilfe nach. Manche würden niemals professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, andere suchen psychiatrischen Schutz, wenn sie unter der Last des Schicksals zusammengebrochen sind. Messies haben sehr unterschiedliche soziale und persönliche Merkmale. Sie gehören sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und Persönlichkeitstypen an. Vordergründig ist ihnen die Neigung zur Desorganisation ihrer Vorhaben und oft die zu sammeln gemeinsam. Näher betrachtet beeindruckt ihre Unordnung im sozialen Miteinander und oft die Armut an Beziehungen oder ihre Oberflächlichkeit bei großer innerer Verschlossenheit. 4.2 Wie Messies auftreten Sie sind äußerlich unauffällig. Häufig ist ihnen ihr Leid anzusehen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Angst. Manchmal leiden sie auch unter einer Essstörung und sind zu dick oder zu dünn. Sie fallen außerhalb ihrer Wohnung und außerhalb ihrer sozialen Beziehungen nicht als Chaoten auf. Sie sind gepflegt und gemäß ihrer sozialen Zugehörigkeit gekleidet. Über ihr Sammeln und ihren Verzicht zu ordnen schweigen sie meistens. Oder sie deuten es in der Psychotherapie so vorsichtig an, dass ich es lange Jahre als ganz eigenes Problem und als große Not wie viele Psychotherapeuten nicht erkannt habe. Diese Störung ist wenig erforscht. Gegenüber anderen, seien es Angehörige, Freunde, Bekannte oder Fremde, die als Handwerker oder Ableser die Wohnung betreten wollen, verschließen Betroffene oft ihre Wohnung oder verlangen längere Voranmeldung. Ihr Auto ist öfter eine fahrbare Behausung und ein Zwischenlager für viele nützliche und in den Augen anderer unnütze Dinge. 4.3 Messies, ihre Scham und Verschlossenheit über ihre Sammlung und ihr häusliches Durcheinander Beispiele Betroffene schämen sich und verschließen sich sehr wegen ihrer chaotischen und beinahe oder ganz unbewohnbaren Wohnungen. Sie deuten diese Notlagen oft so beiläufig an, dass sie von der Fachfrau oder vom Fachmann übersehen werden. Herr H. (s. a. S. 19) Die Messie-Problematik von Herrn H., der seinen Hausstand nicht ordnete, verstand ich während der fünfjährigen Behandlung nicht. Ich behandelte ihn wegen einer Panikstörung (Rehberger, 2000, S. 28 ff.) und konnte ihm behilflich sein, seine Ängste und seine Depression besser zu bewältigen. Am Rande erfuhr ich von seiner chaotischen Wohnung. Die Möbel standen noch so, wie die Möbelpacker sie bei seinem Einzug hingestellt hatten. Die Flurlampe bestand immer noch in einer Fassung mit einer nackten Glühbirne. Kündigte der Hausbesitzer einen Besuch an, geriet Herr H. in helle Aufregung. Ich hielt seine Unordnung damals für die Folge seiner depressiven Stimmungen nach dem Tod von Bruder und Mutter. Herr H. kam regelmäßig rechtzeitig. Frau S. (s. a. S. 80) Auch Frau S. deutete ihre Unordnung zu Hause beim Erstgespräch äußerst zurückhaltend an, sodass ich nicht aufmerksam wurde. Als ich nach den ersten Kontakten mit dem Förderverein zur Erforschung des Messie-Syndroms sie direkt auf das Messie-Thema ansprach, ging sie sofort darauf ein und ordnete sich zu meinem Erstaunen in diese Gruppe ein. Aus dem Fernsehen kannte sie Berichte über die Symptome. Das war im siebten Behandlungsjahr. Frau A. (s. a. S. 85) Sie umschrieb ihre häusliche Desorganisation, als wir mit der Behandlung anfingen, als »Unfähigkeit, sich gemütlich einzurichten«. Das Stichwort Messie verwendete sie nicht. Sie kam rechtzeitig und wartete fünf bis zehn Minuten bis zum Stundenbeginn. Herr Y. (s. a. S. 85) Er war sehr verschlossen und verschwieg viele seiner persönlichen Lebensumstände lange. Zögernd räumte er eines Tages ein, dass er in seiner Wohnung keine Ordnung schaffte. Er schämte sich erheblich, das bei mir einzugestehen. Er kam in der Regel auf die Minute pünktlich oder etwas früher, obwohl er einen weiten Weg mit dem Auto zurückzulegen hatte. Er hetzte sich, wenn er etwas später dran war. Meine Haltung, dass er über die Zeit der Stunden frei verfügte, brachte ihm kaum Linderung des Drucks, pünktlich sein zu müssen. [...]
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