Hans Heinrich Blotevogel unterscheidet zwischen vier metropolitanen Funktionen, die in wechselseitiger Beziehung stehen: Entscheidungs- und Kontrollfunktion, Innovations- und Wettbewerbsfunktion, Gateway-Funktion sowie Symbolfunktion.[8] Weiterhin bezieht Blotevogel die Metropolitanität und Innovationskraft auf die Dichte von unternehmerischen, wissenschaftlichen und kulturellen Akteuren im privaten und öffentlichen Sektor.[9] In diesem Sinne lässt sich insbesondere die Gateway-Funktion für die metropolitane Ausstrahlungskraft als konstitutiv betrachten. Hierbei geht es zum einen um die infrastrukturelle Erreichbarkeit als auch um die metropolitane Repräsentativität im Sinne der Symbolfunktion. Die Konstruktion metropolitaner Symbolik fungiert dementsprechend einerseits als repräsentative Stadtpolitik und andererseits als Instrument der Konstitution stadtbaupolitischer Identität. Somit befinden sich Muster von Repräsentativität stets im Spannungsfeld zwischen urbaner Ikonographie und der Konstitution von lokalen Chronotopoi. Dieses Spannungsfeld gilt es zu hinterleuchten, um die Komplexität der Diskussion um das Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 analysieren zu können und als Mechanismus der Restrukturierung einer Stuttgarter Identität zu verstehen. In diesem Sinne geht es darum, den Städtebau als Medium und dementsprechend den Stadtraum als Bedeutungsträger im Schlaglicht der medialen Repräsentation zu betrachten, denn „Stuttgart 21 macht sichtbar, was nicht lokalisierbar ist.“[10]
„Das Wiederaufleben der Diskussion über städtebauliche Leitbilder wurzelt in einer eigentümlichen Mischung aus globalen Entwicklungen, die von ´außen´ auf die Städte einwirken, und aus lokalen Optionen und Zwängen.“[11]
Städtebau und Stadtplanung als zielgerichtete politische Prozesse der Stadtentwicklung entsprechend ihrer Potentiale und dementsprechender Ideale sind nicht nur als Entwürfe eines Raumbildes zu betrachten, sondern vielmehr als initiative Projekte der Nutzungskonfiguration zu analysieren. In diesem Kontext sind Leitbilder als Medien der Architekturplanung zeitgenössisches Kristallisationsfeld von Identifikationsprozessen mit Stadtstruktur und lokaler Identität. Die angestrebten Ideale sind Teil der spezifischen Planungskultur, welche den Konflikt um den Stadtraum in der Art der Mediation manifestiert. Die britische Stadtplanerin Healey unterscheidet zwischen zwei idealtypischen Planungskulturen: zum einen die entscheidungsorientierte Planungskultur, welche die klassische Stadtplanung bestimmte und die verständigungsorientierte Planungskultur,[12] welche seit dem „communicative/ argumentative turn“[13] in der Stadtplanung tendenziell als Vorbild der Planungspraxis gilt. Entgegen der medial repräsentierten Logik des Schlichtungsverfahrens als Ansatz verständigungsorientierter Planungskultur muss jedoch eher von einer entscheidungsorientierten Planungskultur gesprochen werden, worin ein Argument für die starke Emotionalisierung des Stadtraums in der städtebaulichen Debatte um Stuttgart 21 liegen könnte. Die Schlichtungsrunde sollte getroffene Entscheidungen im Nachhinein verständigungsorientiert legitimieren. Der Ansatz der Projektgegner lag jedoch in der vollständigen Neuorientierung des Städtebauprojekts und somit einer nachhaltigen Rekonstitution der Planungskultur. Die unternehmerische Stadt der Dienstleistungsgesellschaft ist jedoch durch die Standortkonkurrenz weitestgehend auf die entscheidungsorientierte Planungskultur angewiesen. Nichtsdestotrotz gilt es, die Stadtbevölkerung in die stadtpolitischen Entscheidungen einzubinden und verständigungsorientiert zu handeln. Die Lösung für diese Diskrepanz zwischen Entscheidungsdruck und Verständigungsanforderung liegt in der stärkeren Professionalisierung der Leitbilder und einer damit verbundenen Medialisierung der Stadtentwicklung.
Stadtpolitische Leitbilder sind somit als Phänomen der städtebaulichen Moderne zu begreifen im Sinne der Vermittlung entscheidungsorientierter Planungskulturen. Die komplexen Anforderungen und der eingegrenzte Handlungsspielraum von Städten positioniert Leitbilder als Instanzen einer wirtschaftlich orientierten Stadtpolitik. Neben der Präsentation und Entwicklung eines Images geht es also auch um Verstetigung politischer Planungspraxis: „Leitbilder sollen hierarchische und formalisierte Planungsverfahren als kommunikative Komponente ergänzen und den Akteuren dazu verhelfen, im Diskurs bislang unerkannte Optionen für innovative Lösungen zu entdecken.“[14] Erfolgreiche Planung wird somit in Zusammenhang mit einer erfolgreichen Vermittlung angemessener Leitbilder gesetzt. Die Entwicklung von Leitbildern und Idealtypen der Stadtentwicklung positioniert sich als unverzichtbarer Bestandteil der Planungspraxis. Die Leitbilder sind zu inszenierbaren Ideologien geworden, während die Idealtypen der Stadtentwicklung einem Mythos der visionären Zukunft gleichkommen. Stadtmarketing und Stadtentwicklung orientieren sich dabei zunehmend am Erlebniswert der Stadt. Jener Mythos als immaterielles Element von Stadtkulturen wirkt als Grundmuster der Wahrnehmung und wird in seiner emotional-affektiven Leistungsfähigkeit als Bild inszeniert. Ein zentraler Idealtypus der Stadtentwicklung, welcher als Mythos symbolisch instrumentalisiert wird, ist jener der Urbanität. So weist der Soziologe Thomas Wüst in seiner Monographie zu jenem Konstrukt zu Recht darauf hin, dass Urbanität „ein kritikresistentes Faszinosum“[15] sei. Die Unsichtbarkeit der Urbanität fungiert dabei als konstitutives Wahrnehmungsmuster hinsichtlich der Wirkungsmächtigkeit des Begriffs:
„Das Wort evoziert Bilder. Wer von Urbanität spricht, ruft Sequenzen träumerischer Stadtansichten herbei. […]Ein ferner Sehnsuchtsort der flüchtigen Begegnungen, der welthaltigen Gespräche und zivilen Umgangsformen.“[16]
Die Argumentation von Wüst hinsichtlich des Mythos´ Urbanität basiert im Wesentlichen auf der Fragestellung, ob Urbanität als stadtgebunden oder ubiquitär zu bezeichnen ist. Aufbauend auf der Feststellung von Häußermann und Siebel, dass „Urbanität ubiquitär geworden“ sei und dementsprechend als ein Element des „modernen Sozialcharakters“ auch die moderne Stadt präge – und nicht umgekehrt,[17] kommt man zu der These, dass sich der Mythos der Urbanität von der Stadt entkoppelt hat und als Schablone zeitgenössischen Städtebaus im jeweiligen Stadtraum Ausdruck findet. Demzufolge ist jede Planungstätigkeit als soziale und kommunikative Konstruktion als Inszenierung des Zeitgeistes zu verstehen. Die Stadtentwicklung wird gleichsam zunehmend imaginisiert und orientiert sich dabei an den „Bildfolgen eines urbanen Utopia“.[18] Leitbilder gelten in diesem Sinne als Instrumente der Komplexitätsreduktion, Harmonisierung und Emotionalisierung. Das stadtpolitische Leitbild fungiert folglich als Konstruktionselement eines Mythos der Stadtentwicklung.
Die Festivalisierung der Stadtpolitik[19] im Fokus der Konstruktion von Images und Identitäten wird institutionalisiert in repräsentativen Großereignissen und städtebaulichen Großprojekten. Hierbei geht es um die Verbindung von Mythen mit Bildern im Sinne der Stadtpolitik. Städtebau steht seither im Fokus einer verstärkten Image- und Wahrnehmungspolitik, durch welche die Tradition und Geschichte der Stadt mit Entwicklungsperspektiven in Verbindung gesetzt werden sollen. Des Weiteren gilt es Raumrelationen zu entwickeln, die repräsentativ für eine unternehmerische Stadtpolitik stehen. Den Möglichkeiten der virtuellen Kommunikation entsprechend ist die Stadtpolitik darauf angewiesen urbane Vorstellungswelten zu konzipieren, die urbane Spezifika und städtebauliche Ikonographie zu Leitbildern der Stadtentwicklung vereinen. Dementsprechend werden urbane Vorstellungen durch die Transformation städtischer Strukturen materialisiert und sowohl Deutungsmuster als auch Identifikationsangebote produziert.
Leitbilder als Instrumente zur Fixierung von Vorstellungsräumen und damit als Grundlage urbaner Identitätskonstruktion zielen folglich auf eine Inszenierung der Stadt ab, welche über den aktuellen Stand hinweg Entwicklungsperspektiven bieten. Konstitutive Elemente für Leitbilder sind daher die verdichtete, bildhafte Darstellung von stadtentwicklungspolitischen Zielsetzungen, die offene Verbindlichkeit zur Festschreibung von Tendenzen der Stadtpolitik sowie die Kombination von Mehrheitsfähigkeit und rahmengebendem Moment des Kommunikationsprozesses. Zudem gilt es das Leitbild mit einem visionären Charakter zu versehen, um den Entwicklungsprozess durch ein utopisches Moment zu legitimieren.[20] Die emotional-affektive Wirkung induziert eine ideologische Instrumentalisierung, denn „Bilder kann man nicht widerlegen“[21] und „Bilder sind immer ein Beweis.“[22] Hieran lässt sich jedoch gleichsam der Ursprung des Konfliktes um die Wahrnehmung des Stadtraums erkennen. Es ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen Imagination und Tradition, Repräsentativität und Identität, zwischen Zukunftschance und...