2 Selbstregulierung von Märkten
Die Wirtschaftswissenschaft kann allgemein verstanden werden als die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Bewirtschaftung knapper Ressourcen beschäftigt. Knappheit – dieses Phänomen ist offensichtlich der Grundtatbestand, mit dem sich Ökonomen beschäftigen. Dabei ist es zunächst einmal unerheblich, ob wir die Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre betrachten: Ein einigendes Merkmal beider wirtschaftswissenschaftlicher Teildisziplinen ist die Beschäftigung mit der Knappheit als einem unausweichlichen Charakteristikum menschlichen Handelns. Ganz gleich, ob es darum geht, die knappen Ressourcen eines einzelnen Betriebs möglichst sinnvoll einzusetzen, oder die Ressourcen einer gesamten Volkswirtschaft – die Knappheit der Ressourcen ist das zentrale Problem, mit dem sich Betriebs- und Volkswirte konfrontiert sehen.
Grob gesagt besteht die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft also darin, Lösungen für das Problem knapper Ressourcen anzubieten. Die Kernfrage der Ökonomik lautet: Wie sind knappe Ressourcen am besten einzusetzen? Um diese Frage zu beantworten, muss man ein Kriterium definieren, anhand dessen Ressourcenallokationen beurteilt werden sollen. Unter einer Allokation versteht man dabei nichts anderes als die Aufteilung knapper Ressourcen auf eine Gruppe von Individuen. Ökonomen haben sich darauf verständigt, Allokationen nach dem Kriterium der Effizienz zu beurteilen. Eine zentrale Forderung von Wirtschaftswissenschaftlern ist, dass Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden sollten. Diese Forderung nach Effizienz schlägt sich in zwei elementaren Prinzipien nieder, die jedem Studenten der Wirtschaftswissenschaft bereits in seinen ersten Vorlesungen unvermeidlich über den Weg laufen, dem Maximumprinzip und dem Minimumprinzip. Somit gibt es genau zwei Möglichkeiten, den Begriff wirtschaftlicher Effizienz näher zu charakterisieren. Erstens: Wir können den Ressourceneinsatz fixieren. Dann ist Effizienz genau dann erreicht, wenn mit dem gegebenen Ressourceneinsatz ein maximaler Output erreicht wird (Maximumprinzip). Dabei kann es sich beispielsweise um den Unternehmensgewinn handeln, der bei gegebenem Bestand an Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Material usw.) ein Maximum annimmt oder etwa die gesellschaftliche Wohlfahrt, die maximal werden soll, gegeben ein gesamtwirtschaftlicher Bestand an Produktionsmitteln. Zweitens: Wir können die Zielgröße fixieren. In diesem Fall verlangt das Kriterium der Effizienz, den Ressourceneinsatz zu minimieren. Ein bestimmtes Ziel – etwa ein bestimmter Unternehmensoutput – ist dann mit einem minimalen Mitteleinsatz zu erreichen (Minimumprinzip).
Insbesondere in der Formulierung als Minimumprinzip wird deutlich, dass die Forderung nach Effizienz eine sinnvolle ist: Wenn Ressourcen knapp sind, dann sollten sie möglichst sparsam eingesetzt werden. Oder noch anders formuliert: Die Forderung nach Effizienz besagt eigentlich nichts anderes, als dass Ressourcen nicht verschwendet werden sollten. Auch wenn Ökonomen oft für ihre »effizienzorientierte Denkweise« kritisiert werden – letztlich ist Effizienz das Beste, was wir in einer Welt der Knappheit erreichen können. Machen wir uns an einem kleinen Beispiel klar, warum es auch aus einer sehr allgemeinen, ethischen Herangehensweise schwierig ist, gegen die effizienzorientierte Betrachtung zu argumentieren. Angenommen, in einer ineffizienten Situation A existiert eine Aufteilung von Ressourcen, so dass jeder Akteur ein bestimmtes Wohlfahrtsniveau erreicht. Wenn nun in dieser Situation A Ressourcen nicht effizient eingesetzt werden, bedeutet dies, dass beim Übergang zu einer effizienten Situation B die Wohlfahrt aller Beteiligten unverändert bleibt (d. h. niemand wird schlechter gestellt) und zugleich weniger Ressourcen eingesetzt werden. Anders herum: Man könnte bei gleichem Ressourceneinsatz in B mindestens einen Akteur in seiner Wohlfahrt besser stellen und zugleich die Wohlfahrt aller anderen Akteure unverändert lassen. In der Tat ist es also mehr als schwierig, ineffiziente Situationen als vorzugswürdig zu bezeichnen.
Während die Betriebswirtschaftslehre naturgemäß der Frage nachgeht, wie die Ressourcen eines einzelnen Betriebs möglichst effizient eingesetzt werden können, so nimmt die Volkswirtschaftslehre eine gesamtwirtschaftliche Perspektive ein. In der Volkswirtschaftslehre geht es zu einem Gutteil um die Frage, wie letztlich die Ressourcen einer gesamten Volkswirtschaft möglichst effizient genutzt werden können. Es geht darum, Bedingungen zu identifizieren, unter denen das gesellschaftliche Effizienzziel erreicht wird.
Zentral für die Volkswirtschaftslehre war dabei von Anfang an die Frage nach dem »richtigen« Wirtschaftssystem. Wie ist die Wirtschaftsordnung eines Landes zu organisieren, damit letztlich eine effiziente Ressourcenverwendung gewährleistet ist? Dies ist eine der Kernfragen der Volkswirtschaftslehre, die Ökonomen von Beginn an beschäftigt hat.
Bekanntlich existieren grundsätzlich zwei konträre Möglichkeiten, eine Volkswirtschaft zu organisieren. Am einen Ende der Skala möglicher Organisationsformen einer Volkswirtschaft befindet sich die zentrale Planwirtschaft, am anderen Ende die freie Marktwirtschaft. Dazwischen existiert ein Kontinuum aller denkbaren Mischformen, in denen der Staat mehr oder weniger stark in das Wirtschaftsgeschehen eines Landes eingreift. Die meisten real existierenden Volkswirtschaften dieser Welt sind keine »freien Marktwirtschaften« im reinen Sinn des Wortes. Charakteristisch ist vielmehr, dass der Staat auch in kapitalistisch organisierten Ländern seit geraumer Zeit ein wichtiger Akteur geworden ist. Dennoch handelt es sich bei den meisten Ökonomien auf diesem Globus um »Marktwirtschaften«. Die Begründung ist naheliegend: In fast allen Volkswirtschaften der Welt ist »der Markt« die zentrale Institution, über die knappe Ressourcen bewirtschaftet werden. Warum aber ist »der Markt« eigentlich zu der dominierenden Organisationsform des Wirtschaftens geworden?
Man kann diese Frage auf mindestens zwei Arten beantworten. Erstens kann man rein pragmatisch argumentieren, dass die Idee einer zentralen Planung ganz offensichtlich auf ganzer Linie gescheitert ist. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass der Versuch, das Allokationsproblem einer Volkswirtschaft auf dem Wege zentraler Planung zu lösen, nicht besonders gut funktioniert hat. Die Ineffizienz zentraler Planwirtschaften war ein gewichtiger Grund dafür, warum der frühere Ostblock zusammengebrochen ist. Frei nach Churchill könnte man also sagen: Die Marktwirtschaft ist unter allen schlechten Wirtschaftssystemen das beste.4
Diese pragmatische Sicht der Dinge ist aber möglicherweise zu pessimistisch. Es lassen sich nämlich, zweitens, durchaus gute Gründe angeben, warum ein marktwirtschaftliches System letztlich die überlegene Organisationsform ist. Machen wir uns zunächst einmal klar, was eigentlich charakteristisch für ein marktwirtschaftliches System ist. Man kann mehr oder weniger lange Kriterienkataloge für die Klassifikation von Wirtschaftssystemen aufstellen: Das zentrale Wesensmerkmal einer Marktwirtschaft dürfte allerdings sein, dass letztlich wirtschaftliche Entscheidungen auf dezentraler Ebene getroffen werden: Private Haushalte planen ihren Güterkonsum unabhängig von den Unternehmen und unabhängig von allen anderen Haushalten der Volkswirtschaft. Und ebenso treffen Unternehmen ihre Produktionsentscheidung frei und unabhängig von allen anderen Wirtschaftseinheiten der Volkswirtschaft. Insbesondere existiert in einer Marktwirtschaft keinerlei zentrale Instanz (etwa eine Plankommission) die versucht, diese einzelwirtschaftlichen Pläne miteinander zu harmonisieren. Wir halten also fest: Typisch für ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem ist, dass die Millionen Wirtschaftssubjekte – Konsumenten und Produzenten – unabhängig voneinander entscheiden, was sie konsumieren und produzieren wollen.
Es verwundert kaum, dass praktisch mit der Geburtsstunde der Wirtschaftswissenschaft als eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin die Frage auftauchte, ob ein solches, auf dezentraler Entscheidung basierendes System überhaupt funktionieren könne. Muss ein solches System, in dem Millionen Menschen unabhängig voneinander ihre wirtschaftlichen Entscheidungen treffen, nicht im Chaos enden? In der Tat finden sich in der klassischen Ökonomik durchaus berühmte Namen, die dieser Auffassung zuneigten. Karl Marx etwa vertrat die These von der »Anarchie des Markts«. Damit meinte Marx insbesondere, der Markt tendiere systematisch zu Überproduktion und Ineffizienz.5 Diese behauptete Tendenz zur Überproduktion ist ein Teil der Marxschen Krisentheorie. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht allzu sehr mit der marxistischen Ökonomik beschäftigen. Allerdings sei der Hinweis...