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E-Book

Militarismus und Antimilitarismus

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Liebknecht
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl197 Seiten
ISBN9783849630614
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Für die Jugendarbeit der SPD veröffentlichte er 1907 die Schrift Militarismus und Antimilitarismus, für die er noch im selben Jahr wegen Hochverrats verurteilt wurde. In dieser Schrift führte er aus, der äußere Militarismus brauche gegenüber dem äußeren Feind chauvinistische Verbohrtheit und der innere Militarismus benötige gegen den inneren Feind Unverständnis bzw. Hass gegenüber jeder fortschrittlichen Bewegung. Der Militarismus brauche außerdem den Stumpfsinn der Menschen, damit er die Masse wie eine Herde Vieh treiben könne. Die antimilitaristische Agitation müsse über die Gefahren des Militarismus aufklären, jedoch müsse sie dies im Rahmen der Gesetze tun.

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Leseprobe

Österreich-Ungarn

 

In der schwarzgelben Doppelmonarchie liegt die Sache, wie allgemein bekannt, nicht viel besser. Der sozialistische Abgeordnete Daszynski durfte am 25. September 1905 mit Recht im österreichischen Parlament ausrufen: "Bei den Streiks, bei den Demonstrationen des Volkes geradeso wie bei dem Aufschäumen des Nationalgefühls ist es immer die Armee, die das Bajonett gegen das Volk, gegen die Arbeiter, gegen die Bauern kehrt." Er konnte, um das politische Gebiet hier mit einzubeziehen, betonen: "Wir aber leben in einem Staate, in dem die Armee schon im Frieden der einzige Kitt so disparater Elemente bleibt" und auf die Grazer Vorgänge vom Jahre 1897 und das in Graslitz vergossene Blut deuten. Beim Sturze Badenis griff bekantlich in den Novembertagen des Jahres 1897 zu Wien, Graz und Budapest das Militär blutig ein. Die häufigen Arbeitermetzeleien besonders in Galizien (hier sei nur das im Jahre 1902 in Burowicki und in Ubinie bei Kamionka vergessene Feldarbeiterblut erwähnt) sind in aller Erinnerung, ebenso die blutigen Vorgänge von Falkenau, Nürschan und Ostrau, die freilich auf das Konto der Gendamerie fallen, dieser besonders der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung gewidmeten und halb dem Kommando der Militärbehörden, halb dem der bürgerlichen Verwaltungsbehörden, aber einer rein militärischen Disziplin unterworfenen Spezialtruppe. Beim Triester Generalstreik vom Februar 1902 kam es gleichfalls zu Zusammenstößen mit der Armee, zehn Personen wurden teils getötet, teils verwundet. Auch die Vorgänge in Lemberg im Jahre 1902 bei dem Maurerstreik und bei den sich an diesen Streik anschließenden politischen Demonstrationen, bei denen Husaren in die Menge ritten und schossen und fünf Personen töteten, verdienen Erwähnung. Der rein nationalistische Krawall von Innsbruck aus dem Jahre 1905 liegt indes außerhalb unsres Themas.

 

In Ungarn sind größere Ausschreitungen der Militärgewalt gegen das Volk bis in die letzten Jahre hinein häufig gewesen, wie denn auch naturgemäß die Gendarmerie - vergleiche zum Beispiel die Tumulte auf der Pußta bei Tamasi, wo sie ohne jede Ursache auf friedliche Landarbeiter feuerte - hier ihre "Schuldigkeit" stets "voll und ganz" getan hat. Nur ein Ereignis der allerneuesten Zeit sei festgehalten, nämlich die Schlacht, die am 2. September 1906 im Komitat Hunyad geschlagen wurde und in der das Militär unter den streikenden Bergarbeitern der Petrosenyer Kohlenwerke geradezu wütete. Zahlreiche Personen wurden schwer, davon zwei lebensgefährlich und 150 Personen leicht verletzt.

 

Die Scharmützel und Treffen, die die Armee sonst noch in den politischen Kämpfen des Proletariats der Habsburger Doppelmonarchie geliefert hat, werden an andrer Stelle gestreift werden.

 

Daszynski erhob in seiner genannten Rede die Forderung, "die Bajonette sollen nicht... politisieren". Sie haben sich aber seit dieser Zeit, wie männiglich bekannt, nur immer lebhafter und tatkräftiger der Politik zugewandt.

 

Belgien

 

In Belgien können die Arbeitermetzeleien auf eine lange Geschichte zurückblicken. Wichtig sind die Vorgänge der Jahre 1867 und 1868, schon wegen des Eingreifens der Internationale. Den Reigen eröffnet die sogenannte Hungerrevolte von Marchienne aus dem Jahre 1867, wo wehrlos demonstrierende Arbeiterzüge von einer Kompanie Soldaten überfallen und niedergemacht wurden. Im März 1868 folgte das Massaker von Charleroi und im Jahre 1869 die infamen Schlächtereien von Seraing und in der Borinage.

 

Das Massaker von Charleroi, das gegen die durch Förderungseinschränkungen und Lohnkürzungen zur äußersten Verzweiflung getriebenen Grubenarbeiter durch Militär und Gendarmerie veranstaltet wurde, gab damals der Internationale Anlaß zu einer lebhaften Agitation in Belgien und zu einer Proklamation des Generalrats, was wiederum einen bedeutsamen organisatorischen Erfolg für die Internationale zeitigte.

 

Bei den sogenannten Hungeraufständen des Jahres 1886, bei denen neben wirtschaftlichen Fragen auch die Forderung des allgemeinen Wahlrechts, freilich in unklarer Weise, hineinspielte, wiederholten sich die Szenen der sechziger Jahre. Der General Baron Van der Smissen erließ am 5. April 1886 sein berüchtigtes, später selbst von der Kammer mißbilligtes Zirkular, das zynisch dekretierte: "L'usage des armes est fait sans aucune sommation", das heißt, von der Waffe wird ohne vorherige förmliche Warnung Gebrauch gemacht. Es fielen Menschenopfer unerhört. In Roux allein wurden durch eine Salve 16 Arbeiter getötet. Und auf all dies setzte die Klassenjustiz durch zahlreiche schwere Verurteilungen von Arbeitern ihren Stempel und ihren Trumpf. Von 1886 bis zum Jahre 1902 verging in Belgien fast kein Streik ohne militärisches Eingreifen. Es werden aus diesen Jahren allein etwa 80 Tote gezählt. Bei dem Generalstreik des Jahres 1893, der, obwohl in erster Linie politisch, hier mit erwähnt sei, blieben zahlreiche Tote auf der Walstatt. Die Namen Verviers, Roux, La Louviere, Jemappes, Ostende, Borgerhout, Mons sind der klassenbewußten belgischen Arbeiterschaft mit glühenden Lettern in das Gedächtnis gebrannt. Sie sind blutige Blätter in dem dicken Schuldbuch des belgischen Kapitalismus. Im Jahre 1902 wurde das stehende Heer unter Einberufung der Reservisten zum letzten Male, und zwar gegen den Generalstreik, mobilisiert. Die ungünstigen Auskünfte, die das Ministerium über die Stimmung und Gesinnung der Soldaten erhielt und die ihre Bestätigung auch alsbald darin fanden, daß die Soldaten ihre revolutionäre Gesinnung ziemlich ungeschminkt zur Schau trugen, die Marseillaise sangen, die Offiziere auspfiffen usw., veranlaßten die auch früher schon mehrfach unternommene Verschickung der flämischen Soldaten nach den wallonischen Gebieten und umgekehrt und führten schließlich dazu, daß das stehende Heer überhaupt nicht zur Verwendung gebracht wurde. Seit 1902 haben die proletarischen Soldaten in Belgien die ehrenvolle Rolle eines Hofhunds des Kapitals, eines "fliegenden Wachpostens vor dem Geldschrank des Unternehmertums", wenigstens soweit der innere Militarismus in Frage kommt, wie bereits oben dargestellt, an Gendarmerie und Bürgergarde abgetreten: Die Bourgeoisie muß sich zum Schutz ihres heiligen Ausbeuterprivilegs nun wenigstens selbst bemühen und ihre eigene Haut zu Markte tragen, wenn man unbewaffneten Volksmassen gegenüber von dergleichen überhaupt reden will. Daß die Bürgergarde im Kampf gegen den inneren Feind ausgezeichnet funktioniert, ist an andrer Stelle geschildert.

 

Frankreich

 

In Frankreich ist die Geschichte des Klassenkampfes mit strömendem Blut geschrieben. Nicht die Hekatomben der dreitägigen Julischlacht von 1850, nicht die 10 000 Leichen des Straßenkampfes vom 23. bis 26. Juni 1848, das Henkerswerk Cavaignacs, nicht der 1. Dezember 1851 "Napoleons des Kleinen", auch nicht das Meer von Blut jener 28 000 Helden, in dem die französische Bourgeoisie massenmörderisch als Mandatarin und Rächerin des wutheulenden Kapitalismus in der roten Maiwoche des Jahres 1871 die Kommune, diesen Sklavenaufstand im Kapitalismus, zu ersäufen suchte, nicht der Père Lachaise und die Mauer der Föderierten, die tragischen Wahrzeichen eines Heroismus ohnegleichen, sollen hier heraufbeschworen werden. Diese im höchsten Sinne revolutionären Ereignisse, bei denen der Militarismus sein grausiges Werk verrichtet hat, fallen außerhalb des Rahmens unsrer geschichtlichen Betrachtung.

 

Seine Heldentaten gegen wehrlose streikende Arbeiter beginnen bereits früh. Der sogenannte Aufstand der Seidenweber von Lyon, dessen Fahne die berühmten und ergreifenden Worte trug: vivre en travaillant ou mourir en combattant (arbeitend leben oder kämpfend sterben), begann im November 1831 mit militärischer Schießerei auf eine friedliche Demonstration; die empörten Arbeiter eroberten in zweitägigem Kampf die Stadt; die Nationalgarde fraternisierte mit ihnen; ohne Schwertstreich aber rückte bald das Militär ein. Unter dem Kaiserreich sind La Ricamarie, Saint-Aubin und Decazeville die Namen berühmter Debuts. Damals bekämpften die Bourgeois-Republikaner die Entsendung von Soldaten nach den Streikgebieten aufs heftigste. Kaum aber waren dieselben Republikaner zur politischen Herrschaft gelangt, als sie die eben noch befehdete Methode des Bonapartismus selbst zu üben begannen und ihr Vorbild gar bald übertrafen. Und nur wenn der Schuldige ein Klerikaler oder Monarchist war, fand man aus politischer Ranküne Worte der Mißbilligung. In Fourmies vollführte ein Lebelgeschoß im Körper eines jungen Mädchens, Maria Blondeau, am 1. Mai 1891 die Bluttaufe des neuen Regimes. Die Strecke des Tages, die dem 145. Linienregiment zufiel, waren 10 Tote und 35 Verwundete. Aber der Schlächter von Fourmies, Constant, und sein Geselle, der Kapitän Chapuis, blieben nicht allein. Auf Fourmies folgten 1899 Chalons-sur-Saone, 1900 La Martinique, sodann Longwy, wo die Offiziere die franko-russische Allianz durch Anwendung von Nagaikas besiegelten und feierten, schließlich im Mai und Juni 1905 Villefranche-sur-Saône und vor allen Dingen Limoges mit den Reiterattacken und den Füsilladen vom 17. April 1905 . Im Dezember 1905 spielte das Drama von Combrée , und am 20. Januar 1907 wurden Demonstranten für die...

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