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Mobile-Assisted Language Learning

Eine empirische Untersuchung zum Einsatz digitaler mobiler Endgeräte im Kontext des Fremdsprachenunterrichts

AutorSimon Falk
VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783823301677
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,40 EUR
Smartphones und Tablets gehören zum Alltagsleben von immer mehr Jugendlichen. Diese Studie untersucht, welche Potenziale diese Geräte für den Fremdsprachenunterricht haben können. Dabei geht es zum einen um die Einstellungen wie auch das Nutzungsverhalten von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf die Medien und zum anderen um Faktoren, die den fachwissenschaftlichen Diskurs mit der Unterrichtspraxis in Verbindung setzen. Die Ergebnisse sollen Impulse für die (Weiter-)Entwicklung didaktisch-methodischer Ideen liefern.

Simon Falk arbeitet am Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) der Philipps-Universität Marburg. Er lehrt Fremdsprachendidaktik an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen mit dem Fokus auf dem Einsatz digitaler Medien.

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Leseprobe

4.3  Formales und informelles Lernen


In zahlreichen Mittagspausen, die meine Kollegen und ich in der Mensa oder bei schönem Wetter auch draußen bei einem Spaziergang verbrachten, kamen sehr oft durch intensive Gespräche über verschiedenste Themen Fragen auf, auf die zunächst niemand von uns eine Antwort wusste. So diskutierten wir beispielsweise über die Zubereitung des Tagesgerichts „Grüne Soße“ und mussten nicht lange warten, bis jemand fragte: „Was genau sind das eigentlich für Kräuter, die da verarbeitet werden?“. Schnell zückten ein/zwei Personen ihr Smartphone und begaben sich auf die Suche nach einer Antwort. Dies wiederum gab Anlass für weitere spannende Fragestellungen, wie zum Beispiel „Ist Gartenkresse mit Brunnenkresse verwandt?“ oder „Ob wir wohl Pimpinelle auf unserem Spaziergang finden?“. Mittlerweile wissen wir, dass zwischen den beiden Kressen nur eine Namensverwandtschaft besteht und dass es wohl keine Pimpinelle auf unserem Spaziergang gibt.

Diese Situation soll beispielhaft für informelles Lernen stehen. Unter diesem Begriff werden Lernprozesse aufgefasst, die außerhalb formaler Kontexte wie einer (Hoch)Schule stattfinden. Livingston (2001) knüpft daran an und definiert es als:

any activity involving the pursuit of understanding, knowledge or skill, which occurs without the presence of externally imposed curricular criteria. (in Sockett 2014: 9)

Lernen findet in informellen Situationen demnach ohne Anbindung an curriculare Vorgaben statt und wird in erster Linie von den Lernern selbst gesteuert. Empirische Studien zeigen dabei, dass gerade informelles Lernen einen Großteil (80 %) des Lernens Erwachsener ausmacht (Dabbagh/Kitsantas 2012: 4).

Um Abgrenzungsmöglichkeiten zu weiteren Begriffen wie formales und non-formales Lernen vorzunehmen, sollen Definitionen aus der europäischen Bildungspolitik als Grundlage dienen (Europäische Kommission 2001: 33-35):

  • Formales Lernen: Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet.

  • Non-formales Lernen (Orig.: nicht-formal, S.F.): Lernen, das nicht in Bildungs- oder Berufsbildungseinrichtung stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es zielgerichtet.

  • Informelles Lernen: Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nichtintentional (oder „inzidentell“/beiläufig).

Zielgerichtetheit und Zertifizierung spielen in diesen Definitionen eine wichtige Rolle. Im schulischen Bereich bestehen diese beiden Aspekte aus vorgegebenen Lernzielen sowie den Noten und Zeugnissen als Zertifizierung. Kurse, die außerhalb von Bildungseinrichtungen besucht werden, die jedoch keine (anerkannten) Zertifikate ausstellen, sind in der Regel dennoch zielgerichtet, was ihren Aufbau angeht (vgl. Online-Kurse). Ein Hauptunterschied informellen Lernens bezogen auf die obigen drei Definitionen ist die Tatsache, dass es sowohl bewusstes, intentionales als auch unbewusstes, nicht-intentionales Lernen außerhalb von Bildungseinrichtungen umfasst (Kahnwald 2013: 57).

Die erste Erwähnung des Begriffs „informelles Lernen“ ist auf den US-amerikanischen Erziehungswissenschaftler John Dewey zurückzuführen, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts darauf hinweist, dass informelle Bildung Hintergrund formaler Bildung sei (Rohs 2013: 77; Overwien 2015: 41f.). Nachdem das Thema in den 1950er-Jahren erneut aufgegriffen wurde und in den 1970er-Jahren vor allem durch die Faure-Kommission der UNESCO auf internationaler Ebene diskutiert wurde, trat es in Deutschland erst in den 1980er-Jahren durch Schöfthaler und Sandhaas in Erscheinung (ebd.: 43f.). Ende der 1990er-Jahre breitet sich dieser Diskurs weiter aus und veranlasst zunehmend Bereiche wie die Erwachsenenbildung, die berufliche Bildung, Vertreter der Sozialpädagogik, Jugendforschung, Umweltbildung und Freizeitbildung, sich mit informellem Lernen auseinanderzusetzen (ebd.: 49). Für die vorliegende Studie zeichnen sich dabei zwei Bereiche ab, die besonders wichtig sind, wenn es um informelles Lernen geht. Zum einen ist dies die Rolle des informellen Lernens im Jugendalter, zum anderen der Einfluss, den Medien beim informellen Lernen haben.

Heranwachsende Jugendliche stehen in Kontakt mit vielen unterschiedlichen Handlungsfeldern, die zu ihrer Sozialisierung beitragen. Neben der primären Sozialisationsinstanz der Familie sind dies vor allem Gleichaltrige, kommerzielle und nicht-kommerzielle Freizeitanbieter und nicht zuletzt die Medien, die sie allesamt als Möglichkeitsräume zur Auseinandersetzung mit sich selbst, ihrer symbolisch-dinglichen und sozialen Umwelt auffassen und in denen Lern- und Bildungsprozesse stattfinden (Grunert 2015: 334). Innerhalb dieser Möglichkeitsräume können dabei affektive Beweggründe Auslöser informellen Lernens sein. So stellte Murray (2008) beispielsweise fest, dass japanische Lerner durch ihre emotionale Verknüpfung mit der englischsprachigen Popkultur, die für sie fremde Sprache informell lernten (in Cole/Vanderplank 2016: 32). Freundschaften und peer groups stellen zudem gerade für den schulischen Bereich des Jugendalters spezifische Beziehungsstrukturen dar. Lernen findet nicht nur innerhalb der Bildungseinrichtung statt, sondern wird darüber hinaus durch gemeinsame Interessen und Werteorientierungen geprägt (Grunert 2015: 338).

Anhand der JIM-Studie wurde bereits im dritten Kapitel verdeutlicht, welchen Stellenwert digitale Medien bei Jugendlichen vor allem im Bereich der Freizeit einnehmen. Allerdings gibt eine solch quantitative Erhebung keinen Hinweis darauf, inwiefern die Mediennutzung als Form informellen Lernens verstanden werden kann. An dieser Stelle sei speziell auf die Massenkommunikation- und -informationsmedien sowie soziale Netzwerke hingewiesen. Insbesondere letztere haben eine wachsende Bedeutung für Prozesse der Sozialisation (Iske 2015: 514). Die sogenannte „participatory culture“, die sich von der „consumer culture“ durch ihre aktive Teilnahme, Mitwirkung und Mitbestimmung abgrenzt, spielt im Rahmen informeller Lernprozesse eine bedeutende Rolle (ebd: 520f.). Der Begriff geht dabei auf Jenkins/Purushotma (2009) zurück und beinhaltet partizipative Medienkulturen, die sich in informellen Lerngemeinschaften wie sozialen Netzwerken aufhalten, auf „gemeinschaftlich-sozialen Praxen, auf gemeinsam geteilten Interessen und Zielen gründen und damit eine hohe alltagsweltliche Relevanz besitzen“ (Iske 2015: 521).

Schließlich kommen wir noch auf die Bedeutung des informellen Lernens für Schule und Unterricht zu sprechen. Geht man strikt nach den oben genannten Definitionen, so scheint es im schulischen Bereich keinen Platz für informelles Lernen zu geben, da es sich ja um eine Bildungseinrichtung handelt, die zielgerichtet und zertifiziert ist. Dennoch beginnen und enden Lernprozesse nicht mit dem Betreten und Verlassen des Klassenzimmers, sondern sind in ihrer Struktur wesentlich komplexer. Auch in hochformalisierten Lehr- und Lernsituationen gibt es immer wieder „das Moment des Ungeplanten, Zufälligen, Anlassbezogenen, Nichtintendierten, Impliziten und von den individuellen Interessen des Lernenden Ausgehenden“ (Rohlfs/Hertel 2015: 633). Pettit/Kukulska-Hulme (2011: 199f.) beschreiben dies als „blurring between the Professional and the Personal“ und meinen damit das Verschwimmen von Arbeits- oder wie im vorliegenden Fall Schulwelt und dem persönlichen Leben. Die Lernumgebung Schule setzt sich bereits aus einer Vielzahl an informellen (Sub-)Kontexten zusammen, wie etwa Pausen, den dargestellten peer groups uvm., in denen sich die einzelnen Schüler untereinander austauschen. Aber auch während des Unterrichts kann es immer wieder dazu kommen, dass abweichend von Themen, die die Lehrkraft gerade behandelt, eigene Inhalte mit unmittelbarem Lebensweltbezug aufgrund ihrer großen subjektiven Bedeutung für die Schüler in den Vordergrund geraten (Rohlfs/Hertel 2015: 634). Was können Lehrkräfte tun, um Lernprozesse in informellen Lernsituationen zu unterstützen? Böttcher (2015: 11-13) schlägt in diesem Zusammenhang vier verschiedene Aspekte vor. Der erste Aspekt betrifft die Sensibilisierung für die Interessen der einzelnen Schüler und ihrer Lebensumstände. Wenn die Lehrkraft diese gut kennt, kann sie gezielt Lerntipps geben. Der zweite Aspekt umfasst die Förderung der Lernerautonomie. Schüler sollen in der Lage sein, ihren Lernprozess eigenverantwortlich zu gestalten und dabei auf für sie hilfreiche Mittel zurückgreifen können. Der dritte Aspekt beschreibt die Vermittlung von (meta-) kognitiven Lernstrategien, die zum Beispiel beim Vokabellernen oder ähnlichem eingesetzt werden können. Schließlich ruft Böttcher dazu auf, zusätzliche Angebote für die Lerner zu schaffen. Diese können je nach Vorlieben der Lerner auch nicht-didaktisierte Materialien beinhalten. Dabei geht es nicht darum, als Lehrer immer auf dem aktuellsten Stand der Entwicklung von Apps und sonstigen digitalen Anwendungen zu bleiben, sondern den Lernern zu helfen, geeignete Lernhilfen zu finden (vgl. McQuiggan et al. 2015: 242f.).

Zusammenfassend...

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