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Mord am Unmöglichen

Spitzenkletterer aus aller Welt hinterfragen die Grenzen des Möglichen

AutorReinhold Messner
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783492991827
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Jahr der Studentenrevolution1968 gelingt Reinhold Messner am Heiligkreuzkofel in den Dolomiten seine schwierigste Erstbegehung. Im Yosemite ruft Royal Robbins das »Clean Climbing« aus. Mit seinem Aufsatz »Mord am Unmöglichen« lanciert der 24-jährige Messner einen glühenden Appell zum Verzicht technischer Hilfsmittel beim Klettern, andere folgen ihm. So beginnt eine Bewegung, der nach der Öffnung der Schwierigkeitsskala eine unaufhaltsame Steigerung gelingt. 50 Jahre nach der Veröffentlichung und der Debatte darum nehmen die weltbesten Kletterer Stellung zu Entwicklung und Status Quo. Sie hinterfragen Messners Thesen, erzählen die Kunst, schwierigste Felswände zu erklimmen, fort und zeigen die zeitlose Dimension von Messners Plädoyer.

Reinhold Messner, Grenzgänger, Autor und Bergbauer, wurde 1944 in Südtirol geboren und wuchs in einem Bauerndorf auf. Bereits 1949 ging er zum ersten Mal in Begleitung seines Vaters auf einen Dreitausender. Nach seinem Technik-Studium arbeitete er kurze Zeit als Mittelschullehrer, ehe er sich ganz dem Bergsteigen verschrieb. Seit 1969 hat er mehr als hundert Reisen in die Gebirge und Wüsten dieser Erde unternommen. Dabei gelangen ihm zahlreiche Erstbegehungen und Achttausenderbesteigungen sowie eine Längsdurchquerung Grönlands. Reinhold Messner war nie um Rekorde bemüht, ihm geht es um das Ausgesetztsein in möglichst unberührten Naturlandschaften und das Unterwegssein mit einem Minimum an Ausrüstung. Er hielt Vorträge in ganz Europa, den USA, Japan, Australien, Südamerika, drehte Dokumentarfilme und veröffentlichte Artikel, u.a. in »Stern«, »Spiegel«, »GEO«, »Epoca«, »Espresso«, »National Geographic«. Seine Buchveröffentlichungen wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Von 1999 bis 2004 saß er für eine Legislaturperiode als Parteiloser für die Grünen im Europaparlament. Mittlerweile widmet Messner sich vor allem seinen Messner Mountain Museen (MMM) an sechs verschiedenen Standorten in den Alpen sowie seinen Film- und Buchprojekten. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt den Schlüsselgeschichten des Alpinismus. Zuletzt erschienen u.a. der SPIEGEL-Bestseller »Sinnbilder: Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben« (mit Diane Messner) sowie »Gebrauchsanweisung für Südtirol«.

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Leseprobe

Interview mit Giuani Batista Vinatzer de Val


von Egon Stuflesser und Adam Holzknecht

Du hast viele große Touren gemacht, wie kam es dazu?

In den 30er-Jahren kamen Italiener und Österreicher, die in unseren Bergen kletterten, wir wollten einfach mithalten.

Welche ist deine wichtigste Route?

Die Furchetta! Ich habe sie mit Giuani da Stufan – Johann Rifesser – gemacht. Ich war 20, er 21 Jahre alt. Wir hatten von Solleder gehört, der diese Route 1925 versucht hatte. Wir wollten sie klettern, hatten aber kaum Informationen, wussten nicht einmal, dass wir zum Einstieg die Mittag-Scharte hätten nehmen können. Wir haben die Runde über die Porta-Scharte gemacht. Um 3 Uhr morgens sind wir am 8. August 1932 bei Stufan gestartet, kannten die Furchetta von ihrer Nordseite überhaupt nicht. Um 8 Uhr waren wir am Einstieg, sind ohne Seil bis zur Dülferkanzel gestiegen. Dort sahen wir, dass die Felswand sehr brüchig ist. Wir kamen bis zu einem Haken, wo Dülfer 1914 aufgegeben hatte. Ich bin mit dem 40-m-Seil aufgestiegen, und dann hat Giuani eine weitere Seillänge gemacht. Nach fünf Seillängen wurde es leichter. Wir hatten nur einen Hammer, fünf oder sechs Haken und das eine Seil dabei. Aber die Haken hielten so und so schlecht.

Giuani Batista Vinatzer und Vinzenz Peristi

Wer hat euch die Haken gegeben?

Wir haben sie gefunden, zum Teil aus den Felsen gehauen. Später erst hat uns der Schmied Dekassian die ersten Haken geschmiedet. Aber er wollte nur selten welche hergeben. Also bin ich mit ihm geklettert, habe einige dafür bekommen.

Was sagten die Eltern?

Mein Vater war im Krieg gestorben, meine Mutter wusste von unseren Touren nichts.

Und was meinten die alten Bergsteiger?

Die sagten, wir seien verrückt und machten alles falsch.

Erzählst du uns von deinen Routen?

Im Jahr 1932 habe ich die Furchetta gemacht, danach die Pieralongia, 1933 den Stevia-Nordriss. 1936 dann die Direttissima an der Marmolada di Rocca, 1945 schließlich Sass dla Luesa, die Rodelheilspitze.

Habt ihr die Routen vorher studiert?

Nein, wir gingen einfach los. Wir schielten nie zu den Frauen, wir schauten die Felsen an. Umso mehr!

Wo habt ihr das Seil gekauft?

Zusammen haben wir – Vinzenz, Giuani da Stufan und ich – das Seil gekauft.

Technik des Seils?

Die Knoten haben wir von den Fuhrmännern gelernt.

Wie hast du Ettore Castiglioni kennengelernt?

Als Vinzenz Peristi mehr schnitzte als kletterte, suchte ich andere Kletterpartner: Rudi de March aus Bozen und Castiglioni.

Ihr seid alles zu Fuß gegangen?

Ja. Um zum Beispiel die Nordwestwand am Sass Pordoi an einem Tag zu klettern, sind wir von St. Ulrich 20 km bis zum Einstieg marschiert und am Abend wieder zurück. Für die Südwand der Marmolada sind wir von Gröden zu Fuß nach Contrin gegangen.

Warst du immer trainiert?

Ja, bei Stufan war eine Turnstange, um Kraft zu trainieren. Außerdem gingen wir sehr viel und sehr schnell, auch Ranggln (eine Art des Ringens im Ostalpenraum) gehörte dazu.

Um die Comici-Route an der Großen Zinne zu machen, bist du auch zu Fuß hinüber?

Nein, in diesem Fall hat mir Carlesso die Fahrt bezahlt.

Seid ihr, du und Rifesser, gut miteinander ausgekommen?

Ja, aber jeder hatte seinen Kopf. Unser Seil hatte einen Durchmesser von 16 mm und war sehr schwer, bald auch teilweise beschädigt. Giuani kommandierte. Ich sollte das Seil tragen. Am Fels angelangt, sagte er, er brauche kein Seil. So ließen wir das Seil am Einstieg und kletterten beide frei.

Gab es damals schon Steige zu den Einstiegen?

Ja, aber Giuani folgte nie den Wegen: »Früher gab es keine Wege, also gehen wir auch nicht auf dem Weg.« Wir gingen 30 Meter oberhalb oder unterhalb des Steigs.

Wie war das Material damals?

So große Haken, dass wir den Fels damit brachen. Wir konnten sie kaum benützen.

Zum Essen?

Schüttelbrot und Speck. In der Früh aß ich immer zwei Eier.

Bist du auch im Winter geklettert?

Ja, immer allein. Ich kletterte viel an den Fermeda-Türmen, immer wieder von einer anderen Seite, nie dieselbe Route. Öfters habe ich allein den Kiene-Riss oder den Schmitt-Kamin an der Fünffingerspitze gemacht.

Hattest du nie Angst?

Nein, Angst nicht, ich hatte den Felsen gern. Man muss den Felsen den Hof machen, sie umwerben – dann lässt dich das Unmögliche vorbei.

Du hast viele brüchige Touren gemacht?

Ja, ich bin gern im schlechten Fels geklettert, man geht da vorsichtiger. Die Stevia-Wand war sehr brüchig. Ich wollte sie einmal allein machen, in der dritten Seillänge aber, wo es eng ist, habe ich es aufgegeben, bin zurückgeklettert.

Messner sagt, dass du die erste Tour im 7. Grad gemacht hast.

Ja, die Stevia ist so ein Weg. Den habe ich mit dem Vinzenz Peristi gemacht. Die schwierigste Passage war sehr delikat.

Triffst du die alten Kletterfreunde noch?

Sie sind alle gestorben: March, Castiglioni, Giuani, Luisl, Vinzenz, Sickele da Feur und Giuani Salman. Vinzenz ist im Krieg gefallen.

Mit wem bist du am liebsten geklettert?

Mit Vinzenz! Ich konnte mit ihm über so vieles reden. Er war intellektuell und ein guter Künstler dazu. Wir sprachen nie über das Klettern.

Seid ihr nie in ein Gewitter gekommen?

Nein, ich hatte viel Glück, war immer zuversichtlich, wusste, dass mir nichts passiert.

Hättest du gern Expeditionen gemacht?

Nein, dazu hatten wir kein Geld, und wir haben doch auch hier so viele und schöne Berge. Messner geht heute viel und gern, wir damals nicht.

Wie kamst du zum Micheluzzi-Pfeiler?

Eine gewisse Tutina aus England wollte ihn mit Ferdinand Glück machen, es gelang ihnen nicht. So bin ich mit ihr gegangen, und sie hat mich als Bergführer dafür bezahlt.

Seid ihr an einem Tag aufgestiegen?

Ja, es war 1932. Vor uns waren Walter Stösser und Fritz Kast, die sich als Erstbegeher eintragen wollten, aber die Fassaner hatten die Wand vorher gemacht. Auch Cucia Tomanus hat die Micheluzzi versucht …

War das damals die größte Tour in den Dolomiten?

Ja, nur Mathias Rebitsch, ein Jahr älter als ich, hat in Tirol ähnliche Touren gemacht.

Welche ist die schönste Tour in den Dolomiten?

Die Schleierkante, weil der Fels so gut ist.

Wie war es mit Nächtigung und Verpflegung?

Wir hatten kein Geld, aber bei der Stufanhütte wurden wir von Josefina immer verwöhnt. Wir hätten uns nur eine Schüssel Milch leisten können, aber sie schenkte uns alles.

Wann hast du angefangen, als Führer zu arbeiten?

Anfang der 30er-Jahre, aber es hat neun Jahre gedauert, bis ich die Trägerprüfung abgenommen bekam.

Wo überall hast du Gäste geführt?

Kiene-Riss, Adam-Kamin, Rosengarten-Ost, Vajolet-Türme, Schleierkante – viel mit Gästen aus der Schweiz.

Ist deine Frau manchmal mitgeklettert?

Selten. Meine Frau hat die Nordwand des Langkofels mit mir gemacht. Hoch oben hat sie geweint, weil March mit uns war und er so unsicher ging. Auch die Burgstall-Kante hat sie mit mir gemacht.

Andere Frauen?

Ja, doch – einige Frauen.

Ist die M armolada deine größte Leistung?

Zuerst wollte Castiglioni mit Bruno Detassis die Soldà machen. Sie sind bis zur ersten Terrasse gekommen und mussten zurück. Ich habe Francesco de Giulian gefragt, ob Castiglioni meine Hilfe braucht. Danach hat er mich geholt, aber die Südwestwand war schon durchstiegen. Dann wollte ich mit dem Führer einer Studentengruppe die Südwand der Punta Rocca machen, auch wir haben aufgegeben. Inzwischen war Luis da Stufan an der Stevia abgestürzt. Dann erst fragte mich Castiglioni, ob wir beide zusammen nicht die Punta-Rocca-Südwand machen sollten. Es war im Jahre 1936. Ich bin alles vorausgeklettert, einmal haben wir biwakiert.

Wie war das Biwakieren?

Ich hatte nichts, er einen Schlafsack. Castiglioni konnte es sich leisten. Ich hatte auch nichts zu trinken, er hatte eine Zitrone, aber er wollte keine Scheibe abgeben.

Die losen Blätter eines Buches

Auch meine Möglichkeiten damals waren anfangs bescheiden. Mit dem Fahrrad ging es bis ans Talende, später mit dem Motorroller ins benachbarte Grödental oder Gadertal. Dort, wo Wege und Straßen zu Ende waren, begannen unsere Abenteuer: Durch Wälder und Almwiesen, höher oben durch Latschenfelder und Kare stiegen wir zu den Einstiegen. Dann begann die Kletterei, die uns durch senkrechte, oft auch überhängende Dolomiten-Wände führte. Nicht selten mit Biwak in der Wand.

Wir haben zuerst schwierige Routen wiederholt, später eigene Wege gesucht und immer die besten Lösungen aus der Struktur der Felsen gelesen. Die Dolomiten-Wände waren für mich wie die losen...

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