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E-Book

München und das Auto

Verkehrsplanung im Zeichen der Moderne

AutorAxel Winterstein
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783791761183
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs bestand in München die Gefahr, dass historische Bauten dem Straßenbau weichen mussten. Das Auto war das sichtbare Symbol des Wirtschaftswunders, somit müsse die Stadt, so das Denkschema, 'autogerecht' sein oder werden. Sogar das Alte Rathaus galt Manchen als Verkehrshindernis. Ein Bewusstsein für Denkmalschutz entstand erst in den 1970ern. Maßnahmen, dem Verkehr Raum zu schaffen, reichen freilich lange zurück: Schon die Erweiterung der Zufahrt am 'Karls Thor' 1791/92 geschah, weil schwere Fuhrwerke die Enge nicht mehr passieren konnten. Ebenso wurden Ende des 19. Jahrhunderts im expandierenden München Gassen zu Straßen, bevor in der NS-Zeit Straßenverbreiterungen und auch Durchbrüche entstanden, die bis heute das Stadtbild mitprägen.

Axel Winterstein studierte Germanistik und Geschichte; zahlreiche Publikationen u. a. über Bayern und München.

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Leseprobe

Der Traum vom Verkehrsfluss: Man fährt Fahrrad


„Das Element des Verkehrs ist Bewegung“, so Theodor Heuss, damals Bundespräsident, im Geleitwort zur Deutschen Verkehrsausstellung 1953 in München. Im Duden liest sich der Begriff sachlich-fest: Verkehr sei „Beförderung, Bewegung von Fahrzeugen, Personen, Gütern, Nachrichten auf dafür vorgesehenen Wegen“. Verkehr, so bei Merki (Verkehrsgeschichte und Mobilität), gehört zu den Schlüsselelementen, welche die industrielle Revolution ermöglichten und beschleunigten. Das am meisten bewegte Fahrzeug ist das Auto, universell und nicht mehr wegzudenken, Alltagsgegenstand ebenso wie Protzmobil, Statussymbol, „Objekt individueller Lustbefriedigung“, wie es bisweilen heißt, gehätscheltes Liebhaberstück, Lastenträger, technisch ausgereizt als Rennmaschine.

Das Auto hat das Leben der Menschen beeinflusst wie wenige andere Erfindungen. Es umstreift den Erdkreis in Schwärmen. Eine Milliarde Kraftfahrzeuge soll es global geben. 1886 kam es in die Welt, 1888 sahen es die Münchner zum ersten Mal. Es hieß damals noch „Patent-Motorwagen“, hochbeinig, eher fragil wirkend und mit nur drei Rädern. Die Münchner wussten erst nicht so recht etwas damit anzufangen. „Seltsames Fahrzeug“, schrieben die Zeitungen. Und in der Tat „seltsam“: Das Auto, das omnipräsente, hatte es anfangs nicht nur hier, sondern in allen Landstrichen deutscher Art nicht leicht – vielleicht das Schwäbische ausgenommen, wo es das Fahren lernte. Man war hier lange automobilskeptisch, ganz im Gegensatz etwa zu dem früh autobegeisterten Frankreich.

Erste Nutzer fanden sich in größerer Zahl erst ein, als die „Kutsche ohne Pferde“ nicht mehr wie eine solche aussah, sondern wie ein Auto. Und endlich, 1902, lobte der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum (1865–1910): „Ein gutes Auto ist ein Ding, dem man sich getrost anvertrauen kann.“ Heute sind in München rund 800 000 Kraftfahrzeuge gemeldet. Dass es mit dem „Ding“ so weit kam, dass es sich aus spröden Anfängen so weit entwickelte, daran hatte auch München einen Anteil. Ein Uhrmacher, Tüftler vor dem Herrn, trug sich beim Motorenbau für Automobile ins Geschichtsbuch ein.

Nun brauchen Autos Platz, zum Fahren ebenso wie zum Parken – weltschlichte Wahrheit, aber bedrängend in der Praxis. Denn Individualverkehr ist in München nur möglich, weil die meisten der 800 000 Kraftfahrzeuge meistens stehen und nicht fahren. So viele und so breite Straßen gibt es gar nicht. Freilich gab es in München und Deutschland eine Epoche, als man eben dies für erstrebenswert hielt, obwohl oder gerade weil derlei Vorstellungen in eine Zeit von Hochgefühl und Aufschwung fielen, in die Welt des Wirtschaftswunders. Das Auto galt als Repräsentant des „Wunders“, seine Zunahme als Beweismarke für Neugeburt und Tüchtigkeit nach den Zerstörungen des verlorenen Krieges. Zugleich aber, als immer mehr Autos die Straßen der Innenstadt füllten, fragten die Zeitungen schon 1951: „Wohin mit den Autos?“ (Münchner Stadtanzeiger, 29. September 1951) – bei damals gerade einmal 80 700 Kraftfahrzeugen bei 855 000 Einwohnern, zu denen sich allerdings viele Pendler addierten. Von einer „Verkehrsnot“ war die Rede, nirgends sei diese so groß wie in München.

Die Diskussionen über Abhilfe waren einschichtig. Der Zeitgeist, eine überaus ominöse Erscheinung, zeitigte Fatales: Die Stadt habe sich dem Auto unterzuordnen, man gab sich „modern“, wie überhaupt auch in früheren Epochen die jeweilige Verkehrsplanung stets von der Überzeugung getragen war, auf der Höhe der Zeit zu sein – bis dies im Wortsinn oft zum Irrweg wurde. In den 1950ern machte ein böses Wort die Runde: „autogerecht“. „Verkehrsfluss“ als Selbstzweck war ein weiteres Desiderat. 1959 fasste der Architekt und Stadtplaner Hans Bernhard Reichow (1899–1974) das gedankliche Gut in einer „Studie“ mit dem Titel: Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrschaos zusammen. Am Ende des Buches ließ der Autor den Leser auch schon an mehreren Würdigungen des Textes teilhaben, insgesamt fünf – alle positiv.

Die autogerechte Stadt wurde in München letztlich mehr oder weniger nur in Ansätzen realisiert, nicht zuletzt auch wegen vehementer Bürgerproteste. Demolierungen blieben nicht aus, etwa für den überaus wichtigen Altstadtring kaufte die Stadt trotz der Kriegszerstörungen nicht weniger als 107 Anwesen auf. Die tatsächlichen Pläne aber für eine autogerechte Stadt ähnelten – abstruses Gegenkonstrukt inmitten von zupackendem Wiederaufbau – einem Szenario erneuter Zerstörungen.

Dabei sind Überlegungen wie die von Reichow nicht per Zufall entstanden, nicht in intimer Runde oder als gedankliches Fabulieren, gar Spinnerei. Sie hatten ihre Vorgeschichte, wie es überhaupt zu den Eigentümlichkeiten von Verkehrsideen und -projekten gehört, dass sie lange vor irgendeiner Verwirklichung angedacht sind, oft regimeübergreifend, im Gedächtnis der Kundigen dann vagabundierend und irgendwann aus dem Fundus geholt. „Verkehrsgerecht“ hieß in München die Forderung schon in der Ära des gehorsamen Pferdes, sogar schon im Zusammenhang mit einer epochalen Entwicklung, der Entfestigung der mittelalterlichen Stadt. Enge „Thore“ wurden für den Verkehr durchbrochen, „Gassen“ zu „Straßen“ verbreitert. Das Auto sorgte schließlich für weitere Erweiterungen, insbesondere und in erheblichem Maße im NS-Staat. Karl Fiehler, Münchner Oberbürgermeister von 1933 bis 1945, sprach von „unnützen Vorgärten“ z. B. in der Schwanthalerstraße.

Über das freie Land, von Stadt zu Stadt, tat sich das Auto noch mehr hervor mit Forderungen nach besseren Straßen. Es sollten „eigene“ Wege sein, abseits des „Kots von Pferdefuhrwerken“. Gute Überlandwege hatte es hierzulande bis in die frühe Neuzeit nur in der Epoche der Römer gegeben, insgesamt rund 120 000 km durchzogen das gesamte Römische Reich. Nach dem Ende der römischen Herrschaft indes hörte die Fürsorge für Straßen auf, der Unterhalt oblag den „Anliegern“, also in der Regel den Bauern, und die drückten sich vor dem Frondienst, wo sie konnten. So musste etwa der Minister Goethe seine Inspektionstouren im verstreuten Herzogtum Sachsen-Weimar-Jena-Eisenach-Ilmenau meist nur per Pferd antreten, die Wege waren so schlecht, dass man nicht fahren konnte. Und bei Goethes erster größeren Reise von Frankfurt nach Leipzig hatte er der Wege wegen sogar Schaden an seiner Gesundheit genommen: „Durch Thüringen wurden die Wege noch schlimmer, und leider blieb unser Wagen in der Gegend von Auerstädt bei einbrechender Nacht stecken. Wir waren von allen Menschen entfernt und taten das mögliche, uns los zu arbeiten. Ich ermangelte nicht, mich mit Eifer anzustrengen und mochte mir dadurch die Bänder der Brust übermäßig ausgedehnt haben; denn ich empfand bald nachdem einen Schmerz, der verschwand und wiederkehrte“ (zit. nach S. Damm).

Die Wege, bestehend zumeist, falls nicht nur ein Fahrweg, aus Makadam, festgestampftem Kies und Sand, blieben schlecht bis weit ins 19. und teilweise auch im 20. Jh. „Autogerechte Straßen“ war somit das Desiderat, letztlich zu Autobahnen führend, die frühzeitig auch München tangierten, ihr Baubeginn von den damals Regierenden voluminös in Szene gesetzt. In den 1960er-Jahren wurden die Autobahnen dann eingebettet in das System der „autogerechten Stadt“. Das schuf viel Streit und Ärger. Hans-Jochen Vogel, 1960 bis 1972 Oberbürgermeister, denkt nur „mit einem gewissen Grauen“ an jene Zeit zurück (Die Amtskette, auch im Folgenden, wenn nicht anders angegeben).

Konsens, immerhin, auch bei den Verfechtern der Auto-Vorgaben, über ein Kürzel, das gleich einer Zauberformel einen Ausweg aus der „Verkehrsmisere“ versprach: ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr): also U-Bahn, S-Bahn, Trambahn, Bus. Nur die Begründungen und Hoffnungen variierten. Auf den Straßen, so anfangs die Einlassung von manchen, würde dann umso mehr Platz für Autos entstehen, wenn Tram oder U-Bahn unter die Erde verschwänden. Tatsächlich aber bewahrte „ÖPNV“ die historische Münchner Innenstadt vor zerstörerischem Raubbau pro Auto. Kraftfahrzeuge und unterirdisch eilende Bahnen sind einen Bund eingegangen. Nur so ist verkehrliche Kommunikation in der Boomstadt überhaupt praktikabel. Der Münchner Verkehrsverbund (MVV) meldet einen Rekord nach dem anderen: 680 Mio. Passagiere im Jahr 2014 für S- und U-Bahn, Tram und Bus.

Trotzdem blieb und ist „Verkehrsfluss“ für Autos nach wie vor ein Traum. Die Vokabel „Stau“ gehört zum täglichen Sprachschatz der Medien. Straßen für die Maximalbelastung verbieten sich: Zu viel Grund und Boden würde verbaut. Und so ist in den letzten Jahren zusätzlich eine bemerkenswerte Entwicklung im Gang. Man radelt – wieder; denn schon zwischen den Weltkriegen und auch nach 1945 war das Fahrrad das wichtigste Individualverkehrsmittel. Doch jetzt fährt man auch im Business-Anzug und mit feinem Hemdkragen. Radler seien in München auf der „Überholspur“, so der Münchner Merkur (MM) am 19./20. Oktober 2013. Das behäbige „Radl“, einst sogar mit einer eigens gemischten „Radler-Maß“ geehrt, mutierte zum „Bike“. Design-Räder sind angesagt, das Fahrrad wandelte sich vom „Sportgerät zum Statussymbol“ (Süddeutsche Zeitung, SZ vom 29. März 2016), die Aktentasche sei darauf „windschnittig festgeschnürt“.

Erst recht nicht ist das Fahrrad „plebejisch“, wie dies 1914 der englische Schriftsteller H. G. Wells für die Zukunft voraussagte. Man vergibt sich nichts, wenn man mit dem Rad statt mit einem Sportwagen samt vier Auspuffrohren bei der Firma vorfährt, zumal wenn es eins der...

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