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Munich Re

Die Geschichte der Münchener Rück 1880-1980

AutorChristopher Kopper, Johannes Bähr
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783406683626
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
'Die Rückversicherung muss ihrer Natur nach international sein', lautet eine bekannte Einsicht Carl von Thiemes, des Mitgründers und langjährigen Generaldirektors der Münchener Rück. So war es kein Zufall, dass das Unternehmen schon bald nach seiner Gründung im Jahr 1880 zum Weltmarktführer aufstieg und sich auch in der Folgezeit in gelegentlichem Wechsel mit der Schweizer Rück an der Spitze behaupten konnte. Gleichwohl ist in der breiten Öffentlichkeit wenig über das seit 2009 als 'Munich Re' auftretende Unternehmen bekannt. Johannes Bähr und Christopher Kopper legen nun die erste Geschichte des Rückversicherers vor, die von den Anfängen bis in die 1980er Jahre reicht. Nur wenige Unternehmen sind derart rasch zum Weltmarktführer aufgestiegen wie die Münchener Rück, und den allerwenigsten ist es gelungen, sich derart lange an der Spitze des Weltmarkts zu behaupten. Anhand ihrer Geschichte lässt sich zeigen, wie Versicherer auf Großkatastrophen und technologische Umwälzungen reagierten. Ohne Teilung der Risiken mit den Rückversicherern hätten zahllose Erstversicherer die wirtschaftlichen Folgen großer Naturkatastrophen nicht überlebt und wären durch die Last ihrer Zahlungsverpflichtungen in den Konkurs gezwungen worden. Somit haben die Rückversicherer die Abdeckung bestimmter Risiken überhaupt erst möglich gemacht. Doch hat die Münchener Rück auch immer wieder selbst zur Einführung neuer Versicherungszweige beigetragen, wie etwa im Fall der Maschinenversicherung oder bei der Lebensversicherung gegen erhöhte Risiken. So ist die Geschichte dieses Pioniers der Globalisierung zugleich eine Geschichte des Umgangs mit Risiken und des Managements der Risikoverteilung. Es ist aber nicht zuletzt auch die Geschichte eines deutschen Unternehmens, das von der nationalsozialistischen Diktatur profitiert hat und nach beiden Weltkriegen wieder mühsam auf den Weltmarkt zurückfinden musste.

Johannes Bähr ist apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Christopher Kopper ist apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld.

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Leseprobe

1.   Einleitung


Sie haben seit über 100 Jahren eine große Bedeutung für das Versicherungsgeschäft, sind aber weniger bekannt als die großen Universalversicherer. Die Rede ist von den Rückversicherungsgesellschaften. Die 1880 gegründete Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG (Münchener Rück) war bis 1914, während der 1930er Jahre und seit den späten 1960ern das größte Rückversicherungsunternehmen der Welt, doch nahm die breite Öffentlichkeit selten von ihr Notiz. Dies lag zum einen an der zurückhaltenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dieses Unternehmens, das sich über ein Jahrhundert lang auf die Mitteilung seiner Bilanzzahlen beschränkte. Zum anderen liegt der geringe Bekanntheitsgrad in der Natur dieses Geschäfts begründet: Rückversicherer schließen nur mit Versicherungsgesellschaften, den Erstversicherern, und Versicherungsmaklern Verträge ab. Im Unterschied zu den Erstversicherern treten sie nicht durch Massenwerbung und ein sichtbares Vertriebsnetz öffentlich in Erscheinung. Nur vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass die Münchener Rück sich auch im Umgang mit ihrer eigenen, bedeutenden Geschichte bedeckt gehalten hat. Mit diesem Buch erscheint nun, 135 Jahre nach der Gründung, erstmals eine umfassende Unternehmensgeschichte der Münchener Rück, die seit 2009 weltweit als Munich Re auftritt.

Wenig bekannt ist auch die wirtschaftliche Funktion der Rückversicherer. Ohne Teilung der Risiken mit den Rückversicherern hätten zahllose Erstversicherer die wirtschaftlichen Folgen von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Hurrikanen nicht überlebt und wären durch die Last ihrer Zahlungsverpflichtungen in den Konkurs gezwungen worden. Die Rückversicherung gegen katastrophale Schadensereignisse ermöglichte in vielen Staaten die Konzentration hoher Werte – in Form von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Maschinen und Infrastruktur – in Regionen, die in regelmäßiger, aber unberechenbarer Folge von Naturkatastrophen heimgesucht werden. Auch auf weniger spektakulären Geschäftsfeldern wie der Feuerversicherung und der Kfz-Versicherung glätteten die Rückversicherer den Schadensverlauf der Erstversicherer und erleichterten die Kalkulation von Versicherungsprämien. Dieses Buch wird auch der Frage nachgehen, ob und wie Rückversicherer die Versicherung bestimmter Risiken erst möglich gemacht haben.

Dies bedeutet nicht, dass die Existenz eigenständiger Rückversicherungsgesellschaften funktional zwingend und damit alternativlos war. In Großbritannien und in den USA wurde die Aufgabe der Risikoteilung nicht primär durch Rückversicherer, sondern durch die Kooperation zwischen Erstversicherern in Form von Mitversicherungsverträgen und Versicherungssyndikaten erfüllt. Das Versicherungssyndikat Lloyd’s in London ist das bekannteste Beispiel dafür. Gleichzeitig bestand wegen des Informationsgefälles zwischen dem Erstversicherer und dem Rückversicherer die latente Gefahr einer Verlagerung schlechter Risiken auf den Rückversicherer. Daher soll die Studie erkunden, mit welchen Mitteln die Münchener Rück dieses Informationsdefizit reduzierte und durch das Instrument der Vertragsgestaltung einen einseitigen Risikotransfer zu ihren Lasten auszuschließen versuchte. Sie soll untersuchen, wie sich das Verhältnis zwischen den Rückversicherern und den Erstversicherern durch Verschiebungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, neue Techniken der Risikobewertung und neue Formen der Zusammenarbeit veränderte.

Ein besonderes Augenmerk erhält die Evolution der wissenschaftlichen Risikobewertung. Während die Bewertung von Versicherungsrisiken bis in die 1960er Jahre auf Erfahrungswissen basierte und die Risiken mit vergleichsweise einfachen statistischen (aktuarischen) Methoden quantifiziert wurden, ging die Münchener Rück früher als viele Konkurrenten zu einer vorausschauenden und wissenschaftlich fundierten Risikobewertung über. Sie stellte vor allem die Bewertung von Georisiken wie Erdbeben und Stürmen auf naturwissenschaftlich fundierte Grundlagen und führte in den 1970er Jahren in der Sachversicherung mathematische Modelle zur Risikoberechnung ein.

Aus verschiedenen Gründen eignet sich kaum eine Rückversicherungsgesellschaft besser für eine Langzeitstudie als die Münchener Rück. Die Münchener Rück gründete 1890 die Allianz Versicherung und ermöglichte dieser durch eine hohe Rückversicherungsquote den Aufstieg zum weitaus größten Erstversicherer Deutschlands. Doch blieb das Verhältnis zwischen beiden keinesfalls statisch. Ihre zunehmende Größe und Kapitalstärke erlaubten der Allianz, das Verhältnis zur Münchener Rück neu zu justieren und einen geringeren Teil ihres Geschäfts in Rückdeckung zu geben. Doch auch weiterhin generierte die Münchener Rück durch die enge Bindung des größten deutschen Erstversicherers ein erhebliches Prämienvolumen, das ihr Wachstum begünstigte. Die enge Kooperation zwischen Münchener Rück und Allianz wurde in idealtypischer Weise durch einen Gemeinschaftsvertrag geregelt und auch durch eine gegenseitige Kapitalverflechtung (Überkreuzverflechtung) hergestellt. Durch die Vertretung im Aufsichtsrat des jeweils anderen Versicherers war eine enge personelle Verflechtung gegeben, die bis zur Auflösung des Gemeinschaftsvertrags im Jahr 2003 Bestand hatte.

Am Beispiel der gemeinsamen Tochtergesellschaften mit der Allianz und der eigenständigen Kapitalbeteiligungen bei Erstversicherern geht dieses Buch der Frage nach, mit welchen Mitteln sich die Münchener Rück ihre langfristigen Kundenbindungen sicherte. Neben ihrer Kapitalausstattung, ihren gut dotierten Rückstellungen und ihrem Renommee als kompetenter und leistungsfähiger Versicherer dienten ihre Kapitalbeteiligungen an Erstversicherern als ein Instrument der Kundenbindung, das eine systematische Untersuchung verdient. In diesem Zusammenhang widmet sich die Studie der Frage, ob die Münchener Rück als (Mit-)Eigentümer anderer Unternehmen eine Strategie der kurzfristigen Renditesteigerung verfolgte oder sich als idealtypischer Aktionär in der Wirtschaftsordnung des «Rheinischen Kapitalismus» (Michel Albert) auf eine längerfristige Eigentümerstrategie konzentrierte.

Rückversicherer unterschieden sich von Erstversicherern schon frühzeitig durch den sehr viel höheren Anteil des Auslandsgeschäfts. Die räumliche Streuung des Rückversicherungsgeschäfts über mehr als einen Kontinent war nicht primär der Tatsache geschuldet, dass auch ein großer nationaler Versicherungsmarkt wie Deutschland für eine expansive Unternehmensstrategie schnell zu klein wurde. Die transkontinentale räumliche Streuung der versicherten Risiken diente vor allem als Mittel des regionalen Risikoausgleichs und als Schutz gegen eine mögliche räumliche Kumulation von Risiken. Die Hindernisse für eine Internationalisierung waren niedrig. Im Unterschied zur Erstversicherungsbranche benötigte ein Rückversicherer für die Geschäftsaufnahme im Ausland keine Zulassung durch die nationale Versicherungsaufsicht und kein kostenaufwändiges Vertriebsnetz. Der Münchener Rück gelang so schon vor 1900 die Ausdehnung ihres Geschäfts von Kontinentaleuropa (v.a. dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn) über den Atlantik nach Nordamerika, dem größten Wachstumsmarkt dieser Zeit.

Durch das große Erdbeben von San Francisco (1906) wurde die Münchener Rück zum ersten Mal mit Großrisiken konfrontiert, die in ihrem europäischen Geschäft nicht existierten. Die Geschichte der Münchener Rück ist daher eine fast idealtypische Geschichte der Globalisierung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs (1914), der die erzwungene Desintegration des Weltmarkts folgte. Mit der militärischen Expansion des Dritten Reichs übernahm die Münchener Rück die Vorherrschaft über die europäische Rückversicherungsbranche, die mit der Beschlagnahme ihres gesamten Auslandsvermögens und einem Verbot des Auslandsgeschäfts endete. In den 1950er Jahren betrieb die Münchener Rück erfolgreich die Re-Internationalisierung, die wegen der zunehmenden Bedeutung des asiatischen und des nordamerikanischen Marktes zu Recht auch Globalisierung genannt werden kann. Bis zum Ende der 1970er Jahre hatte die Münchener Rück mit Versicherern in fast allen Ländern der Welt Geschäftsbeziehungen etabliert. Die Internationalisierung des Rückversicherungsgeschäfts zwang das Unternehmen schon frühzeitig, die Grenzen des Versicherbaren zu verschieben. Während die Münchener Rück Erdbeben- und Überschwemmungsschäden zunächst als unkalkulierbare und daher nicht versicherbare Risiken behandelt hatte, musste sie sich nach ihrem Markteintritt in den USA und in Japan den Usancen der dortigen Versicherungsmärkte...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Inhalt5
1. Einleitung7
Teil I: Aufstieg, Bewährungsproben und Rückschläge (1880–1932)13
2. Die Anfänge der Rückversicherung: Der lange Weg zur Gleichstellung15
3. Gründung und Anfänge der Münchener Rück24
Carl Thieme und die Gründung der Münchener Rück24
Der Aufstieg als Rückversicherer neuen Typs35
«Die Gründung eines Unfallunternehmens neben unserer Rückversicherungs-Gesellschaft»: Wie die Allianz Versicherungs-AG entstand44
4. Die Eroberung des Weltmarkts und das Erdbeben von San Francisco55
Geschäfte und Beteiligungen in Russland, Großbritannien und den USA55
Das Erdbeben von San Francisco und andere Großschäden64
5. Die Münchener Rück vor dem Ersten Weltkrieg78
Mitarbeiter und Vorstand78
Geschäftsentwicklung, Beteiligungen und neue Versicherungszweige89
6. Der Erste Weltkrieg und die Neuordnung des Weltmarkts95
7. Vom Weltmarkt verbannt: Der Konzernausbau in Mitteleuropa während der Inflationszeit103
8. «Die Versicherung hat ihre eigene Konjunktur»: Die Münchener Rück in der Großen Weltwirtschaftskrise125
Teil II: Die Münchener Rück während der nationalsozialistischen Herrschaft (1933–1945)145
9. Die nationalsozialistische Machtübernahme und die Münchener Rück: Geschäftsentwicklung, politische Verbindungen und das Leitungspersonal147
10. Die Münchener Rück in der Wirtschaft des Dritten Reiches: Geschäftspolitik, Devisenbewirtschaftung und die Beteiligung an der Rüstungsfinanzierung176
11. Auslandsgeschäft, Auslandsbeteiligungen und Kriegserwartung191
Die Beziehungen zur Schweizer Rück unter den Bedingungen der Devisenbewirtschaftung191
Der Phönix-Skandal und seine Folgen196
Tarnungen und Kriegserwartung206
12. Besatzungsherrschaft und Kriegswirtschaft: Die Münchener Rück im Europa des Dritten Reiches211
«Verständige Zusammenarbeit»? Das Engagement in Wien, Prag und Südosteuropa211
Die Konzerngesellschaften im besetzten Polen221
Die Tochtergesellschaften im Westen und die Vereinigung zur Deckung von Großrisiken229
Drehscheibe des Tarngeschäfts und Fenster zur Welt: Die Union Rück in Zürich237
Teil III: Zurück an die Spitze des Weltmarkts (1945–1980)245
13. Der Neubeginn unter amerikanischer Besatzung: Kriegsfolgen und Entnazifizierung247
14. Der Weg zurück in den internationalen Rückversicherungsmarkt262
15. Wiederaufbau der Kapitalbasis: Die Münchener Rück und die Folgen der Währungsreform270
16. Neue Herausforderungen im internationalen Rückversicherungsgeschäft279
17. Kontinuität und Wandel in der «Ära Alzheimer» (1950–1968)304
18. Die fortschreitende Globalisierung des Rückversicherungsgeschäfts313
19. Die Krisen der 1970er Jahre und die Herausforderungen des modernen Risikomanagements350
20. Fazit362
Anhang371
Anmerkungen373
Verzeichnis der Tabellen und Grafiken, Bildnachweis438
Abkürzungsverzeichnis439
Quellen- und Literaturverzeichnis441
Personenregister453
Unternehmensregister457
Zum Buch464
Über die Autoren464

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