„Rhythmus ist überall, alles ist rhythmisch.
Rhythmus ist das Gesetz der „maßgebenden“ Kraft
das geheime Prinzip der Schöpfung,
alles strukturierend und wandelnd.
Rhythmus ist Wechsel und Wiederkehr,
Fortbewegung und Innehalten,
Spannung und Entspannung,
Zusammensetzung und Spaltung,
Freude und Schmerz,
Leben und Tod,
Klang und Stille,
Geduld und blitzschnelles Handeln.
Wir erfahren früh die Schnelligkeit
vom „Rhythmus des Augenblicks“,
des unerwarteten, blitzartigen
Situations- und Gemütswechsels,
und gewöhnen uns allmählich an den Rhythmus
von Tag und Nacht,
von Stunden, Minuten und Sekunden,
von Jahreszeiten, Monaten und Wochen.
Gehen ist Rhythmus
und bedeutet das komplexe Verhältnis von Schwerkraft
gegenüber unserem Bewegungsapparat und Gleichgewichtssinn.
Sprache ist Rhythmus.
Jeder hat seinen persönlichen Rhythmus beim Sprechen
und auch jede Sprache hat ihren eigenen Rhythmus.
Musik ist rhythmische Klangsprache.“
(GIGER 1993, S.13)
Gigers Ausführungen zum Rhythmus weisen bereits auf die Vielschichtigkeit und die schwer zu greifende Definierbarkeit des Begriffes ´Rhythmus` hin. Einleitend schreibt er: „Rhythmus ist überall. Alles ist rhythmisch“ (GIGER 1993, S.13). Der Rhythmus ist den Menschen mannigfaltig erfahrbar.
Ausgehend von den Bewegungen in unserem Sonnensystem entstehen auf der Erde rhythmische Zyklen, die sich in Jahre, Jahreszeiten, Monate, Tag und Nacht, Mondphasen usw. gliedern, „wodurch nun wieder Lebensrhythmen der Pflanzen, Tiere und Menschen bestimmt werden“ (HARTMANN 1979, zitiert in HEIMANN 1989, S.14). Heimann schreibt, „dass sich die Rhythmen in Natur und Kosmos nicht vollständig unabhängig vom Menschen abspielen, sondern dass sich gerade in den Rhythmen gewisse Beziehungen zwischen Mensch und Welt offenbaren“ (HEIMANN 1989, S. 348). Man kann sogar behaupten, dass der Mensch in die rhythmischen Gesetze eingebettet ist.
Bereits vor der Geburt wird das menschliche Leben durch den Herzschlag der Mutter geprägt, den der Embryo ab dem vierten Monat konstant wahrnehmen kann. Im Säuglingsalter wirken rhythmische Schaukelbewegungen beruhigend auf das Kind ein. Auch auf den erwachsenen Menschen haben externe Rhythmen einen Einfluss. Setzt man Menschen ansteigenden musikalischen Rhythmen aus, so tragen diese zur Beschleunigung der Puls- und Atemfrequenz bei.
Im menschlichen Organismus können rhythmische Prozesse über den Puls und die Atmung hinaus nachgewiesen werden, die nicht nebeneinander, sondern als Teil des gesamten Organismus eingliedert agieren. „Ähnlich wie in der Musik harmonische Intervalle auf ganzzahligen Frequenzverhältnissen beruhen, besteht auch im Organismus eine harmonisch proportionierte Frequenzordnung der Rhythmen“ (HILDEBRANDT, zitiert in HEIMANN 1989, S.149). Man kann also vom Organismus des Menschen als polyrhythmisches System sprechen. Diese Körperrhythmen nimmt der Mensch nicht grundsätzlich bewusst wahr, pendelt sich aber im entspannten Zustand oder bei gleichbleibender Tätigkeit in den Rhythmus des Körpers ein.
Der Rhythmus ist aber nicht ein durchweg biologisches und kosmisches Phänomen und sollte im pädagogischen Handeln trotz eines natürlichen Ansatzes nicht darauf reduziert werden.
Das ganze Leben wird von rhythmischen Grundmustern gesteuert, die „in allem, was menschenbedingt ist, Rhythmen entstehen“ lassen, „so in der Menschheitsgeschichte, in der persönlichen Lebensgeschichte, im Wirtschaftsleben (Konjunkturen), in der Kunst, in der Musik, in der Schrift, der Sprache usw. In all diesen Bereichen ist es der rhythmische Faktor, der Zusammenhänge herstellt“ (FROHNE-HAGEMANN, zitiert in JÜRGENS 1999, S.25). Und weiter: „Rhythmus nimmt damit den Rang eines Verbindungsgliedes ein, das allen Verläufen, die den Menschen umgeben und betreffen und sich in seinem Lebensverlauf begegnen, gemeinsam ist. Als Strukturmerkmal des menschlichen Lebensverlaufes ist Rhythmus eine grundlegende Ausdrucksform menschlichen Lebens überhaupt“ (JÜRGENS 1999, S.26). Der ´natürliche` Rhythmus ist somit nicht das einzige, dem der Mensch unterworfen ist bzw. an dem sich der Mensch orientiert.
Aktuell, wo die „naturhafte Ordnung in unserem modernen Leben sehr häufig durchbrochen wird“ (SEIDENFADEN, zitiert in HEIMANN 1989, S.17), ist es die Aufgabe des Menschen, sich selbst über die Vielschichtigkeit der Rhythmen stellen und dabei Impulse zurückhalten zu können. Insofern benötigt der Mensch die Fähigkeit des bewussten Umganges mit Rhythmen. Heimann misst hier auf dem Ansatz einer rhythmischen Erziehung des im „rhythmischen Gestirnenwandel der Jahreszeiten, des Monats und des Tages“ (ebd.) mitschwingenden Menschen beruhend, eine große Bedeutung bei. Den Bereich der rhythmischen Erziehung werde ich in Kapitel 1.4 näher erläutern; zunächst erscheint es sinnvoller, den Begriff Rhythmus allgemein greifbarer zu machen.
Der Begriff bietet aus dem Griechischen abgeleitet zwei konträre Bedeutungen, die man trotzdem beide als ein Merkmal des Rhythmus deuten kann. Die Begriffe ´Abwehr` und ´Schutz` heben den ordnenden und strukturierenden Charakter des Rhythmus hervor und stehen den Begriffen ´Fluss` und ´Strom` gegenüber, welche die Bewegung, den Fluss des Rhythmus betonen.
Den Anspruch, eine allgemeingültige Definition des Begriffes formuliert zu haben, erhebt kein Wissenschaftsgebiet für sich (vgl. HEIMANN 1989, S.75ff). Genutzt wird der Begriff aber von vielen Wissenschaften und wird dementsprechend unterschiedlich ausgelegt. Peter Röthig hat versucht, sich den Merkmalen des Rhythmus phänomenologisch zu nähern. Er fasst zusammen: „Rhythmus wird als ein Vorgang zu verstehen sein, dessen Bestandteile geordnet, gegliedert, aufeinander bezogen sind und dessen regelmäßige Verlaufsgestalt durch bestimmte Akzentuierungen und Wiederholungen gekennzeichnet ist“ (RÖTHIG in BANNMÜLLER/RÖTHIG 1990, S.53). Der Begriff Rhythmus ist im Hinblick auf die von Röthig genannten Elemente der Wiederholung und der sich aufeinander beziehenden, gegliederten und geordneten Bestandteile bereits in der o.g. Beschreibung natürlicher Rhythmen ersichtlich geworden, nicht aber bezogen auf das betonende Element.
Unterschiedliche Akzentuierungen einzelner Teile wirken einem monotonen Gleichschlag entgegen und machen den Rhythmus durch die Wiederholung dieser unterschiedlich akzentuierten Teile lebendig. Der Philosoph Klages differenziert hier Takt und Rhythmus, wobei der „Rhythmus die Wiederkehr des Ähnlichen sei, im Gegensatz zum Takt, wo sich stets das Gleiche wiederholt. Noch pointierter drückte er diesen Unterschied dadurch aus, dass Takt als bloße Wiederholung, Rhythmus als Erneuerung aufgefasst werden muss“ (HEIMANN 1989, S.53).
Der Rhythmus folgt zwei Grundmustern: der Zweierform als geraden, und der Dreierform als ungeraden Rhythmus (vgl. GIGER 1993, S.131 und JÜRGENS 1999, S.27). Beide Formen sind dem Menschen durch erfahrbare „Eigen- und Alltagsbewegungen“ vertraut. Die Zweierform ist dabei die gängigere. „Das Gehen in gleich langen Schritten lässt einen betonten Tritt entweder links oder rechts hören und spüren oder das Ticken einer Uhr in Tick-Tack-Tick-Tack lässt entweder Tick oder Tack betont hervortreten“ (ebd.) erklärt Jürgens. Der Dreierrhythmus ist dem Menschen durch die Atmung (vgl. GIGER 1993, S.11) eigen, die sich in Einatmen, Ausatmen und Atempause gliedert.
Diese von den Werten Zwei und Drei bestimmten Formen des Rhythmus sind in der Musik erweiter- und kombinierbar und können so neue Rhythmen entstehen lassen. Flatischler überträgt die Pulsation des Körpers auf die Musik: „So komplex das rhythmische Geschehen des Herzschlages an sich ist, an einer Pulsstelle des Körpers können wir die beiden Elemente einer Pulsation klar erfahren: den Puls und den Zwischenraum zwischen den Pulsen. Ebenso, wie es in unserem Körper ist, ist es auch in der Musik: Puls und Zwischenraum sind die beiden, ständig wechselnden Elemente jeder musikalischen Pulsation“ (FLATISCHLER 1991, S.8). Auf den Pulsschlag stützt sich der Grundbeat eines musikalischen Rhythmus.
Der im vorherigen Unterpunkt beschriebene Rhythmusbegriff nach Peter Röthig kann an dieser Stelle...