5 Die Muskelarbeit
Muskeln arbeiten paarweise, in Gruppen oder Ketten die miteinander in Verbindung stehen.
Es sind grundsätzlich 2 Kontraktionsformen möglich:
Um das Gewicht von Kopf und Hals entsprechend der reiterlichen Anforderung überhaupt tragen zu können, ist isometrische Muskelarbeit nötig, genauso wie bei der Versammlung des Pferdes.
Die isometrische Muskelarbeit kann für das Pferd sehr anstrengend und schmerzhaft sein, wenn die Muskulatur hierfür nicht ausreichend trainiert ist, denn sie erfordert enorme Haltekraft!
Es erweist sich im Training des Pferdes als sinnvoll, beide Kontraktionsformen und Kontraktionsmöglichkeiten der Muskulatur, die der Isotonischen und im weiteren Trainingsverlauf, die der Isometrischen, zu nützen.
Bewegung entsteht durch ein Zusammenspiel vom Nervensystem und der Muskulatur.
Muskeln ziehen sich dabei auf Befehl entweder zusammen, oder entspannen sich. Kontrahiert der Muskel, nähern sich Ansatz und Ursprung an und bewegen sich auf sich zu.
Dabei verändert das dazwischenliegende Gelenk seine Position und der Gegenspieler des kontrahierten Muskels entspannt.
Um diese durch die Kontraktion veränderte Position der Gelenke nicht in eine unphysiologische Stellung zu bringen, bedarf es der vollen Funktionstüchtigkeit vom Agonist, dem „aktiven“ Muskel, und dem Antagonisten, dem „entspannten“ Gegenspieler.
Besondere Probleme können hier mitunter durch eine Fehlfunktion im Muskelstoffwechsel, aber auch beispielsweise durch die natürliche Schiefe des Pferdes entstehen.
Die dynamische und statische Muskelarbeit
Im Trainingsaufbau des Pferdes gilt es primär die dynamische Muskelarbeit, also das Bewegungstraining an sich zu forcieren. Die dynamische Muskelarbeit ist für das Pferd weniger ermüdend, als vergleichsweise die statische Muskelarbeit bei der die Muskulatur Haltearbeit verrichten muss.
Die dynamische Muskelarbeit verläuft isotonisch. Es verändert sich sowohl der Muskeltonus, also der Spannungszustand des Muskels, als auch daraus resultierend die Muskellänge aufgrund der gleichzeitigen konzentrischen und exzentrischen Kontraktion.
Dynamische Muskeln – Bewegungsmuskeln
- haben einen großen Abstand zwischen Ursprung und Ansatz. Diese Muskeln findet man beispielsweise an der oberflächlichen Rückenmuskulatur.
- sind rein fleischige Muskeln.
- haben kaum Feinmotorik.
- haben eine große Kontraktionsfähigkeit.
- bestehen vermehrt aus weißen Fasern, wodurch schnell viel Kraft für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung steht.
- arbeiten anaerob. Die Sauerstoffschuld wird jedoch durch die rasche Kontraktion und Extension, in der sich der Muskel gewissermaßen entspannen kann, aufgehoben.
Dieselbe Gangart – unterschiedliche Muskelarbeit
Die statische Muskelarbeit verläuft isometrisch. Aufgrund der gleichbleibenden Muskellänge verrichtet die Muskulatur Haltearbeit.
Statische Muskeln – Haltemuskeln
- sind kurze Muskeln und vielfach nah an den Gelenken.
Sie liegen beispielsweise nah der Wirbelsäule in der tiefen Muskelschicht. - sind von Bindegewebe und mit reichlich Nerven durchzogen.
- können feinmotorische Bewegungen ausführen.
- weisen vermehrt rote Muskelfasern auf und sind aufgrund der erhöhten Sauerstoffkapazität ausdauernd.
- arbeiten aerob. Bei statischer Muskelarbeit über Gebühr gerät die Muskulatur in eine Sauerstoffschuld und in den anaeroben Bereich. Durch die daraus resultierende Laktatausschüttung übersäuert die Muskulatur.
MERKE!
Besteht die Sauerstoffschuld der Muskulatur über einen längeren Zeitraum entsteht eine Stoffwechselstörung in der Muskelzelle.
Durch den Reparaturversuch des Muskels lagert sich das entstandene Eiweiß ein und vernarbt den Muskel. Es entstehen sogenannte Myogelosen, welche den Muskel verkleben und in seiner Funktion einschränken.
Um Folgeschäden zu vermeiden, gilt es beim geringsten Verdacht auf Übersäuerung des Pferdes unverzüglich den Tierarzt zu konsultieren und mittels Blutbild ein Elektrolytprofil sowie die Werte CK, LDH und GGT zu ermitteln.
Für das Pferdetraining bedeutet das, dass statische Muskeln aufgrund ihrer motorischen Sensibilität für die Reitkunst als solche von besonderer Bedeutung sind.
Erst durch entsprechendes Training der statischen Muskeln kann das Pferd zu der „Feinheit“ und „Durchlässigkeit“, die wir Reiter in der Reitkunst anstreben, gelangen.
Je besser diese Muskeln trainiert sind, umso „leichter“ wird das Pferd zu reiten.
Um zu fühlen was Pferde in der Versammlung an Haltearbeit der Muskulatur leisten müssen, empfiehlt sich der Selbsttest.
Versuchen Sie in einer mehr oder weniger starken Kniebeuge einige Runden am Reitplatz zu laufen. Ich wage zu behaupten, dass viele Menschen nicht einmal eine Runde brauchen, um in diesem Beugegang Schmerzen zu fühlen.
Dieses Eigenexperiment soll verdeutlichen, dass Muskulatur Zeit braucht um tragfähig zu werden. Viele Pferde sind den vom Trainer geforderten Anforderungen schlicht weg nicht gewachsen.
In der Jungpferdeausbildung gilt es für den Ausbildner diese Faktoren zu berücksichtigen, zu respektieren.
Man muss dem Pferd die Zeit zugestehen die es braucht um seine Muskulatur auszubilden.
In diesem Stadium der Ausbildung seine Erwartungshaltung hinsichtlich der „Feinheit“ des Pferdes mit der eines gut ausgebildeten Reitpferdes gleichzusetzen, ist nicht fair dem Pferd gegenüber, da es diesen Anforderungen noch gar nicht gewachsen ist.
MERKE!
Reelle Durchlässigkeit ist Trainingssache, und kann durch kein Hilfsmittel auf ehrlichem Wege erlangt werden!
Die Arbeit mit Hilfszügeln
Die Arbeit mit Hilfszügeln stellt aus biomechanischer Sicht isometrische Muskelkontraktion dar. Was das bedeutet, kann jeder selbst testen indem er seine Arme 90° vom Körper weg hält. Bestimmt wird es nicht lange dauern, und die Muskulatur der Arme wird ermüden und in weiterer Folge zu brennen beginnen. Das Pferd am Hilfszügel spürt denselben Schmerz!
Beim Einsatz von Hilfszügeln ist primär darauf zu achten, dass er korrekt verschnallt ist und die Bewegungsmuskeln der oberen Halsmuskulatur nicht in ihrer Funktion gestört werden. Anderenfalls müssen diese dynamischen Muskeln Haltearbeit verrichten für die sie nicht von Grund auf geschaffen sind.
Um die physiologische Muskelarbeit nicht zu stören, muss der Hilfszügel in sehr kurzen Abständen, welche von ein paar Sekunden bis maximal einer Minute dauern dürfen, ausgeschnallt werden und dem Pferd die Dehnung und freie Bewegung gewährt werden.
Das tägliche Bild auf den Reitplätzen spricht leider ein anderes, wo Pferde bis auf ein kurzes Umschnallen zum Handwechsel permanent am Hilfszügel an der Longe gearbeitet werden.
Pferde, die unter dem Reiter mit Hilfszügel laufen stehen erfahrungsgemäß - ebenfalls in Anbetracht der Muskelfunktion - zu lange am Hilfszügel, als dass es tatsächlich eine effektive Trainingshilfe wäre.
Gut trainierte Pferde brauchen keinen Hilfszügel und das unzureichend trainierte hat bei falschem Einsatz mehr Schaden als Nutzen!
Viele Pferdebesitzer sind sich darüber nicht im Klaren, dass der Hilfszügel im täglichen Gebrauch über einen längeren Zeitraum hinweg seinen „Hilfsstatus“ verliert und zur Krücke wird. Das Trainingsziel und der Einsatzzweck darf nie aus den Augen verloren werden, anderenfalls ist der Hilfszügel nicht nur Selbstbetrug, sondern auch riskant für den Pferdekörper Schaden zu nehmen.
Wenn das Pferd nach längerem Einsatz der Hilfszügel ohne diesen noch immer unbefriedigende Haltung zeigt, so ist ein Überdenken des Trainingsplanes anzuraten und abzuklären, ob der Hilfszügel nicht schon zur Krücke wurde.
Der Einsatz von Hilfszügeln kann in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll sein. Nämlich dann, um...