Tücke und Tabu
Worum es geht
Auch Heldinnen haben Ängste. Und dann benehmen sie sich merkwürdig. So merkwürdig wie Meryl Streep. Die Schauspielerin hatte gerade Jenseits von Afrika abgedreht und gab in New York einige Interviews. Es waren Gespräche, wie sie bei der Werbetour für einen Film üblich sind: straff geplant und zeitlich durchgetaktet. Meryl Streep erledigte professionell ihren Job – doch plötzlich setzte sie ihren Pressesprecher vor die Hotelzimmertür und sagte alle weiteren Termine ab.
Eine Reporterin vom Stern war aufgetaucht. Die Journalistin hatte sich darauf eingestellt, dass ihr nur wenig Zeit mit dem Star zur Verfügung stand. Doch Meryl Streep entschied anders. Sie wollte sich ungestört unterhalten. Über ein Thema, das beide Frauen persönlich anging. Das Älterwerden. Den Schrecken davor. Die Furcht, seine Ausstrahlung zu verlieren und nicht mehr gefragt zu sein. Als Meryl Streep über ihre Ängste sprach, darüber, was es für eine Frau bedeutet, in Hollywood Falten zu kriegen, war sie 36 Jahre alt. Wibke Bruhns, die deutsche Reporterin, zehn Jahre älter.1
Eigentlich waren die beiden mit diesem Problem relativ spät dran. Wer heutzutage mit Frauen spricht, wird feststellen, wie deutlich sich die Zeithorizonte verschoben haben. Die Angst vor den Jahren setzt inzwischen unglaublich früh ein. Da kämpfen bereits 18-Jährige tapfer gegen imaginierte Runzeln. 25-Jährige geraten in Panik, wenn sie nicht mehr als Jugendliche durchgehen. Der 30. Geburtstag wird als deutliches Zeichen für Schluss mit lustig wahrgenommen. Und wenn erst die 40 drohen und sich irgendwann auch noch die Wechseljahre heranpirschen …
Hier geht es um Frauen, um ihre Erfahrungen mit dem Älterwerden. Kaum eine, die das Thema nicht kümmert. Und oft ist es weit mehr als nur Thema: eine Schmerzzone. Ein wundes Gebiet, das auf Berührung empfindlich reagiert. Frauen leiden daran, älter zu werden. Viel zu viele, viel zu oft. Nicht einfach an der fortschreitenden Zeit, nicht schlicht unter den Jahren. Wer könnte diesem Schicksal entgehen? Was Frauen fürchten, ist die gesellschaftliche Abseitsfalle, in die sie gedrängt werden. Und diese Bedrohung ist nicht etwa nur eine persönliche, sondern auch eine soziale Erfahrung. Und damit politisch.
Selbstverständlich gibt es Frauen, die den zweiten Lebensabschnitt entspannt und selbstsicher angehen. Die sich auf jeden Geburtstag freuen und gelassen alles abprallen lassen, was das Älterwerden an Hinterhältigkeit in petto hält. Doch Souveränität im Privaten ändert nichts daran, dass in der Gesellschaft kollektive Muster der Kränkung und Abwertung warten. Und sind es tatsächlich so viele Frauen, die völlig frei sind von Unbehagen, wenn sie sich im Blick der anderen spiegeln?
Denn bei Frauen wird unendlich viel an ihre Lebensjahre gekettet: Ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, ihre erotische Anziehungskraft, ihr Wert auf dem Liebesmarkt, der Erfolg in der Arbeitswelt – um nur einige Felder zu nennen. Als wäre die Identität einer Frau ausschließlich von ihrem Alter abhängig. Als erschöpfe sich der Kern des weiblichen Selbst in den Jahren.
Ist das ein Gesetz der Natur? Mitnichten. Es scheint nur so. Denn schließlich erleben Männer es anders. Trotz Jugendwahn und Körperkult – Männer dürfen älter werden und das auch zeigen. Ihr Alter gehört ihnen. Sie brauchen sich nicht um Jugendlichkeit zu bemühen, damit sie als erotisches Wesen beachtet werden. Sie können sich trauen, all ihre Falten zu präsentieren, denn die machen sie angeblich sexy. Sie gelten auch in späten Jahren noch als durchaus viril. Beruflich, privat, sexuell.
So wurde Hartmut Mehdorn, nachdem er bereits einige Unternehmen erfolgreich heruntergemanagt hatte, noch mit über 70 Jahren zum Chef der Berliner Flughafengesellschaft berufen. Als aber Renate Künast sich als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 bewarb, lästerten Journalisten, sie sei doch wohl nicht mehr ganz frisch. Ob die Partei denn nichts Jüngeres habe? Da war die Grünen-Politikerin gerade mal 57 Jahre geworden.
Auch wenn es um ihr Liebesleben geht, genießen Männer eine erstaunliche Großzügigkeit. Unverhohlen dürfen sie Jagd auf eine weitaus jüngere Partnerin machen. Eine schöne Trophäe! Sich mit einer jungen Frau zu paaren wird noch immer als Konstante im männlichen Beuteschema betrachtet. Weswegen der 75-jährige Udo Jürgens, Lustgreis unter den Schlagersängern, nonchalant damit angibt, dass seine Geliebten »natürlich nicht« in seinem Alter sind2; dabei hat er den größten Teil seiner weiblichen Fans genau in der Generation, die er erotisch verachtet. Und wenn Klaus Maria Brandauer, der bekannteste österreichische Schauspieler, mit 70 Jahren noch einmal Vater wird – so zumindest wird in der Presse berichtet – erntet er nicht etwa öffentlich Spott, sondern unser Nachbarland schwärmt. »Im Alter von 70 Jahren wird ihm seine Frau Natalie ein Kind schenken«, kitscht das Online-Magazin Heute.at herum. Um dann allen Ernstes hinzuzufügen: »Brandauer heiratete seine Natalie 2007. Er brachte Sohn Christian mit in die Ehe.« Der Sohn, den der Schauspieler damals mitbrachte, war bereits Mitte 40, zwölf Jahre älter als Brandauers zweite Ehefrau zur Zeit der Hochzeit.3
Nun sind das Prominente, für die ja angeblich andere Regeln gelten. Doch auch für den Alltagsmann stehen weibliche Liebesobjekte in vielen Altersgruppen bereit – während sich die Alltagsfrau nur nach Gleichaltrigen oder Älteren sehnen darf. Die Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau gilt noch immer als ziemlich fragwürdig. So ein Liebespaar wird leicht zum Gespött – der weibliche und männliche Part auf je unterschiedliche Weise.
Vielleicht ist es etwas anderes, wenn man Demi Moore heißt. Doch selbst der Hollywoodstar musste es sich gefallen lassen, dass der Altersunterschied zu seinem 16 Jahre jüngeren Lover ständig öffentlich thematisiert wurde. Und als die Ehe nach acht Jahren kaputtging, waren die Kommentare erwartbar boshaft. Denken wir also wirklich, die kulturellen Vorurteile gegen das weibliche Altern hätten sich im neuen Jahrtausend erledigt?
Männer verfallen angesichts ihrer fortschreitenden Jahre seltener in Panik und Depression. Ihre Sorge flackert auf, wenn sie körperlich nicht mehr so leistungsfähig sind, wie sie es wünschen. Oder wenn sie sich im Job überfordert fühlen. Das ist ein deutlich anderes Betroffenheitsmuster als bei Frauen.
Häufig sind Männer von dem Gefühl getragen, das Leben habe ihnen bis ins Alter noch viel zu bieten. Und während Frauen auf Schritt und Tritt – durch Werbung, Zeitschriften und mediale Laufstege – dem Wettbewerb ausgesetzt sind, schaffen es Männer, den öffentlichen Raum von Bildern junger, perfekt gebauter Artgenossen weitgehend frei zu halten. Warum sollten sie sich mit der eigenen Unzulänglichkeit konfrontieren? Da setzen sie doch lieber den weiblichen Körper dem gnadenlosen Wettbewerb aus.
Alle altern. Und doch verläuft der Prozess extrem doppelbödig. Älterwerden ist eben nicht gleich Älterwerden. Denn wie unsere Jahre zählen und was sie bedeuten, hängt davon ab, wer wir sind – Mann oder Frau. Es ist ein höllisches Spiel, das hier mit Frauen getrieben wird. Tückisch, gemein und hinterlistig. Ein doppelter Standard beherrscht unser Älterwerden!
Eigentlich ist der Spielablauf einfach und doch von einer brutalen Zwangsläufigkeit: Frauen werden über ihren Körper definiert. Ihr Körper ist ihr Kapital. Dieser Körper muss jung und fruchtbar sein, um dem Weiblichkeitsideal zu entsprechen. Doch es ist zuallererst der Körper, der sichtbar altert. Mit der Jugend und Fruchtbarkeit ihres Körpers verlieren Frauen somit das, was angeblich entscheidend für ihren Wert ist. Und für ihre Identität. So bleibt – folgt man diesem grausamen Muster – am Ende des Spiels die wert- und identitätslose Frau. Und irgendwann sieht sie sich insgeheim vielleicht selbst so.
Um es mit anderen Worten zu sagen: Wo Frauen als Ware betrachtet werden, unterliegen sie auch Warenstandards. Der Warencharakter wird ihnen allerdings nicht nur aufgezwungen, oft genug betrachten und inszenieren sie sich selbst entsprechend. Als Ware haben Frauen ein Haltbarkeitsdatum und wenn dieses abläuft – sprich ihre erotische Anziehungskraft auf Männer nachlässt –, verfällt ihr Wert als Konsumgut.
Wenn Frauen deswegen trauern, passiert es heimlich, still und leise. Denn dass sie sich wegen ihrer zunehmenden Jahre schlecht behandelt fühlen – überhaupt deswegen schlecht fühlen –, sprechen sie nur zögerlich an. Wie ein Tabu, das man besser nicht antastet. Als würden all die Ängste und Befürchtungen erst wahr werden, wenn man darüber redet. Als wäre Reden ein Eingeständnis in eigenes Versagen. Als würde sich gar nichts ändern lassen. Das hat mit Scham zu tun, aber auch mit Resignation.
In Großbritannien dagegen zogen in den vergangenen Jahren nicht wenige Menschen vor Gericht, weil sie sich wegen ihres Alters diskriminiert sahen. Im angelsächsischen Raum ist das öffentliche Interesse an diesem Thema groß, die gesellschaftliche Debatte wird breit geführt. Aber hierzulande?
Wie heißt es so schön? Männer reifen, Frauen verblühen. Der alte Spruch müsste in unseren hypermodernen Zeiten doch längst außer Kraft gesetzt sein. Doch die Doppelmoral vergangener Jahrhunderte entfaltet ihre Wirkung noch heute. Die Bewertung der Lebensjahre ist zutiefst gespalten. Und die Bruchlinie verläuft streng entlang der Geschlechtergrenze....