DER ANFANG. Die erste Zeit mit Kind.
Mein Bauch gehört mir. Und der Rest auch.
Die Frustration, öffentliches Eigentum zu sein.
Erst habe ich mich gefreut, als ich nicht mehr nur fett, sondern endlich auch schwanger aussah. Ich war mir sicher, dass mir die Menschen nun mit mehr Respekt entgegentreten würden. Die Zeiten, in denen mir Jugendliche laut TITTEN! entgegenbrüllten, sollten vorbei sein, schließlich konnten jetzt alle sehen, dass sie aus einem wichtigen, besonderen Grund so gigantisch waren. Pustekuchen. Denn während mein Bauch immer weiterwuchs, schrumpfte meine Privatsphäre auf ein nie erlebtes Minimum. Ich wurde hemmungslos begrapscht. Entfernte Bekannte, die ich – mit Absicht – noch nie berührt habe, patschten mir mit beiden Händen auf den Bauch, und sogar Fremde hatten die beliebte Frage »Wann ist es denn so weit?« erst halb gestellt, dafür aber bereits den Kopf meines Kindes ertastet. Ich habe mich gefühlt wie ein Buddha, der im Eingang eines chinesischen Restaurants steht und von allen am Bauch gerubbelt wird, weil das angeblich Glück bringt.
In der Sauna war es noch schlimmer. Dort, wo sonst eher verstohlen geguckt wird, wurde mein riesiger Bauch hemmungslos angeglotzt. Unter der Dusche regnete es »schlaue« Tipps (»Nicht vorher fragen, was es wird!«, »Kind lieber auf die XY-Schule, da sind nicht so viele Ausländer!«) und verstörte Komplimente wie »So schöne Brüste werden Sie nie wieder haben«. Die Frau hatte zwar Recht, aber das hätte ich auch gehabt, wenn ich ihr gesagt hätte, dass sie aussieht wie Homer Simpson.
Für mich war die Tatsache, dass in meinem Bauch ein Kind wächst, so intim, dass ich diese Information am liebsten nur mit meinem Mann und den engsten Vertrauten geteilt hätte, aber leider war mein monströser Bauch so unauffällig wie ein Blaulicht auf dem Kopf. Um möglichst viele unerwünschte Reaktionen abzuwehren, ging ich dazu über, Blickkontakte zu vermeiden und sehr böse zu gucken. Das half auch später, als das Kind da war, ganz gut, hat aber nicht gerade zu einer fröhlichen Stimmung beigetragen. Grundsätzlich nervt es wie die Sau, dass alle meinen, sich einmischen zu können. Eine Schwangerschaft und ein Kind scheinen die Legitimation zum Mitreden zu sein. Es wird nach Herzenslust gewarnt, ins Gewissen geredet und besser gewusst, schließlich hat jeder schon mal ein Kind bekommen oder kennt jemanden, der eins hat. Angenommen, ich würde auf offener Straße Jugendlichen sagen, Handys seien völliger Quatsch, weil ich in ihrem Alter auch keins hatte, oder meinem Friseur zwischen die Beine greifen, weil es nicht gesund ist, wenn seine enge Hose im Schritt kneift. Oder ich würde dem Briefträger zeigen, wie er die Briefe einstecken muss, weil ich das auch schon mal gemacht habe. Dann wäre ich zu Recht der größte Freak der Stadt. Aber wenn Fremde mich warnen, dass ich mein zahnendes Kind bloß nicht verwöhnen soll, oder Tischnachbarn mit hochgezogenen Augenbrauen mein Essen kontrollieren (»Bläht das nicht? Sie stillen doch sicher noch!«), dann soll ich mich lächelnd für die praktische Lebenshilfe bedanken? Na eben.
Das mache ich bei öffentlichen Übergriffen:
• Mit der Zeit habe ich gelernt, die schlimmsten Klugscheißer auf den ersten Blick zu erkennen. Sehe ich welche, vermeide ich Blickkontakte und gucke sehr grimmig.
• Wenn jemand meinen schwangeren Bauch ohne mein Einverständnis anfassen wollte, bin ich einen Schritt zurückgegangen. Das ist eine deutliche Botschaft.
• Wenn mein Kind angefasst werden soll und ich das nicht möchte, sage ich das meistens auch. Manchmal bin ich dafür zu feige, dann versuche ich mich so wenig wie möglich über meine eigene Feigheit aufzuregen.
• Ich nehme mir vor, mich bei Fremden für nichts zu rechtfertigen. Stattdessen werde ich immer besser darin, schlaue Tipps ins eine Ohr hinein- und auf direktem Weg aus dem anderen wieder herauszulassen. Und manchmal, wenn ich einen richtig guten Tag habe, sage ich etwas Schlagfertiges.
O nein! Ich fühle nichts.
Der Druck, glücklich sein zu müssen.
Die Mütter, die ihr Kind von Anfang an bedingungslos geliebt haben, waren mir suspekt. Überall habe ich gelesen, dass es für sie der schönste Moment im Leben war, als ihr Kind das erste Mal in ihren Armen lag. Ich kann mich an diesen Moment kaum noch erinnern. Zwölf Stunden Wehen, dann lag das Kind falsch und wollte auch nach mehreren Stunden trotz PDA und Wehentropf nicht den natürlichen Weg nach draußen nehmen. Das Kind, das auf meinem Bauch liegen sollte, während ich Tränen der Rührung und des Überglücks verdrückte, wurde also per Kaiserschnitt aus mir herausgeholt und kurz an mein Gesicht gehalten. »Es hat Haare«, sagte ich noch, dann waren Mann und Kind auch schon weg. Ich war allein mit vielen Menschen in grüner Kleidung und dachte immer wieder verwirrt: »Jetzt habe ich ein Kind.« Das war alles.
Die Tage danach waren zwar schön, aber das, was ich fühlen wollte, wenn mein Kind in meinem Arm lag, war nicht da. Ich war verstört. Vor mir lag ein fremdes Wesen, das ich auf Knopfdruck lieb haben sollte, weil Mütter das eben so machen. Aber ich wünsche mir doch auch nicht zehn Monate einen Freund und liebe den Typen, der an der Tür klingelt, gleich wie wahnsinnig, obwohl er mich nur anschreit. Ich habe meinen Sohn die ersten Wochen, eigentlich sogar Monate, nicht verstanden und kam mit meiner neuen Rolle als Hausfrau und Mutter überhaupt nicht zurecht. Ich fühlte mich schrecklich. Scheinbar alle machten mit ihrem normalen Leben weiter, insbesondere mein Mann, der wieder arbeiten ging, während ich Leibeigene eines Neugeborenen geworden war, das mich für meinen aufopfernden Einsatz nicht lobte, sondern hauptsächlich anschrie. Ich schob mein Kind Runde um Runde durch den Park, und wenn ich das Gebrüll nicht mehr aushalten konnte, steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren, hörte laut Musik und weinte. Weil ich dachte, dass mein Leben vorbei ist. Weil ich dachte, etwas stimmt mit mir nicht. Ich musste ihn doch lieben, so richtig, so, dass ich dafür sterben würde. So, wie ich es überall gelesen und gehört hatte. Stattdessen wusste ich nur selten, was er gerade wollte, und er dachte garantiert die ganze Zeit genervt: »Warum macht die hysterische Frau eigentlich immer alles falsch?« Obwohl ich noch nie so eng mit jemandem zusammen war, habe ich mich noch nie so einsam gefühlt. Und ich habe auch noch nie so viel Fernsehen geguckt. Ohne diese Berieselung kam ich mir allein mit dem Kind in der Wohnung vor wie unter einer Käseglocke, der Fernseher war meine Verbindung zur Außenwelt, zum normalen Leben.
Mein großes Glück war eine Freundin, die nur zwei Wochen vor mir ein Kind bekommen hatte. Wir trafen uns oft, vor allem wenn es einer von uns schlecht ging. Wir tranken Hektoliter koffeinfreien Milchkaffee, während wir unsere Kinder durch die Gegend schoben und uns ehrlich und schonungslos austauschten über alles, was für uns neu und wichtig war. Für ihre Offenheit, ihre Unterstützung und unsere hysterischen Lachanfälle werde ich ihr auf ewig dankbar sein.
Mein allergrößtes Glück war mein Mann. Er hat sich mein Gejammer, meine Angst und meinen Frust immer angehört, auch wenn vor lauter Geheule nichts zu verstehen war, und er hat mich in den unmöglichsten Situationen zum Lachen gebracht. Das Lachen und die Ehrlichkeit, mit der der Mann, meine Freundinnen und ich miteinander umgegangen sind, haben mich von dem Druck, dem Bild der beseelten Mutter entsprechen zu müssen, befreit. Ich habe mich entspannt – und siehe da: Es war zwar keine Liebe auf den ersten Blick, aber dafür war es die ganz große!
Was ich tat, als ich nichts fühlte:
• Ich habe Fernsehen geguckt. Den größten Scheiß. Viel. Auch beim Stillen.
• Ich habe meine Freundin angerufen. Wir haben uns immer alles ehrlich gesagt und nicht über die andere geurteilt, sondern uns gelobt und Mut gemacht.
• Ich habe meinem Mann immer ehrlich gesagt, wie es mir ging. Und wenn das bedeutete, dass er sich nach zehn Stunden Arbeit noch zwei Stunden mein Geheule anhören musste, dann war das eben so. Da mussten wir schließlich zusammen durch.
• Ich habe auch allen anderen ehrlich gesagt, wie es mir geht. Und siehe da: Andere Müttern fühlten sich plötzlich auch so. Was für eine Erleichterung!
Ich bin die, die alles wieder gut macht!
Die Freude darüber, die Mutter zu sein.
Ich hatte extreme Startschwierigkeiten. Mich in meine neue Rolle als Hausfrau und Mutter einzufinden, hat nie richtig geklappt (Hausfrau) beziehungsweise ziemlich lange gedauert (Mutter).
Als Mutter gefühlt habe ich mich zu Anfang gar nicht, ich wusste ja auch nicht, wie das geht. Liebe ich meinen Sohn anders als die anderen Menschen in seinem Umfeld? Ist ihm egal, wer sich um ihn kümmert? Die Antwort hat mir mein Sohn selbst gegeben. Als er ein paar Monate alt war, haben wir mit Freunden ein Wochenende in den Niederlanden verbracht. Spätabends wachte er auf und wühlte in seinem Reisebett herum. Er meckerte und konnte nicht wieder einschlafen. Wir haben uns immer wieder über das Bett gebeugt und versucht, ihn zu beruhigen. Er meckerte und wühlte weiter. Nach einiger Zeit nahm ich ihn auf den Arm, was eine der besten Entscheidungen meines Lebens war: Mein kleiner Sohn seufzte so erleichtert, wie es nur ging, kuschelte sich an mich und schlief auf der Stelle tief und fest ein. In diesem Moment habe ich zum ersten Mal so richtig verstanden, dass nur ich seine Mama bin, dass er sich nur bei mir so sicher fühlt und dass dies das größte Geschenk ist, das mir das Leben machen konnte. Mir liefen Tränen aus den...