Prolog
Macht? Was ist das eigentlich? Gibt es eine allgemeingültige Definition für dieses Wort? Die Antwort lautet: Nein.
Wenn wir die Bedeutungen untersuchen, die dieser Begriff in unserem Alltagsverständnis und in seiner wissenschaftlichen Verwendung hat, dann finden wir kein klares Bild. Der Gegenstand »Macht« ist schillernd.
Diese Erkenntnis gewann auch Walter K.H. Hoffmann1, als er 41 Personen in Machtpositionen zu diesem Thema befragte. In seinem Buch Macht im Management referiert er die Antworten aus seinen Interviews: Es fallen Begriffe wie Gestaltung, Lust, Autorität, Expansion, Ethik, Selbstbereicherung, Status, Eitelkeit, Verantwortung, Tabuisierung, Täuschung, Überzeugungskraft, Durchsetzung des eigenen Willens, Demut, Befehlsgewalt, Büroausstattung ... Dieses ist nur eine kleine Auswahl der von Hoffmann aufgefundenen Definitionsversuche, die Macht – aus der Sicht der Befragten – kennzeichnen würden. Hoffmanns Absicht, ein differenziertes und fundiertes Bild zu zeichnen, scheiterte. Was er fand, war ein Flickenteppich.
Wenn es um Macht geht, greifen Sozialwissenschaftler gern auf Max Weber2 zurück, der 1920 definierte: »Macht ist die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.« Das klingt nach Gewalt oder heimtückischem Überwältigen. Die Weber’sche Machtdefinition stammt allerdings aus einer Zeit, in der Herrschaft, Macht und Gewalt enger und selbstverständlicher miteinander verbunden waren als heute.
Aber selbst im gegenwärtigen Alltagsverständnis wird Macht fast immer mit negativen Vorstellungen verbunden. Schließlich leben wir auch heute keineswegs in einer gewaltfreien Welt. Und die Lebenserfahrung bestätigt es immer wieder: Alles Erzwungene produziert Widerstand, oft sogar Vergeltung. Wer versucht, den vitalen Antrieb der Beteiligten zu ignorieren, zieht auf Dauer den Kürzeren. Und jeder weiß, dass übers Knie gebrochene Lösungen aus der Not geboren sind und nicht lange halten.
Die Einwände gegen gewaltsam erzwungene Entscheidungen und Handlungen liegen auf der Hand: In einer Zeit wachsender Bildung der Menschen und Demokratisierung von Entscheidungen, in einer Zeit in der jeder aufgefordert ist, eigenverantwortlich zu handeln und in der die Mitarbeiter von Unternehmen mehr und mehr an den Gestaltungsprozessen beteiligt werden, kann nicht gleichzeitig das Prinzip Befehl und Gehorsam gelten. Machtausübung in diesem Sinne ist nicht zeitgemäß.
Zudem arbeiten Führungskräfte in einem Netz von Abhängigkeiten. Um ihre Ziele zu erreichen, benötigen sie die Unterstützung von Personen, die ihrem direkten hierarchischen Zugriff nicht unterliegen. Sie sind also abhängig von Anderen, die sie nicht mit Sanktionen unter Druck setzen können. Machtausübung mit Drohgebärden versprechen in dieser Situation wenig Erfolg.
Wenn von Macht die Rede ist, richtet sich der Blick fast immer auf den »Machthaber« und darauf, wie er es versteht, sich durchzusetzen, wie er Widerstände überwindet und als gestaltender Akteur »gegen alle anderen« die Szene beherrscht. Das imponiert – einerseits – und stößt gleichzeitig ab.
Diesem Zwiespalt begegnen wir auch, wenn Hierarchen Macht gegen uns gebrauchen, insbesondere wenn dies unseren Ambitionen zuwiderläuft. Darin sehen wir ein Übel. Sofern wir jedoch Macht selbst einsetzen können, betrachten wir sie als eine heilsame Kraft, von der wir gern mehr besäßen. Wer hat sich nicht schon mal gewünscht, die Mitarbeiter mögen doch nach kurzer Instruktion die Logik eines dargelegten Plans schlagartig verstehen und eins zu eins umsetzen? Aber haben Sie das schon mal erlebt?
Und überhaupt: Sind es nicht gerade die scheinbar besonders Mächtigen, jene außerordentlich schneidig auftretenden Führungspersonen, die so oft über ihre Ohnmacht klagen und an ihrem Umfeld verzweifeln?
Führungskräfte erhoffen sich von der Durcharbeitung des Machtthemas erfolgversprechenden Machtgewinn: »Wenn ich weiß, was Macht ist und wie sie »funktioniert«, dann kann ich das Geschehen richtig steuern, dann weiß ich, wie ich es anstelle, dass alle so handeln, wie ich es mir wünsche.« Sie sind deswegen keinesfalls machtbesessen, sie meinen es gut. Macht wird im unreflektierten Alltagsverständnis vieler Führungskräfte als »unwiderstehliche« Einflussnahme verstanden, der es gelingt, auch gegen den Willen der Beteiligten gefügiges, aber gleichwohl freudig engagiertes Handeln zu erzwingen. Es sei ein besonderes Talent, über diese »Kunst« der Beeinflussung zu verfügen, und eine Führungskraft solle dieses Talent besitzen. Es handelt sich also um den Versuch, der Weber’schen Definition zu folgen, dies aber die Mitarbeiter nicht merken zu lassen. Derartige Manipulationsversuche scheitern an ihrer Durchschaubarkeit. Wer dieser Vorstellung folgt, wird kaum Erfolg haben, weil er mit der Dummheit der anderen rechnet. Damit erzürnt er die Teammitglieder, denn er verletzt ihre Würde. Er muss Angst haben, dabei ertappt zu werden. Meistens wird er tatsächlich ertappt und das rächt sich.
Ja, was ist denn nun Macht? Man könnte verzweifeln. Bei der Betrachtung des Gegenstandes »Macht« kommt uns derselbe buchstäblich abhanden. Mal entpuppt er sich als nicht zeitgemäß, mal als unbrauchbar, dann wieder als zwiespältige Heimlichtuerei und schließlich als falsche Vorstellung – als ein Mythos.
Der Machtbegriff erweist sich demzufolge als untauglich, die Einfluss nehmende Tätigkeit einer Führungskraft unserer Zeit treffend zu beschreiben. Gleichwohl wird es nicht gelingen, das Wort Macht zukünftig zu meiden. Zu sehr ist es in unserer Sprache verwurzelt. Aber treffender wäre ein anderer Begriff: Steuerungsfähigkeit3.
Und ganz im Sinne dieses Begriffes werde ich die Frage beantworten, die nach wie vor im Raum steht: Wie ist wirksamer Einfluss möglich? Jetzt können wir diese Frage allerdings weiter präzisieren: Wie kann ich meinen Einfluss in schwierigen Veränderungssituationen vergrößern, ohne illusionären Vorstellungen anheim zu fallen oder unreflektiert auf Gewalt zurückzugreifen? Auf der Suche nach einer Antwort müssen wir das »Phänomen Macht« jedoch zunächst tiefer untersuchen und neu definieren.
Die »Macht der Situation«
Macht ist keine Persönlichkeitseigenschaft, kein Merkmal einer Person. Den Blick hauptsächlich auf die Führungsperson zu richten, greift deshalb zu kurz. Macht ist ein Relationsgeschehen, ein Einflussgefälle zwischen Einzelpersonen bzw. in Gruppen. Die Absicht, Einfluss zu nehmen, ist keineswegs auf die Person des Managers beschränkt, der angeblich alles zu bestimmen hat.
Skizze 1
Tatsächlich gehen Führungskräfte sehr oft davon aus, sie seien die Einzigen, die wüssten, wohin die Reise gehen muss. Ihnen gegenüber stünde eine amorphe, auf Orientierung wartende Masse (siehe Skizze 1). Doch hier irren sie gewaltig.
Faktisch steht ihnen nämlich ein Kräftefeld gegenüber, in dem Kräftevektoren – die Intentionen aller Beteiligten – in unterschiedliche Richtungen weisen. Die Führungskraft selbst ist zwar ein wichtiger, aber nur einer dieser Vektoren. Zudem streben die Absichten von Menschen oft gleichzeitig in verschiedene Richtungen, und manchmal finden sich die Widersprüche sogar in den Personen selbst: »Zwei Seelen wohnen – ach – in meiner Brust.« Überdies stehen Sacherfordernisse und persönliche Interessen nicht selten miteinander im Konflikt.
In gemeinsamen Situationen wirkt der Antrieb aller Beteiligten zusammen. Das Wollen aller Beteiligten ist »Die Macht«. Dazu gehört Gesagtes und nicht Gesagtes. Das nicht Gesagte, das ängstlich Verschwiegene, ist gewöhnlich für den Betreffenden selbst sogar das Wichtigste. Die Führungskraft steht einem mehr oder weniger diffusen Einflussfeld gegenüber, das schwer zu durchschauen ist, das sie dennoch nicht ignorieren darf (siehe Skizze 2).
Ist die gemeinsame Situation problembeladen, will sie durch Explikation geklärt werden. Menschen haben in gemeinsamen Problemsituationen einen Bedarf an explorierendem, also aufdeckendem Diskurs. Kommt dieser Diskurs nicht zustande,...