Schon immer strebte der Mensch nach Schönheit. Historisch, gesellschaftlich und persönlich können die Ideale dessen, was gemeinhin als schön gilt, durchaus voneinander abweichen. Das Bedürfnis aber, Anmut und Makellosigkeit in Bild und Sprache festzuhalten, zieht sich durch alle Epochen und Stile der Kunst und Literatur.
Schönheit fasziniert uns. Gemälde und Skulpturen in den Museen der Welt locken jeden Tag Besucher an. Prominente Schönheitsvertreter mutieren zu Ikonen der Moderne. Frauen – und durchaus auch Männer – schminken sich nicht nur nach gängigen Modevorstellungen, sie lassen sich sogar dahingehend operieren. Und: Die Suche, die Sucht nach dem perfekten Gesicht und der idealen Figur füllt die Kassen der daraus entstandenen Beautyindustrie.
Krankheit dagegen kann Hässlichkeit bedeuten. Sie kann verunstalten, entstellen, beschädigen. Wir merken, dass »etwas nicht mit uns stimmt«, wir »fühlen uns schlecht«, sind »nur ein halber Mensch«. Bei Krebs tritt dies in aller Regel irgendwann für jeden sichtbar an den Tag. Daher assoziieren wir damit klare Bilder: Blässe, Augenringe, Abmagerung. Und natürlich – die Glatze. Ob ein Mann sich haarlos schön findet, ist sicher eine Typ- und Modefrage. Bei Frauen ist es das definitiv nicht.
Umso überraschender erscheint Nanas neue Sicht der Schönheit. Allerdings ist sie nicht ganz so abwegig, wie sie vielleicht zunächst erscheinen mag. Sie beinhaltet sogar eine tiefe und ernste Bedeutung, die auch in der sogenannten psycho-onkologischen Betreuung von Krebspatienten zum Tragen kommt.
Die psycho-onkologische Sicht
Diese spezielle interdisziplinäre Form der Betreuung hat zum Ziel, Krebspatienten und deren Angehörige bei der Bewältigung ihrer Krankheit zu unterstützen. Dies kann in Gesprächen bzw. auch in einer Vielzahl anderer Angebote stattfinden. Beispielsweise durch Kunst-, Musik- oder Tanztherapie möchte man den Betroffenen helfen, das zum Ausdruck zu bringen, was sich manchmal nicht in Worte fassen lässt.
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Nana im April 2011. »Fairies« nannte sie dieses Fotoshooting mit ihrer Mutter Barbara.
Im Universitätsklinikum Großhadern bieten einzelne Kliniken psycho-onkologische Versorgung an. Auch der Verein lebensmut e. V fördert entsprechende Angebote dort und ergänzt sie durch eigene Projekte. Nana lernt hier wunderbare Menschen kennen, die ihr besonders in der Anfangszeit ihrer Erkrankung in Gesprächen sehr viel helfen können. An kreativen Maßnahmen nimmt sie allerdings nicht teil.
Das muss sie auch gar nicht. Nana hat ja schließlich ihre eigene Therapie. Schön sein. Sich wieder schön finden. Sich fotografieren lassen.
Und: immer schöner werden.
Lebensmut durch lebensmut
Für die Diplombiologin Serap Tari von lebensmut e.V., die Nana während ihrer Zeit in Großhadern begleitet hat, kommt Nanas therapeutisches Auf spüren ihrer Schönheit in ihrer Krisensituation nicht überraschend:
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ein Foto aus der Serie »Barbie«, von Nana selbst bearbeitet (März 2011).
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Nana vor dem Graffiti »Es ist so, wie es ist« (Mai 2011). Sie trägt ihren geliebten Herzanhänger, ein Geschenk ihrer Eltern. Sie trägt ihn auch im Sarg.
Im Rahmen einer Krebserkrankung erleben wir es oft, dass Betroffene – und das heißt sowohl Angehörige als auch Patienten – Vielfältiges entdecken. Bei Nana war es ihre innere und äußere Schönheit. Ihr Strahlen als Mensch, die Rollen, die sie in den Fotografien gespielt hat, das war ihr Weg, auch wenn sie immer Nana geblieben ist.
Wir unterstützen Betroffenen darin, eine Plus-Minus-Liste zu entwickeln: Was ist gut, was schlecht? Was bleibt aufgrund der Erfahrung mit der Krankheit unterm Strich? Erstaunlicherweise erscheint da oft ein Plus! Viele erleben die Krise als Chance, sich neu zu entdecken, sich zu entwickeln, Lebensentwürfe neu zu gestalten. Sich auf Dinge zu besinnen, die sie lange nicht getan haben. Bei Barbara war es nichts anderes. Sie hatte schon immer eine Leidenschaft für die Fotografie und konnte diese in der Krise wiederentdecken. In einer so besonderen intensiven Art und Weise, wie sie es wohl niemals wieder erleben wird. Das sind Dinge, die auch über den Tod hinaus bleiben.«
Als eines Tages eine Therapeutin Nana in ihrem Zimmer besucht, entdeckt sie auf deren Laptop ein Foto: Es zeigt Nana mit pink-schwarzer Perücke, irgendwo draußen in der Sonne. Anja, die Therapeutin, ist begeistert.
Nana war mittlerweile dazu übergegangen, im Vorfeld geplanter Klinikaufenthalte ganz gezielt Fototermine zu absolvieren. Sie hat sich ein einfaches Bildbearbeitungsprogramm zugelegt, mit dem sie viele Stunden des krankenhäuslichen Wartens überbrückt. Sie spielt mit der Farbgebung und retuschiert Fotos. Erst wenn sie mit dem Ergebnis hundertprozentig zufrieden ist, wird das neue Werk online gestellt. Nana, die sich in ihrer selbstironischen Art gerne selbst auf den Arm nimmt, kommentiert ihr Tun einmal so:
»Irgendwie schon peinlich, mich selbst fünf Minuten lang zu bewundern!« Therapeutin Anja möchte mehr Fotos sehen – und ist weiterhin begeistert. Nana äußert einen Wunsch: Sie möchte ihre Bilder einer breiteren Öffentlichkeit zeigen. Anja wendet sich an Serap Tari von lebensmut e. V. – der Verein bringt ein Magazin mit Themen rund um die Psycho-Onkologie heraus. Serap schlägt vor, dort einen Artikel über Nana zu veröffentlichen. Der Artikel erscheint im Juni 2011. Darin erzählt Nana:
Für mich ist die Fotosache ein bisschen wie ein Job, den ich jetzt habe. Das Fotografieren strengt mich schon auch an. Aber es macht Spaß, ich kann mir die Arbeit einteilen, und die Beschäftigung lenkt uns alle ab. Am Anfang versucht man sich zu verstecken. Jetzt denke ich: Ja, schaut mich nur an. Wenn nur einer meine Fotos sieht und das Gefühl hat, er kann mit der Krankheit auch anders umgehen, dann hat sich das alles gelohnt.«3
Es ist so, wie es ist
Eines der im lebensmut-Magazin abgedruckten Fotos entstand bei einem Streifzug von Barbara und Nana durch eine Münchner Gegend, die bekannt ist für wechselnde Graffitis. Nana trägt ihre Perücke mit den lila Strähnen. Auf der Wand hinter ihr ein grafisches Muster – aber nur auf den ersten Blick. Nana erzählt dazu:
Wir dachten einfach, die Wand mit dem schwarweißen Kontrast als Hintergrund ist ganz schön. Erst als wir uns später die Bilder angesehen haben, ist uns der Text aufgefallen: Es ist so, wie es ist. Und das passt ja perfekt!«
Dieser Satz wird die Familie von nun an begleiten und zu einem stehenden Begriff werden: Es ist so, wie es ist.