Studienarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Deutsche Philologie), Veranstaltung: Lyrik der Gegenwart, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Begriff der Naturlyrik ist vorbelastet. Mit Ausnahme der Liebeslyrik gibt es wohl keinen lyrischen Typus, der unserem modernen Verständnis zufolge in dem Maße mit dem Signum des Stimmungsbegriffs behaftet wäre, wie den der Naturlyrik. Diese unsere Vorstellung ist nachhaltig vom Denkmuster der Erlebniskonvention geprägt, die im späten 18. Jahrhundert Eingang in die deutsche Literatur gefunden hat. In der Naturdichtung der Goethezeit ist die Tendenz zu beobachten, das sich im Text artikulierende Subjekt an das außertextuelle, empirische Ich des Autors anzunähern und bis zur scheinbaren Übereinstimmung mit diesem zu bringen. Die Annahme einer Kongruenz des Autors mit der Sprechinstanz in einem Gedicht bestimmte den Rezeptionsprozess von Lyrik durch den Leser. Am Beispiel des Versepos, tatsächlich aber für die Dichtkunst überhaupt, formulierte Wilhelm von Humboldt den Anspruch, dass 'der Dichter den Leser [...] schrittweise [...] in sein Interesse verweben' müsse, um 'den dichterischen Schwung unsrer Stimmung zu erhöhen'. Einem Gegenstand könne dann Kunstcharakter zugeschrieben werden, wenn er 'gerade und rein zur Phantasie des Zuschauers geht und ebenso rein aus der Phantasie des Künstlers entsprungen ist'. Gemäß des Stimmungsparadigmas, wie Humboldt es hier vertritt, fällt dem Rezipienten im hermeneutischen Prozess also die Aufgabe zu, die Gefühle, die der Autor beim Abfassen eines Gedichts hatte, aus dem Text zu rekonstruieren, um sie dann im eigenen Fühlen möglichst unverfälscht zu reaktualisieren. Jede Lesart eines Gedichts hat folglich den Autor zu berücksichtigen, der die unhintergehbare Bezugsinstanz aller Interpretationen bildet. Gegen eine derartige Verabsolutierung der intentio auctoris wandten sich häufig die Autoren selbst.
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