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Netzwerk des Todes

Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden

AutorDaniel Harrich, Danuta Harrich-Zandberg, Jürgen Grässlin
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641182267
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die wahre Macht der deutschen Waffenindustrie
Die Skandale zum deutschen Handel mit der tödlichsten Waffengattung unserer Zeit, den Kleinwaffen, finden kein Ende. Wie kommen deutsche Waffen in so großem Umfang immer wieder in die Hände verbrecherischer Regime, brutaler Paramilitärs und rivalisierender Bürgerkriegsparteien? Auf der Spur dunkler Geschäfte folgen Daniel Harrich, Jürgen Grässlin und Journalistin Danuta Harrich-Zandberg dem Weg der Waffen in die Krisenregionen dieser Welt. Anhand umfassender Recherchen belegen sie, wie diese fragwürdigen Waffenlieferungen zustande kommen, und entlarven die Hintermänner.

Ein Politthriller, wie ihn nur die Wirklichkeit hervorbringt. Die Hintergründe des schmutzigen Geschäfts mit deutschen Waffen - mit sensationellen neuen Erkenntnissen und bisher unveröffentlichten Beweisen.



Jürgen Grässlin zählt seit vielen Jahren zu den profiliertesten Friedensaktivisten Deutschlands. Er ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der Kritischen AktionärInnen Heckler & Koch sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Als Autor verfasste er zahlreiche kritische Sachbücher über Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Grässlin wurde u.a. mit dem Aachener Friedenspreis, dem Marler Menschenrechtspreis von amnesty international und dem Grimme-Medienpreis geehrt.

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Leseprobe

Kapitel 2

Tatort Kolumbien – deutsche Waffen im Einsatz gegen Menschenrechte

Die Opfer

Bogotá. In einem Versteck, das Padre Alberto Franco organisiert hat, haben zwei Männer aus einem Grenzdorf im Amazonasgebiet Schutz gefunden. Ihre Familien sind tot. Ehefrauen, Kinder, Brüder, Schwestern, Eltern, Großeltern wurden von Todesmilizen der Paramilitärs erschossen. Die Familien, Kleinbauern, hatten sich geweigert, ihr Land aufzugeben. Die beiden Männer sind noch immer auf der Flucht vor den Paramilitärs. Denn solange sie leben, könnten sie eines Tages in die Heimat zurückkehren und ihren Besitz fordern. Darum stehen die Männer auf den Todeslisten.

Vertreibung ist das Kernproblem des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Über 85 Prozent der Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen in Kolumbien wurden vertrieben. Ganze Landstriche wurden im Auftrag von Großgrundbesitzern, Unternehmen, Drogenhändlern von der angestammten Bevölkerung »gesäubert«, um dann eigene Leute bzw. mit den rechten Paramilitärs zusammenarbeitende Bauern anzusiedeln. Nach UN-Angaben wurden in Kolumbien etwa vier Millionen Menschen von Soldaten, Paramilitärs oder der Guerilla vertrieben. Padre Alberto Franco, bei dem Vertriebene seit mehr als 20 Jahren Zuflucht finden, zitiert eine aktuelle Statistik: »Für 47 Prozent der Vertreibungen sind die Paramilitärs verantwortlich, für 35 Prozent die Guerilla, für acht Prozent die Armee – bei zehn Prozent der Fälle war es nicht feststellbar.« Für die Menschen, die es betrifft, sei es völlig egal, wer sie bedroht und ihnen ihre Existenz rauben will.

Sie seien ein Leben lang traumatisiert, weil sämtliche Gruppen auch vor grausamsten Massakern nicht zurückschreckten, berichtet Padre Alberto, auf den selbst immer wieder Anschläge verübt werden. Sein gepanzertes Auto weist zwei Einschusslöcher in der Windschutzscheibe auf.

Padre Alberto Franco im Gespräch mit zwei Flüchtlingen, die der kolumbianische Geistliche vor den Todesschwadronen an einem geheimen Ort nahe der Hauptstadt Bogotá versteckt. © diwafilm

»Nach so einem Mord ist einem alles egal,« sagt Martin. »Später, wenn man darüber nachdenkt, schämt man sich dafür. Aber wenn man gemordet hat, kann man sich nicht mehr reinwaschen. Das zeichnet dich für dein ganzes Leben.« Martin lebte in einem Armenviertel von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Er war 13 Jahre alt und begeistert von der Guerillabewegung FARC. Die bewaffneten Milizen rekrutieren Kinder und Jugendliche mit Werbevideos. Das sind die Lockrufe für Kinder wie Martin, die in dem Land mit dem längsten Bürgerkrieg der Welt kaum etwas anderes kennen als Gewalt. Einmal in die Fänge der FARC geraten, ganz gleich, ob freiwillig oder von den Milizen entführt, werden die Kinder zu Kindersoldaten gedrillt, missbraucht, zum Töten und zur Prostitution gezwungen.

Kaum 13-jährig meldete sich Martin freiwillig bei der Guerillatruppe. Noch am selben Tag wurde ihm eine Waffe in die Hand gedrückt. Auch er lernte das Töten. Ohne nachzudenken drückte er ab. Fortan gehörte Martin zu einer der Milizen der FARC. Irgendwann jedoch ertrug er die Gewalt und das Töten nicht mehr. Er wollte weg und konnte entkommen.

Der ehemalige Kindersoldat Martin, 15, im Kinderschutzprojekt Benposta/ Kolumbien. © diwafilm

Heute ist Martin 15. Doch auch in dem Kinderschutzprojekt Benposta, das von »terre des hommes« und anderen deutschen Hilfsorganisationen unterhalten wird, findet er nicht zur Ruhe. Der ehemalige Kindersoldat versteckt sich vor der FARC und fürchtet, die Guerillas könnten Rache an seiner Familie nehmen. Den anderen Kindern hier geht es nicht anders. Sie sind zwischen acht und achtzehn Jahre alt und können niemandem trauen. Sie sind traumatisiert, verletzt, haben Tag und Nacht Angst. Sie alle stehen auf Todeslisten und würden außerhalb des Projekts nicht überleben. Der Kinderschutzbeauftragte Ralf Willinger sagt, viele der Kinder denken an Selbstmord, weil sie die Erlebnisse weder vergessen noch verarbeiten können.

David ist heute elf Jahre alt. Auch er wird in Benposta versteckt. Ein Jahr zuvor musste der Junge mitansehen, wie sein Vater von Paramilitärs erschossen wurde. David kommt aus Buenaventura. Der Küstenort galt früher als aufstrebende Stadt, heute ist er vor allem für seine desolate soziale Lage und für Gewalt bekannt. Über 85 Prozent der Bevölkerung sind Afrokolumbianer. Ein Großteil der Menschen lebt in Armut. Die Stadt ist ein Zentrum von Schmuggel und Drogenhandel. Davids Vater war Kommunalpolitiker und engagierte sich für Bildung und soziale Projekte, besuchte mehrmals Veranstaltungen der FARC-Guerillas. Er und seine Familie standen darum auf den Todeslisten der rechtsgerichteten Paramilitärs. David war allein mit seinem Vater, als die Todesschwadronen kamen. Der damals Zehnjährige hatte sich unter einem Bett verkrochen und sah den Vater auf dem Boden neben sich verbluten. David entkam, irrte wochenlang zu Fuß durch die Wälder, ehe eine Familie ihn bei sich aufnahm und für ihn ein Versteck in Benposta, Tausende Kilometer von Buenaventura entfernt, fand. Der Junge steht nach wie vor auf den Todeslisten der Paramilitärs. David träumt davon, eines Tages eine Waffe zu besitzen und den Tod des Vaters zu rächen.

Für Sabas Duque war Gewalt sein Alltag. »Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es nur Gewalt gab, und ich habe davon geträumt, eine Waffe zu besitzen«, erinnert sich der heute 25-Jährige. Bei der FARC war Sabas »stark und mächtig«, einer, der die Befehle gab. Er hatte sich als freiwilliger Kämpfer gemeldet, war für die Waffenbeschaffung zuständig. Er bekam Geld, verhandelte mit Kriminellen. Bereits als 14-Jähriger schmuggelte er Waffen über die Grenze. Ganze Lastwagen voller Schnellfeuergewehre, Pistolen und Munition erbeuteten er und die anderen Jugendlichen, die Sabas anführte. Weil sie klein und wendig waren, konnten die Kindersoldaten unter Stacheldrahtzäunen durchkriechen und sich mit den Waffen in Erdlöchern verstecken. Mit der Miliz, der er angehörte, bekämpften sie den Staat und die Drogenkartelle. Sie lieferten sich blutige Kämpfe mit Militärs und der verhassten Policia National. Aber sie überfielen auch Dörfer, raubten und mordeten.

»Krieg bedeutet Töten. Wenn du in den Krieg ziehst, musst du töten«, sagt Sabas Duque. Er war ein Krieger durch und durch, unkritisch, ohne Gewissensbisse und Reue. Erst nachdem Sabas sich mit seiner Truppe in einen Hinterhalt locken ließ, aus dem nur er lebend entkam, begriff er, was er getan hatte. »Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kind. Sie haben Waffen. Sie entscheiden. Sie können andere kontrollieren. Ein junger Kerl mit so einer Macht!«, sagt Sabas Duque heute. Bei dem Anschlag aus dem Hinterhalt wurde er querschnittsgelähmt. Er hat noch nicht viel von der Welt gesehen, aber Waffen aus Deutschland kennt der 18-Jährige: Heckler & Koch, Walther PP, Sig Sauer.

Der 18-jährige Sabas Duque hat einen Anschlag überlebt und dabei beide Beine verloren. Der ehemalige Kindersoldat war bei der Guerillaorganisation FARC für die Beschaffung von Waffen zuständig. © diwafilm

Interview mit Ralf Willinger von »terre des hommes«

Ehemalige Kindersoldaten mit Ralf Willinger von »terre des hommes« im Heim von Benposta/Kolumbien. © diwafilm

Seit wann arbeiten Sie mit Kindersoldaten? Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer direkten Arbeit mit den Kindern?

RW: Ich habe in den letzten 15 Jahren mit vielen Kindersoldaten und Kindersoldatinnen aus Lateinamerika, Afrika und Asien gesprochen. Manche von ihnen wirkten zerbrechlich und sensibel, so wie Chyio aus El Salvador, der schon als Achtjähriger zur Guerilla in El Salvador kam, oder Yina aus Kolumbien, die mit elf zur FARC-Guerilla in Kolumbien ging. Andere waren unsicher, verängstigt und überfordert, wie Anisa und Nila, zwei Mädchen, die Soldatinnen bei der Moro Islamic Liberation Front bzw. bei der New Peoples Army auf den Philippinen waren, als ich in einem Dorf mit ihnen sprach. Andere wirkten selbstbewusst und stark, wie Ismael Beah, der für Rebellen in Sierra Leone kämpfen musste, China Keitetsi, die mit acht von Rebellen in Uganda entführt wurde, oder Madeleine, der es mit zwölf Jahren in der Demokratischen Republik Kongo ebenso erging. Wieder andere waren verzweifelt, wie Maria aus Kolumbien, die von Paramilitärs entführt und zur Prostitution gezwungen wurde. Oder Anthony B. aus Liberia und Cliff Oase aus Uganda, denen in Deutschland jahrelang ein sicherer Aufenthaltsstatus verweigert wurde und deren Traumatisierung und Verzweiflung deswegen noch größer wurden. Cliff starb wenige Monate nach unserer Begegnung beim Schwimmen in der Donau, möglicherweise war es Selbstmord. Ehemaligen Kindersoldaten oder -soldatinnen, die nach Deutschland geflüchtet waren und einen sicheren Aufenthaltsstatus hatten, ging es meist besser, wie Michal Davies, der als Jugendlicher bei der Armee Sierra Leones kämpfen musste.

Frage: Wie erleben Sie diese Kinder?

RW: Viele dieser jungen Männer und Frauen schwankten zwischen Weinen und Lachen, zwischen Trauer und Stolz, zwischen Verzweiflung und Zuversicht. Ebenso unterschiedlich wie ihre Persönlichkeiten und Stimmungen waren die Geschichten, warum sie als Soldaten und Soldatinnen bei bewaffneten Gruppen und Armeen landeten. Manche gingen anfangs selber dorthin, weil sie sich Schutz erhofften, weil dort Familienmitglieder oder Freunde kämpften, weil sie helfen wollten beim Kampf gegen einen Feind oder für politische Ziele, weil sie der Gewalt in der eigenen Familie entfliehen wollten, oder weil sie Rache...

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