Der Mensch hat Läuse und Flöhe
»Struuunz, merken Sie sich: Der Mensch hat Läuse und Flöhe!« Dieser Satz meines hochverehrten Lehrers an der Universitätsklinik Erlangen, Professor Demling, klingt mir noch immer in den Ohren. Damals zuckte ich zusammen, wenn dieser Satz durch die Klinikflure hallte. Heute staune ich, wie sehr er recht hatte. Und wie gut er es verstanden hat, in einfachen Bildern zu sprechen.
Was er meinte: Welche Krankheit auch immer den Menschen erwischt – es gibt zumeist mehrere Gründe dafür. Eben nicht nur die Laus, nicht nur der Floh, sondern beide Plagegeister. Plus zahlreiche weitere. Deshalb kann die eine Pille mit dem einen Wirkungsmechanismus nicht funktionieren. Das geht nicht. Der Mensch ist komplexer gebaut.
Die eine Wundertablette, das eine Wunderkräutlein gegen die Schlafstörung, gegen die Depression, gegen den Krebs, gegen die Makuladegeneration und die unschönen Pickel kann ich also nicht verschreiben. Weil das Wunder anders funktioniert. Das Wunder ist der Mensch selbst – der sich selbst heilt, wenn man ihn komplett in den Blick nimmt. Seine gesamte Konstitution, seine gesamten Blutwerte, alle seine Läuse und Flöhe. Manch einer erfährt dieses Geheimnis schmerzhaft am eigenen Leibe – wie dieser User im Forum auf www.strunz.com:
»Ich habe vor 3,5 Wochen mit Low-Carb-Ernährung nach ›Warum macht die Nudel dumm?‹ angefangen. Ich habe morgens verschiedene Rühreikombinationen gegessen, zwischendurch gab es z. B. Tomaten und Käse, mittags einen Salat und abends Fleisch in Kombination mit Salat. Zusätzlich waren Eiweißpulver, Multivitamine, Vitamin E, Alpha-Liponsäure und Fischölkapseln angesagt. Nun habe ich einen starken Schub meiner Schuppenflechte bekommen, die ich eigentlich mit dieser Maßnahme in den Griff kriegen wollte.«
Hier die Antwort im Forum:
»Wie Dr. Strunz zu sagen pflegt: ›Der Mensch hat Läuse und Flöhe.‹ Eine Low-Carb-Diät ist ja nur der Anfang. Da lässt man einfach mal etwas weg. Nämlich die unnötigen Kohlenhydrate. Aber der nächste wichtige Schritt neben dem Weglassen ist das Dazutun. Nämlich jene 47 essenziellen Stoffe. Und da hat jeder in anderen Bereichen Defizite (mal Läuse, mal Flöhe). Im Buch ›Wunder der Heilung‹ beschreibt der Doc einen Schuppenflechte-Fall. Der Patient, der ohnehin schon ziemlich viel richtig gemacht zu haben schien, musste letztendlich seinen Konsum an Omega 3-Fettsäuren auf täglich durchschnittlich 14 Gramm (!) erhöhen (er nahm rund 40 Gramm Fischöl zu sich), bis er eine Besserung erreichte. Bei Dir liegt es vielleicht an etwas anderem. Ausprobieren! Oder noch besser: vorher messen lassen. Denn dann fischt man beim anschließenden Ausprobieren nicht so arg im Trüben ;-).«
Das beschreibt genau das Problem der oft besungenen Wunderheilungen: Da nimmt einer Vitamin B17, und der Krebs verschwindet. Gleich werden Bücher geschrieben. Nur: Beim anderen hilft das kaum oder gar nicht. Da fehlt eben ein anderer Stoff.
Erleben wir doch gerade mit Lithium: Wir wissen, dass es mit Lithium Wunderheilungen gibt bei manisch-depressiven Patienten. Wir wissen, dass Lithium traurige Menschen fröhlich machen kann. Wir wissen auch, dass Lithium sogar ein zauberhaftes Anti-Aging-Mittel ist. Hier also das umgekehrte Prinzip: ein Stoff, mehrere Wirkungen. Einleuchtend. Genau das macht Medizin so kompliziert.
Und das ist auch der Grund dafür, dass ich mit langen Blutwertelisten allein gar nichts anfangen kann. Da kann ich noch so lange draufschauen … Klarheit kommt erst, wenn ich einen Patienten vor mir sehe. In voller Lebensgröße, mit seinem von mehr oder weniger dunklen Augenringen gerahmten Blick, mit seinen individuellen Rettungsringen um die Leibesmitte, seinem persönlichen Teint. Wenn ich seine Stimme höre, seinen Händedruck spüre und seine innere Haltung fühle. Erst dann wird das Bild dieses Menschen vollständig. Das ganze Bild, das ist es, worauf es ankommt. Denn der gleiche Blutwert, das gleiche Symptom heißt abhängig vom jeweiligen Menschen oft etwas ganz anderes.
Schweres Atmen und Luftnot kann zum Beispiel eine allergische Reaktion sein. Oder auch nicht! Dann ist es eine Lungenentzündung. Oder auch nicht! Es kann auch ein schweres Herzproblem sein. Kommt oft genug vor.
Verschreibt ein Arzt bei Luftnot vorschnell ein Antiallergikum, ist dem Herzpatienten nicht geholfen: Er wird nur bleiern müde werden und kein bisschen besser Luft bekommen. Gibt der Arzt versehentlich Antibiotika gegen bakterielle Lungenentzündung, geht es dem Patienten noch schlechter: Seine Darmflora geht vor die Hunde, das schwere Atmen bleibt.
Dann hat er ein zweifaches Problem: Sein Körper wird wegen der Herzprobleme nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, und mit Nährstoffen wird er auch nicht mehr ausreichend versorgt wegen der Darmprobleme.
Besser also, man schaut bei einem Symptom nach mehreren Ursachen. Behebt der Arzt nämlich das schwere Herzproblem, verschwindet die Luftnot von allein.
Die große Kraft der kleinsten Bausteine
Der Mensch hat eben Läuse und Flöhe. Nichts ist einfach. Und dennoch ist es sinnvoll, aus diesem komplizierten Bild eine einfache Gebrauchsanleitung zu destillieren. Ein ganz einfaches Rezept mit drei Zutaten:
- Lauf um dein Leben.
- Iss genetisch korrekt.
- Meditiere, träume.
Das ist natürlich nicht so gemütlich wie der Einwurf von drei möglichst teuren Pillen. Das macht ein bisschen Arbeit. Aber es wirkt zuverlässig, ohne Nebenwirkungen (außer vielleicht: nicht mehr zu bändigende Lebenslust), und damit ist auch schon alles gesagt.
Weil aber trotzdem so viele Fragen offen bleiben, versucht dieses Buch die wichtigsten Antworten zu geben. Antworten auf die Frage, warum eigentlich Gesundheit von innen kommt. Was hinter dem Geheimnis der Lebensbausteine steckt. Was Moleküle im Körper alles können. Was passiert, wenn Moleküle aus der Reihe tanzen. Und letztendlich: Wie Moleküle heilen. Was genau der Mensch also braucht, um gesund zu werden.
Also, was ist Molekularmedizin? Wie können wir mit Molekularmedizin einen neuen Weg der Heilung gehen? »Da stelle mer uns janz dumm«, um mit Lehrer Bömmel aus dem Film »Feuerzangenbowle« zu sprechen. Und fangen ganz klein an.
Der Mensch denkt gerne in einfachen Bildern. Deshalb lassen wir uns auch so leicht verführen von falschen Vorannahmen wie »Fett macht fett«. Völliger Unsinn, wie wir heute wissen. Was aber kaum jemand versteht, weil sich kaum jemand mit den kleineren Bausteinen des Körpers beschäftigt. Also mit dem, was man nur noch mit dem Mikroskop sehen kann: Zellen zum Beispiel. Oder mit dem, was man gar nicht mehr mit dem bloßen Auge sehen kann: Moleküle. Atome.
Eine Frage der Kombination
Weil man sich diese kleinsten Bausteine des Lebens nur noch schwer vorstellen kann, gehen wir die Sache doch einmal ganz pragmatisch an: Stellen wir uns den menschlichen Körper vor wie ein riesiges Gebilde aus diesen dänischen Plastikbausteinen, um die keine moderne Familie herumkommt. Mit kleinen knallbunten Klötzchen mit nur einer Noppe, mit zwei, vier oder sechs – oder noch mehr. Nehmen wir diese mal als Modell: Diese Steine werden in Zigtausenden Kombinationen zu unterschiedlichen Molekülen zusammengefügt. Diese wiederum bilden Blutkörperchen und Knochenzellen, sie bilden Organe, Haut und Haare – bis hin zum großen Ganzen, dem kompletten und wundervollen Körper des Menschen.
Spätestens seit »The Lego Movie« – ein ziemlich ironischer Kinofilm rund um das Phänomen besagter bunter Bausteine – ist klar, dass ohne eine zentrale Zutat gar nichts Vernünftiges aufgebaut werden kann: Gemeint ist die Bauanleitung. Eine ganz wichtige Sache.
Im menschlichen Körper liefert die DNA die Bauanleitungen für alles. Alles! Der Körper ist mit diesen Plänen in der Lage, alle Zellen und Organe zu montieren, das Immunsystem schlagfertig zu halten, Haare wachsen und Wunden heilen zu lassen. Logischerweise aber nur dann, wenn er die richtigen Bausteine zur Verfügung hat. Existenziell, also lebensnotwendig sind im menschlichen Körper 47 verschiedene Vitalstoffe: Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Proteine, Fette. Das ist schon alles, das ist ganz einfach, und damit kann gar nichts schiefgehen. Theoretisch.
Wenn Steine fehlen
Praktisch fehlen den allermeisten Menschen heute ziemlich viele Baustoffe: Vitamin D zum Beispiel, weil die Menschen ab Bielefeld aufwärts nicht genug Sonne sehen oder, sobald sie in der Sonne sind, sich flächendeckend mit Sunblocker einschmieren und sich dann wundern, dass sich zur vornehmen Blässe eine dauerhafte Schlappheit gesellt. Selen fehlt vielen, weil die landwirtschaftlich genutzten Böden in Deutschland praktisch kein Selen enthalten und die Menschen daher viel zu wenig Selen zu sich nehmen – dabei würde Selen vor Krebs schützen. Proteine fehlen sehr vielen Menschen, weil vegetarische und vegane Ernährung momentan modern sind, weil viele Anhänger dieser Ernährungsform nicht wissen, wie sie gravierenden Eiweißmangel verhindern können, und dann staunen, warum sie schleichend immer depressiver werden und das Kind in der Schule nicht mitkommt. Oder es fehlt Lithium. Oder es fehlt Testosteron. Oder, oder, oder …
Wenn Stoffe fehlen, fällt uns das oft gar nicht sofort auf, denn der Körper weiß sich zu helfen. Fehlt ihm etwas, dann versucht er es, so gut er kann, mit dem, was da ist. Anstelle eines zweinoppigen Bausteins wird dann eben ein Ein-Noppen-Stein eingebaut oder ein roter Stein wird durch einen gelben ersetzt. Natürlich...