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E-Book

New Business Order

Wie Start-ups Wirtschaft und Gesellschaft verändern

AutorChristoph Giesa, Lena Schiller Clausen
VerlagCarl Hanser Fachbuchverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9783446438903
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Kleine Start-ups haben angefangen, etablierte Unternehmen aufzumischen: durch neue Produkte, Ideen, Prozesse und eine Kultur der Offenheit. Sie sind nah am Kunden, einfallsreich und geben nicht auf. Sie erobern neue Märkte und nutzen die Chancen, die die Großen verschlafen. Und sie stellen die richtigen Fragen: Wir brauchen Finanzdienstleistungen - aber brauchen wir Banken? Wir brauchen Energie - aber brauchen wir die großen Energiekonzerne? Ihre Antwort sind neue Geschäftsmodelle, von denen wir alle profitieren können. Dieses Buch zeigt, wie man die Veränderungen der neuen Arbeitswelt zu Chancen macht - und diese nutzt.

Christoph Giesa , Jahrgang 1980, ist Publizist und Strategieberater. Sein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. Zuletzt erschien 2014 bei Hanser sein Buch 'New Business Order' (zusammen mit Lena Schiller Clausen). Er lebt in Hamburg.

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TEIL 2


Die im ersten Teil beschriebenen Probleme sind vielfältig. Hätten ihre Ursachen nun die Unveränderbarkeit von Naturgesetzen, man müsste nach der Beschreibung den Stift zur Seite legen, sich Popcorn besorgen, zurücklehnen und den kontinuierlichen Niedergang der alten Wirtschaftsordnung beobachten. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Auch wenn man sich oft genug als Geisel der Umstände fühlt, hat man den Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit doch selbst in der Hand. Im zweiten Teil wollen wir deshalb auch einen Blick auf diejenigen werfen, die den Beweis für diese Behauptung liefern, indem sie sich anders aufstellen und andere Prinzipien verfolgen. Dabei ähneln sie sich in vielem. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es tatsächlich Muster gibt, an denen man sich orientieren kann. Gleichzeitig interpretieren sie ähnliche Ansätze aber doch wieder sehr unterschiedlich. Das liegt in der Natur der Sache, unterscheiden sich doch Branchen, Personen und Kulturen. Auf jeden Fall aber sollten die Vielzahl und die Vielfalt der beschriebenen Beispiele ausreichend Impulse liefern, um sich die für einen selbst passenden Puzzleteile zusammenzusuchen.

Einfach anders sein


Jeder Schriftsteller, der etwas auf sich hält, hat eine Muse. Als Sachbuchautoren ist uns dieses Glück nicht vergönnt, allerdings kommen auch wir natürlich nicht ohne Inspiration aus. Unsere Inspirationsquellen, die uns dazu gebracht haben, dieses Buch zu schreiben, und uns auch während des Prozesses bei Laune gehalten haben, sind die vielen kleinen bis mittelgroßen Start-ups, deren spannende und neue Geschäftsmodelle oft im oder rund um das Internet entstehen. Sie machen viele Dinge einfach anders – und beweisen damit gleichzeitig am lebenden Beispiel, dass das überhaupt möglich ist. Dank ihnen lässt sich der gesamte Lösungsraum zwischen klassischen Ansätzen einerseits und deren bewusster Missachtung andererseits erst aufspannen.

Doch gehen wir einen Schritt zurück: Was ist überhaupt ein Start-up? Es gibt einen ganzen Strauß an unterschiedlichen Definitionen, aber das Verständnis, das wir in diesem Buch zugrunde legen, ist einfach: Ein Start-up ist ein junges Unternehmen, das den Anspruch hat, ein neues Produkt oder einen neuen Service zur Marktreife zu bringen. Klassische Handwerksbetriebe fallen demnach nicht unter die Definition, neuartige Offline-Geschäftsmodelle allerdings durchaus. Im Fokus unserer folgenden Betrachtung stehen vor allem diejenigen, die zunächst nicht mit riesigen finanziellen Mitteln ausgestattet sind und aus diesem Grund pragmatische Lösungen finden müssen, also in erster Linie »Lean Start-ups«.

Worin unterscheiden sich Start-ups ansonsten von etablierten Unternehmen? Auf welche immer gleichbleibenden Fragestellungen finden sie andere, neue Antworten? Wir sehen fünf maßgebliche Ebenen, die anhand der folgenden Beispiele erfolgreicher Start-up-Unternehmungen genauer beleuchtet werden:

?das Verhältnis zu externen Einflussgrößen – vom engen Zusammenspiel mit dem Markt über die Abhängigkeit von der Politik bis hin zur Nähe zur Gesellschaft,

?die Verfügbarkeit von internen Ressourcen – von knappen Finanzen über Personal, das permanent neue Fähigkeiten entwickeln muss, bis hin zu alternativen Produktionsmitteln,

?der Umgang mit dem Thema Hierarchie – von rudimentär festgelegten Entscheidungsbefugnissen bis hin zu situationsbedingt sich permanent wandelnden Rollen,

?die strukturelle Ebene – von fluiden Organisationsdiagrammen über die hohe Durchlässigkeit zwischen einzelnen Einheiten bis hin zur schnittstellenorientierten Organisation der Zusammenarbeit, lokal wie global vernetzt,

?und die Kultur- und Werteebene – von der Gleichberechtigung und Offenheit nach innen wie nach außen bis hin zur Frage nach dem Umgang mit Vertrauen.

Externe Einflussfaktoren gewinnen zwar auch für große Unternehmen immer mehr an Bedeutung, wie wir im ersten Teil umfassend gezeigt haben. Allerdings ist für Start-ups der tägliche Blick »nach draußen« schlicht überlebensnotwendig, denn ihre interne Ressourcenausstattung ist zu Beginn üblicherweise überschaubar. Während große Unternehmen oftmals die Möglichkeit haben, ihr Umfeld selbst zu beeinflussen, sei es nun mit Marketingbudgets, mit einem Anruf – bei den zuständigen Behörden oder gar bei der Kanzlerin – oder über ihre langjährigen Geschäftsbeziehungen mit den Handelspartnern, haben Start-ups kaum Möglichkeiten, derartigen Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen. Ausnahmen wie etwa Zalando bestätigen in diesem Fall nur die Regel, die für die im Folgenden dargestellten Unternehmensgründungen gilt.

»Freiheit und Unabhängigkeit jedes Bürgers hinsichtlich seiner Daten sind unseres Erachtens eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Zusammenwirken von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im digitalen Zeitalter« – beim Lesen dieser Zeilen könnte man meinen, das Manifest der Piratenpartei vor sich zu haben. Aber weit gefehlt. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Businessplan des Hamburger Jungunternehmens Protonet rund um die Gründer Ali Jelveh und Christopher Blum sowie ihre derzeit zehn Mitarbeiter. Mit ihrem bisher als Nischenprodukt vertriebenen, äußerst schön anzuschauenden Server für kleine und mittlere Unternehmen sowie Privathaushalte bieten sie Menschen und Unternehmen eine Alternative zur Datenaufbewahrung in der Cloud. Die Idee hinter Protonet ist, den Menschen ihre Informationshoheit und Datenkontrolle zurückzugeben – in Form eines eigenen Servers, für dessen Einrichtung und Betrieb keine IT-Kenntnisse notwendig sind. Wer mit so einem Produkt an den Markt geht – und in seinem Businessplan einen solchen Bogen schlägt –, der sucht die Auseinandersetzung. Nicht nur mit dem Markt, sondern auch mit den großen Namen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die seit einiger Zeit auf allen Ebenen stattfindenden Diskussionen über die Sicherheit von Cloud-Dienstleistungen einerseits und die infrage gestellte Vertrauenswürdigkeit von großen Internetkonzernen wie Facebook, Google oder Amazon andererseits spielen den Rebellen von Protonet, die schon lange vor den Datenskandalen um Programme wie Prism und Tempora mit der Produktentwicklung begannen, heute mehr denn je in die Hände. Denn sie bieten mit ihrer Box jedem die Möglichkeit, seine Daten im eigenen Büro oder Wohnzimmer aufzubewahren, anstatt etwa auf einer Amazon-Server-Farm in den USA. Die eigenen Daten werden verschlüsselt und sind dennoch auf allen eigenen Endgeräten erreichbar. Das ist der Versuch, die Vorteile der Cloud mit den Vorteilen eines eigenen Servers zu verbinden – besonders in Bezug auf Datenkontrolle und Informationssicherheit –, um Sicherheitslücken zu eliminieren, die den »Public Cloud«-Diensten innewohnen.

Die Hardware in Verbindung mit einer Software, die neben einer einfach zu bedienenden Benutzeroberfläche für die Datenspeicherung auch noch ein eigenes soziales Netzwerk enthält, soll Bedürfnisse abdecken, die der Markt bisher in dieser Kombination nicht bedient. Aber Protonet möchte mehr als nur eine praktische Hardware mit einer benutzerfreundlichen Software verkaufen. Man möchte den Markt, nach dessen Regeln man eigentlich nicht existieren dürfte, revolutionieren – und das gleich auf mehreren Ebenen.

Die Entstehungsgeschichte von Protonet liest sich dabei tatsächlich wie aus einem Start-up-Lehrbuch, mit allen dazugehörigen Stolpersteinen, Durststrecken, Höhen und Tiefen. Die eigentliche Idee und das Konzept der Protonet-Box entstanden über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Was inzwischen immer mehr Menschen empfinden, nämlich das Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmtheit in Bezug auf digitalen Datentransfer, war Jelveh schon früh ein Anliegen. Und das hat auch mit seiner Biografie zu tun. Als er vier Jahre alt war, flohen er und seine Eltern aus dem Iran – einem Land, das man guten Gewissens als Überwachungsstaat bezeichnen kann. Das prägte ihn, und so ist es kein Wunder, dass er sich schon lange mit dem Gedanken beschäftigt, eine Technologie zu entwickeln, die dazu beiträgt, eine selbstbestimmte, unabhängige Gesellschaft zu ermöglichen.

Gemeinsam entwickelten die beiden Gründer den Wunsch, die Vorteile des Web 2.0 und verschiedener Cloud-Dienste mit den Vorteilen lokaler Hardware zu verbinden, die niemand außer dem Besitzer selbst kontrollieren kann. 2009 begannen sie, ihre Idee Wirklichkeit werden zu lassen. »Wir hatten ein klares Ziel, aber nur eine vage Vorstellung, wie wir dahin kommen würden. Mit Software kannten wir uns aus – schließlich war agile Softwareentwicklung unser tägliches Brot. Aber über Hardware hatten wir nur rudimentäres Wissen. Wir wussten nur, dass sich im Laufe unserer Produktentwicklung der Stand der Technologie permanent verändern, verbessern würde«, erklärt Jelveh. Die Gründer machten es sich daher zur Prämisse, bei der Entwicklung der Hardware iterativ vorzugehen und für die ersten Prototypen schon bald zahlende Kunden zu gewinnen.

Die Entwicklungsphase – fast drei Jahre – finanzierten sie aus eigener Tasche. Sowohl Hardware- als auch Softwareentwicklung geschahen abends und am Wochenende, während Jelveh und Blum ihren Lebensunterhalt weiterhin als Softwarearchitekten und -entwickler verdienten. Es bedurfte mehr als 100 Hardwaredesignrevisionen und neun Prototypen, bis 2010 ein serienreifes Produkt entstanden war. Die ersten...

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