1 Schönheitschirurgie im Wandel
Beauty sells. Der Wunsch nach Schönheit ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Ihre Geschichte ist lang und mitunter ganz schön unschön.
Im Bann der Schönheit wurden Kriege geführt und Vermögen vergeudet, es wurde geraubt, gemordet, aber auch geliebt. Zu allen Zeiten wollten Menschen dem aktuellen Schönheitsideal entsprechen, halfen und helfen nach: Mit unterschiedlichen Mitteln, eines davon wurde in den letzten Jahrzehnten dank weiterentwickelter Verfahren, Techniken, Gerätschaften und Produkte immer populärer: die Ästhetisch-Plastische Chirurgie.
Schönheitschirurgie als Online-Game?
Die neue Dimension des Schönheitswahns gibt es jetzt sogar virtuell: Ein ideenreicher Geschäftsmann brachte 2008 eine französische und kurz darauf eine englischsprachige Version des Internet-Spiels »Miss Bimbo« (= »Fräulein Tussi«) erfolgreich auf den Markt. Bereits nach kurzer Zeit waren Millionen Mädchen registriert, darunter auch viele aus Deutschland. Ziel des Spiels: Das schönste, coolste und berühmteste Bimbo der Welt zu schaffen. Virtuell können die Spieler der mit Start-IQ 70 ausgestatteten Puppe zwar Weiterbildungen kaufen, doch schneller kommt voran, wer Miss Bimbo tolle Klamotten, hippe Frisuren und Beauty-OPs kauft. Denn Facelifts und Brustvergrößerungen für die bereits makellose Puppe werden mit maximalen »Coolness-Punkten« als überzeugendste Strategie gefeiert. Und die sind teuer, denn das Startkapital ist schnell verspielt und echte Dollar oder Euros müssen her. Haarsträubende neue Welt, gegen die empörte Eltern aufgebracht reagierten.
1.1 Im Bann der Schönheit
Schon vor über 3.500 Jahren versuchten Frauen im alten Ägypten dem ästhetischen Schönheitsideal der Nofretete mit allerlei Hilfsmittelchen nachzueifern, die Philosophen der Antike sahen Schönheit als Ebenbild von Wahrheit, während in der griechischen Mythologie die Schönheitsgöttin Aphrodite mit dem Kriegsgott Mars liebäugelte.
Bei den Pharaonen und im alten Rom waren bereits Ärzte um das äußere Erscheinungsbild ihrer Patienten bemüht. Griechische Heerscharen stritten um die schöne Helena, Homer besang die Schönheit als letzten Grund im Kampf um Ehre und Macht. Oder: Schönheit als Machtfaktor, wenn wir zum Beispiel an Kleopatra und Cäsar denken. Die legendären Beine der Dietrich – die Liste lässt sich schier unendlich weiterführen. Der Traum von Schönheit und Jugend geht durch alle Zeiten und Kulturen. Schönheit als Lebenselixier, Macht, Erotik und Signal zum Arterhalt – mit ihren unschönen und dennoch verlässlichen Begleitern Kampf, Neid und Missgunst.
1.2 Ganz schön skurril: Lotosfüße, Tellerlippen und ein Indianer beim Beauty-Doc
Jahrhunderte lang galten in China kleine, zierliche Frauenfüße, die so genannten Lotusfüße, als chic und verkörperten Reichtum. Mädchen wurden unter dem Postulat der Schönheit einer quälenden Prozedur unterzogen, indem ihre Füße im frühen Kindesalter fest mit Bandagen eingeschnürt wurden, damit sie nicht weiter wachsen konnten. Mitunter faulten die Zehen, brachen oder die Füße wurden gefühllos. Wer schön sein wollte, musste in China schon ziemlich leiden. Anderer Kontinent, anderes Schönheitsideal: Einige afrikanische Völker dehnen ihre Unterlippe mit Holzscheiben bis auf Tellerumfang auf. Je größer, je elastischer die Lippe, desto besser beziehungsweise begehrenswerter wirkt dort das Gegenüber.
Aus Südamerika wird berichtet, dass sich vor einigen Jahren wohl der erste Indianer aus dem Amazonas-Gebiet per Skalpell verschönern ließ. Er wollte einfach für seinen Stamm jünger aussehen. Im Schlaf träumte er von einem Geist, der ihm eine Maske aufs Gesicht legte. Dies interpretierte er als Zeichen, sein Gesicht verjüngen zu lassen.
1.3 Abendländische Schönheitsideale: Durch dick und dünn
Was im Laufe der Geschichte als »schön« galt, verkörperte den jeweiligen modischen Zeitgeist und war mitunter krassesten Gegensätzen unterworfen: Die ideale Frauenfigur der Renaissance war wohlbeleibt mit starken Hüften und leichtem Doppelkinn, ein untrügliches Zeichen für Wohlgenährtheit und damit Wohlstand. Das setzte sich im Barock fort, bestes zeitgenössisches Beispiel: die bekannte »Rubensfigur«, Frauen mit üppigen Rundungen auf Gemälden des Malers Peter Paul Rubens. Kehrtwende im 20. Jahrhundert: Schlankheit wurde zum absoluten Muss, der Magerwahn hält sich bis heute. Eine übermäßige Medienpräsenz extrem dünner Models am Rande der Magersucht mag den einen oder anderen inzwischen nachdenklich stimmen. Zur Perfektion der Perfektion werden Fotos für Modemagazine retuschiert und gaukeln etwas vor, das nicht einmal die Schönsten der Schönen aufweisen können. Medien vermitteln ein Körperbild, das mit der Realität rein gar nichts mehr zu tun hat: Hübsch, jung, schlank und erfolgreich lautet die theoretische Formel, an der sich viele messen und meinen, daran gemessen zu werden.
Es mag ein Vorurteil sein, dass unser äußeres Erscheinungsbild einhergeht mit unserer sozialen Positionierung, dass heutzutage »Dicksein« für mangelnde Leistungsbereitschaft oder Sich-gehen-Lassen steht. Fakt ist jedoch, dass das einstmals angestrebte Übergewicht inzwischen überproportional die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung betrifft und Bessergestellte zunehmend Wert auf ihr Äußeres und ihren Körper legen. Der perfekte Körper als Statussymbol und Wettbewerbsvorteil, Erfolgsfaktor für Liebe und Karriere. Frei nach dem Motto: Der gute und erfolgreiche Mensch ist schön, Versager sind hässlich. Zahlreiche Studien belegen die Tatsache, dass schöne Menschen definitiv Vorteile haben. Sie finden schneller einen Job und werden eher als sympathisch und erfolgreich eingestuft.
Soziologen sehen im Trend zum vermeintlich perfekten Aussehen eine Folge der Individualisierung: Der einzelne definiert sich heutzutage stärker durch sein Aussehen als durch Familie, traditionelle Bindungen oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsschicht. Kein Wunder also, dass viele der »ungerechten« Natur maßgeschneidert nachhelfen lassen.
Auch wenn sich der eine oder andere von uns vielleicht inzwischen ein wenig vom manchmal ausufernden Schönheitswahn genervt fühlt, wirklich freimachen von den postulierten Vorgaben in Sachen Schönheit können wir uns doch nicht.
Und warum auch: Wer sein äußeres Erscheinungsbild der Vorstellung vom eigenen Ich anpassen möchte, hat heute viele faszinierende Möglichkeiten. Der Gang zum Schönheitschirurgen wird daher immer selbstverständlicher, um das Leben besser und schöner zu machen. Das jugendliche Frische ausstrahlende Gesicht oder der optimierte Körper gehören für viele inzwischen zum guten Lebensstandard – wie teure Kleidung, exklusive Accessoires, ein Personal Trainer oder der regelmäßige Besuch beim Friseur und der Kosmetikerin.
Statussymbol Körper-Tuning
Die französische Schriftstellerin und Feministin Benoîte Groult über ihren Entschluss zur Beauty-OP: »Es hieß also etwas tun, um diesem hinterlistigen Älterwerden entgegenzutreten, ihm ganz energisch den Befehl zu erteilen, erst in zehn Jahren wieder vorbeizukommen. Ich wollte mir einen neuen Kopf leisten. Ich habe entdeckt, dass ich mir selbst mein kostbarstes Gut bin und dass ich dieses unanständig teure Geschenk verdient habe: ein Lifting.«
1.4 Schönheitschirurgie in Zahlen
Zur Wiederherstellung und Optimierung von Gesicht und Körper waren schon bei den Pharaonen, im alten Rom und in der Renaissance Ärzte am Werk, die sich um das perfekte Äußere ihrer Patienten kümmerten. An über 3000 Jahre alten Mumien entdeckten Wissenschaftler angenähte Ohren. Doch erst seit Mitte oder Ende des 19. Jahrhunderts gibt es Schönheitsoperationen, wie wir sie heute kennen. Johann Friedrich Dieffenbach, der allgemein als Begründer der modernen Plastischen Chirurgie gilt, gehörte zu den ersten Ärzten, die ab 1847 die Narkose mit Äther als Novum in den medizinischen Alltag brachten. 1898 führte Jacques Joseph, ein Berliner Chirurg, die erste Nasenkorrektur nach heutigen Gesichtspunkten durch. Grundlage war die entsprechend weiterentwickelte Anästhesie. Frühere Nasenkorrekturen sind bereits aus dem 16. Jahrhundert bekannt, als Chirurgen durch die zu der Zeit weit verbreitete Syphilis und Strafaktionen entstellte Nasen mit Haut vom Unterarm rekonstruierten. 1912 gilt als das Geburtsjahr des modernen Liftings, 1926 entdeckten clevere Forscher Eigenfett als Faltenfiller, in den 1920ern und 30ern wurde an Brustvergrößerungen mit Glaskugeln und anderem Füllmaterial experimentiert, bis 1962 der Durchbruch mit Silikonimplantaten gelang.
Selbst zeitlose Schönheitsidole wie Marilyn Monroe ließen für den schönen Schein chirurgisch Hand anlegen: Sie gönnte sich ein neues Kinn.
Nach Angaben der American Society of Plastic Surgeons gaben die Amerikaner im Jahre 2009 trotz Wirtschaftskrise rund zehn Milliarden Dollar...