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E-Book

Opus Dei

Archäologie des Amts

AutorGiorgio Agamben
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783104023007
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Jetzt neu: Band II.5 des Homo-Sacer-Projekts! Opus dei, das »Werk Gottes«, bezeichnet in der Geschichte der katholischen Kirche die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi. Ihre Konsequenzen reichen weit über den Glauben hinaus und konstituieren ein ontologisches Paradigma, das unsere Kultur zutiefst bestimmt und die Praxis der Menschen modelliert - wirksamer als das Gesetz, wirklicher als das Sein, absoluter als jegliche menschliche Handlung. Im Anschluss an seine Studie »Herrschaft und Herrlichkeit« treibt Giorgio Agamben die Untersuchung über die theologischen Signaturen wesentlicher Begriffe der Moral und der Politik weiter. An deren Ende steht nichts Geringeres als die Forderung nach einer Philosophie, die sich von den überkommenen Kategorien der Pflicht und des Willens trennt. »Im Werk von Giorgio Agamben begegnet man einem tiefen Blick in die Quellen menschlicher Erfahrung und man merkt, dass es dort eine heftige und mächtige Wechselwirkung von politischen und sozialen Kräften gibt, die nicht nur die soziale Ordnung und die individuelle Subjektivität konstituieren, sondern auch das ?Leben auf seiner grundlegendsten Ebene?.« Radical Philosophy Review

Giorgio Agamben, geboren 1942, lehrt heute als Professor für Ästhetik an der Facoltà di Design e Arti der Universität Iuav in Venedig, an der European Graduate School in Saas-Fee sowie am Collège International de Philosophie in Paris. Sein Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen ?Nacktheiten? (2010), ?Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensform? (2012), ?Das unsagbare Mädchen. Mythos und Mysterium der Kore? (2012, gemeinsam mit Monica Ferrando), ?Opus dei. Archäologie des Amts? (2013), ?Die Macht des Denkens? (2013), ?Stasis. Der Bürgerkrieg als Paradigma? (2016) sowie ?Die Erzählung und das Feuer? (2017).

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Leseprobe

I. Liturgie und Politik


1. Etymologie und Bedeutung des griechischen Begriffs leitourgia (von dem unser Wort »Liturgie« abstammt) liegen auf der Hand. Leitourgia (von laos, Volk, und ergon, Werk) bedeutet »Dienstleistung für das Gemeinwesen« und bezeichnet, im klassischen Griechenland, die Abgabe, die die Stadt von ihren über ein bestimmtes Einkommen verfügenden Bürgern erhebt, um eine Reihe von Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu unterhalten, vom Betrieb der Sportanlagen und der Durchführung der sportlichen Übungen (gymnasiarchia) bis zur Inszenierung der Chordarbietungen bei den städtischen Festen (chorēgia, zum Beispiel die tragischen Chöre bei den Dionysien), vom Kauf von Öl und Getreide (sitēgia) bis zu Bewaffnung und Einsatz einer Triere (triēarchia) im Kriegsfall, von der Entsendung einer städtischen Delegation zu den delphischen oder olympischen Spielen (architheōria) bis zum Vorschuss, den die fünfzehn reichsten Bürger auf das Steueraufkommen aller Steuerpflichtigen leisten mussten (proeisfora). Es handelte sich sowohl um dingliche als auch um körperliche Leistungen (»Jeder«, so schreibt Demosthenes, »liturgisiert sowohl mit seinem eigenen Körper als auch mit seinen eigenen Gütern«, tois sōmasi kai tais ousiais lēitourgēsai: IV Phil., 28), die, auch wenn sie vom Rat (archai) nicht aufgelistet waren, zur »Sorge um das Gemeinwohl« gehörten (tōn koinōn epimeleian: Isokrates, 7, 25). Auch wenn die Last der Liturgien bisweilen extrem schwer ausfiel (das Wort kataleitourgeiō bedeutete »sich durch Liturgien ruinieren«) und manche Bürger (die aus diesem Grund diadrasipolitai, »Bürger auf der Flucht«, genannt wurden) mit allen Mitteln versuchten, sich ihnen zu entziehen, so galt die Zahlung der Liturgien doch als ein Mittel, um sich Ehre und Ruhm zu erwerben, so dass viele (beispielhaft ist der Fall eines Bürgers, der, wie uns Lysias berichtet, in neun Jahren mehr als 20000 Drachmen in Liturgien ausgegeben hatte) sogar freiwillig in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Liturgien entrichteten, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren. Aristoteles warnt in der Politik (1309a 1821) daher vor »kostspieligen und dabei nutzlosen Liturgien, wie Ausrüstungen von Chören, Tragung der Kosten für Fackelläufe und dergleichen«.

Da auch die Ausgaben für den Kultus die Gemeinschaft betreffen (ta pros thous theous dapanēmata koina pasēs tēs polēos estin), kann Aristoteles schreiben, dass ein Teil des gemeinschaftlichen Grundbesitzes den Liturgien für die Götter zugewiesen werden soll (pros tous theous leitourgias: ebd., 1330a 13). Dieser Gebrauch des Begriffs im Zusammenhang mit dem Kultus, den wir später, mit einer bemerkenswerten Kontinuität, sowohl im Judentum als auch bei den christlichen Autoren wiederfinden, ist in den Lexika vielfach belegt, aus epigraphischen wie literarischen Quellen. Darüber hinaus wird, wie in solchen Fällen üblich, die technisch-politische Bedeutung des Begriffs, bei der der Bezug zur Gemeinschaft immer im Vordergrund steht, auch auf Dienstleistungen ausgedehnt, die nichts mit der Gemeinschaft zu tun haben, bisweilen auch auf scherzhafte Weise. Wenige Seiten nach der angeführten Stelle spricht Aristoteles in diesem Sinne, bei der Erörterung des richtigen Alters für die geschlechtliche Fortpflanzung, von einem »öffentlichen Dienst der Kindererzeugung« (leitourgein … pros tecnopoiian: ebd., 1335b 29); mit noch klarer ausgeprägter Ironie erwähnt er in einem Epigramm »die Liturgien« einer Prostituierten (Anth. Pal., 5, 49, I). Es ist nicht ganz korrekt zu behaupten, dass in diesen Fällen »die Bedeutung des Wortelements lēitos [also der Bezug zur Öffentlichkeit] völlig verblasst« (Strathmann, S. 224); ganz im Gegenteil, erst durch den Bezug auf die ursprüngliche politische Bedeutung erhält der Ausdruck jedes Mal seinen antiphrastischen Sinn. Wenn Aristoteles es als »Liturgie« bezeichnet, dass eine Hundemutter ihre Welpen säugt (De anim. incessu, 711b 30), oder wenn uns in einem Papyrus die Wendung »zu privaten Liturgien zwingen« begegnet (P. Oxy., III, 475, 18), dann muss man jedes Mal den Bruch heraushören, der mit der metaphorischen Verschiebung von der öffentlichen, gemeinschaftlichen Sphäre in die private einhergeht.

 Das System der Liturgien (auf Lateinisch munera) erreicht im Rom der Kaiserzeit ab dem 3. Jahrhundert AD seine größte Verbreitung. Ab dem Moment, in dem das Christentum gleichermaßen zur Staatsreligion wird, kommt der Frage, ob die Kleriker von der Pflicht zu öffentlichen Abgaben befreit werden sollten, ein besonderes Interesse zu. Schon Konstantin hatte verfügt, dass »diejenigen, die für den heiligen Kultus zuständig sind [divini cultui ministeria impendunt], das heißt diejenigen, die Kleriker genannt werden, von allen öffentlichen Dienstleistungen ausgenommen werden müssen [ab omnibus omnino muneribus excusentur]« (Drecoll, S. 56). Wiewohl diese Ausnahme, so zeigt ein weiteres Dekret des Konstantin, das es den decuriones verbietet, Kleriker zu werden, das Risiko mit sich brachte, dass wohlhabende Personen Kleriker wurden, nur um sich den schwerwiegenden munera zu entziehen, so wurde dieses Privileg doch aufrechterhalten, wenn auch mit wechselnden Einschränkungen.

Dies zeigt, dass das Priestertum in gewisser Weise als eine öffentliche Dienstleistung gesehen wurde, und kann einer der Gründe dafür sein, dass der Begriff leitourgia im griechischsprachigen Christentum zunehmend im Zusammenhang mit dem Kultus verwendet wurde.

2. Die Geschichte eines Begriffs fällt oft mit der Geschichte seiner Übersetzungen oder seines Gebrauchs in Übersetzungen zusammen. Die Geschichte des Begriffs leitourgia gelangt daher an einen entscheidenden Punkt, als die alexandrinischen Rabbiner, die die griechische Übersetzung der Bibel ausführen, für das hebräische šeret, das allgemein »dienen« meint, bei jeder Verwendung im Zusammenhang mit dem Kultus das Verb leitourgeō (oft gemeinsam mit leitourgia) wählen. Seit seiner ersten Verwendung in Bezug auf die Funktion Aarons als Priester, wo leitourgeō alleine steht (en tōi leitourgein: Ex., 28, 35), wird der Begriff oft in technischer Verbindung mit leitourgia gebraucht, um den Kultus im »Zelt der Begegnung« zu benennen (leitourgein tēn leitourgian … en tēi skēnēi: Num., 8, 22, im Bezug auf die Leviten; leitourgein tas leitourgias tēs skēnēs kyriou: ebd., 16,9).

Die Gelehrten haben sich lange Zeit nach den Gründen für diese Bevorzugung gegenüber anderen möglichen griechischen Begriffen gefragt, zu denen latreuō oder douleō gehören, die in der Septuaginta für gewöhnlich weniger technischen Bedeutungen vorbehalten sind. Dass den Übersetzern diese »politische« Bedeutung des griechischen Begriffs sehr wohl bewusst war, ist mehr als wahrscheinlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Anweisungen des Herrn für die Einrichtung des Kultus in Ex., 2530 (wo der Begriff leitourgein zum ersten Mal auftaucht) nichts anderes sind als eine genauere Ausführung des Bundesschlusses, durch den wenige Seiten zuvor Israel als erwähltes Volk, als »Königreich von Priestern« (mamleket kohanim) und als »heilige Nation« (goj qados) konstituiert wird. Es ist von Belang, dass die Septuaginta hier auf das griechische Wort laos zurückgreift (esesthe moi laos periousios apo pantōn tōn ethnōn, »dann werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein«: Ex. 19, 5) und dessen »politische« Bedeutung sogar noch verstärkt, indem sie das »Königreich der Priester« des Ursprungstexts als »königliches Priestertum« wiedergibt (basileon hierateuma, ein Bild, das bezeichnenderweise im ersten Brief des Petrus, 2,9, wieder aufgegriffen wird – »Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht und ein basileon hierateuma«, D I und ebenso in Ap., 1, 6) und goj qados als ethnos hagion.

Dass Israel als »Volk Gottes« erwählt wird, begründet unmittelbar seine liturgische Funktion (die Priesterschaft ist unmittelbar königlich, also politisch) und heiligt es so auch als Nation (der normale Begriff für Israel ist nicht goj, sondern am qados, laos hagios: Deut., 7, 6).

 Im alexandrinischen Judentum ist es geläufig, mit leitourgia und leitourgeō den priesterlichen Kultus zu bezeichnen. So bezieht sich im Brief des Aristeas (2. Jahrhundert v. Chr.) tōn hiereōn hē leitourgia auf die minutiös aufgelisteten Funktionen des Priesters im Kultus, von der Wahl des Opfers bis zur Behandlung des Öls und der Duftstoffe (Aristeas, 92, S. 87); kurz darauf bezeichnet Eleazar en tēi leitourgiai den höchsten Priester beim Vollzug...

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