In der täglichen Praxis im Kindergarten[1] ist mir immer wieder aufgefallen, dass das Außengelände der Einrichtungen von den pädagogischen Fachkräften[2] als ,Extra‘- Raum, der nicht in das gesamte pädagogische Konzept einer Institution einbezogen, sondern für bestimmte eng begrenzte Aktivitäten genutzt wird, betrachtet wird. So kann ich aus meiner eigenen Erfahrung berichten, dass ich es oft erlebt habe, dass das Außengelände nur zu einem bestimmten Zeitpunkt am Vormittag und ab einer bestimmten Uhrzeit am Nachmittag genutzt wird - wenn (laut der pädagogischen Fachkräfte) die Wetterbedingungen dies zugelassen haben. Weitere persönliche Erfahrungen zeigen, dass sich die Begleitung der kindlichen Aktivitäten durch die pädagogischen Fachkräfte im Gegensatz zum Kindergartengebäude im Außengelände stark reduziert. Dies wird mit der zu gewährleistenden Aufsichtspflicht und der im Außengelände stattfindenden Phase des ,Freispiels‘ der Kinder gerechtfertigt. Eine solche Argumentation ist natürlich völlig unzulässig, da die pädagogischen Fachkräfte Freispielphasen natürlich auch im Kindergartengebäude, und nicht nur im Außengelände, zu initiieren haben. Weiterhin bedeutet Freispielphase der Kinder auch nicht, dass sich die pädagogischen Fachkräfte an dieser Stelle zurückziehen, um mit KollegInnen (im schlechtesten Falle über private Themen) ins Gespräch zu kommen oder um die Kinder zu beaufsichtigen (Aufsichtspflicht gewährleisten). Vielmehr müssen die Fachkräfte diese Phasen nutzen, um in solchen Momenten zwei der zentralen Aufgaben ihrer Arbeit in den Fokus zu rücken, nämlich die Begleitung und die Beobachtung und Dokumentation kindlicher Bildungsprozesse. Österreicher (2012, 180) führt weitere zeitlich-organisatorische Aspekte an, die von den Fachkräften als Gründe genannt werden, das Außengelände nicht zu nutzen. Hierzu zählen z.B. Personalnot, die bereits erwähnten ungünstigen Wetterbedingungen und Programmpunkte, „die aufgrund eines bestimmten Bildungsverständnisses als wichtiger angesehen werden“ (Österreicher 2012, 180). Pädagogische Fachkräfte sollten also den „Wert des Draußen-Seins“ (Österreicher 2012, 180) erkennen und verstehen, dass ihr Handeln und die Interaktion mit einem Kind/ den Kindern nicht nur im Kindergartengebäude, sondern auch im Außengelände von hoher Bedeutung ist. Möglicherweise vollziehen sich im Außengelände sogar qualitätvollere Interaktionen zwischen einer pädagogischen Fachkraft und einem Kind/ Kindern, aufgrund der Tatsache, dass außerhalb des Gebäudes eine größere Fläche, auf der sich die Kinder verteilen können, zur Verfügung steht und der Geräuschpegel im Gruppenraum bedeutend höher als im Außengelände ist. Sollte dies so sein, dann wäre es ein Grund für pädagogische Fachkräfte, das Außengelände viel intensiver und bewusster zu nutzen.
Aus diesen Gedanken ergeben sich für mich also zwei zentrale Fragen: Hat das Raumsetting (,im Kindergartengebäude‘ versus ,im Außengelände‘) Auswirkungen auf die Interaktion zwischen der pädagogischen Fachkraft und einem Kind/ mehreren Kindern bzw. vollzieht sich im Außengelände eine qualitätvollere Interaktion zwischen der pädagogischen Fachkraft und einem Kind/ mehreren Kindern als im Kindergartengebäude? Um dieser Fragen nachzugehen, werde ich meine Bachelorarbeit wie folgt aufbauen:
Grundsätzlich besteht diese Arbeit aus zwei Abschnitten - einem theoretischen und einem qualitativen Teil. Im ersten Teil möchte ich zunächst die Bindungstheorie von Bowlby und die qualitativen Testsituationen von Ainsworth, die die Annahmen von Bowlby bestätigten, darlegen. Dies ist notwendig, da die Bindung als Grundlage für enge zwischenmenschliche Beziehungen dient. Diese sind für Kinder Voraussetzung, um Autonomie zu entwickeln und sich die Welt anzueignen (Mergeay 2009, o.S.)[3]. Somit ergibt sich also auch für pädagogische Fachkräfte aus dem Bereich der frühkindlichen Bildung die Notwendigkeit, sich einen Überblick über die Bindungstheorie Bowlbys und Ainsworths empirischen Untersuchungen zu verschaffen und in der täglichen Arbeit zu berücksichtigen. Deshalb soll im nächsten Schritt das Konzept der Feinfühligkeit, welches in der Eltern-Kind-Bindung von großer Bedeutung ist, auf den Bereich der frühkindlichen Bildung übertragen und beispielhaft aufgezeigt werden, welche Untersuchungen (Remsperger 2011) und Konzepte (Gutknecht 2012) dazu bereits vorliegen. Im dritten Kapitel soll näher betrachtet werden, welchen Einfluss Raumsettings und - konzepte auf die Feinfühligkeit der pädagogischen Fachkräfte, die professionelleResponsivität, haben. Im zweiten Teil der Arbeit soll mit Hilfe von Videodaten und deren Analyse das Interaktionsverhalten pädagogischer Fachkräfte im Kindergartengebäude und im Außengelände näher betrachtet werden. Im Fazit wird, neben einer Zusammenfassung der gesammelten Erkenntnisse, auf die zentralen Fragestellungen, ob das Raumsetting (,im Kindergartengebäude‘ versus ,im Außengelände‘) Auswirkungen auf die Interaktion zwischen Fachkraft und Kind/ Kinder hat und ob sich im Außengelände eine qualitätvollere Interaktion als im Kindergartengebäude vollzieht, ausführlich eingegangen. Parallel dazu werden Schlussfolgerungen für die Praxis formuliert. Die Bedeutung von Sensitivität im Handeln pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen
Um mich dem Themenfeld ,die Bedeutung von Sensitivität im Handeln pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen‘ annähern zu können, ist es notwendig, dass ich mich zunächst mit der Bindungstheorie John Bowlbys auseinandersetze, die die Grundlage für das Konzept der Feinfühligkeit bildet. Anschließend wird eine Auseinandersetzung mit den Untersuchungen Mary Ainsworths zum Bindungsverhalten von Müttern und Kindern stattfinden. Ihre Erkenntnisse können auch in den Bereich der institutionellen Bildung und Erziehung übertragen werden. Dies wird deutlich durch die Forschungsarbeit von Regina Remsperger. Sie nutzt das von Ainsworth entwickelte Konzept der Feinfühligkeit, um die Interaktion zwischen pädagogischer Fachkräfte und dem Kind/ den Kindern näher zu betrachten. Im letzten Teil des Kapitels stelle ich die von Dorothee Gutknecht beschriebenen Strategien der intuitiven Didaktik vor. Diese Verhaltensstrategien können von pädagogischen Fachkräften in der Interaktion mit Kindern genutzt werden, um auf deren Signale prompt und angemessen zu reagieren.
Der Begriff der Sensitivität, in Bezug auf die Interaktion zwischen einer erwachsenen Person und einem Kind, ist auf die Erkenntnisse John Bowlbys und die damit verbundene Entwicklung der Bindungstheorie in der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück zu führen. Die Ursprünge der Bindungstheorie gehen bis ins 19. Jahrhundert zurück und beziehen sich auf die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Mary Ainsworth hat in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Bindungstheorie Bowlbys weiterentwickelt und dazu empirische Untersuchungen unternommen (Otto 2011, 392 ff). Auf Grundlage dieser Untersuchungen wurde eine Bindungsklassifikation des Kindes erstellt, bestehend aus vier verschiedenen Bindungstypen. Hierbei konnten auch Zusammenhänge zwischen der Bindungssicherheit der Kinder und der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens hergestellt werden (Otto 2011, 397 f; Grossmann 2008, 32 ff). Das Interaktionsverhalten der Bezugsperson sollte im Idealfall feinfühlig - also sensitiv - sein (Otto 2011, 398; Grossmann 2008, 32). Ausgehend von diesen Erkenntnissen konnte u.a. nachgewiesen werden, dass „Bindungssicherheit ( ... ) zu einer kompetenteren Bewältigung weiterer Entwicklungsaufgaben im sozioemotionalen und kognitiven Bereich“ (Otto 2011,399) führt.
Bezugnehmend auf die Evolutionstheorie von Charles Darwin, die davon ausgeht, dass während der Entwicklung von Lebewesen bzw. bestimmter Verwandtschaftsgruppen immer wieder adaptive Veränderungen auftreten, die es dem Lebewesen ermöglichen zu überleben, entwickelte John Bowlby die Theorie , dass es sich beim Bindungssystem auch um ein „evolviertes Verhaltenssystem“ (Otto 2011, 392) handelt, das in der Vergangenheit das Überleben des Säuglings sicherte. Ein Kind, das in widrigen Umweltbedingungen wie Kälte, Übergriffe durch Raubtiere etc. aufgewachsen ist, hatte eine höhere Wahrscheinlichkeit durch „Bindungsverhaltensweisen wie Weinen, Lächeln, Klammern oder Nachfolgen ( ... ) in engem Kontakt zu seinen Bezugspersonen zu bleiben“ (Otto 2011, 392 f). Somit schlussfolgerte Bowlby, dass das Bindungsverhalten ein überlebenswichtiger Faktor war und es deshalb „im Laufe der Phylogenese im menschlichem Genom verankert wurde“ (Otto 2011,393). In einer Untersuchung an 44 bereits kriminell in Erscheinung getretenen Jugendlichen, in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, stellte Bowlby fest, dass ein Großteil schon in jungen Jahren die Mutter verloren hatten. Weiterhin konstatierte er, dass diese Jugendlichen dann einen Großteil ihres Lebens in Kinderheimen verbrachten. Hier galt es zu dieser Zeit als Grundsatz ein Kind mit „Kontaktminimierung bei ausreichender Nahrung und Hygiene“ (Otto 2011, 391) so wenig wie möglich „zu verwöhnen“ (Otto 2011, 391). Otto (2011, 391 f) macht darauf aufmerksam, dass selbst Fachliteratur und Ratgeber „bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts“ (Otto 2011, 391) diese Grundsätze vertraten:...